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Die Spielregeln. Rechtliche Möglichkeiten des Adelserwerbs

Im Dokument Staat, Adel und Elitenwandel. (Seite 36-39)

2. Arenen des Aufstiegs

2.1 Schlesien

2.1.2 Die Spielregeln. Rechtliche Möglichkeiten des Adelserwerbs

Die mit dem Adel verbundenen rechtlichen Vorschriften wurden für die Periode vor dem Jahre 1848, in mancher Hinsicht aber auch für die Zeit danach, im Wesentlichen schon in dem 1794 erlassenen Allgemeinen Landrecht behandelt, wo die relevanten Anordnungen bezüglich des Adelserwerbs definiert wurden. Allgemein kann gesagt werden, dass die verfassungsrechtliche Entwicklung während des 19. Jahrhunderts einen Weg zur Minderung der adligen Vorrechte aufwies, indem eine Vielzahl von Normen auβer Kraft gesetzt wurden, die die Ausgestaltung der adligen Vorrechte zum Gegenstand hatten, so dass es gerade die Teile des Allgemeinen Landrechts bezüglich des Adelserwerbs waren, welche am längsten in Kraft blieben.37

Der Adel konnte grundsätzlich auf zwei Wegen erworben werden – durch die Geburt oder Heirat auf einer Seite und durch die landesherrliche Verleihung auf der anderen Seite, was für unsere Zwecke am relevantesten ist. Das formelle Recht zu nobilitieren war vornehmlich dem König vorbehalten, der als Oberhaupt des Staates der einzige war, der die

„…Standeserhöhungen, Staatsämter und Würden“ verleihen konnte, was auch nie ernsthaft bestritten wurde.38

Der Nobilitierte konnte in eine der fünf preuβischen adligen Stufen erhoben werden – in den einfachen Adel, den Freiherrenstand, Grafenstand, Fürstenstand und Herzogsstand,

37 Vgl.: Harald v. KALM, Das preuβische Heroldsamt (1855 – 1920). Adelsbehörde und Adelsrecht in der preuβischen Verfassungsentwicklung, Berlin 1994, S. 12. Günter BIRTSCH, Zur sozialen und politischen Rolle des deutschen, vornämlich preuβischen Adels am Ende des 18. Jahrhunderts, in:

Vierhaus Rudolf (hrsg.), Der Adel vor der Revolution. Zur sozialen und politischen Funktion des Adels im vorrevolutionären Europa, Göttingen 1971, S. 77 - 95.

38 Hans HATTENHAUER (Ed.), Allgemeines Landrecht für die Preuβischen Staaten von 1794.

Textausgabe, Frankfurt am Main – Berlin 1970, S. 589, Teil XIII, § 7. Zu den Einzelheiten des Adelsrechts in Deutschland siehe: Sigismund von ELVERFELDT-ULM, Adelsrecht im deutschsprachigen Raum, in: Ders. (Hrsg), Adelsrecht. Entstehung – Struktur – Bedeutung in der Moderne des historischen Adels und seiner Nachkommen, Limburg 2001, S. 11 - 45.

wobei diese innere Aufteilung in Bezug auf den Erwerb der adeligen Rechte keine rechtlichen Konsequenzen mit sich brachte. Es genügte die rechtlich bestätigte Zugehörigkeit zu jeglichem dieser Ränge, um die Adelsvorrechte genieβen zu können,39 in der Praxis wurden dann in einer gewaltigen Mehrheit die Nobilitierungen in den niedersten Adelsstand vorgenommen.

Bei einer näheren Sicht wirkt überraschend, wie vage eigentlich die für alle Adelskandidaten festgesetzten, gemeinsamen Kriterien des Adelserwerbs waren. Der Rechtskodex beschränkte sich in den entsprechenden Teilen nur auf die Konstatierung des ausschlieβlichen Königsrechts zum Nobilitieren oder zum Erheben in eine höhere Adelsstufe, erwähnte ausdrücklich die Möglichkeit einer Frauennobilitierung40 und verbot den preuβischen Untertanen, sich ohne Erlaubnis des Landesherren um den Adelsstand im Ausland zu bewerben. Es wurden keine rechtlich verbindlichen Voraussetzungen für Adelsadepten festgelegt, und so mussten bei einer Nobilitierung die zuständigen Beamten im Grunde nur die eheliche Abstammung des Kandidaten und die sehr allgemein definierten

„persönlichen Zustände“ überprüfen. Unter diesem Begriff wurde in der Regel nur eine allgemeine Konstatierung des im Einklang mit guten Sitten geführten Lebens verstanden, womit grundsätzlich ein geregeltes Familienleben und die Schuldenfreiheit gemeint waren.

Es gab während des 19. Jahrhunderts zwar mehrere Versuche, diesen Zustand zu ändern und einen konkret definierten Kriterienkatalog für die Nobilitierungen herauszuarbeiten, die konkreten Ergebnisse blieben aber gering.41 Das einzige, was aus den umfassenden Plänen umgesetzt wurde, war die im Jahr 1843 erfolgte Festlegung von Kriterien, die bei den Nobilitierungen in die vier höheren Adelsstufen appliziert werden sollten. Nach den entsprechenden Grundsätzen vom 23. Februar 1843 wurde die Verleihung eines der höheren preuβischen Adelsstufen mit der Errichtung eines Fideikommisses bedingt, und der Titel wurde dann nicht nur an die Person, sondern auch an das Fideikommiss gebunden, so dass sich auf die Nachkommen des Fideikommissinhabers allein der nicht-titulierte Adel vererbte und der Nachfolger in das Fideikommiss den höheren Titel erst mit dessen Übernahme führen durfte.42

39 Hans HATTENHAUER (Ed.), Allgemeines Landrecht für die Preuβischen Staaten von 1794.

Textausgabe, Frankfurt am Main – Berlin 1970, S. 535, Teil IX, § 21

40 Die Möglichkeit der Nobilitierung einer Frau war zwar möglich, jedoch ohne Wirkung auf ihre Kinder. Vgl.: Ebenda, S. 534, Teil IX, § 12.

41 Dazu vgl.: Heinz REIF, Adelserneuerung und Adelsreform in Deutschland 1815 – 1874, in:

Elisabeth Fehrenbach (Hrsg.), Adel und Bürgertum in Deutschland 1770 – 1848, München 1994, S.

203 – 230.

42 Harald v. KALM, Das preuβische Heroldsamt (1855 – 1920). Adelsbehörde und Adelsrecht in der preuβischen Verfassungsentwicklung, Berlin 1994, S. 43 – 44.

Da sich diese Regelung aber auf die vier höheren Adelstufen bezog, nicht jedoch auf den einfachen Adel, war davon eine groβe Mehrheit der Nobilitierten nicht betroffen. Der nicht-titulierte einfache Adel wurde durch das ganze 19. Jahrhundert prinzipiell nur nach dem Verdienstprinzip verliehen, ohne das der Adelsadept vorher irgendwelche rechtlich definierten Vorleistungen nachweisen musste. Grundsätzlich konnte sich also jeder freier Untertan des preuβischen Königs um eine Adelsverleihung bewerben, und auch die Nobilitierung von Ausländern war in besonderen Fällen nicht ausgeschlossen.

Die Vererbung des einfachen Adels erfolgte auf alle Nachkommen ohne Rücksicht auf die Eigentums- und Besitzverhältnisse.43 Der niedrigste Adelsstand konnte sogar durch Gewohnheitsrecht erworben werden, indem Personen oder Familien, welche sich mindestens 44 Jahre des adligen Status bedient hatten, diesen dann weiter vollberechtigt benutzen konnten.

Es war gerade die Möglichkeit des Erbfalls der Adelstitel, welche ihn zusammen mit der Höhe des symbolischen Kapitals des Adelsstandes in der imaginären Hierarchie der staatlichen Auszeichnungen auf den höchsten Platzt einordnete und welche seinem Träger nicht nur gröβeres gesellschaftliches Prestige, sondern auch breitere materielle Vorrechte gewährleistete als die anderen Auszeichnungstypen, wie etwa die verschiedenen Orden und kommerzien- oder medizinalrätliche Ränge. Der prominente Platz der Adelsverleihung unter den staatlichen Auszeichnungen wurde noch durch die beschränkten Möglichkeiten eines Verlustes des schon erworbenen Adelstitels gestärkt, die sich nach der Erschlieβung von bürgerlichen Gewerben für die Adligen im Jahre 1807 eigentlich nur auf ein grobes Verbrechen und auf die mit dem Eherecht verbundenen Fragen begrenzte und die grundsätzlich an ein gerichtliches Urteil gebunden waren.44

Die rechtlichen Beschränkungen, welche den Behörden bei der Verleihung des einfachen Adels ihren Handlungsspielraum ausgrenzten, waren also äuβerst formal und die Einschätzung der verschieden Argumente blieb für die ganze Zeit in der Kompetenz der zuständigen Staatsstellen, die nicht verpflichtet waren, ihre Entscheidungen inhaltlich zu begründen. Es war nur die Frage der konkreten Präferenzen der einzelnen Verwaltungsbehörden und in der letzten Instanz des Königs, worauf sie bei der Einschätzung

43 Hans-Konrad STEIN, Der Preuβische Geldadel des 19. Jahrhunderts. Untersuchungen zur Nobilitierungspolitik der preuβischen Regierung und zur Anpassung der oberen Schichten des Bürgertums an den Adel, Hamburg 1982, Bd. I., S. 11.

44 Hans HATTENHAUER (Ed.), Allgemeines Landrecht für die Preuβischen Staaten von 1794.

Textausgabe, Frankfurt am Main – Berlin 1970, S. 537, Teil IX, § 83 - § 95.

der Verdienste das gröβte Gewicht legten und welche Verdienste sie bei den Adelsverleihungen auf der anderen Seite beseitigten.

Aus der Sicht der Adelsanwärter handelte es sich also bei dem Ausformulieren des eigenen Nobilitierungantrags, in dem die entsprechende Begründung des Anspruchs erwartet wurde, um einen ergebnisoffenen Versuch, da sie keine offizielle Möglichkeit hatten, um festzustellen, welche konkreten Verdienste und Argumente ihre Adelsansprüche überzeugend genug begründen konnten. Auf der anderen Seite standen den Adelsbewerbern viele Strategien zur Begründung ihrer Ansprüche zur Verfügung, so dass sie ihre eigenen Vorstellungen über nobilitierungswürdige Eigenschaften und Verdienste zum Vorschein bringen konnten. Wie diese letztendlich beurteilt wurden, hing aber größtenteils von den Einstellungen der Repräsentanten des Staates ab. Wer hier als Vertreter des Staates agieren konnte und seinen direkten Einfluss auf die Nobilitierungspraxis ausüben konnte, soll im Folgenden kurz beleuchtet werden.

Im Dokument Staat, Adel und Elitenwandel. (Seite 36-39)