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Viele Völker – ein Adel. Nationale Aspekte der Nobilitierungen in Böhmen

Im Dokument Staat, Adel und Elitenwandel. (Seite 108-121)

3. Innere Struktur des neuen Adels

3.2 Österreich

3.2.3 Viele Völker – ein Adel. Nationale Aspekte der Nobilitierungen in Böhmen

Ein wesentlicher, schon auf den ersten Blick augenscheinlich werdender Unterschied zwischen Böhmen und Schlesien ist zweifelsohne die schon mehrmals erwähnte Nationalitätenfrage. Während sich in Schlesien der neue Adel im untersuchten Zeitraum de facto ausschlieβlich nur aus der deutschsprachigen Bevölkerung rekrutierte und die polnischsprachige Bevölkerung Oberschlesiens keine Rolle spielte, musste sich Österreich bei den Adelsverleihungen in Böhmen auch mit den erwachenden Nationalbewegungen auseinandersetzen. Es sind dabei gerade die nationalen Aspekte der österreichischen Adelsverleihungen, die uns bei der Analyse speziell interessieren.

Es muss aber gleichzeitig gesagt werden, dass die Betrachtung des Zusammenhangs zwischen den Nobilitierungen und den sich aktivierenden Nationalbewegungen auf beträchtliche methodische Schwierigkeiten stöβt, welche eine entsprechende sozialgeschichtliche Analyse sehr schwer machen. Bekanntlich war der Begriff „Nationalität“

in Österreich zwar in einzelnen Kontexten bekannt. Für die statistische Erfassung

verschiedener gesellschaftlichen Phänomene wurde er aber offiziell lange gar nicht gebraucht.

Wenn dazu noch zugerechnet wird, dass auch das subjektive nationale Bewusstsein oft noch nicht ausgeprägt und eindeutig festgelegt war,93 kann sich ein heutiger Historiker auf keine zuverlässigen und systematischen Quellen stützen, welche eine sozialgeschichtliche Analyse der Adelsverleihungen unter dem Blick der Nationalitätszugehörigkeit ermöglichen würden.94 Im Folgenden ist es also leider unmöglich, eine systematische sozialgeschichtliche Analyse der Nationalitätsaspekte der böhmischen Adelsverleihungen darzustellen, vielmehr muss mit einer skizzenhaften Darstellung mithilfe konkreter biographischer Beispiele vorlieb genommen werden. Weiter muss auch bemerkt werden, dass der Verlauf der Nationsbildungsprozesse in der Habsburgermonarchie dazu zwingt, den untersuchten Zeitraum in diesem Fall leicht zu erweitern. Bekanntlich erreichten die Nationalbewegungen in Böhmen ihre massive Agitationsphase erst nach dem Jahr 1871, und daher muss die Skizzierung der Nobilitierungspolitik Österreichs in dieser Hinsicht über diese Grenze hinaus, zumindest in die 70er und 80er Jahre des 19. Jahrhunderts, gehen.95

Es kann von dem allgemeinen Kontext der Aktivierung von Nationalbewegungen in den böhmischen Ländern ausgegangen werden, welche sich in den 30er und 40er Jahren auszuprägen begannen und welche dann eine deutliche Dynamik in der Revolution 1848 / 49 gewonnen haben. 96 Es handelte sich dabei um keine statischen Einheiten, sondern um sich sehr schnell entwickelnde und wandelnde soziale Bewegungen. Spätestens in der Revolution kamen auch die ersten inneren Kämpfe und Divergenzen zum Vorschein, und die Nationalbewegungen begannen sich zu spalten.97 Wird diese Entwicklung anhand der tschechischen Nationalbewegung exemplifiziert, wobei man hier zahlreiche Parallelen zu der

93 Vgl.: Karl F. BAHM, Beyond the Bourgeoisie: Rethinking Nation, Culture and Modernity in Nineteenth-Century Central Europe, Austrian History Yearbook 29 / 1 (1998), S. 19 – 35.

94 Jiří ŠTAIF, Multietnicita a statistika v Českých zemích 1790 – 1880, in: Zdeněk Kárník (Ed.), Sborník k problematice multietnicity. České země jako multietnická společnost: Češi, Němci a Židé ve společenském životě českých zemí 1848-1918, Praha 1996, S. 13 – 42. Gerald STOURZH, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848 – 1918, Wien 1985, 53 - 57.

95 Otto URBAN, Kapitalismus a česká společnost. K otázkám formování české společnosti v 19.století, Praha 2004, S. 122 – 127. Miroslav HROCH, V národním zájmu. Požadavky a cíle evropských národních hnutí devatenáctého století v komparativní perspektivě, Praha 1999, S. 46 – 52.

Jiří KOŘALKA, Tschechen im Habsburgerreich und in Europa 1815 – 1914. Sozialgeschichtliche Zusammenhänge der neuzeitlichen Nationsbildung und der Nationalitätenfrage in den Böhmischen Ländern, Wien 1991, S. 111 – 125.

96 Jiří KOŘALKA, Tschechen im Habsburgerreich und in Europa 1815 – 1914. Sozialgeschichtliche Zusammenhänge der neuzeitlichen Nationsbildung und der Nationalitätenfrage in den Böhmischen Ländern, Wien 1991, S. 90 – 93.

97Dazu grundlegend: Otto URBAN, Die tschechische Gesellschaft 1848 – 1918, Bd. I., Wien – Köln – Weimar 1994, S. 141 – 148.

deutschen Nationalbewegung sowohl in Böhmen als auch in Schlesien feststellen kann, muss spätestens während der Revolution, in manchen Ansätzen aber schon vorher, zwischen drei Hauptströmungen unterschieden werden, welche etwas schematisch als die konservative, liberale und radikale erörtert werden können.98

Soweit es die Nobilitierungen anbelangt, bedarf der radikale Flügel der nationalen Bewegungen kaum weiterer Erörterungen. Ungeachtet ihrer nationalen Einstellung war es vor allem ihre radikale politische Orientierung und Tätigkeit, welche ihre Repräsentanten von der Nobilitierungsmöglichkeit ausschlossen. Es waren gerade die Repräsentanten der nationalen Radikalen wie Josef Václav Frič oder Karel Sabina, welche während der Revolution 1848 / 49 direkte Aktionen gegen den Staat unternahmen, an der Front des Prager Sommeraufstandes standen und als dem Staat direkt feindliche Personen betrachtet wurden.99 Die Nobilitierungen oder andere staatliche Auszeichnungen kamen also nicht in Frage, und das nicht nur seitens des Staates, sondern auch seitens der Führungspersonen dieser Gruppierung. Sie identifizierten sich nicht mehr ausreichend mit der Habsburgermonarchie, um eine Erhebung in den Adelsstand als eine Auszeichnung zu empfinden.

Die Nobilitierungen und auch andere Staatsauszeichnungen kamen nur bei den zwei anderen Strömungen in Betracht, bei der konservativen und bei der liberalen. Es kann schon jetzt gesagt werden, dass diesen beiden Strömungen seitens des Staates auch tatsächlich Nobilitierungsangebote gemacht wurden, wenn auch zu verschiedenen Umständen und Zeiten, und dass sich die Repräsentanten dieser Strömungen zu den staatlichen Angeboten je nach Zeitpunkt und Orientierung unterschiedlich positionierten.

Es war mithin nicht so sehr der Staat, der seine Nobilitierungspolitik hinsichtlich der Nationsbildungsprozesse durch die Zeit qualitativ verändert hätte, sondern die innere Entwicklung der Bewegungen selbst, die das Verhältnis der Eliten der entstehenden Nationalbewegungen zu den Adelsverleihungen wesentlich prägte. An dieser Stelle hilft der Verweis auf die Typologie der Nationalbewegungen nach Miroslav Hroch: 100 Während die

98 Eduard WINTER, Revolution, Neoabsolutismus und Liberalismus in der Donaumonarchie, Wien 1969, S. 107 – 115.

99 Jiří ŠTAIF, Revoluční léta 1848 – 1849 a české země, Praha 1990, S. 68 – 82. Friedrich PRINZ, Prag und Wien 1848. Probleme der nationalen und sozialen Revolution im Spiegel der Wiener Ministerratsprotokolle, München 1968, S. 68 – 95. Karel KOSÍK, Česká radikální demokracie.

Příspěvek k dějinám názorových sporů v české společnosti 19. století, Praha 1958, S. 242 – 377.

František ROUBÍK, Český rok 1848, Praha 1931, S. 261 - 361. Karel KAZBUNDA, České hnutí roku 1848, Praha 1929, S. 225 – 358. Anna BAJEROVÁ, Svatodušní bouře v Praze roku 1848 ve světle soudního vyšetřování, Plzeň 1920.

100 Miroslav HROCH, Das Europa der Nationen. Die moderne Nationsbildung im Europäischen Vergleich, Göttingen 2005. Ders., V národním zájmu. Požadavky a cíle evropských národních hnutí devatenáctého století v komparativní perspektivě, Praha 1999.

Spitzenfiguren der konservativen bohemo-slawischen Ideenströmung der „Phase B“ der tschechischen Nationalbewegung in den 30er, 40er und noch in den 50er Jahren sich aktiv um Nobilitierungen bemühten und dabei auch meistens erfolgreich waren, weigerten sich die Führungspersonen der liberalen Nationalströmung der „Phase C“ in den 70er und 80er Jahren häufig, Adelsverleihungen anzunehmen, und das obwohl auch sie die entsprechenden Angebote seitens des Staates bekamen.

Die konservative bohemo-slawische Richtung wurde meistens durch Adlige und Mitglieder des gehobenen Bürgertums repräsentiert, welche direkt oder indirekt in unterschiedlichem Maße an die vormärzlichen landespatriotischen Ansichten Bernard Bolzanos anknüpften, vom österreichischen Patriotismus geprägt wurden, und welche auch in der Revolution und in dem folgenden Neoabsolutismus der 50er Jahre eine groβe Stütze des Staates darstellten.101

Auf der höchsten Ebene wurde diese Strömung durch eine einflussreiche Gruppierung von konservativen Adligen und Staatsdienern repräsentiert, die sich hauptsächlich um den Grafen Leo Thun versammelte. Die soziale Reichweite der Strömung war in Böhmen aber viel breiter. Nicht zufällig wurde eine nicht unbedeutende Anzahl von meist bürgerlichen Repräsentanten dieser Gruppe in den im Frühling 1848 berufenen konstituierenden Reichstag gewählt.102

Die Revolution katapultierte die Führungsfiguren dieser Gruppierung in höchste politische Ebenen, in Bezug auf deren Stellung zum Staat und auf die Stellung des Staates zu ihnen veränderte sie aber kaum etwas Wesentliches. Die Nobilitierungen von Personen mit diesem Hintergrund können sowohl vor dem Jahre 1848 als auch danach, in den 50er Jahren, beobachtet werden und beschränkten sich nicht nur auf die Personen aus dem Bereich der unmittelbaren Politik. So wurde zum Beispiel schon im Jahre 1836 der Sohn eines langjährigen Staatsbürokraten, der Jurist Matthias Kallina, in den österreichischen Ritterstand erhoben.

Er engagierte sich schon ab den 20er Jahren in vielen nationalen Kulturunternehmen, blieb jedoch immer der katholischen Kirche eng verbunden und überschritt nie die Grenze des kulturellen Nationalismus zur unmittelbaren politischen Sphäre. Sein Engagement in solchen Unternehmungen, wie etwa in der Gründung des Vaterländischen Museums, war dabei bei der

101 Jiří KOŘALKA, František PALACKÝ und die Böhmischen Bolzanisten, in: Helmuth Rumpler (Hrsg.), Bernard Bolzano und die Politik. Staat, Nation und Religion als Herausforderung für die Philosophie im Kontext von Spätaufklärung, Frühnationalismus und Restauration, Wien – Köln – Graz 2000, S. 201 – 220. Jaromír LOUŽIL, Bernard Bolzano. Studie s ukázkami z díla, Praha 1978. Eduard WINTER, Bernard Bolzano und sein Kreis, Leipzig 1933.

102 Otto URBAN, Kroměřížský sněm 1848 – 1849, Praha 1998, S. 20 – 21.

Nobilitierung gerade kein Hindernis, im Gegenteil. Die Unterstützung der national-kulturellen Aktivitäten stellte bei Kallina für den Staat ein der wichtigen Argumente zugunsten seiner Nobilitierung dar.103

Ein sehr ähnliches Beispiel liefert die im selben Jahre erfolgte Nobilitierung des Prager Arztes Vincenz Krombholz. Auch ihm verhalf zum Adelstitel nicht nur seine unbestreitbare fachliche Kompetenz und breite wohltätige Aktivität in den Zeiten der Choleraepidemien, sondern auch sein persönliches Engagement in und seine vielseitige Unterstützung von mehreren patriotisch-nationalen Aktivitäten.104 Auch hier stellte das konservativ-nationale Bekenntnis des Adelsbewerbers kein grundsätzliches Hindernis seiner Auszeichnung dar.

Die Revolution 1848 / 49 stellt in diesem Zusammenhang kaum eine Zäsur dar. Ganz unmittelbar nach ihrem Ausklang, im Frühjahr des Jahres 1850, wurde der prominente Prager Arzt und Gelehrte Anton Johann Jungmann in den österreichischen Ritterstand erhoben. Es handelte sich dabei um den Bruder des vermutlich bekanntesten tschechischen vormärzlichen Nationalagitators Josef Jungmann, der eine Schlüsselrolle in der „Phase B“ der zunächst auf die Sprache ausgerichteten tschechischen Nationalbewegung spielte.105 Die enge Verwandtschaft des nobilitierten Jungmanns mit der Hauptperson der tschechischen nationalen Agitation spielte bei der Adelsverleihung auch unmittelbar nach der Revolution keine negative Rolle, gerade im Gegenteil. Der nobilitierte Anton Jungmann wurde von den staatlichen Stellen mit folgenden Worten gewürdigt:106

„Als Schriftsteller hat er sich hoch verdient gemacht. Auβer mehrere Werke über die Geburtshilfe erschienen von ihm auch Abhandlungen über die Pferdezucht und über die Zucht der übrigen Haustieren, über die Böhmische Gesundheitswässer und die Werk über

103 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Mathias Kallina von Jäthenstein, fol. 23.

104 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakte, Vincenz Krombholz, fol. 1 – 26.

105 Es wird hier wieder aus der Analyse von Miroslav Hroch ausgegangen, welche im breiten Vergleich die auf die Sprache ausgerichteten nationalen Aktivitäten durchaus überzeugend gerade in diese Phase der Nationsbildung unterbringt. Vgl.: Miroslav HROCH, Das Europa der Nationen. Die moderne Nationsbildung im Europäischen Vergleich, Göttingen 2005, S. 178 – 186. Zu den Aktivitäten Jungmanns in dieser Hinsicht siehe: Ders., Na prahu národní existence. Touha a skutečnost, Praha 1999, S. 202 – 216. Robert SAK, Josef Jungmann. Život obrozence, Praha 2007, S.

92 – 134.

106 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Johann Anton Jungmann, fol. 19.

Die zitierte amtliche Würdigung von Jungmanns Aktivitäten geht unter anderem auf das von ihm auf tschechisch verfasste medizinische Buch „Umění porodnické k užitku ženám při porodu obsluhujícím“

ein, was sogar in zwei Auflagen, im Jahr 1827 und 1842 erschien.

Anthropologie. Er unterstützt auch seinen Brüder bei Bearbeitung des von ihm herausgegebenen groβen böhmisch-deutschen Wörterbuchs.“

Anton Jungmann wurde so nicht nur aufgrund seiner umfangreichen Fachtätigkeit und deren Popularisierung nobilitiert, sondern explizit auch aufgrund seiner aktiven Teilnahme an der nationalen Sprachagitation seines Bruders.

Der Höhepunkt von Adelsverleihungen an diese konservative landespatriotische Strömung, welche sich den Nationsbildungsprozessen zwar nicht entgegensetzte, doch ihre Zukunft immer ausschlieβlich in der kulturellen, nicht aber politischen und sozialen Sphäre sah, wurde dann in der Phase des neoabsolutistischen Regimes der 50er Jahre erreicht. Gerade der staatliche Versuch der 50er Jahre über die sich durchsetzenden nationalen Identitäten eine

„Dachidentität“ des übernationalen (nicht aber gegennationalen) Österreichs zu konstruieren, brachte die günstigsten Umstände, diejenigen Gruppen aktiv zu fördern, welche an der Konstruktion einer solchen gemeinsamen österreichischen Identität mitwirkten.107

Wie Helmut Rumpler konstatiert: „Zum Programm dieser Neugestaltung gehörte es, den zentrifugalen Kräften der nationalen Vielfalt die Idee der Einheit entgegenzustellen.“108 Diese Einheit sollte dabei vor allem durch die Armee, die Beamtenschaft und auch den Adel demonstriert werden. So erlangte eine Reihe von konservativen böhmischen Bürgern verschiedene Posten in der Staatsverwaltung oder an den Universitäten und die am höchsten Stehenden wurden auch nobilitiert.

Ein Paradebeispiel dafür ist die im Jahr 1854 erfolgte Verleihung des Freiherrenstandes an den damaligen Staatsuntersekretär des österreichischen Kultus- und Unterrichtsministerium, Josef Alexander Helfert. Es handelte sich um den Sohn eines ausgebildeten Juristen und Professors des Kirchenrechtes der Prager Universität, der im Vormärz, ebenso wie viele andere Mitglieder jener konservativen Gruppe, dem bolzanischen Kreis sehr nah stand.109

107 Ernst BRUCKMÜLLER, Nation Österreich. Sozialhistorische Aspekte ihrer Entwicklung, Wien – Köln – Graz 1984, S. 75 – 98. Otto URBAN, Die tschechische Gesellschaft 1848 – 1918, Bd. I., Wien – Köln – Weimar 1994, S. 149 – 167. Christoph STÖLZL, Die Ära Bach in Böhmen.

Sozialgeschichtliche Studien zum Neoabsolutismus 1849 – 1859, München – Wien 1971, S. 56 – 63.

Eduard WINTER, Revolution, Neoabsolutismus und Liberalismus in der Donaumonarchie, Wien 1969, S. 101 – 106.

108 Helmut RUMPLER, Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie, Wien 1997, S. 334.

109 Brigitte MAZOHL – WALLNIG, Der Einfluss Bolzanos und der Bolzanisten auf die österreichische Universitätsreform der Jahre 1848/9, in: Helmut RUMPLER (Hrsg.), Bernard Bolzano und die Politik. Staat, Nation und Religion als Herausforderung für die Philosophie im Kontext von Spätaufklärung, Frühnationalismus und Restauration, Wien – Köln – Graz 2000, S. 233.

Josef Alexander Helfert begann zunächst eine juristische Laufbahn, um aber dann während der Revolution 1848 / 49 plötzlich an die Spitze der Politik katapultiert zu werden.

Er wurde in dem böhmischen Wahlkreis Tachov zum Reichstagsabgeordneten gewählt, wo er als einer der Gründer des österreichischen bürgerlichen Konservatismus galt und gehörte zu den eifrigsten Verfechtern der ersatzpflichtigen Robotauflösung. Das im Herbst 1848 vom Reichstag verabschiedete Gesetz, das diese Problematik regelte und die finanzielle Ersatzpflichtlast gegenüber den Obrigkeiten auf die ehemaligen Untertanen, auf den Staat und auf die Obrigkeiten selbst gleich verteilte und eigentlich die wichtigste in der Revolutionszeit entstandene Rechtsnorm war, stützte sich im Wesentlichen gerade auf seine Vorschläge.

Nach der im Frühling 1849 erfolgten Auflösung des Kremsier Reichstages ging Helfert nahtlos in die Staatsverwaltung über, indem er zum Unterstaatssekretär, das heiβt im Grunde zum ersten Ministerstellvertreter, des neu gegründeten Ministeriums für Kultus und Unterricht wurde.110

Dass er gerade bei diesem Ministerium seine Karriere fortsetzte, war dabei kein Zufall.

Es war eben das Unterrichts- und Kultusministerium, das in den 50er Jahren zu den Hauptakteuren des erwähnten staatlichen Versuches wurde, eine neue, die nationalen Bewegungen übergreifende Staatsidentität zu schaffen.111 Die in den 50er Jahren stattfindenden, tief greifenden Reformen des Schulsystems und die Versuche um die Gründung einer auf der gemeinösterreichischen Loyalität beruhenden Geschichtswissenschaft, welche gerade durch dieses Ministerium umgesetzt wurden, sah der Staat als einen der Grundsteine des Umgangs mit der Nationalitätenfrage an, und Helfert schien zu diesen Zwecken eine sehr geeignete Person zu sein.112

Während seiner politischen Laufbahn verleugnete er nie seine Sympathien für die kulturelle tschechische Nationalbewegung, stand im engen, öffentlich bekannten Verhältnis auch zu den führenden tschechischen liberalen Politikern und wurde allgemein als eine der wichtigsten Kontaktpersönlichkeiten für den liberalen Flügel der tschechischen

110 Gustav STRAKOSCH - GRASSMANN, Geschichte des österreichischen Unterrichtswesens, Wien 1905, S. 173-176.

111 Klaus FROMMELT, Die Sprachenfrage im österreichischen Unterrichtswesen, Graz-Köln 1963, S.

56 - 71. Hans LENTZE, Die Universitätsreform des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein, Wien 1962, 39 – 191.

112 Vgl.: Emil OTTENTHAL, Das k. k. Institut für österreichische Geschichtsforschung 1854-1904.

Festschrift zur Feier des fünfzigjährigen Bestandes, Wien 1904. Jiří ŠTAIF, Historici, dějiny a společnost. Historiografie v českých zemích od Palackého a jeho předchůdců po Gollovu školu 1790-1900, Bd. I., Praha 1997, S. 115 – 119. Helmut RUMPLER, Eine Chance für Mitteleuropa.

Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie, Wien 1997, S. 334 – 341.

Nationalbewegung in den höchsten Verwaltungsstellen Österreichs angesehen.113 Auf der anderen Seite repräsentierte er aber die konservative, der katholischen Kirche und dem Thron nah stehende Position und lieferte so den Beweis, dass eine dem Staat und der Krone gegenüber loyale Position sich mit der, wenn auch in vielen Hinsichten begrenzten, Förderung der kulturellen nationalen Aktivitäten nicht ausschließen musste.114

Die im Jahre 1854 erfolgte Erteilung des Ordens der Eisernen Krone und kurz danach folgende Nobilitierung Helferts meinte dabei sowohl eine Auszeichnung seiner politischen Karriere und fachlichen Verwaltungstätigkeit als auch seines Strebens um die Findung eines Konsens’ zwischen den erwachten Nationalbewegungen Böhmens. Nicht nur seine Position innerhalb der konservativen landespatriotischen Gruppierung, sondern auch seine enge Beziehung zu und Sympathie für Repräsentanten des liberalen Flügels der tschechischen Nationalbewegung waren bei der Erteilung der höchsten staatlichen Auszeichnungen keinerlei Hindernis. Helferts Nobilitierung illustriert so die allgemeinen Umstände der österreichischen Nobilitierungspolitik ganz passend. Die positive Einstellung zu den einsetzenden Nationalbewegungen wurde kaum zu einem Hindernis, soweit die zu belohnenden Verdienste vorhanden waren und die Basisloyalität gegenüber dem Staat erhalten blieb.115

Das gleiche kann grob auch hinsichtlich der liberalen Repräsentanten der tschechischen Nationalbewegung gesagt werden. Auch diese Gruppierung wurde nämlich seitens des Staates bei den Nobilitierungen nicht übersehen. Das staatliche Interesse, die Adelsverleihungen auch auf die tschechischen liberalen Repräsentanten zu erweitern, erfolgte jedoch in anderer Zeit und unter anderen Umständen als bei den Konservativen, was auch die unterschiedlichen Ergebnisse erklärt.

Wenn die oben erwähnten Adelsverleihungen an die Repräsentanten der böhmisch-slawischen konservativen Strömung in die von Miroslav Hroch als „Phase B“ bezeichnete Periode der Nationsbildungsprozesse fallen, als die Nationalbewegungen eher als kulturelle Erscheinungen auftraten, welche die unmittelbare Sphäre der politischen Entscheidungen nicht all zu stark berührten, sind die Adelsverleihungen an die Spitzenvertreter der liberalen Strömungen innerhalb der Nationalbewegungen Böhmens, welche in dem letzten Viertel des Jahrhunderts an die Tagesordnung traten, schon im Kontext des Verlaufs der „Phase C“ zu

113 Rudolf KUČERA, Konzervativní poučení z revoluce 1848: Politická kariéra J. A. Helferta, Moderní dějiny 2006, S. 309 – 321.

114 Ebenda, S. 316 – 317.

115 ÖStA Wien, AVA, Adelsarchiv, Nobilitierungsakten, Josef Alexander Helfert, Fol. 1 - 5.

sehen.116 In diesem Kontext sind auch die wichtigsten Unterschiede zu erörtern, deren Ursprung aber hauptsächlich nicht auf der Seite des Staates, sondern auf der Seite der Adelskandidaten zu suchen ist.

Der Staat konnte unter den Umständen der schon massiv durchgesetzten Nationalbewegungen, welche zu dem bestimmenden Phänomen des gesellschaftlichen Lebens Österreichs avancierten, die Spitzenpersonen solcher Bewegungen nicht mehr auβer Acht lassen. Die mehr oder weniger erfolgreichen Versuche, die führenden Persönlichkeiten durch verschiedene Auszeichnungen enger an den Staat zu binden, beinhalteten auch Bestrebungen die Nationalrepräsentanten zu nobilitieren. Die Nobilitierungen beschränkten sich dabei nicht nur ausschlieβlich auf die liberalen politischen Führungspersönlichkeiten, sondern zielten auf ein breiteres Segment der Spitzenfiguren aller Bereiche. Als Beispiel können führende Personen der „Phase C“ der tschechischen Nationalbewegung dienen, die den Bereich der unmittelbaren Politik, Wissenschaft und der Wirtschaft abdecken, also gerade diejenigen Bereiche, aus welchen sich die Mehrheit aller Agitatoren der tschechischen „C-Phase“

rekrutierte.

Als das erste Beispiel sei der Architekt, Bauunternehmer und gröβte tschechische Mäzen Josef Hlávka erwähnt. Hlávka begann sich auf seinem beruflichen Gebiet schon in den 60er Jahren durchzusetzen, als er den Bau des neuen Wiener Opernhauses durchgeführt hat;

während der 70er und 80er Jahre avancierte er dann zu einem der wichtigsten Architekten und Bauunternehmer der ganzen Monarchie. Er war ein Erbauer sowohl von vielen privaten als

während der 70er und 80er Jahre avancierte er dann zu einem der wichtigsten Architekten und Bauunternehmer der ganzen Monarchie. Er war ein Erbauer sowohl von vielen privaten als

Im Dokument Staat, Adel und Elitenwandel. (Seite 108-121)