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Educational Governance als analytische Perspektive

der Professionalisierung von Lehrkräften

3.3 Professionalisierung von Lehrkräften zur Umsetzung einer Berufsbildung für eine nachhaltige Entwicklung

3.3.9 Kontextspezifische Faktoren der Professionalisierung

3.3.9.3 Educational Governance als analytische Perspektive

Der Educational-Governance-Ansatz ist ein Theorieansatz, der die Perspektive der Akteure und ihre Handlungsabstimmungen in systemischer Lesart verstärkt und auf den Erfahrungen beruht, dass politische Gesetze, Verordnungen und Erlasse mittels hierarchischer Steuerung den differenzierten Herausforderungen – dies gilt für das Berufsbildungssystem – nicht mehr gewachsen sind (vgl. Asbrand, 2009, S. 19). Da-durch können Abstimmungsschwierigkeiten bei der Implementierung Da-durch be-stimmte Handlungen und Entscheidungen von Personen(-kreisen) im wechselseiti-gen Verhältnis zu Handlunwechselseiti-gen und Entscheidunwechselseiti-gen anderer, relevanter Akteure analysiert und gestaltet werden. Dieser Ansatz beruht auf einer systemischen Sicht-weise, welche auf wechselseitige Zusammenhänge in einem Mehrebenensystem ab-zielt und somit vertikale und horizontale Handlungsabstimmungen gleichermaßen betrachtet.

Die dem Governance-Ansatz zugrunde liegenden Begriffe bieten geeignete Ana-lysekriterien (vgl. Kussau & Brüsemeister, 2007, S. 37 ff.):

1. Beobachtung: Die Akteure stimmen sich allein durch einseitige oder wechsel-seitige Anpassung an das wahrgenommene Handeln der anderen ab. Zum Bei-spiel verändern Lehrkräfte ihr unterrichtliches Verhalten, weil eine Schulin-spektion sie beobachtet.

2. Beeinflussung: Akteure können (auf Basis wechselseitiger Beobachtung) durch gezielten Einsatz, wie z. B. „Macht, Geld, Wissen, Emotionen, moralische Auto-rität etc.“ andere Akteure beeinflussen. So stellt die verpflichtende Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen einen Beeinflussungsversuch zur Weiterbildung der Lehrkräfte dar, der sich des Mediums „Wissen und Macht“ bedient.

3. Verhandlung: Die Akteure arbeiten – gestützt auf wechselseitige Beobachtung und Beeinflussung – gegenseitig Vereinbarungen aus, die ihre bindende Wir-kung auch ohne die Aktualisierung von Macht entfalten können. „Im Schulbe-reich etwa finden wir ein Beispiel zu dieser Koordinationsform in Verträgen oder Leistungsvereinbarungen, die zwischen verschiedenen „SchulpartnerIn-nen“ geschlossen werden“ (vgl. Kussau & Brüsemeister, 2007).

Jeder dieser Begriffe drückt eine Handlungskoordination aus, welche sich in modell-haften, institutionalisierten Formen der Koordination niederschlagen kann. Die Mo-delle Hierarchie, Markt, Gemeinschaft und Netzwerke vereinfachen die Handlungs-abstimmungen idealtypisch.

1. In der Koordinationsform der Hierarchie findet das gegenseitige Beeinflussen der Akteure durch den gezielten Einsatz von Ressourcen statt. Die Entschei-dungsbefugnisse, die das Handeln sämtlicher Mitglieder maßgeblich beeinflus-sen, liegen damit bei einer übergeordneten Instanz.

2. Die Koordinationsform des Marktes wird durch „die gegenseitige Beobachtung bei gleichzeitigem Abschätzen der eigenen Ressourcen bestimmt. Es besteht die Möglichkeit, eigene Ziele angesichts knapper Ressourcen einzuschätzen, ohne dass dazu Kontakt aufgenommen werden muss“ (Kussau & Brüsemeister, 2007, S. 40).

3. In einer Gemeinschaft findet die Koordination der Handlung als „Verhandlung zwischen den Akteur/-innen auf der Grundlage von Beziehung und geteilten Überzeugungen statt“ (Asbrand, 2009, S. 19), wie z. B. bei einer Lehrerkonfe-renz.

4. Die Koordinationsform Netzwerke entspricht weitestgehend der der Gemein-schaft mit dem Unterschied, dass sie im Vergleich dazu unverbindlicher ist.

„Kollektive Handlungsfähigkeit kommt nur als jederzeitige ‚freiwillige’ Eini-gung zustande“ (Lange & Schimank, 2004, S. 22)“.

Diese Systematik ermöglicht es, die Interdependenzen in Form von Handlungs-koordination in einem komplexen, multikausalen System in Abhängigkeit der Ak-teurskonstellationen zu beschreiben und zu gestalten. Anders ausgedrückt kann die Koordination von institutionalisierten hierarchischen, marktförmigen, gemein-schaftlichen und netzwerkartigen Steuerungsformen anhand von gegenseitiger Be-obachtung, Beeinflussung und Verhandlungen zwischen den Akteuren untersucht bzw. aufgezeigt werden. Dadurch lassen sich im Sinne einer Good-Governance Im-pulse für ein koordiniertes Handeln der Akteure im Innovationsprozess herleiten und entwickeln. In einem komplexen System ist es nicht in Gänze möglich, sämt-liche Akteurskonstellationen und ihre Handlungskoordination abschließend zu ana-lysieren. In Verbindung mit der Implementationsforschung und der Schulentwick-lungsforschung konnte so ein theoretisch-normativer Rahmen entwickelt werden, welcher für die Analyse der kontextspezifischen Faktoren sämtliche betrachtete Rah-menbedingungen zusammenfassend (s. Abbildung 16) festhält.

Theoretisch-normatives Referenzmodell zu den kontextspezifischen Faktoren

3.4 Fazit

In diesem Kapitel wurde ein theoretischer Zugang zur Berufsbildung für eine nach-haltige Entwicklung hergestellt, um die Erprobung, Durchführung und Evaluation von Fort- und Weiterbildungen im Rahmen von BBnE gestalten und analysieren zu können. Durch die theoretischen Bezüge konnten die individuellen, maßnahmen-spezifischen und kontextmaßnahmen-spezifischen Bedingungen bzw. Anforderungen identifiziert und konkretisiert werden. In Anlehnung an das Wissenschaftsverständnis wurde da-mit eine technologische Theorie entwickelt, die den praktischen Zweck verfolgt, die Befähigung von Berufsschullehrkräften zur Umsetzung von BBnE gestalten und analysieren zu können.

Insgesamt konnten die drei zentralen Merkmale: 1. individuelle Faktoren, 2. maß-nahmenspezifische Faktoren und 3. kontextbezogene Faktoren durch wissenschaft-liche Theorien spezifiziert werden:

Abbildung 16:

Die individuellen Faktoren sind durch eine professionelle nachhaltigkeitsorien-tierte Handlungskompetenz von Lehrenden gekennzeichnet. Die Lehrenden soll-ten in Anbetracht der Ausführungen in diesem Kapitel:

1. bildungstheoretisch legitimierte Lernprozesse unter Berücksichtigung einer positiven Zukunftsvision gestalten können.

2. lehr-/lerntheoretisch begründete Lernprozesse im Kontext von BBnE gestal-ten können.

3. nachhaltigkeitsorientierte Lernhandlungen unter Berücksichtigung lernpsy-chologischen Grundlagenwissens planen und durchführen können.

4. Wissen mit Werten verschränken können.

5. berufsbezogenes Fachwissen und Können in den interdisziplinären, systemi-schen Zusammenhang stellen können.

6. ein explizites Nachhaltigkeitswissen haben.

7. berufliche und nachhaltigkeitsorientierte Lernziele, Methoden und Themen wissenschafts-, situations- und persönlichkeitsorientiert auswählen können.

8. gestaltungsorientierten Unterricht unter Berücksichtigung einer nachhaltig-keitsorientierten Technikfolgenabschätzung konzipieren können.

9. handlungsorientierten Unterricht unter Berücksichtigung einer nachhaltig-keitsorientierten Wahrnehmungs- und Bewertungsperspektive gestalten kön-nen.

10. die Umsetzung von BBnE selbst als wertvoll und wichtig anerkennen.

11. positive Erwartungen an die Umsetzung von BBnE haben.

12. die Verpflichtung zur Umsetzung von BBnE verspüren.

13. die Willensstärke, das Durchhaltevermögen und die Beharrlichkeit bei der Planung und Durchführung von BBnE-Unterricht haben.

14. die Bereitschaft zur Evaluation der Umsetzung von BBnE haben.

15. zur Umsetzung von BBnE eine positive, erfolgsmotivierte Selbstregulations-fähigkeit haben.

16. kollektiv-kooperativ handeln können und die eigene Multiplikatoren-Funk-tion zur Verbreitung von BBnE erkannt haben.

17. überzeugt von den eigenen Fähigkeiten/der eigenen Kompetenz im Rahmen von BBnE sein.

18. positiv und möglichst stark von der Nachhaltigkeitsidee und BBnE überzeugt sein.

19. elaborierte subjektive Theorien hinsichtlich der Planung und Durchführung von BBnE haben.

20. eigene und allgemein-ethische Werteprinzipien hinsichtlich Umwelt-, Gene-rationen-, Technik- und Gerechtigkeitsansprüchen vertreten können.

21. postkonventionell handeln können.

22. vom Wohlbefinden aller Menschen und der Natur überzeugt sein.

23. bereits vorhandene positive Assoziationen zur Nachhaltigkeitsidee verinner-licht haben.

Im Zuge der Modellierung wurden weitere maßnahmenspezifischen Faktoren spezi-fiziert.

In Anbetracht der Ausführungen lassen sich Fort- und Weiterbildung im Rahmen von BBnE durch folgende maßnahmenspezifische Faktoren analysieren und ge-stalten. Eine Fort- und Weiterbildung sollte

1. erfahrungsbasierte, transformative und reflexive Lernprozesse beinhalten.

2. ca. 30 Zeitstunden umfassen.

3. die Handlungskompetenz unter besonderer Berücksichtigung des professio-nellen Wissens und Könnens erweitern.

4. an Merkmalen lernwirksamen Unterrichts und dem Verstehensaufbau sowie den Verstehensprozessen der Schüler:innen anknüpfen.

5. Eine sinnvolle Integration von Phasen der Selbststeuerung und Selbstorgani-sation umsetzen.

6. die Wirkung des eigenen Handelns erlebbar und bspw. durch den pädagogi-schen Doppeldecker erfahrbar machen.

7. Input, Erprobungs- und Reflexionsphasen abwechseln und verschränken.

8. strukturiertes Feedback und Coaching einsetzen.

9. kooperative und professionelle Lerngemeinschaften bilden und unterstützen.

In Verbindung mit den wissenschaftlichen Theorien aus der Implementationsfor-schung und der SchulentwicklungsforImplementationsfor-schung konnte ein theoretisch-normativer Rahmen entwickelt werden, welcher für die Analyse der kontextspezifischen Fakto-ren sämtliche zu betrachtenden Rahmenbedingungen beinhaltet.

In Hinblick auf die Ausführungen konnten folgende kontextspezifische Faktoren hergeleitet werden, die aus der Perspektive der Lehrenden betrachtet werden sol-len:

1. Unterstützung der Schulleitung bei der Umsetzung von BBnE.

2. Komplexität, Ziele und Mittel didaktisch-methodischer Konzepte für BBnE.

3. Motivation, Überzeugungen und Kenntnisse hinsichtlich BBnE bei den Aus-zubildenden, Kolleg:innen und der Schulleitung.

4. Vorgaben im schuleigenen Curriculum bzw. in den Rahmenlehrplänen.

5. Unterstützung der Ausbildungsbetriebe hinsichtlich BBnE.

6. Behandlung von BBnE in Schulbüchern und Handreichungen.

7. Unterstützung durch die (Schul-)Politik.

Auf der Grundlage dieser theoretisch-normativen Annahmen werden die zwei Frage-stellungen der Arbeit:

1. Welche professionelle nachhaltigkeitsorientierte Handlungskompetenz benöti-gen Berufsschullehrkräfte zur Umsetzung von BBnE?

2. Welche Gestaltungsmerkmale tragen zu einer wirksamen Fort- und Weiterbil-dung im Kontext einer BerufsbilWeiterbil-dung für eine nachhaltige Entwicklung bei?

in den folgenden Kapiteln weiterbearbeitet, um sie auf eine empirische Grundlage zu stellen.

in der beruflichen Schule – eine neue