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Theoretische Konzepte einer nachhaltigen Entwicklung

der Professionalisierung von Lehrkräften

3.1 Nachhaltige Entwicklung

3.1.2 Theoretische Konzepte einer nachhaltigen Entwicklung

Die Operationalisierung der Leitidee der nachhaltigen Entwicklung hat durch ver-schiedene Interessen zu sehr unterschiedlichen Ansätzen, Modellen und Strategien geführt. Hinter allen folgenden Konzepten verbergen sich insgesamt sieben Nachhal-tigkeitsmerkmale, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den drei konstitutiven Elementen stehen (vgl. Pufé, 2012, S. 115 f.). Sie beschreiben überwiegend hand-lungsleitende Prinzipen, auf deren Grundlage sämtliche Entscheidungen und Hand-lungen überprüft werden können. Sie können genutzt werden, um zu bestimmen, ob etwas nachhaltig ist (vgl. Pufé, 2012):

1. Intergenerationelle Gerechtigkeit: Sämtliche Generationen (gegenwärtige und künftige) müssen dieselben Chancen haben.

2. Intragenerationelle Gerechtigkeit: Gerechte Verteilung der Chancen unabhängig von soziodemografischen Merkmalen (Alter, Geschlecht, Rasse, etc.)

3. Ganzheitlichkeit und Integration: Ganzheitliche und integrative Betrachtung der sozialen Gerechtigkeit, der ökologischen Verträglichkeit und der wirtschaft-lichen Leistungsfähigkeit.

4. Prinzip der Glokalität: Verschränkung der lokalen, regionalen und globalen Handlungsebenen.

5. Partizipation und Verantwortung: Einbezug aller Beteiligter, die generell gleich-berechtigt teilhaben.

6. Präventive Langfristorientierung: präventiv und vorbeugend handeln unter Be-rücksichtigung der langfristigen statt kurzfristigen Auswirkungen und Folgen.

7. Normatives Leitbild: Nachhaltigkeit ist ein ethisch-moralisches Konzept und kein Ergebnis wissenschaftlicher Forschung.

Diese Merkmale beschreiben den wesentlichen Referenzrahmen für die Umsetzung und Konkretisierung der Leitidee einer nachhaltigen Entwicklung. Damit wurden

sieben Referenzdimensionen aufgestellt, die für eine systematische Konzeptionie-rung als wesentlich gelten. Eine nachhaltige Entwicklung wird in dieser Arbeit dann als solche verstanden, wenn sämtliche Merkmale Berücksichtigung finden.

Dimensionen einer nachhaltigen Entwicklung

Die am häufigsten vertretene, anschaulichste und bekannteste Konkretisierung der Leitidee der nachhaltigen Entwicklung wird durch den Zusammenhang von ökologi-schen, ökonomischen und sozialen Aspekten bestimmt. Dabei ist unstrittig, dass

„Nachhaltigkeit nur durch eine Integration der verschiedenen Dimensionen gesell-schaftlicher Entwicklung erreicht werden kann“ (Heinrichs & Michelsen, 2014, S. 28). Demgegenüber bestehen Uneinigkeiten über die Gewichtung dieser drei Dimensionen. Aus diesem Grund entstanden „Ein-Dimensionen-“ und „Mehr-Dimensionen-Modelle“ (vgl. Heinrichs & Michelsen, 2014). Da bei den Ein-Dimen-sionen-Modellen schwerpunktmäßig eine Dimension im Vordergrund steht, wie bei-spielsweise die ökologische Dimension, und sich dies nicht mit dem Prinzip der Ganzheitlichkeit verträgt, spielen diese Modelle für die vorliegende Arbeit keine Rolle – auch wenn klar ist, dass in der Praxis häufig einer Dimension der Vorrang eingeräumt wird (vgl. Pufé, 2012, S. 113).

Bei den Mehr-Dimensionen-Modellen gibt es Unterschiede, die die Beziehung der Dimensionen untereinander verdeutlichen. Es lassen sich das Drei-Säulen-Mo-dell, das Schnittmengenmodell und das Nachhaltigkeitsdreieck unterscheiden. Das Drei-Säulen-Modell berücksichtigt zwar die drei Dimensionen gleichermaßen, was dadurch zum Ausdruck kommt, dass das Konstrukt zusammenfällt, sobald eine Säule wegbricht. Andererseits kann es so verstanden werden, dass die drei Dimen-sionen unabhängig zueinander stehen. Gleiches gilt für das sogenannte Schnittmen-genmodell bzw. Dreiklangmodell. Durch die Bildung von Schnittmengen wird zwar berücksichtigt, dass zwischen den Dimensionen gewisse Überschneidungen zu fin-den sind, allerdings werfin-den die drei Dimensionen immer noch weitestgehend unab-hängig voneinander betrachtet. Das Nachhaltigkeitsdreieck löst diese Problematik auf, indem es alle drei Dimensionen als integrativ versinnbildlicht (s. Abbildung 7).

Das Nachhaltigkeitsdreieck (Pufé, 2012, S. 113) Abbildung 7:

Im Nachhaltigkeitsdreieck kommt die gleichwertige Bedeutung der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit zum Ausdruck. Damit soll verdeutlicht werden, dass eine nachhaltige Entwicklung nur verwirklicht werden kann, wenn so-ziale Gerechtigkeit, ökologische Verträglichkeit und wirtschaftliche Leistungsfähig-keit als Einheit betrachtet werden. Soziale GerechtigLeistungsfähig-keit, ökologische VerträglichLeistungsfähig-keit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit stehen im Zusammenhang eines gleich-schenkeligen Dreiecks, wodurch sie in einer ständigen Wechselwirkung zueinander stehen und sich gegenseitig bedingen.

Starke vs. schwache Nachhaltigkeit

Bei der Konkretisierung der Leitidee können generell zwei Standpunkte vertreten werden. Dabei handelt es sich zum einen um die Position, die durch sogenannte schwache Nachhaltigkeit ausgedrückt wird. Zum anderen stehen ihr Vertreter einer starken Nachhaltigkeit gegenüber. Die Unterscheidung dieser beiden Positionen be-ruht vorrangig auf der Erhaltung bzw. Substituierbarkeit von Kapital. Ganz im volks-wirtschaftlichen Sinne wird Kapital als ein Produktionsfaktor bestimmt. Grob wird zwischen Naturkapital (z. B. natürliche Ressourcen: Holz, Kohle, Boden, Wasser, Luft etc.) und Sachkapital (z. B. menschlich hergestellte Ressourcen: Maschinen, Anla-gen, Infrastruktur etc.) unterschieden. Die Hauptfrage ist, inwiefern sich die beiden Kapitalarten Natur- und Sachkapital ineinander umwandeln lassen. Das Konzept der schwachen Nachhaltigkeit geht davon aus, dass „Naturkapital durch Sachkapital sub-stituiert werden kann, solange der gesamte Kapitalbestand für zukünftige Genera-tionen erhalten bleibt“ (Hauff & Kleine, 2009, S. 33). Eine nachhaltige Entwicklung besteht demnach, solange die Summe von Naturkapital und Sachkapital – also das Gesamtkapital – steigt. Infolgedessen ist eine Entwicklung nachhaltig, auch wenn ein natürlicher See durch ein Schwimmbad oder ein Waldstück durch eine Parkan-lage ersetzt wird, sofern das Gesamtkapital steigt (vgl. Heinrichs & Michelsen, 2014, S. 32). Diese Sichtweise ist vor allem in einer neoklassischen Wirtschaftswissen-schaft vertreten. Sie propagiert ein unbegrenztes quantitatives WirtWirtschaftswissen-schaftswachstum.

Die Vertreter des Konzepts der starken Nachhaltigkeit gehen hingegen davon aus, dass Naturkapital und Sachkapital komplementär und deshalb nur sehr begrenzt substituierbar sind (vgl. Heinrichs & Michelsen, 2014, S. 33, Hauff & Kleine, 2009, S. 33; Ott & Döring, 2008, S. 146). In diesem Sinne ist eine Entwicklung nur nachhal-tig, „wenn jede Kapitalart für sich steigt bzw. nicht sinkt“ (Hauff & Kleine, 2009, S. 33). Innerhalb einer Kapitalart ist allerdings die Austauschbarkeit gegeben, wenn beispielsweise die Abholzung eines Waldes durch eine Aufforstung substituiert wird.

Das Konzept der starken Nachhaltigkeit geht von der Annahme aus, dass kein nach-haltiges Wirtschaftswachstum möglich ist, weil eine Steigerung des Sachkapitals stets mit der Verringung von Naturkapital einhergehen muss. Sie wird kritisiert, weil damit nicht erneuerbare Ressourcen niemals verwendet werden dürfen, sie können schlichtweg nicht erneuert werden (vgl. Holfelder, 2018, S. 33). In diesem Fall dürf-ten dann z. B. auch keine seldürf-tenen Erden für Computer eingesetzt werden.

Die Konzepte der starken und schwachen Nachhaltigkeit nehmen zwei unver-einbare Gegenpole ein. Eine vermittelnde Position wird durch die ausgewogene

Nachhaltigkeit vertreten. Hiernach wird bestimmtes Naturkapital als austauschbar betrachtet, wenn beispielsweise der Verbrauch von fossilen Energieträgern durch Investitionen in erneuerbare Energien ausgeglichen werden (vgl. Heinrichs & Mi-chelsen, 2014, S. 34; Hauff & Kleine, 2009, S. 35 f.). Dieses Paradigma legt die „öko-anthropozentrische“ Prämisse zugrunde, wonach „eine weltweite Befriedigung von Grundbedürfnissen und die Verbesserung der Lebensqualität gegenwärtig und zu-künftig lebender Generationen“ vorrangiges Ziel sind (Hauff & Kleine, 2009, S. 35).

Wirtschaftswachstum muss dementsprechend umweltfreundlich sein (vgl. Hauff

& Kleine, 2009, S. 35).

Handlungsstrategien nachhaltiger Entwicklung (Effizienz, Konsistenz und Suffizienz)

Um einen nachhaltigen Weg beschreiten zu können, werden drei richtungsweisende Strategien angeführt, die komplementär zu berücksichtigen sind: die Effizienz-, Konsistenz- und Suffizienzstrategie (vgl. Pufé, 2012, S. 123; Hauff & Kleine, 2009, S. 37 ff.; Grunwald & Kopfmüller, 2012, S. 92 ff.) Die Effizienzstrategie wird meist von Ökonomen vertreten. Bei ihr geht es vornehmlich – ganz im wirtschaftlichen Sinne – darum, Ressourcenproduktivität zu steigern, um den übermäßigen Verbrauch von Energie und Rohstoffen zu reduzieren. Dies soll durch neue Technologien oder durch Verbesserung der Wertschöpfungsketten ermöglicht werden. Da sie unmittel-bar mit dem eigentlichen Business Case einer Unternehmung vereinunmittel-bar ist, findet sie insgesamt am häufigsten Anwendung. Die Konsistenzstrategie wird aufgrund ih-rer Ausrichtung auf natürliche Energie- und Stoffströme vor allem von ökologisch orientierten Vertretern thematisiert. Bei ihr geht es darum, einen Kreislauf zu entwi-ckeln, der die aufgewendeten Stoff- und Energieströme wieder in den natürlichen Umlauf zurückführt. Damit legt diese Strategie als Einzige den Schwerpunkt auf die qualitativen Aspekte von Stoffen und Energien. Die Suffizienzstrategie wird vor al-lem von Nichtregierungsorganisationen vertreten. Ihr liegt die Forderung nach mehr Genügsamkeit zugrunde. Mit ihr wird das Ziel verfolgt, die Lebensstile so zu verän-dern, dass dies zur Reduzierung des übermäßigen Konsums in den Industriestaaten führt. Aus diesem Grund erfährt sie unter den drei Strategien besonders von ökono-mischen Vertretern die größte Kritik. Die Forderung nach Konsumverzicht steht im Kontrast zu den vorherrschenden wirtschaftlichen Interessen nach materiellem Wachstum. Zudem sind verpflichtende Einschränkungen unpopulär bzw. werden kri-tisch bewertet. Die Auffassung, „verringerter materieller Warenkonsum kann durch gesteigerten immateriellen Wohlstand kompensiert werden“, soll diesen Konflikt auflösen (vgl. Siebenhüner, 2001, S. 92). Dementsprechend wird ein suffizientes Le-ben mit einer höheren LeLe-bensqualität verbunden, frei nach dem Motto: „weniger ist mehr“ oder auch „gut leben statt viel haben“.

Genauso wie im Nachhaltigkeitsdreieck die drei Dimensionen der Ökologie, Ökonomie und Soziales integrativ betrachtet werden, gilt dies auch für die aufge-führten Handlungsstrategien. Es handelt sich demnach nicht um unabhängige Stra-tegien, sondern nur im Einklang aller drei Strategien lässt sich eine nachhaltige Ent-wicklung voranbringen.

3.1.3 Zwischenfazit

Da es bislang keine einheitliche Theorie einer nachhaltigen Entwicklung gibt und wahrscheinlich niemals geben wird, beruht der vorliegende theoretische Bezugsrah-men einer nachhaltigen Entwicklung auf einem prädeliberativen Einverständnis. Die einschlägigen politischen Vereinbarungen (wie z. B. der Agenda 21, der Agenda 203040 etc.) führen das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung auf die Definition des Brundtland-Berichts zurück. Hiernach ist eine Entwicklung nachhaltig, wenn sie

„den Bedürfnissen der heutigen Generationen entspricht, ohne die Möglichkeit künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen“ (Hauff, 1987, S. 46). Das Leitbild der nachhaltigen Ent-wicklung rechtfertigt sich damit aus der weltweiten Anerkennung auf einer politi-schen Ebene sowie aus der Zustimmung zu einem kollektiven Ziel. Wie eine Theo-rie auch, gilt sie in diesem Sinne als vorübergehend begründete Behauptung, die sich so lange hält, bis sie widerlegt wird und damit einer Weiterentwicklung unter-worfen ist. Die intra- und intergenerative Gerechtigkeit, die globale Orientierung so-wie der anthropozentrische Ansatz stellen die drei konstitutiven Bedingungen für die Operationalisierung dieses Leitbildes einer nachhaltigen Entwicklung dar.

Auf diesem Nachhaltigkeitsverständnis aufbauend, orientiert sich die vorliegende Arbeit an folgenden Modellen, Positionen und Strategien:

• Die sieben Merkmale der Nachhaltigkeit werden als Maßstab betrachtet. Sie geben die Kriterien vor, wonach sämtliche Handlungen und Entscheidungen als nachhaltig bzw. nicht nachhaltig eingestuft werden können.

• Die dargestellten Nachhaltigkeitsmodelle (Drei-Säulen-Modell, Schnittmen-genmodell, Nachhaltigkeitsdreieck) konkretisieren die Leitidee der nachhal-tigen Entwicklung. Demnach berücksichtigt eine nachhaltige Entwicklung immer ökologische, ökonomische und soziale Aspekte. Das Nachhaltigkeits-dreieck ist das Modell, das die drei Nachhaltigkeitsdimensionen der sozialen Gerechtigkeit, der ökologischen Verträglichkeit und wirtschaftlichen Leis-tungsfähigkeit auf ganzheitliche Art integriert.

• Die ausgewogene Nachhaltigkeit stellt die grundlegende Position dieser Ar-beit dar. Danach steht eine weltweite Befriedigung von Grundbedürfnissen sowie die Steigerung der Lebensqualität der gegenwärtigen und zukünftigen Generationen im Mittelpunkt der Betrachtung (vgl. Hauff & Kleine, 2009, S. 35). Naturkapital ist nur durch andere Kapitalarten substituierbar unter der Voraussetzung, dass dabei keine kritischen Umweltschäden zu befürchten sind. Wirtschaftswachstum ist immer umweltgerecht bzw. nachhaltig zu ge-stalten.

Eine nachhaltige Entwicklung kann nur umgesetzt werden, wenn die Effizienz-, die Konsistenz- und die Suffizienzstrategie komplementär zur Anwendung kom-men.

40 Agenda 21 und Agenda 2030 werden im folgenden Abschnitt eingeführt.