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Grundbesitz und Selbstrepräsentation … die Grundbesitzer

Im Dokument Staat, Adel und Elitenwandel. (Seite 160-184)

3. Innere Struktur des neuen Adels

3.2 Österreich

4.1.3 Grundbesitz und Selbstrepräsentation … die Grundbesitzer

Das Kriterium des materiellen Besitzes spielte zwar bei den Offizieren und Beamten beginnend ab den 40er Jahren sowohl bei der Argumentation ihrer Adelsansprüche als auch bei deren Einschätzung seitens des Staates eine immer gröβere Rolle, es ist aber naheliegend,

83 Der König an das Heroldsamt am 5. April 1871, Ebenda.

dass sich der Besitz als ein Nobilitierungsargument nicht nur auf das militärische, bzw. das bürokratische Milieu beschränkte.

Es kann konstatiert werden, dass die in dem dritten Kapitel festgestellte Dominanz der Grundbesitzer innerhalb des zivilen neuen Adels tatsächlich ihrem ländlichen Vermögen zuzuschreiben ist. Die Annahme, dass die Grundbesitzer ihre Nobilitierungen hauptsächlich aufgrund des Grundbesitzes erreichten, ohne irgendwelche andere Verdienste zum Vorschein bringen zu müssen, ist durchaus plausibel. Die Zunahme der Argumente, welche den Adelsanspruch im Wesentlichen gerade mit dem Grundbesitz zu untermauern versuchten, deckt sich auch völlig mit den staatlichen Versuchen, den Adel über den Bodenbesitz zu definieren.

Obgleich der Grundbesitz bei den Nobilitierungsargumenten der Grundbesitzer auch früher anwesend war, avancierte er seit den 40er Jahren eindeutig zu der Position des schlüssigsten Nobilitierungsgrundes, und diese Position behielt er die ganze Zeit bis in die 60er Jahre hinein.

So konnte zum Beispiel der im Jahre 1829 nobilitierte Wilhelm Benecke bei seiner Adelsverleihung mit seinem umfangreichen Vermögen argumentieren, das er aufgrund seines Unternehmens erwarb, und seine neu gekauften schlesischen Herrschaften Gröditzberg und Ober-Leisersdorf nur als eine Zusatzqualifikation benutzen.84 Beginnend ab den 40er Jahren wäre aber solche Begründung eines Adelsanspruches nicht mehr möglich gewesen. Im Falle, dass der jeweilige Adelsanwärter über ein Grundbesitz verfügte, war das eindeutig das am meisten betonte Argument, und das von beiden Seiten – sowohl von der Seite des Adelsadepten selbst, als auch von der Seite des Staates.

Im Jahre 1840 konnte so der schlesische Gutsbesitzer Heinz Czettritz nobilitiert werden. Es handelte sich um einen Nachfolger einer viel früher geadelten böhmischen Familie, dessen Vorfahren aber schon seit Generationen in Schlesien lebten.85 Als er seinen Antrag auf die Adelsverleihung einreichte, vergaβ er nicht, neben seinem Grundbesitz eben auch seine böhmischen adligen Vorfahren zu erwähnen.86

Gerade dieser Verweis auf seine ältere adlige Herkunft eröffnete dem Schlesischen Präsidium und später dem Berliner Ministerium des Königlichen Hauses bei der Einschätzung des Antrags einen breiteren Handlungsspielraum. Der Titel musste nämlich in diesem Fall

84 GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4059, fol. 3 – 18.

85 GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI. C, Nr. 270, fol. 1 – 17.

86 Vgl.: GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4245, fol. 12 – 13.

nicht unbedingt neu verliehen werden, sondern konnte auch nur anerkannt werden. Das war rechtlich und administrativ möglich.

Nach dem Anschluss Schlesiens an Preuβen im Jahr 1742 blieb in der Region eine ganze Menge von Adligen, die ihre Titel noch von dem österreichischen Kaiser, damals aus der Autorität des römischen Kaisers oder des böhmischen Königs, gewährt bekamen.87 Die preuβische Bürokratie verfügte aber über keine Mittel, mit deren Hilfe die adlige Herkunft solcher Personen überprüft werden konnte. Die zuständigen Unterlagen lagen in Österreich.88 Um also unberechtigte Adelsanmaβungen zu verhindern, führten die preuβischen Stellen schon ab Anfang des 19. Jahrhunderts intensive Gespräche mit Österreich, wie dieses Problem zu lösen sei.89

Nach längeren Verhandlungen wurde schlieβlich ein modus vivendi gefunden: In dem Fall, in dem die preuβische Seite an der adligen Herkunft konkreter Personen Zweifel hatte, erklärte sich die österreichische Seite bereit, die preuβischen Anfragen schnell und genau aus ihren eigenen Quellen zu beantworten. Preuβen verpflichtete sich dann, solche bestätigten österreichischen Titel vollständig anzuerkennen.90 Die entsprechende endgültige Regelung des ganzen Verfahrens wurde zwischen beiden Seiten in der zweiten Hälfte der 30er Jahren gefunden, kurz vor dem Zeitpunkt, als das schlesische Provinzpräsidium und die Berliner Ministerien die Nobilitierung von Heinz Czetrittz auf den Tisch bekamen.91

Der Fall Czetrittz konnte so aus der Sicht des schlesischen Provinzpräsidiums und des Berliner Ministeriums des Königlichen Hauses ganz leicht erledigt werden. Es hätte nur die entsprechende Anfrage nach Wien genügt, ob er tatsächlich einer böhmischen Adelsfamilie entstammt. Bei positiver Auskunft hätte dann der Anerkennung des Adels nichts im Wege stehen können.

Da aber Heinz Czetrittz als ein Argument für seine Nobilitierung seinen Grundbesitz erwähnte, entschlossen sich die staatlichen Stellen, einen ganz anderen Weg einzuschlagen.

Die mögliche Anerkennung des böhmischen Adelstandes wurde abgewiesen, und das Schlesische Oberpräsidium ging vor, als ob es sich um die Schaffung einer ganz neuen Adelsfamilie gehandelt hätte. Der mögliche adlige Ursprung Czettritzs wurde nicht mehr

87 Vgl.: Ludwig PETRY, Politische Geschichte 1740 - 1815, in: Johann Joachim Menzel (Hrsg.), Geschichte Schlesiens. Band 3. Preuβisch Schlesien 1740 – 1945, Österreichisch – Schlesien 1740 – 1918/45, Stuttgart 1999, S. 1 - 33.

88 Werner BEIN, Schlesien in der Habsburgischen Politik. Ein Beitrag zur Entstehung des Dualismus im Alten Reich, Sigmaringen 1994, S. 295 – 322.

89GhStA, HA I., Rep. 89, Geheimes Zivilkabinett, jüngere Periode, Nr. 3835, unfoliiert.

90 Ebenda

91 Ebenda

verfolgt, und das Provinzpräsidium konzentrierte sich nur auf die Feststellung der Details bezüglich des von dem Adelsadepten erwähnten Grundbesitzes.92 Wenn schlieβlich der Grundbesitz als ausreichend genug betrachtet wurde, um in der Zukunft der Familie ein sicheres Einkommen und damit auch das entsprechende Lebensniveau sichern zu können, wurde dem Czettritz ein ganz neuer, preuβischer Adel verliehen.93

Die zuständigen preuβischen Stellen haben so ganz bewusst den administrativ weit komplizierteren Weg geschlagen, das Ergebnis war aber eine ganz reguläre preuβische Nobilitierung, in der auch die preuβischen Kriterien völlig umgesetzt wurden. Dem Adelsadepten wurde der Titel aufgrund seines Grundbesitzes, nicht aber aufgrund seiner böhmischen Adelsherkunft zugesprochen. Diese offizielle Begründung der Nobilitierung wurde dann auch veröffentlicht und somit das Bild des Adels verstärkt, der vorwiegend nur aufgrund eines Bodeneigentums verliehen werden kann.94

Dass der Grundbesitz alleine über das Potential verfügte, den Adelsanspruch genügend zu untermauern und daher bei den Grundbesitzern kaum einen Raum für andere Verhaltensmuster zulieβ, war ab den 40er Jahren ziemlich eindeutig. Obgleich sich einzelne Adelskandidaten ab und zu bemühten, noch weitere Qualifikationen ins Spiel zu bringen, wurde dies seitens des Staates weder verlangt, noch allzu stark berücksichtigt, und war daher für die Kandidaten nur von sehr beschränktem Nutzen.

Die Stärke des auf dem Grundbesitz beruhenden Vermögensarguments ging so weit, dass es nicht nur zur Erreichung des Adels in der Regel allein ausreichte, sondern dass es sogar Verstöβe gegen das gültige Adelsrecht entschuldigen konnte. Bei einem ausreichenden Grundbesitz war es nicht nur möglich, den Adelstitel ganz reibungslos zu erlangen, sondern auch eine unberechtigte Adelsanmaβung im Nachhinein zu legitimieren. In der ersten Hälfte der 60er Jahre vergewisserte sich darüber der schlesische Kammerherr und Gutsbesitzers Ottokar Willamowitz.

Die ganze Sache fing an der Neige des Jahres 1856 an, als das Heroldsamt eine Anzeige eines schlesischen Landrats erhielt: “…der Kammerherr Willamowitz bedient sich im amtlichen und Privatverkehr des Titels Baron, der ihm nicht gehört“95 Das war eine gewichtige Beschuldigung. In dem preuβischen Adelsrecht konnte es kaum einen

92 GhStA, PK, I. HA, Rep. 100, Ministerium des Königlichen Hauses, Nr. 4245, fol. 9 – 11.

93 Ebenda, fol. 19 – 22.

94 Ebenda, fol. 23 – 27.

95 GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI W, Nr. 31, fol. 1.

ernsthafteren Verstoβ geben, als eine unberechtigte Adelsanmaβung.96 Das Heroldsamt war sich dessen auch völlig bewusst und fing umgehend an, den ganzen Fall zu überprüfen. Nach einer umfassenden Recherche kam es tatsächlich zu dem Ergebnis, dass es bei Willamowitz für den Adelsstand keine Beweise gibt und er den Titel daher ganz unberechtigt führt. Das Heroldsamt teilte diese Feststellung auch dem Schlesischen Oberpräsidium mit der Aufforderung mit, die ganze Sache mit dem Betroffenen so schnell wie möglich zu lösen.97

Wie genau das Präsidium verfuhr, wissen wir leider nicht, vermutlich aber nicht allzu eilends. Über die ganze Sache wussten die zentralen Berliner Stellen die nächsten vier Jahre nichts mehr. Erst im April 1860 meldete sich dieses mal Willamowitz selbst mit einer direkten Anfrage, was nach der offiziellen Stellung des Heroldsamtes sein Status sei. Nach einer langen, mündlichen Familientradition solle er nämlich völlig berechtigt sein, den Freiherrenstand zu führen. Sein Adelsanspruch sei noch dadurch verstärkt, dass niemand in seinem Umfeld seinen Adelstitel bezweifele und auch der Adel vor Ort seinen Adelsstatus völlig anerkenne.98

Diese Behauptung zwang das Heroldsamt dazu, den ganzen Fall nochmals gründlich zu überprüfen. Der Umstand, dass die Familie Willamowitz von dem Adel vor Ort schon lange als adlig anerkannt wurde, stellte für das Heroldsamt eine unangenehme Tatsache dar.

Wenn es nämlich einer alten, anerkannten Familie ihren Adelstitel verweigert hätte, wäre es ein zumindest ebenso ernstes Problem gewesen, als wenn es einer nichtadligen Familie die unberechtigte Führung des Adelstitels erlaubt hätte. Einen für das Heroldsamt leichten Ausweg gab es nicht. Die Beamten des Amtes konzentrierten sich also völlig auf eine gründliche Ermittlung des möglichen Ursprungs der Familie, um ihre Adelszugehörigkeit unbezweifelbar nachweisen oder widerlegen zu können.

Das langwierige Verfahren brachte schlieβlich tatsächlich seine Früchte, und das Heroldsamt konnte nach einigen Monaten mit Sicherheit konstatieren, dass der Willamowitz für die Führung des Freiherrentitels hundertprozentig nicht berechtigt ist, und konnte sogar nachweisen, warum. Die Verwicklung lag in einer zufälligen alten Verwechselung des Familiennamens Willamowitz mit einer alten russischen Adelsfamilie Semienow-Willamow,

96 Vgl.: Sigismund von ELVERFELDT-ULM, Adelsrecht im deutschsprachigen Raum, in: Ders.

(Hrsg), Adelsrecht. Entstehung – Struktur – Bedeutung in der Moderne des historischen Adels und seiner Nachkommen, Limburg 2001, S. 39 - 42.

Harald v. KALM, Das preuβische Heroldsamt (1855 – 1920). Adelsbehörde und Adelsrecht in der preuβischen Verfassungsentwicklung, Berlin 1994, S. 180 – 200.

97 GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI W, Nr. 31, fol. 3.

98 Ottokar Willamowitz an das Heroldsamt am 25. April 1860, Ebenda, fol. 4.

sodass die Familie Willamowitz den Titel der russischen Familie, die ihre Vorfahren zufällig auch in Preuβen hatte, unbeabsichtigt, aber unberechtigt führte.99

Solch eine Feststellung war für die Familie Willamowitz zwar nicht besonders positiv, doch aber entlastend. Ottokar Willamowitz konnte den Freiherrentitel zwar nicht weiter benutzen, die ausdrückliche Konstatierung des Heroldsamtes, das er den Titel bisher unabsichtlich falsch führte, bedeutete aber gleichzeitig, dass sein möglicher Verstoβ gegen das gültige Adelsrecht nicht so ernst war, wie es im Falle einer beabsichtigten Adelsanmaβung gewesen wäre.100 Eines war aber klar: Ottokar Willamowitz führte den Freiherrentitel unberechtigt und muss damit sofort aufhören.

Nach der Bekanntgabe dieses Beschlusses der Familie Willamowitz wurde die ganze Sache für das Berliner Heroldsamt im Herbst 1860 zum Abschluss gebracht. Der Freiherrenstand der Familie wurde widerlegt, und es war jetzt die Aufgabe des zuständigen Provinzpräsidiums, die Abhilfe zu schaffen.

Die ganze Causa war damit aber keineswegs vorbei. Obwohl wir nicht wissen, wie die konkreten Maβnahmen des Provinzpräsidiums aussahen, ist es eindeutig, dass die Familie Willamowitz auf ihren Adelstitel nicht so leicht verzichten wollte. Drei Jahre später, im Mai 1863 meldete sich nämlich bei dem Heroldsamt Willamowitz’ Frau Fanny mit einem offiziellen Gesuch um die Verleihung eines Freiherrentitels an ihren Mann. Der Hauptgrund, warum er nobilitiert werden sollte, sah sie dabei in der Gesellschafts- und Vermögenssituation seiner zwei Brüder. Beide waren auβer Schlesien lebende Grundbesitzer, und der ältere wurde vor einigen Jahren sogar in den Grafenstand erhoben.101 Unter diesen Umständen empfand es Fanny Willamowitz durchaus berechtigt, auch für ihren Mann den Adelstitel zu beantragen.

Sie war sich dabei bewusst, dass die Tatsache, dass der Antrag nicht von dem Bittsteller selbst, sondern von seiner Frau ausformuliert und vorgelegt wurde, einigermaβen seltsam wirken kann. Den Grund dafür schilderte sie dabei folgendermaßen:102

„Sollte es Eurer Königlichen Hoheit gefallen, diesen Gnadenakt zu vollziehen, so wollen Euerer Majestät geruhen allergnädigst zu befehlen, die öffentliche Verkündigung dieser Standeserhebung durch die Zeitungen zu unterlassen. Mein armer Mann weiβ Nichts

99 Ebenda, fol. 7.

100 Stephan KEKULE v. STRADONITZ, Form und Wirkung der Adelsentsagung nach den in Preuβen geltenden Bestimmungen, Deutscher Herold 27 (1896), S. 99 – 101.

101 Fanny Willamowitz an das Heroldsamt am 6. Mai 1863, GhStA, PK, I. HA, Rep. 176, Heroldsamt, VI W, Nr. 31, fol. 34.

102 Ebenda

von diesem Schritt, sollte ich aber den Gnadenbeweis empfangen, so würde er dem Kranken eine Überraschung sein, deren Vollgenuss sein schmerzvolles Leben erhellen würde.“

Den ungewöhnlichen Verfasser des Adelsgesuchs begründete also Fanny Willamowitz zuerst mit ganz privaten Gründen: Mit der Mühe, ihrem Mann seine mittlerweile ausgebrochene schwere Krankheit durch eine angenehme Überraschung zu mildern. Vor demselben Hintergrund bat Sie auch darum, die potentielle Adelsverleihung ausnahmsweise nicht zu veröffentlichen.

Nach den gültigen Regeln des ganzen Verfahrengangs war es jedoch für das Heroldsamt nicht möglich, eine Nobilitierung durchzuführen, ohne sich dabei im Vorfeld zu vergewissern, dass der Kandidat zur Bezahlung der vorgeschriebenen Gebühren bereit ist. Bei jedem Nobilitierungsantrag war die erste Aktion gerade die Anfrage, ob der jeweilige Bittsteller mit der Entrichtung der Taxen und entstandenen Kosten einverstanden sei. Anders konnte das Heroldsamt auch im Falle Willamowitz nicht verfahren. Nachdem Erhalt des Adelsgesuches erfolgte daher eine ganz übliche Anfrage an Ottokar Willamowitz, und nicht an seine Frau, ob er im Stande sei, im Falle seiner Nobilitierung alle damit verbundene Kosten zu erstatten.103

Diese im anderen Fall ganz übliche Prozedur hatte hier natürlich zur Folge, dass Willamowitz, der angeblich über die Stellung des Antrags nichts wusste, jetzt darüber schon informiert wurde. Da der ursprüngliche von Fanny Willamowitz eingereichte Nobiliterungsantrag kaum irgendwelche Argumente beinhaltete, welche die Adelsverleihung untermauern konnten, forderte das Heroldsamt Willamowitz noch direkt auf, diese im Nachhinein vorzulegen.

Was aber in diesem Stadium des ganzen Verfahrens an der Seite des Heroldsamts Zweifel erweckte, war der immer wieder betonte Wunsch der Nichtveröffentlichung des ganzen Nobilitierungsfalles. In dem ursprünglichen Adelsgesuch, das die Frau des Bittstellers stellte, wurde diese Maβnahme noch mit einem menschlichen Wunsch auf die Überraschung eines schwer erkrankten Ehemanns erklärt. Die Familie bestand auf dieser Anforderung aber auch weiterhin, auch wenn der Willamowitz mit der ganzen Prozedur schon vertraut gemacht wurde.

Die zuständigen Beamten in dem Heroldsamt beschlossen also, eine Anfrage an das zuständige Provinzpräsidium zu machen, das über den Adelskandidaten mehr Informationen

103 Ebenda, fol. 9.

liefern sollte. Das Heroldsamt war sich dabei offensichtlich gar nicht bewusst, dass es vor drei Jahren den Fall einer unberechtigten Adelsanmaβung der gleichen Familie behandelt hatte, andernfalls hätten die zuständigen Beamten den tatsächlichen Grund des ungewöhnlichen Wunsches viel schneller erkennen müssen.104 Ottokar Willamowitz hat nämlich den früheren Beschluss des Heroldsamtes aus dem Jahr 1860 nicht völlig respektiert und den ihm rechtlich nicht gehörenden Freiherrentitel gelegentlich weiter benutzt. Zu dieser Erkenntnis kam bei der Ermittlung in Bezug auf die Anfrage des Heroldsamtes auch das schlesische Provinzpräsidium und teilte es dem Heroldsamt im Rahmen der breiten Einschätzung des ganzen Nobilitierungsantrags mit:105

„... der Kammerherr Ottokar von Willamowitz hat sich von jeher amtlich wie auβenamtlich „Baron“ genannt und ist deshalb auch amtlich wie auβenamtlich so genannt worden …. Von früher her war zwar bekannt, und dies bestätigt sowohl die Publikation der Ernennung seines älteren Bruders zum Grafen vor einigen Jahren, dass er den Freiherrentitel – anerkannter Weise – nicht führe; Da er gleichwohl damit fortfuhr, auch die Familie in einigen Adels-Lexikons als „Freiherrliche“ bezeichnet wurde, so lieβ ich es dabei bewenden.“

Warum Willamowitz und schlieβlich auch das Provinzpräsidiums den früheren Beschluss des Heroldsamtes nicht völlig respektierten, kann man nur spekulieren. Bei Willamowitz liegt die wahrscheinlichste Erklärung in dem hohen sozialen Druck seines Umfelds. Die Familie benutzte den Titel ganz regelmäβig in dem gesellschaftlichen Verkehr und wurde daher automatisch als adlig angesehen. Den Freiherrentitel plötzlich nicht mehr zu benutzen, hätte zur beträchtlichen Erniedrigung des sozialen Prestiges führen können und viele gesellschaftliche Kontakte sprengen können. Obwohl die unberechtigte Führung des Adelstitels nicht absichtlich war, hätte die Familie bei einigen Leuten aus ihrer Umgebung den Ruf des Betrugs nicht vermieden.

Noch schwieriger ist das Motiv des Schlesischen Provinzpräsidiums zu entdecken, warum es die Erfüllung des von dem Heroldsamt getroffenen Beschlusses aus dem Jahre 1860 nicht intensiver beaufsichtigte und somit der Familie Willamowitz die Möglichkeit gab, den unberechtigten Freiherrentitel weiter zu führen. Die Tatsache, das das Provinzpräsidium dem Heroldsamt und somit also der in diesem Verfahren vorgesetzten Behörde offen legte, dass

104 Das Heroldsamt an das Oberpräsidium der Provinz Schlesien, Ebenda, fol. 14 – 15.

105 Das Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Heroldsamt, Ebenda, fol. 19.

sein Beschluss nicht völlig zur Geltung gebracht wurde, würde vielleicht eher für eine unbeabsichtigte Nachlässigkeit sprechen, den tatsächlichen Grund kann man aber mit Sicherheit nicht feststellen.

Das wichtige für den so verzwickten Fall war aber in diesem Stadium nicht die Motivation des Provinzpräsidiums, sondern der Umstand, dass sich Ottokar Willamowitz auch weiterhin für den Freiherrenstand qualifiziert fühlte und danach strebte, ihn jetzt ganz legal und amtlich zu gewinnen. Um aber dabei sein gesellschaftliches Prestige nicht zu verlieren, entschied er sich für eine doppelte Strategie, wie das ganze Problem elegant gelöst werden konnte. Er führte den Titel ohne Berechtigung zwar weiter, gleichzeitig stellte er aber geheim einen neuen offiziellen Nobilitierungsantrag und hoffte, dass der in Kurzem neu verliehene Freiherrentitel die ganze Frage endgültig lösen wird. Das einzige groβe Risiko war nur die bei einer gewöhnlichen Nobilitierung erfolgende Veröffentlichung, die diese Kalkulation zum Vorschein bringen konnte.

Daher bemühte sich Willamowitz und seine Frau, das ganze Verfahren so viel wie möglich geheim zu halten und somit der Umgebung keinen Grund für Zweifel zu liefern.

Willamowitz brach in diesem Moment bewusst das preuβische Adelsrecht, und zwar mit der Hoffnung, dass seine Qualifikation für den Freiherrenstand so eindeutig ist, dass es für ihn keine gröβere Folgen haben kann.

Es ist nun an dieser Stelle höchst interessant sich zu vergegenwärtigen, was eigentlich für Willamowitz ein so überzeugendes Argument war, das es in seinen Augen einen wenn auch kurzfristigen Verstoβ gegen das gültige Recht zu entschuldigen vermochte. Nicht überraschend war es ein beträchtliches Vermögen, nicht nur von ihm selbst, sondern auch von seiner Frau, gekrönt mit einem Grundbesitzeigentum. Willamowitz’ Frau besaβ Anteile an Unternehmen, die auβerhalb Preuβens – im österreichischen Kärnten - lagen und die ihr ein ständiges Ankommen gewährleisteten. Willamowitz selbst verfügte schließlich über drei relativ groβe in Schlesien sich befindende Güter, die auch fideikommissarisch gesichert werden konnten.106 Diese zwei Gründe wurden auch dem Heroldsamt vorgelegt als diejenigen, welche den Ottokar Willamowitz für den erstrebten Freiherrenstand qualifizieren sollten.

Das Heroldsamt wurde dabei in dem Moment, als es über den Nobilitierungsantrag entschied, mit der unberechtigten Führung des Freiherrentitels schon vertraut gemacht.107 Die Bedeutung des Vermögens des Bittstellers und auch seiner Frau überwog aber bei der

106 Das Oberpräsidium der Provinz Schlesien an das Heroldsamt, Ebenda, fol. 19

107 Das Heroldsamt an den König am 24. März 1864, Ebenda, fol. 26 – 28.

Entscheidung gegenüber dem deutlichen Verstoβ gegen das gültige Recht. Das Heroldsamt

Entscheidung gegenüber dem deutlichen Verstoβ gegen das gültige Recht. Das Heroldsamt

Im Dokument Staat, Adel und Elitenwandel. (Seite 160-184)