• Keine Ergebnisse gefunden

der Professionalisierung von Lehrkräften

3.3 Professionalisierung von Lehrkräften zur Umsetzung einer Berufsbildung für eine nachhaltige Entwicklung

3.3.1 Nachhaltigkeitsbezogene Handlungskompetenz

3.3.2.2 Fachliche Fähigkeiten

Eine fachkompetente Berufsschullehrkraft zeichnet sich durch ein umfangreiches und tief greifendes „berufsspezifisches“ Verständnis der unterrichtlichen Sachver-halte aus (vgl. Baumert & Kunter, 2006, S. 494). Ihr professionelles Fachwissen lässt sich allerdings nicht auf eine einzige wissenschaftliche Bezugsdisziplin zurückfüh-ren. In gewerblich-technischen Berufsfeldern ist das Fachwissen nicht nur durch technisches Wissen geprägt. Professionelle Fachkompetenz von Berufsschullehrkräf-ten hat vielmehr viele Orientierungspunkte, die sich in berufsbezogene FähigkeiBerufsschullehrkräf-ten – dem Verhältnis von Arbeit, Beruf und Technik im Kontext gesellschaftlicher Zu-sammenhänge (vgl. u. a. Rauner, 2006; Pangalos & Knutzen, 2000; Hägele & Voll-mer, 2019) – und berufsverbundene Fähigkeiten in den Disziplinen Deutsch, Mathe-matik, Politikwissenschaften etc. unterscheiden lassen. BBnE bietet hier eine Orientierung.

Interdisziplinäres, systemisches und berufsbezogenes Fachwissen und Können Im Rahmen von BBnE wird systemisch vernetztes Denken als konstitutiv angesehen (vgl. Wiek et al., 2011, S. 207; Lauströer & Rost, 2008, S. 90; de Haan, 2008, S. 32; Rieß

& Mischo, 2008, S. 218; Rieß, 2013, S. 58; Rauch, Steiner, & Streissler, 2008, S. 151;

Vester, 2015). Um mit Problemen der Zukunftsgestaltung umgehen zu können, be-nötigen Individuen eine sogenannte Systemkompetenz (vgl. Renn, 2009, S. 31 ff.).

Für nachhaltigkeitsorientiertes berufliches Handeln ist sie überaus relevant, weil sich nachhaltige berufliche Problemlösungen nur unter Beachtung komplexer temzusammenhänge gestalten lassen (vgl. Hahne, 2008, S. 90). Zum Begriff der Sys-temkompetenz gibt es verschiedene Aussagen:

• „Systems-thinking competence is the ability to collectively analyze complex sys-tems across different domains (society, environment, economy, etc.) and across different scales (local to global), thereby considering cascading effects, inertia, feedback loops and other systemic features related to sustainability issues and sustainability problem-solving frameworks“ (Wiek et al., 2011, S. 207).

• „Die Kompetenz, mit globalen Systemzusammenhängen umgehen zu können und diese zu verstehen, stellt eine zentrale Wissenskomponente von Bildung für nachhaltige Entwicklung dar. Eine so verstandene Systemkompetenz stützt sich auf Wissen aus mehreren Fachdisziplinen. Interdisziplinäre Wissensstruk-turen sind also konstitutiv für das Konzept der Systemkompetenz“ (Lauströer

& Rost, 2008, S. 90).

• „Erst die Perspektive anderer Nationen und Kulturen, aber auch die differenten Perspektiven von Ökonomie, Politik und Zivilgesellschaft zu kennen, zu

bewer-ten und zu nutzen macht es möglich, Interessengegensätze und differente Lö-sungswege für nachhaltige Entwicklungsprozesse, Hemmnisse und Chancen zu identifizieren“ (de Haan, 2008, S. 32).

• „In Anlehnung, aber auch in Abgrenzung von Ossimitz (2000) wird hier unter systemischem Denken daher die Fähigkeit verstanden, komplexe Wirklichkeits-bereiche als Systeme erkennen, beschreiben und möglichst modellieren (z. B.

strukturieren, organisieren) zu können. Dazu gehören die Fähigkeiten, System-elemente und Wechselbeziehungen bestimmen zu können, zeitliche Dimensio-nen (Dynamiken) zu erfassen sowie die Fähigkeit, auf der Basis der eigeDimensio-nen Modellierungen Erklärungen geben, Prognosen treffen und weiche Technolo-gien entwerfen zu können“ (Rieß & Mischo, 2008, S. 218).

• „Systemkompetenz bezieht sich zunächst auf das Verstehen und nachhaltige Eingreifen in komplexe technische Systeme wie z. B. die hydraulische und ener-getische Optimierung von komplexen Heizungsanlagen oder Prozesse der Gie-ßereitechnik. Sehr bald wird aber deutlich, dass auch technische Systeme als Teilsysteme sozialer oder gesellschaftlicher Konstrukte aufgefasst werden müs-sen, weil sie mit Kundenaufträgen […] bzw. Arbeitsorganisation […] zusammen-hängen“ (Hahne, 2007, S. 16).

• „Auf dem höchsten, dem systemischen Niveau kann man theoretisch noch ein-mal danach unterscheiden, ob Personen eher dazu neigen, ökologische Systeme und Kreisläufe isoliert als geschlossene […] oder als miteinander vernetzte, inei-nander verschachtelte zu begreifen […]. Hier werden auch immer schneller wer-dende, exponentielle und irreversible Entwicklungsverläufe berücksichtigt. Au-ßerdem werden die Zusammenhänge zwischen allen Abstraktionsebenen, die Verbindungen zwischen Problemen in der nahen Umwelt mit denen globaler Art und für künftige Generationen gesehen“ (Hoff, 1998, S. 85).

Bei genauerer Analyse der aufgeführten Aussagen wird deutlich, dass es sich bei der Systemkompetenz im Kern um ein vernetztes Denken handelt, das die hochgradig komplexen Systemzusammenhänge mit schwer abschätzbaren Wirkungen hinsicht-lich räumhinsicht-licher Ausbreitung und zeithinsicht-licher Dynamiken erkennt, bewertet und im ei-genen Handeln beachtet (vgl. Wiek et al., 2011, S. 207; Lauströer & Rost, 2008, S. 90;

de Haan, 2008, S. 32; Rieß et al., 2008, S. 218; Hoff, 1998, S. 8; Hahne, 2007, S. 16;

Rieß, 2013, S. 58; Rauch et al., 2008, S. 151; Vester, 2015). Um also die mit einer nach-haltigen Entwicklung einhergehende Komplexität, Ambiguität und Unsicherheit in den Unterricht einbringen zu können, bedarf es einerseits einer räumlichen Aus-dehnung auf globale Systemzusammenhänge und andererseits des Einbezugs zu-künftiger Bedürfnisbefriedigung.

Diese systemische Erweiterung kommt schon im didaktischen Konzept von Vollmer & Kuhlmeier (2014) zum Ausdruck, in dem sie für die konkrete Umsetzung von BBnE herausstellen, dass „das Wissen über die Auswirkungen eigenen Han-delns lokal, regional und global, aktuell und in Zukunft“ erforderlich ist. Ihre Kon-kretisierung der Systemkompetenz in den gewerblich-technischen Fachrichtungen

knüpft dabei an die erweiterte Techniklehre nach Rauner (1995). Danach sind sechs Anforderungen an die berufsbezogene Fachkompetenz der Berufsschullehrkräfte aus systemischer Perspektive relevant:

• Technologie: Eine Lehrkraft muss Wissen und Können bzgl. des Aufbaus, des Funktionierens und Konstruierens der Technik (in ihrer gegenwärtigen Gestalt) in seinem Berufsfeld im Allgemeinen, aber auch im Speziellen – zur Umset-zung einer nachhaltigen Entwicklung – besitzen.

• Historische Gewordenheit: Lehrkräfte müssen in der Lage sein, den histori-schen Prozess der Technik nachzeichnen zu können. Dabei sollten sie beispiels-weise wissen, wer an der Entwicklung bestimmter Techniken beteiligt war und welchen Zweck die Technikentwicklung auch hinsichtlich einer nachhaltigen Gesellschaftsentwicklung erfüllt.

• Gebrauchswert: Die Lehrkräfte sollten den Gebrauchswert bzw. die Nützlichkeit einer Technik unter Berücksichtigung nachhaltigkeitsorientierter Aspekte beur-teilen können. Mit der Technik gehen beispielsweise Erwartungen und Anforde-rungen einher, die an eine bestimmte Technik gestellt werden und von ihr zu erfüllen sind. Dabei ist die Erschaffung des Gebrauchswerts in soziale, ökono-mische und ökologische Wechselwirkungsprozesse eingebunden.

• Gesellschaftliche Arbeit: Die Lehrkräfte sollten beurteilen können, in welchem Wechselwirkungsverhältnis Technik und gesellschaftliche Arbeit stehen. Tech-nik kann Ergebnis, Mittel und Bedingung für gesellschaftliche Arbeit sein.

• Ökologie: Lehrkräfte sollten bewerten können, wie Arbeit und Technik in ökolo-gische Kreisläufe eingebunden sind.

• Wirtschaftlichkeit: Lehrkräfte sollten Aspekte der Wirtschaftlichkeit hinsichtlich der eingesetzten Technik und Arbeit beurteilen können.

Bei genauerer Analyse wird deutlich, dass die erweiterte Techniklehre sich überwie-gend auf einer Dimension bewegt, die einen lokalen oder maximal nationalen Kon-text beachtet und die zeitliche Ausdehnung schwerpunktmäßig vergangenheits- und gegenwartsbezogen berücksichtigt. Um dem Anspruch von BBnE gerecht werden zu können, sind die räumliche und zeitliche Dimension zu erweitern, indem

• im Rahmen von BBnE das berufliche Fachwissen mit Wissensinhalten, Denk-weisen und Zugangsmöglichkeiten anderer Disziplinen zu vernetzen ist.

• gegenseitige Einflüsse, Wechselwirkungsbeziehungen und Auswirkungen un-terschiedlicher Wissensinhalte in lokale und globale Zusammenhänge gestellt sowie Wissensinhalte auf gegenwärtige und zukünftige Generationen bezogen werden.

In Bezug auf die fachlichen Fähigkeiten von Lehrkräften lässt sich festhalten, dass sie im Rahmen von BBnE in der Lage sein müssen, ihr berufsbezogenes Fachwis-sen und Können in den interdisziplinären, systemischen Zusammenhang stellen zu können. In diesem Sinne bezieht sich BBnE auf systemisch fachliche Fähigkei-ten von Lehrenden, die über ein ausschließlich fachlich geprägtes Verständnis

hinausgehen (vgl. Steiner 2011, S. 433). In der Konsequenz verlangt BBnE die be-rufsbezogene Fachkompetenz der Lehrkräfte im Sinne eines Systemverständnis-ses auszuweiten. BBnE erfordert, dass sie vernetzt und systemisch denken kön-nen, um die komplexen Zusammenhänge mit schwer abschätzbaren Wirkungen hinsichtlich räumlicher Ausbreitung und zeitlicher Dynamiken erkennen, bewer-ten und im eigenen Unterricht umsetzen zu können. Da Lehrkräfte in der berufs-schulischen Praxis nicht in allen disziplinären Zugängen ausgewiesene Experten sein können, sind sie auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Kollegen an-gewiesen. Dabei ist es wichtig, sich der Relativität des eigenen disziplinären Zu-gangs bewusst zu sein und die Theorien, Vorgehensweisen und Grundannahmen der eigenen beruflichen Fachrichtung in Verbindung mit denen anderer Diszi-plinen zu setzen (vgl. Di Giulio, Künzli David, & Defila, 2008, S. 190 ff.). Ohne eine solche Reflexionsfähigkeit, das eigene implizite Wissen zu explizieren und das eigene Fachwissen für andere zu übersetzen, wird es kaum möglich sein, die Komplexität der Nachhaltigkeitsthematik in den Unterricht einzubringen (vgl. Di Giulio et al., 2008, S. 190).

Explizites Nachhaltigkeitswissen

BBnE fordert neben systemischen Fähigkeiten ein explizites „Nachhaltigkeitswis-sen“. In einer Expertenbefragung kommen Hellberg-Rode et al. (2014) zum Ergeb-nis, dass spezifisches Wissen über das Konzept der nachhaltigen Entwicklung eine grundlegende Voraussetzung für die Gestaltung von nachhaltigkeitsorientiertem Unterricht darstellt (vgl. Hellberg-Rode et al., 2014, S. 267). Darunter verstehen sie, dass Lehrkräfte Kenntnisse haben über

• Dynamiken und Interpendenzen von globalen Prozessen.

• gesellschaftlich diskutierte Problemlösungsansätze und -strategien im Kontext globalen Wandels (bspw. Effizienz-, Konsistenz- und Suffizienzstrategien).

• Phänomene bzw. Gegebenheiten des globalen Wandels (Klimawandel etc.).

• Konzepte der „Nachhaltigen Entwicklung“ mit ihren grundlegenden Dimensio-nen und Prinzipien (bspw. Nachhaltigkeitsdreieck, inter- und intragenerative Gerechtigkeit, starke vs. schwache Nachhaltigkeit etc.).

• Ökologische, soziale und ökonomische Systemzusammenhänge.

• Wertediskurse, die im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung stehen.

Das Wissen über spezifische Inhalte der nachhaltigen Entwicklung bezieht sich auch auf Kenntnisse über die politische Verankerung der nachhaltigen Entwicklung, was vor allem Kenntnisse über die Agenda 21, Agenda 2030, das Weltaktionsprogramm und deren jeweilige Begründungen und Implikationen für nachhaltigkeitsorientierte Bildung beinhaltet. „Die Umsetzung von Nachhaltigkeit ist [nur] mit umfangreichem und kontinuierlich zu aktualisierendem Wissen vorstellbar“ (Grunwald & Kopfmül-ler, 2012, S. 205). Dies gilt insbesondere für Lehrende, wenn sie BBnE gestalten wol-len.

In Bezug auf die fachlichen Fähigkeiten von Lehrkräften lässt sich festhalten, dass Lehrende ein explizites Nachhaltigkeitswissen haben sollten. Die Kenntnis über Konzepte der nachhaltigen Entwicklung sollte deshalb obligatorischer Bestandteil des Professionswissens der Lehrenden sein. BBnE erfordert von Lehrenden ein Basiswissen zu aktuellen Inhalten der nachhaltigen Entwicklung und der (Be-rufs-)Bildung für nachhaltige Entwicklung, das mit dem beruflichen Fachwissen kombiniert ist.