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Tempo Großstadt. Schnelle und langsame

3 Der literarische Raum Großstadt in der augusteischen und

3.3 Formen der Ausdehnung. Die Größe einer literarischen

3.3.2 Mobilität als Lebensform. Bewegungsbereich Großstadt

3.3.2.2 Tempo Großstadt. Schnelle und langsame

beschränkt ist. Im Gegensatz zum literarischen Raum urbs bleiben Hinweise auf ein Wegenetz oder die Darstellung von ausgreifenden Bewegungen von Figuren selten.382 Gerade der literarische Raum rus wird folglich in Absetzung zur literari-schen urbs Roma überraschenderweise kaum als ein zusammenhängender, weit-räumiger oder offener Raum gestaltet.

3.3.2.2 Tempo Großstadt. Schnelle und langsame Bewegungen in der Stadt

nauer in Augenschein, so fällt auf, dass die Geschwindigkeiten der Figuren nicht einheitlich sind, dass aber eine Tendenz zur zügigen Bewegung zu beobachten ist.

In der Satire 2, 6 wurde beispielsweise die Geschwindigkeit des Sprechers von einem Passanten als eilig bezeichnet (recurras, v. 31). Dieser Hinweis ist ein Indiz dafür, dass die vom Sprecher zu bewältigenden Distanzen von einiger Länge sind, dass er aber gleichzeitig auch unter Zeitdruck steht. Von einem derartigen Zeit-korsett berichtet er auch gleich zu Beginn seiner Ausführungen: Der Arbeitstag beginnt sehr früh am Morgen. Die direkte Aufforderung des Gottes (‚eia … urge‘, v. 23 f.) und der Hinweis auf die Konkurrenz (ne prior, v. 24) zeigt, dass die Zeit, um zu dem entsprechenden Bereich innerhalb der urbs Roma zu gelangen, als knapp eingeschätzt wird, und dass er sich dem nicht entziehen kann. Die Zeitnot wird also dadurch verursacht, dass eine persönliche Anwesenheit zu einer be-stimmten Zeit an einem bebe-stimmten Ort vorausgesetzt wird. Dies macht eine zügige Bewegung notwendig.384

Die Entfernungen verursachen demnach die Bewegungen durch den literarischen Raum urbs Roma, die Vielzahl der anzulaufenden Stationen die ununterbrochene Be-wegung, die rasche Bewegung erklärt sich aber mit den Konkurrenzsituationen, durch die die Anwesenheit im richtigen Bereich zur richtigen Zeitpunkt385 als Vor-teil angesehen wird. Ob das Zuspätkommen ein Ereignis ist, das ausschließlich innerhalb des Makroraums urbs Roma eintritt, wäre eine sich hieran anschließende Frage.

Die dem Einzelnen zur Verfügung stehende Zeit ist ein wichtiges Unterschei-dungsmerkmal zwischen schnelleren und langsameren Bewegungen in der Stadt.

Beide Tempi lassen sich für den literarischen Raum Großstadt beobachten.386

384 Eine Zeitersparnis bringt eine schnelle Fortbewegung vor allem dann, wenn längere Strecken in kürzerer Zeit zurückgelegt werden sollen.

385 Die Bewegung durch den literarischen Raum als Wettrennen: Iuv. 1, 102: sed libertinus prior est:.

‚prior‘ inquit ‚ego adsum‘; vgl. auch Iuv. 3, 81 f.: me prior ille/ signabit fultusque toro meliore recumbet, ebd., 126-131. Mart. 10, 10, 7 f.: lecticam sellamve sequar? nec ferre recusas,/ per medium pugnas et prior isse lutum. In der ars amatoria Ovids (Ov. ars 2, 226-236) wird der Liebhaber zum schnellen Lauf in der Stadt aufgefordert, um seine officia gegenüber der domina zu erledigen. Vgl. Ov. ars 2, 225 f.:

occurras aliquo tibi dixerit: omnia differ;/ curre, nec inceptum turba moretur iter. Dazu Janka (1997), 196:

„Die asyndetischen Kurzsätze (…) untermalen die Eile und Kurzatmigkeit des (…) Liebhabers.“

Die officia werden im Anschluss mit dem Kriegsdienst verglichen (Ov. ars 2, 233), ähneln aber von ihrer räumlichen Einbindung her (Forum, Wohnhaus) eher dem Klientendienst, vgl. auch Janka (1997), 194 f. Bemerkenswert ist, dass im Zusammenhang mit der Dienstfertigkeit des Liebhabers das Verlassen der urbs durchgespielt wird, gerade um seine Bereitschaft zu prüfen, besonders lange Wegstrecken zurückzulegen, um zur domina zu gelangen. Ov. ars 2, 229 f.: rure erit et dicet uenias; Amor odit inertes:/ si rota defuerit, tu pede carpe uiam. Vgl. auch eine ausführliche Re-flexion einer nächtlichen Wanderung nach Tibur Prop. 3, 16.

386 Der Zusammenhang zwischen der zur Verfügung stehenden Zeit und dem Spazierengehen wird in Mart. 5, 20, 1-4; 8-10 explizit formuliert: Si tecum mihi, care Martialis,/ securis liceat frui diebus,/ si disponere tempus otiosum/ et verae pariter vacare vitae:/ (…) gestatio, fabulae, libelli,/ campus,

Jedoch werden spaziergängerische, also langsame Stadterfahrungen nur vereinzelt präsentiert und stets als ein Ausnahmeereignis oder eine Absetzung von dem Üb-lichen bewertet.387

In Martials Epigramm 3, 20 fragt sich ein Sprecher, womit ein ihm befreundeter Dichter gerade wohl seine Zeit verbringe. Er stellt verschiedene Möglichkeiten einer Beschäftigung als Optionen vor. Die ersten haben mit einer im weiteren Sinn schriftstellerischen Tätigkeit zu tun, die letzten mit möglichen Aufenthaltsor-ten, die außerhalb der Stadt liegen. Im Mittelteil aber nennt der Sprecher mögliche Aufenthaltsorte, die mittels der benannten topographischen Merk- und Wahrzei-chen auf die urbs Roma verweisen388:

10 hinc si recessit, porticum terit templi an spatia carpit lentus Argonautarum?

an delicatae sole rursus Europae inter tepentes post meridie buxos sedet ambulatve liber acribus curis?

15 Titine thermis an lavatur Agrippae an inpudici balneo Tigillini?389

Auch in diesem Epigramm werden verschiedene Inseln innerhalb der urbs Roma als Aufenthaltsorte zur Option gestellt. Sie stellen eine Wahl dar, die Canius Rufus hat. Über ihre Relationen zueinander ist nichts bekannt, jedoch sind sie von sei-nem Wohnraum aus erreichbar (hinc recessit, v. 10) und sollen als innerstädtische Rückzugsorte (recessit, v. 10) verstanden werden. Bei den Bereichen handelt sich vorrangig um klar umgrenzte räumliche Gegebenheiten: verschiedene Portikus, ein Gebiet zwischen Buchsbaumhecken, Thermen und Bäder, die den literarischen Raum auch gleichzeitig als städtisch auszeichnen. Sie werden in dieser Passage aufgezählt und – wie im Epigramm 12, 18 – jeweils ausdrücklich mit ent-sprechenden Bewegungen des Canius Rufus in Beziehung gesetzt. Alle Verben

porticus, umbra, Virgo, thermae,/ haec essent loca semper, hi labores. In der augusteischen Literatur wird die langsame Bewegung in räumlich umgrenzten Kontaktbereichen des Öfteren erotisiert: Prop.

2, 32, 7-16; 4, 8, 75 f.; Ov. ars 1, 67; 1, 491-498; 3, 387 f.; rem. 627 f.; trist. 2, 285 f. Vgl. auch Ca-tull. 55, 6-12.

387 Vgl. Hor. sat. 1, 6, 128 f.: haec est/ vita solutorum misera ambitione gravique. (Vgl. ausführlicher in Abschnitt 4.3). In der Satire 1, 9, 1 f. des Horaz ist die Geschwindigkeit nur indirekt zu erschlie-ßen. Da der Sprecher beim Gehen nachdenkt, ist mit einer langsamen Bewegung zu rechnen:

Ibam forte via sacra, sicut meus est mos,/ nescio quid meditans nugarum, totus in illis. Das Metrum sugge-riert ebenfalls ein gemäßigtes Tempo. Mart. 2, 57, 1 f.: Hic quem videtis gressibus vagis lentum,/

amethystinatus media qui secat Saepta, (…). Mart. 9, 59, 1 f.: In Saeptis Mamurra diu multumque vagatus,/

hic ubi Roma suas aurea vexat opes.

388 Die Markierung des Ortswechsels mit rure (v. 17) weist den vorherigen als urbs aus.

389 Vgl. Mart. 3, 20, 10-16.

deuten auf eine wenig ausgreifende Bewegung hin390, die durch das Attribut lentus (v. 11) einmal direkt charakterisiert wird. Das Verb sedet (v. 14) gibt sogar einen Bewegungsstillstand zu erkennen. Die Ausdehnung wirkt zum einen durch die Positionierung in geschlossenen Bereichen überschaubar, wird zum anderen aber durch den geringen Bewegungsumfang des Canius Rufus noch unterstrichen.

Dass diese Art der Beschäftigungen eine Ausnahme von üblichen Umständen ist, wird in dem Epigramm jedoch betont (liber acribus curis, v. 14).

Zusammenfassung

Das Überwinden von Distanzen zwischen Orten eines Alltagsgeschehens führt zu zahlreichen Bewegungsanlässen für die Figuren innerhalb der literarischen urbs Roma. Bewegungen innerhalb des literarischen Raums sind dabei nicht an ein be-sonderes, einmaliges Ereignis gebunden, sondern die Mobilität bestimmt den Ta-gesablauf391 einer großen Anzahl der literarischen Figuren wesentlich: Die Eintei-lung des Tages wird als eine räumliche VerteiEintei-lung einer Figur über einen aus meh-reren Bereichen bestehenden Raum gestaltet, die in einer festgelegten Reihenfolge abgeschritten werden müssen. Diese allgemeine Mobilität ist ein Kennzeichen des literarischen Raums.

Durch das Ablaufen einzelner Bereiche entsteht ein umfassenderes räumliches Kontinuum von einiger Ausdehnung. Die Figuren stoßen jedoch nicht an die Grenzen des Raumes. Die eigentliche Ausdehnung des literarischen Raumes urbs Roma geht über diese individuellen Bewegungen im Raum stets hinaus.

Das Erlebnis der eigenen Mobilität besteht aus der körperlich-sinnlichen Wahr-nehmung eines nach oben offenen Raumes, in dem Unwägbarkeiten wie nachteili-ge Wetter- und wechselnde Lichtverhältnisse392 wahrgenommen werden. Es be-steht auch in der Wahrnehmung eines öffentlichen Raumes, in dem sie auf andere Figuren treffen, die ebenfalls in Bewegung sind.393

390 Vgl. zu porticum terit auch Mart. 2, 11, 2: quod ambulator porticum terit seram. Vgl. dagegen Ov. ars 1, 491-496 mit unterschiedlichen Tempi in einer Säulenhalle.

391 Weitere Darstellungen von Tagesabläufen in der literarischen urbs Roma: Vgl. Mart. 8, 44; Mart.

10, 56; Mart. 12, 29; Iuv. 3.

392 Nachteilige Wetterverhältnisse werden im literarischen Raum der urbs Roma häufiger themati-siert. Vgl. Hor. sat. 2, 6, 19; Hor. sat. 2, 5, 39 f., Mart. 10, 82, 3 f.: stridentesque feram flatus aquilonis iniqui/ et patiar nimbos excipiamque nives.; Mart. 12, 29, 10: et subitus crassae decidit imber aquae; Iuv. 5, 22 f.: illo tempore quo se/ frigida circumagunt pigri serraca Bootae.; Iuv. 5, 78 f.: fremeret saeva cum grandine vernus/ Iupiter et multo stillaret paenula nimbo. Zum allgemeinen Zusammenhang zwischen langen Wegstrecken (einer Reise außerhalb der urbs) und Wetterverhältnissen vgl. auch Ov. ars 2, 230-232: si rota defuerit, tu pede carpe uiam./ nec graue te tempus sitiensque Canicula tardet/ nec uia per iactas candida facta niues, ebd., 230-232. Tib. 1, 4, 41 f.: Neu comes ire neges, quamvis via longa paretur/ Et Canis arenti torreat arva siti. Wetterverhältnisse im Zusammenhang mit den militia (amoris): vgl. Ov.

am. 1, 9, 11-16.

393 Laufen durch die urbs: In Hor. sat. 2, 6, 50-53 laufen dem Sprecher dieser Satire verschiedene Menschen entgegen, die Neuigkeiten von ihm erhalten wollen. In Iuv. 6, 398-402 rennt eine Frau durch die Stadt, um an Gesprächen über die Tagespolitik teilzunehmen: Sed cantet potius

Im Zeitkorsett sich täglich wiederholender Abläufe sind die Figuren in unter-schiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs. Das zeitige Aufstehen394 und das zügi-ge Tempo einizügi-ger Figuren erklärt sich aus dem Gefühl, bei dem Alltagszügi-geschehen einem Konkurrenzdruck ausgesetzt zu sein.