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3 Der literarische Raum Großstadt in der augusteischen und

3.3 Formen der Ausdehnung. Die Größe einer literarischen

3.3.4 Auswertung

Für die Ausgestaltung einer räumlichen Ausdehnung der literarischen urbs Roma erweisen sich die Passagen, in denen eine maxima urbs mit zeitlichen oder räumli-chen Kontrasträumen vergliräumli-chen wird, bemerkenswerter Weise gerade als wenig aussagekräftig. Die hier explizite lexikalische Dimensionierung einer Größe Roms wie auch die ihrer Bauwerke beschreibt nicht die Physis eines konkreten Raumes, sondern gehört in ein elaboriertes symbolisches Netzwerk, mit dem auf Strukturen einer gesellschaftlichen Ordnung für die Stadt oder das Imperium verwiesen wird.417

die Figuren zur Eile treibt und ihnen auch eine erhöhte Geschwindigkeit auf-zwingt. Es ist womöglich der einzige Raum in der römischen Dichtung, in dem so viele Figuren unter dem Eindruck stehen, zu spät kommen zu können.

Zum exemplarischen Städter, in dessen Lebenszusammenhang das räumliche Merkmal der Ausdehnung und die sich daraus ergebene unablässige Bewegung unmittelbar hineinspielt, wird der Klient.419 In der überwiegenden Zahl stehen die täglichen Bewegungsanlässe im Zusammenhang mit den officia, die ein Klient sei-nem Patron gegenüber abzuleisten hat. Es kommt damit auch zu einer einseitigen Selektion bestimmter städtischer Bereiche, die als „Stätten öffentlichen Le-bens“420, d. h. Stätten des Klientendienstes, klassifizierbar sind. Die sich in vielen Dichtungen wiederholende innere Struktur des literarischen Raums urbs Roma ist dieser sozialen Perspektive geschuldet.

Sind soziale Verpflichtungen zwar häufige Bewegungsanlässe, wird der Makro-raum nicht in erster Linie als ein sozialer Raum präsentiert. Auffälliger Weise wer-den die Interaktionen oder Tätigkeiten an wer-den einzelnen Bereichen z. T. nur sehr reduziert wiedergeben. Stattdessen wird die Mobilität selbst zu einem körperlich-sinnlichen Erlebnis ausgestaltet. Der Bewegungsbereich tritt als offener und öf-fentlicher Raum in den Vordergrund der Präsentation, der die Figuren mit Un-wägbarkeiten, wie wechselnden Wetter- und Lichtverhältnissen, oder mit anderen Figuren, die ebenfalls in Bewegung sind, konfrontiert.

Darüber hinaus gerät die räumliche Ausdehnung zu einer subjektiven, vom Kör-per ausgehenden, sinnlichen Erfahrung, die am eigenen KörKör-per erlebt oder an Anderen beobachtet wird. Aufgrund der ständigen Bewegung zeigen die Figuren nach dieser längeren Anstrengung körperliche Reaktionen wie Schwitzen und Er-schöpfung, die als allgemeines Kennzeichen der Stadtbewohner kommuniziert werden.421

Mit diesem Fokus auf die Distanzen, die Mobilität seiner Bewohner und das kör-perliche Erlebnis wird der Raum in besonderer Weise als ein ausgedehntes Areal gestaltet. Diese Wechselbeziehung zwischen räumlicher Ausdehnung und not-wendiger Mobilität reiht die literarische urbs Roma in die Gruppe der Makroräume

419 Die Figur des Klienten wird zum exemplarischen Städter wie die Figur des Hirten zum exempla-rischen Bewohner der unbebauten Natur wird. Selbstverständlich finden sich in allen literari-schen Räumen auch weitere Figuren.

420 Schöffel (2001), 383.

421 Körperliche Erschöpfung aufgrund der Bewegung: Vgl. Mart. 3, 36, 5 f.: lassus ut in thermas decuma vel serius hora/ te sequar Agrippae; Mart. 4, 88, 4: sexta [hora, Anm. d. Verf.] quies lassis; Mart.

10, 56, 8: qui sanet ruptos dic mihi, Galle, quis est?; 10, 82, 7: parce, precor, fesso vanosque remitte labores;

Mart. 12, 29(26), 3 f.: quod non a prima discurram luce per urbem/ et referam lassus basia mille domum.;

Stat. silv. 4, 8, 55: fessam (…) crebrisque laboribus urbem. Iuv. 1, 132: vestibulis abeunt veteres lassique clientes. Mart. 1, 55, 14: vivat et urbanis albus in officiis; Mart. 10, 12, 9-12: et venies albis non adgnoscendus amicis/ livebitque tuis pallida turba genis./ sed via quem dederit rapiet cito Roma colorem,/ Niliaco redeas tu licet ore niger. Mart. 12, 68; Mart. 10, 74, 1-6, 12. Aufschlussreich wäre ein Vergleich mit der Figur des servus currens aus der römischen Komödie, vgl. Fraenkel (1972), 123-127.

ein. Das bedeutet: Diese literarischen Texte teilen trotz ihrer Kürze die Präsentati-on einer räumlichen Struktur mit denjenigen Dichtungen, die ebenfalls große Räu-me darstellen, wie Itinerarien oder Seefahrer-Epen.422 Im Gegensatz zu ihnen grei-fen die Figuren allerdings nicht auf Beförderungsmittel zurück, sondern sie durch-schreiten den Makroraum zu Fuß. Ihre Erlebnisse werden des Weiteren nicht als einmalige Ereignisse in, an oder bei räumlichen Gegebenheiten präsentiert, sondern es wird vorgegeben, ein Alltagsgeschehen widerzuspiegeln. Zudem gilt die Auf-merksamkeit der Bewegung zwischen den Bereichen, also dem Mobilitätsverhalten der Figuren.

Es ist durchaus bemerkenswert, dass das Durchqueren des Raumes für die Dar-stellung eines alltäglichen Geschehens gewählt wurde, da doch das Beieinander-liegen der Bereiche, in denen eine Figur agiert, für die Darstellung eines Alltags naheliegender gewesen wäre. Es wäre doch denkbar gewesen, eine einzelne Straße oder zwei nachbarschaftliche Häuser als räumliche Exemplare städtischen Woh-nens herauszugreifen, wie es z. B. in der römischen Komödie geschieht. Gerade die gewählte Darstellungsform weist somit den literarischen Raum urbs Roma deut-lich als einen Makroraum aus.

Der Raum wird von innen heraus in seiner flächigen Ausdehnung gestaltet, in den Bewegungen der Figuren und in den von ihnen zurückzulegenden Entfernungen.

Bisweilen nach metrisch genauen, in der Regel jedoch nach subjektiven Entfer-nungsmaßstäben und unter Vernachlässigung genauer Winkelangaben wird ein Weg durch den literarischen Raum gebahnt, wird der Makroraum von ihnen durchschritten. Die Darstellungsweise betont, dass der literarische Raum von seiner inneren Struktur her aus sehr disparaten Bereichen besteht, die durch die Bewegung der Figuren zu einem räumlichen Kontinuum verbunden werden. Bis-weilen entstehen durch die Bewegungen auch Wegestrukturen wie Rund- bzw.

Hin- und Rückwege. An die Grenzen des Raumes stoßen die Figuren aber dabei nie. Die eigentliche Ausdehnung des literarischen Raumes urbs Roma geht über die individuelle Bewegung stets hinaus.

422 Vgl. Hor. sat. 1, 1, 29-35: perfidus hic caupo, miles nautaeque, per omne/ audaces mare qui currunt, hac mente laborem/ sese ferre, senes ut in otia tuta recedant,/ aiunt, cum sibi sint congesta cibaria: sicut/ parvola – nam exemplo est – magni formica laboris/ ore trahit quodcumque potest atque addit acervo/ quem struit, haud ignara ac non incauta futuri und Hor. epist. 1, 1, 45 f.: inpiger extremos curris mercator ad Indos,/ per mare pauperiem fugiens, per saxa, per ignes: (…).

3.4 Formen der Begrenzung und des Übergangs. Räumliche Vereinnahmungen einer literarischen Großstadt

Wo endet der literarische Raum urbs Roma? Wie sind seine Grenzen gestaltet?

Trotz der körperlich-sinnlichen Erfahrung enormer Entfernungen innerhalb des literarischen Raums werden seine Grenzen nicht erreicht. Wenn nicht in einer aktiv-explorativen Bewegung, so werden sie womöglich in einer passiv-rezeptiven Gesamtschau von einem festen Standort aus festgehalten (3.4.1). Nach antiker Vorstellung haben Städte klare Grenzen, die sich architektonisch sichtbar als Mauern oder Grenzsteine konstituieren.423 Aber auch natürliche Schranken wie Flussufer, Berge oder Wege können als Umrisslinien und Unterbrechung eines räumlichen Zusammenhangs bewertet werden. Durch solche architektonischen oder natürlichen Manifestationen wird eine Begrenzung definiert, Unterschiede in den räumlichen Merkmalen zwischen Innen und Außen werden dort bestimmbar.

Im folgenden Abschnitt sollen Textpassagen vorgestellt werden, in denen Grenz-bereiche der literarischen urbs Roma in den Blick genommen werden. Gibt es eine klar markierte Grenze (3.4.2), an der die Großstadt endet, oder läuft sie in Zonen des Übergangs aus (3.4.3)? Außen und Innen wären dann in Form eines breiteren Saumes aneinandergefügt.424 Je nach Gestaltung dieser Übergangszonen grenzt sich ein Raum markant oder diffus von einem anderen ab und seine Grenzen gelten als mehr oder weniger überwindbar (3.4.4).