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Theater, Circus, Atrium – Städtische

3 Der literarische Raum Großstadt in der augusteischen und

3.5 Innere Strukturen. Raumnot in der literarischen Großstadt

3.5.2 Densum volgus – Wahrnehmung der Masse

3.5.2.1 Theater, Circus, Atrium – Städtische

Im ersten Buch der Ars amatoria werden derartige Konzentrationspunkte en bloc563 vorgestellt: neben dem Circus564 sind es vor allem Festveranstaltungen565, die Thea-ter566 und das Gastmahl567, die sich nach Meinung des Sprechers für eine

559 Vgl. Ov. ars 1, 45-50.

560 Explizit genannt werden Ov. ars 1, 46: ualle; Ov. ars 1, 48: aquae; implizit verweisen auf größere Bereiche Ov. ars 1, 47: frutices; Ov. ars 1, 45: ceruis.

561 Der Vergleich zwischen den angeführten Berufsgruppen und einem Liebenden ist bereits in der antiken Dichtung etabliert, weswegen Hollis (1991), 41 bemerkt: „Stereotyped illustrations, which may seem dull but contain more than meets the eye.“ Vgl. dazu Kenney (1970), 386-388, der außer Lukrez vor allem griechische Autoren heranzieht. Dabei geht der Vergleich der Stellen vor allem auf die Handlungen ein. Die räumliche Ausdehnung der Orte (o. ä.) wird bei Kenney nicht verglichen.

562 Lynch (1975), 61.

563 Vgl. Ov. ars 1, 67-252. Im Anschluss folgt die Aufzählung von Orten, die außerhalb der Stadt liegen. Sie fällt bei weitem kürzer aus: Ov. ars 1, 253-262. Der Sprecher benennt den beliebten Badeort Baiae und einen stadtnahen Hain der Diana. Vgl. Ov. ars 1, 259: suburbanae templum nemo-rale Dianae.

564 Ov. ars 1, 135-170.

565 Ov. ars 1, 171-228.

566 Ov. ars 1, 49-134. In Horazens Darstellung über die Anfänge des antiken Dramas und frühere Theaterveranstaltungen wird erklärt, wieso sich im Laufe der Zeit die Konstruktion der tibia ver-ändern musste. Vgl. Hor. ars 204-207: (…) erat utilis (…)/ nondum spissa nimis complere sedilia flatu;/

aufnahme als günstig erweisen. Die Intention der Empfehlung weist die Konzen-tration an den typisch städtischen Teilelementen als wiederkehrend und sich wie-derholend aus, sie ist regelhaft, vorhersehbar.

Die Theater sind derartige Bereiche, die intensiv von Frauen genutzt werden. Dass sie mehrfach innerhalb des literarischen Makroraumes urbs Roma568 zu finden sind, zeigt die Verwendung des Plurals (theatris, v. 89), verortet sind sie dagegen lediglich zonal. Damit wird vor allem der großstädtische Charakter des literarischen Rau-mes betont.

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sed tu praecipue curuis uenare theatris;

haec loca sunt uoto fertiliora tuo. (…) ut redit itque frequens longum formica per agmen,

granifero solitum cum uehit ore cibum, aut ut apes saltusque suos et olentia nactae

pascua per flores et thyma summa uolant, sic ruit ad celebres cultissima femina ludos;

copia iudicium saepe morata meum est.

spectatum ueniunt, ueniunt spectentur ut ipsae: (…).569

Der Sprecher vergleicht in diesem Abschnitt die zügigen Bewegungen der Frauen mit denen von kleinen Insekten, nämlich Ameisen und Bienen (ut redit itque frequens, v. 93; uolant, v. 96; ruit, v. 97). Mit diesem doppelten Vergleich wird die Beschreibung eines innerstädtischen Verdichtungsprozesses auf eine poetische Ebene gehoben: Übergeordneter Aufenthaltsort der Bienen sind Waldtäler (saltus, v. 95) und Weideplätze (pascua, v. 96). Wie diese innerhalb größerer Räume eine weite Distanz hin zu bestimmten, für sie anziehenden Bereichen überwinden (longum … per agmen, v. 93570; saltusque … et … nactae/ pascua, v. 95 f.) und um sie herumfliegen (per flores et thyma summa, v. 96), so bewegen sich die Frauen auf die

quo sane populus numerabilis, utpote parvos,/ et frugi castusque verecundusque coibat. Der vormals schwa-che Ton der tibia – so der Spreschwa-cher – habe damals für eine geringere Zuschauerzahl ausgereicht.

Diesen Sachverhalt der Tonstärke und der vormaligen Aufführungsbedingungen veranschaulicht er überraschenderweise nicht im Zusammenhang mit kleineren Maßstäben der Theaterarchitek-tur, sondern – „nicht eben glücklich“ (Kießling/Heinze (1959), 326) – an für die Akustik sekun-dären Aspekten wie der Überschaubarkeit der Zuschauerzahlen sowie den ihnen zur Verfügung stehenden Sitzmöglichkeiten.

567 Ov. ars 1, 229-252. Vgl. auch Hor. epist. 1, 5, 28 f.

568 Dass es sich um den literarischen Raum urbs Roma handelt, zeigen innerhalb des ersten Buches wiederholt das entsprechende Toponym oder die Gattungsbezeichnung. Vgl. z. B. Ov. ars 1, 55:

Roma; 59: Roma; 60: in urbe.

569 Ov. ars 1, 89 f., 93-99.

570 Vgl. Hollis (1991), 51 zur Formulierung per agmen: „It seems almost, that he imagined the column as existing independently of the ants which form it, so that they can be said to move along the column.“

Theater zu. Die Zone, die die Ameisen wiederholt ansteuern, wird durch ihr typi-sches Handeln implizit genannt: Es ist der Ort, an den sie durch Nahrung ange-lockt werden (granifero solitum cum uehit ore cibum, v. 94).

Da es sich bei diesen Vorgängen um wiederkehrende, typische Ereignisse handelt, teilen diese räumlichen Fixpunkte die Eigenschaften von Konzentrationspunkten.

Dass es an ihnen zu einer räumlichen Verdichtung kommt, muss der Leser in Be-zug auf die Insekten aus seinem Weltwissen ergänzen. Die Konzentration von jungen Frauen innerhalb der räumlichen Umgebung von innerstädtischen Thea-tern wird dagegen in dieser Passage durch entsprechende Substantive und Adjek-tive festgehalten: Die Bereiche der Theater seien reiche „Jagdgründe“ (haec loca … uoto fertiliora, v. 90), die hohe Anzahl an jungen Frauen mache die Wahl häufig schwer (copia iudicium saepe morata … est, v. 98).

Mit diesem zweigeteilten Vergleich gestaltet der Autor gleichzeitig zwei unter-schiedliche ‚Blickinszenierungen‘, die auf die gemeinten räumlichen Verhältnisse um die Theater herum übertragen werden sollen: In ,Nahaufnahme‘ werden die Bewegungen der Ameisen um den Ort ihrer Nahrungsbeschaffung wiederge-geben, denn es werden sehr kleine Details – die Anordnung der Ameisen in einem Zug (longum … per agmen, v. 93) und ihre Nahrung (cibum, v. 94) – selektiert. Über-tragen auf die räumliche Zone um die Theater verdeutlicht dieser Vergleich die hohe Konzentration an Menschen, die in wimmelnder Bewegung sind.571 Der Bienenvergleich dagegen bietet eine Großaufnahme. Innerhalb räumlich größerer Weideplätze und Wiesen befinden sich deutlich kleinere Bereiche, Blumen und Thymian (Inklusion), die die Bienen anfliegen. Die größeren Bereiche dieses Ver-gleichs entsprechen dem gesamten Makroraum urbs Roma, die kleineren den Thea-tern, wie die Bienen den Frauen, die innerhalb des Makroraumes die Kon-zentrationspunkte ansteuern.572 Mithilfe dieser poetischen Blickinszenierungen befindet sich der Standort des Sprechers im bildkünstlerischen Sinne sogar außer-halb der literarischen urbs Roma.

Das Phänomen einer intensiven Nutzung des öffentlichen Raums wird in Ovids Ars amatoria, aber auch in den Amores gezielt für das spezielle Anliegen dieser Dichtung vereinnahmt. Der Hinweis auf derartige Konzentrationspunkte ist gleichzeitig mit der konkreten Aufforderung an den Liebenden verbunden, sich aus dem Inneren heraus die Vorteile der räumlichen Konstellation zunutze zu

571 Vgl. dagegen Hollis (1991), 50: „The ants call to mind an unbroken column making purposefully for the theatre.“ Dagegen spricht m. E. die Akzentuierung einer häufigen Hin- und Herbewe-gung.

572 Vgl. dagegen Hollis (1991), 51: „(…) the bees add a touch of elegance and perhaps imply that the girl’s attention is easily turned from one sight to another.“ Diese Interpretation entspricht m. E. nicht den Textsignalen.

machen.573 Gerade die mit dem hohen Menschenaufkommen verbundene räum-liche Dichte verschafft reizvolle und konkrete Möglichkeiten für die Kontaktauf-nahme eines liebeswilligen Mannes.574 Aus diesem Grund geraten in den Amores 3, 2 Ovids der Circus und dessen räumliche Verhältnisse auf den Zuschauerrängen in den Blick. Er ist das einzige städtische Teilelement, das in dieser Elegie erwähnt wird575, jedoch gilt gerade er als ein ausnehmend großstädtisches Bauwerk. Die als regelhaft kommunizierte räumliche Dichte im Circus gibt der Sprecher an einem sehr kleinen räumlichen Ausschnitt wieder, dem Körperumfang einer puella und ihrem Abstand zu ihren allernächsten Nachbarn auf den Zuschauerrängen.

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quid frustra refugis? cogit nos linea iungi;

haec in lege loci commoda Circus habet.

tu tamen a dextra, quicumque es, parce puellae:

contactu lateris laeditur ista tui.

tu quoque, qui spectas post nos, tua contrahe crura, si pudor est, rigido nec preme terga genu.576

Ein im Circus herrschender eingeschränkter Bewegungsspielraum (cogit, v. 19) ist laut dem Sprecher eine räumliche Gesetzmäßigkeit (in lege loci, v. 20).577 Der einem

573 Die Theater bieten als potentielle Kontaktbereiche vor allem die Möglichkeit visueller Beobach-tung. Vgl. Ov. ars 1, 99: spectatum ueniunt, ueniunt spectentur ut ipsae. Doppeldeutig werden hiermit die Frauen als Wahrnehmungsinstanz eingeführt (spectatum ueniunt, Ov. ars 1, 99), aber eben ohne dass ihr Wahrnehmungsbereich explizit genannt wird. Gleichzeitig werden sie selbst zu einem Wahrnehmungsbereich (spectentur ut ipsae, Ov. ars 1, 99), ohne dass deren Beobachter wiederum explizit würde. Der haptische Wahrnehmungsmodus der Kontaktaufnahme wird für den Bereich des Theaters allein für ein zukünftiges Handeln angedeutet: Vgl. Ov. ars 1, 89-92: sed tu praecipue curuis uenare theatris;/ haec loca sunt uoto fertiliora tuo./ illic inuenies quod ames, quod ludere possis,/ quodque semel tangas, quodque tenere uelis. In einem späteren Abschnitt flicht der Sprecher eine Begebenheit aus der Frühzeit der Theatervorstellungen ein, den Raub der Sabinerinnen. Dabei stellt er das körperlich-handgreifliche Ereignis des Raubes heraus. Die räumliche Distanz zu den Frauen – nicht das generelle Fehlen räumlicher Dichte! – wird als Nachteil dieses städtischen Teilbereiches er-wähnt: Vgl. Ov. ars 1, 136-140: multa capax populi commoda Circus habet./ nil opus est digitis per quos arcana loquaris,/ nec tibi per nutus accipienda nota est;/ proxmius a domina nullo prohibente sedeto,/ iunge tuum lateri qua potes usque latus. Der Circus und die Auflösung des Gastmahls (vgl. Ov. ars 1, 603-606: at cum discedet mensa conuiua remota,/ ipsa tibi accessus turba locumque dabit./ insere te turbae, leuiterque admotus eunti/ uelle latus digitis et pede tange pedem.) werden gerade wegen der Durchmi-schung der Geschlechter besonders empfohlen.

574 Vgl. dagegen Prop. 3, 14, 29 f.: at nostra ingenti uadit circumdata turba,/ nec digitum angusta est inseruisse uia.

575 Durch die vom Herausgeber der Textausgabe gewählte Großschreibung soll er als topographi-sches Merkzeichen der urbs Roma gekennzeichnet sein.

576 Ov. am. 3, 2, 19-24.

577 Diese Szene im Circus wird in Ovids ars 1, 135-164 ähnlich ausgestaltet. Wiederholt findet sich der Hinweis auf die räumliche Enge als Gesetz des Ortes. Vgl. Ov. ars 1, 136-142: multa capax populi commoda Circus habet. (…) proximus a domina nullo prohibente sedeto,/ iunge tuum lateri qua potes usque latus./ et bene, quod cogit, si nolis, linea iungi,/ quod tibi tangenda est lege puella loci. Ebenfalls findet

Einzelnen zur Verfügung stehende Raum ist für jeden minimal. Körperlicher Kontakt der Sitznachbarn ist daher nach Ansicht des Sprechers unvermeidbar (nos

… iungi, v. 19). Den Versuch, sich dieser Situation durch einen Standortwechsel zu entziehen, betrachtet er als unnütz (quid frustra refugis?, v. 19).

Entsprechende Einschränkungen beschreibt er für die puella, seine Nachbarin, de-ren zur Verfügung stehenden Raum er in einer Nahaufnahme wiedergibt: Neben dem Sprecher selbst haben weitere Figuren an ihrer rechten Seite (a dextra, v. 21) und im Rücken (post nos, v. 23) mit ihr allesamt einen direkten taktilen Kontakt (contactu lateris tui, v. 22; contrahe crura, v. 23; preme terga genu, v. 24). Für die Figur, die hinter der puella sitzt, werden sogar zwei Körperpartien selektiert (tua contrahe crura,/ … nec preme terga genu, v. 23 f.), wodurch das sukzessive Ansteigen der Zu-schauerränge veranschaulicht wird. Die räumliche Umklammerung ergibt sich folglich aus einer Konzentration an Menschen in bestehenden architektonischen Verhältnissen.

Da der Sprecher jedoch für seine eigene räumliche Umgebung keine weiteren Ein-schränkungen beschreibt, bleibt offen, ob es sich bei seinem Hinweis auf die Enge als Gesetz des Ortes tatsächlich um eine gegebene räumliche Konstellation han-deln soll. Der übergeordnete erotische Kontext, in dem diese Beobachtung wie-dergegeben wird, und die widersprüchlichen Argumente, die der Sprecher für sich selbst und für andere nennt, lassen die Extremsituation für die puella als absichts-voll herbeigeführt erscheinen. Feststeht: Weniger wird das Erlebnis der Masse, sondern eher der Vorteil einer räumlichen Konstellation als intensiver Kontaktbe-reich geschildert, der sich für einen Einzelnen aus dem Inneren heraus ergibt.578 Die Konzentration von Menschen in innerstädtischen Theatern oder dem Circus wird auch außerhalb der Liebeselegie und -didaktik häufig als allgemeiner Ein-druck festgehalten und auch das Forum und die Atrien579 der Patrone gelten als typische Konzentrationspunkte. Allerdings erfolgt die Wiedergabe der dort herr-schenden räumlichen Bedingungen vorrangig durch entsprechende Attribute oder

sich die Möglichkeit der Kontaktaufnahme durch den Hintermann. Vgl. Ov. ars 1, 157 f.: respice praeterea, post uos quicumque sedebit,/ ne premat opposito mollia terga genu.

578 Vgl. dagegen Calp. ecl. 7, 23-29, der den Gesamteindruck eines städtischen Teilelements be-schreibt: Vidimus in caelum trabibus spectacula textis/ surgere, Tarpeium prope despectantia culmen;/

emensique gradus et clivos lene iacentes/ venimus ad sedes, ubi pulla sordida veste/ inter femineas spectabat turba cathedras./ nam quaecumque patent sub aperto libera caelo,/ aut eques aut nivei loca densavere tribuni.

579 Atrien: vgl. Iuv. 1, 95-105, 120; Mart. 10, 10; 10, 74; Verg. georg. 2, 461 f.: si non ingentem foribus domus alta superbis/ mane salutantum totis uomit aedibus undam; Ov. Pont. 4, 4, 27 f.: cernere iam videor rumpi paene atria turba,/ et populum laedi deficiente loco, (…). Stat. silv. 4, 4, 41 f.: nec iam tibi turba reorum/ uestibulo querulique rogant exire clientes. Zum Sportplatz vgl. Hor. ars 379-381: ludere qui nescit, campestribus abstinet armis/ indoctusque pilae discive trochive quiescit,/ ne spissae risum tollant inpune coronae: (…). Auktionator: Hor. ars 419: ut praeco, ad merces turbam qui cogit emendas.

durch allgemeine visuelle580 und haptische581, selten auch durch olfaktorische Ein-drücke.582 Prominent ist die akustische Akzentuierung,583 die besonders anschau-lich auf eine hohe Konzentration an Menschen verweist. Eine konkretere räumli-che Veranschaulichung findet sich jedoch vergleichsweise selten.584

Ein wenig überraschen mag womöglich, dass auch die Atrien der Patrone als all-gemeine Konzentrationspunkte der literarischen urbs Roma präsentiert werden. Da das römische Patronatswesen sich auf persönliche Beziehungen zwischen Patron und Klient gründet, liegt es nicht von vornherein nahe, dass gerade diese Bereiche als intensiv genutzte Zentralpunkte eines umfassenderen Makroraums herausge-stellt werden, auch wenn die Wohnhäuser der Patrone in der augusteischen und kaiserzeitlichen Dichtung als innerstädtische Bereiche präsentiert werden, die au-ßerordentlich häufig von Figuren als Zielpunkte angelaufen werden. Eine räum-liche Veranschaulichung einer derartigen salutatio in, an oder bei den Gebäuden der Patrone ist recht selten. Eine Ausnahme stellt eine sich über 30 Verse erstrecken-de Passage erstrecken-der ersten Satire Juvenals dar, in erstrecken-der ein entsprechenerstrecken-der Andrang auch räumlich präsentiert wird.

95 nunc sportula primo limine parva sedet turbae rapienda togatae.

ille tamen faciem prius inspicit et trepidat ne

580 Theater: vgl. Ov. am. 2, 7, 3 f.: sive ego marmorei respexi summa theatri,/ eligis e multis unde dolere uelis;

Ov. ars 1, 99: spectatum ueniunt, ueniunt spectentur ut ipsae; Hor. epist. 2, 1, 60 f.: hos arto stipata theatro/ spectat Roma potens. Das Theater ist wegen Überfüllung eng. Vgl. Kießling/Heinze (1959), 211. Forum: vgl. Lucil. 1145-1147 W (= 1228-1230 M); Hor. epist. 1, 6, 59: differtum transire forum populumque iubebat.

581 Vgl. Mart. 5, 8, 7-9: ‚Tandem commodius licet sedere,/ nunc est reddita dignitas equestris;/ turba non premimur, nec inquinamur‘.

582 Zum raumerfüllenden Geruch eines Einzelnen vgl. Mart. 2, 29, 1 f., 5: Rufe, vides illum subsellia prima terentem,/ cuius et hinc lucet sardonychata manus/ (…),/ cuius olet toto pinguis coma Marcelliano (…).

Zum Duft im Theater vgl. Prop. 4, 1, 16. Safranregen in visueller Wahrnehmung: Mart. 5, 25, 7 f.: hoc, rogo, non melius quam rubro pulpita nimbo/ spargere et effuso permaduisse croco?

583 Theater: vgl. Ov. trist. 3, 12, 24: proque tribus resonant terna theatra foris. (Vgl. dazu auch Iuv. 6, 68:

et vacuo clausoque sonant fora sola theatro.); Ov. trist. 5, 7, 25 f.: carmina quod pleno saltari nostra theatro,/

versibus et plaudi scribis, amice, meis, (…); Mart. 6, 34, 5: quaeque sonant pleno vocesque manusque theatro;

Circus: vgl. Mart. 10, 53, 1 f.: Ille ego sum (…), clamosi gloria Circi,/ plausus, Roma, tui deliciaeque breves; Stat. silv. 1, 6, 51 f.: hos inter fremitus nouosque luxus/ spectandi leuis effugit uoluptas. Iuv. 11, 193-198, bes. 197 f.: totam hodie Romam circus capit, et fragor aurem/ percutit; Forum: vgl. Hor. sat. 1, 9, 77 f.: clamor utrimque,/ undique concursus. Ov. trist. 3, 12, 18: cedunt verbosi garrula bella fori; Ov. trist.

4, 10, 18: fortia verbosi natus ad arma fori; Mart. 6, 38, 5 f.: iam clamor centumque viri densumque corona/

volgus et infanti Iulia tecta placent; Iuv. 13, 135: sed si cuncta vides simili fora plena querela.

584 Vgl. Calp. Ecl. 7.

suppositus venias ac falso nomine poscas.

agnitus accipies.585

Die ersten beiden Verse fassen pointiert die entscheidenden räumlichen Merkmale dieses Konzentrationspunkts zusammen: Im Fokus steht die Sportel, die sich am äußersten Rand einer Türschwelle – durch das Enjambement dramatisch als gera-de noch ausgestaltet – befingera-det (primo/ limine … segera-det, v. 95 f.) und die explizit als klein charakterisiert wird (sportula …/parva, v. 95 f.). Diese Schwelle verweist als Außengrenze auf ein Wohnhaus, in dessen räumlicher Umgebung es zu enormen Verdichtungen gekommen ist. Denn diesem äußerst kleinen Objekt steht eine große, unbestimmte Anzahl von Klienten (turba … togata, v. 96) in größtmöglicher Nähe gegenüber. Das Bestreben jedes Einzelnen dieser Gruppe ist es, die kleine Sportel unter Einsatz von Gewalt586 zu ergreifen (rapienda, v. 96), ihr also auf Ar-meslänge nahe zu kommen. Dies weist die Szene einerseits als angespannt, anderer-seits als räumlich höchst beengt aus.

Durch einen Perspektivwechsel wird ein ille zu einem wahrnehmenden Gegenüber dieser Menschenmenge,587 in dem er in die räumliche Umgebung jedes Einzelnen tritt und diesem in das Gesicht schaut, um sich zu vergewissern, dass er ihn er-kennt (faciem … inspicit, v. 97; agnitus accipies, v. 99). Dieses Ereignis zeigt, dass es nicht möglich ist, sich einen schnellen Überblick über die Versammelten zu ver-schaffen. Die Reglementierung durch eine visuelle Vergewisserung erlaubt eine relative Vorstellung von der Anzahl der als turba summarisch bezeichneten Klien-ten, deren genauer Umfang in der folgenden Passage deutlicher wird.

iubet a praecone vocari 100 ipsos Troiugenas, nam vexant limen et ipsi

nobiscum. (…)

sed libertinus prior est: (…)

120 densissima centum

quadrantes lectica petit, sequiturque maritum (…).588

Durch die gewaltige Ansammlung von Menschen aller Schichten und einem dicht gedrängten Aufgebot an mobilen Objekten wird die räumliche Umgebung eines beliebigen Wohnhauses eindeutig zu einem innerstädtischen Konzentrationspunkt der literarischen urbs Roma ausgestaltet. Dazu werden aus der versammelten Men-schenmasse einzelne Gruppen selektiert, die untereinander um die räumliche

585 Iuv. 1, 95-99.

586 Vgl. Braund (1996), 98: „rapienda is a violent word.“

587 Gemeint ist entweder ein dispensator oder der Patron selbst vgl. Courtney (1980), 106; Braund (1996), 98.

588 Iuv. 1, 99-102; 120 f.

gebung der Schwelle (limen, v. 100) konkurrieren und dabei in einen körperlichen Kontakt (vexant, v. 100) zueinander treten.589 Hierzu gesellt sich ein Verband von Sänften590 (densissima, v. 120), die als mobile Objekte durch ihren weitaus größeren Eigenort den Eindruck der Masse, die sich vor der Schwelle ansammelt, nochmals steigert. Gründe für diesen exorbitanten Auflauf werden nicht genannt, wie auch eine genauere Verortung in den Georaum der antiken Metropole fehlt. Das kumu-lativ ausgestaltete Aufgebot entspricht nach Ansicht des Sprechers einer alltägli-chen, normalen Aufwartung in der literarischen urbs Roma und zeigt damit einen typischen innerstädtischen Zielpunkt.

Wenn in, an und bei Theatern, dem Circus und anderen Orten regelhaft hohe Kon-zentrationen an Menschen verortet werden, werden die Gründe für die Wahl die-ser Zielorte in der Regel nicht genannt. Sie ergeben sich wohl aus der Sache selbst.

Ebenso auffällig ist, dass diese Konzentrationspunkte selten eindeutig auf den Georaum der antiken Stadt Rom bezogen werden, es sich also verstärkt um fin-gierte Handlungszonen handelt, an denen dieses räumliche Merkmal der Verdich-tung ausgestaltet wird. Gewiss werden in heutigen Textausgaben die GatVerdich-tungsbe- Gattungsbe-zeichnungen circus, theatrum, forum häufig durch Großschreibung als Eigenname markiert, jedoch sind sie für einen Kenner stadtrömischer Topographie nicht ein-deutig, da es doch bekanntermaßen mehrere Theater und Fora in der antiken Me-tropole gab. Konzentrationspunkte der literarischen urbs Roma werden demzufolge als solche zwar typisiert, aber nicht konkretisiert. Sie gelten aber gerade aufgrund ihrer räumlich beengten Eigenschaften und ihrer hohen Menschendichte als eine pars pro toto für den Gesamtraum urbs Roma selbst.591