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Die Adelsverleihungen an der Schnittstelle der Adels- und Staatsgeschichte

Im Dokument Staat, Adel und Elitenwandel. (Seite 6-17)

1. Einleitung

1.1 Die Adelsverleihungen an der Schnittstelle der Adels- und Staatsgeschichte

Als vor etwa zwanzig Jahren Heinz Reif und Hans–Ulrich Wehler den grundlegenden Mangel im Feld der deutschen Adelsforschung konstatierten, diagnostizierten sie dabei nicht nur den deutschen, sondern auch einen breiteren, zentraleuropäischen Zustand.1 Die sich in Westdeutschland ab den 60er Jahren etablierende Sozialgeschichte bevorzugte vorwiegend andere Themen als die Adelsgeschichte, und auch die Historiographien der kommunistischen zentraleuropäischen Staaten widmeten der historischen Adelsforschung nur eine geringe Aufmerksamkeit. Nicht nur für die offizielle, sondern auch für die systemferne Geschichtsschreibung standen die Fragen nach der Wirkung und Entwicklung des Adels in der Moderne im Hintergrund, und die Forschungsergebnisse beschränkten sich daher auf beiden Seiten des eisernen Vorhangs nur auf einige wenige Studien, die zwar höchst anregend waren, breitere Forschungen jedoch nicht veranlassten.2

Diese Situation begann sich erst in Folge der gesellschaftlichen Veränderungen nach den Jahren 1989/90 zu ändern. In Deutschland wurden neben der florierenden Bürgertumsforschung schon in den 90er Jahren die ersten Adelsforschungen betrieben, die am Anfang einer langfristigeren Beschäftigung mit dem Adel als einem relevanten Thema für die Geschichtsschreibung der Moderne standen.3 So entstand ab den 90er Jahren in Deutschland eine ganze Reihe von empirischen adelsgeschichtlichen Studien, welche die Kenntnisse über die Adelsgeschichte im 19. und auch 20. Jahrhundert, und damit auch über den modernen Elitenwandel, wesentlich vertieften.4

1 Hans Ulrich WEHLER, Einleitung, in: (Ders.), Europäischer Adel 1750 – 1950, Göttingen 1989, S. 9 – 18. Heinz REIF, Der Adel in der modernen Sozialgeschichte, in: Wolfgang Schieder – Volker Sellin (Hrsg.), Sozialgeschichte in Deutschland. Entwicklungen und Perspektiven im internationalen Zusammenhang, Bd. IV., Sozialen Gruppen in der Geschichte, Göttingen 1987, S. 34 – 60.

2 Vgl. z. B.: Milan MYŠKA, Der Adel der Böhmischen Länder. Seine wirtschaftliche Basis und ihre Entwicklung, in: Armgard von Reden-Dohna – Ralph Melville (Hrsg.), Der Adel an der Schwelle des bürgerlichen Zeitalters 1780 – 1860, Stuttgart 1988, S. 169 – 189. Heinz REIF, Westfälischer Adel 1770 – 1860. Vom Herrschaftsstand zur regionalen Elite, Göttingen 1979. Heinz GOLLWITZER, Die Standesherren. Die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815 – 1918, Stuttgart 1957.

3 Für einen umfassenden Forschungsüberblick siehe: Heinz REIF, Adel im 19. und 20. Jahrhundert, München 1999.

4 Vgl. jüngst: René SCHILLER, Vom Rittergut zum Groβgrundbesitz. Ökonomische und soziale Transformationsprozesse der ländlichen Elite in Brandenburg im 19. Jahrhundert, Berlin 2003.

Stephan MALINOWSKI, Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS–Staat, Berlin 2003. Eckart CONZE,

Eine ähnliche Entwicklung setzte dabei in den 90er Jahren auch in den postkommunistischen Ländern Zentraleuropas an. Das mit dem Einsturz des Realsozialismus einhergehende Erwachen des Interesses an der Erforschung von modernen Eliten brachte auch ein verstärktes historiographisches Interesse an der Adelsgeschichte mit sich, welche zunehmend zu den „weiβen Flecken“ der jeweiligen Nationalhistoriographien gezählt wurde, die erforscht werden sollten.5 So mündete die Nachfrage nach Konzeptionalisierung der Fragen der Rekrutierung, Zusammensetzung und der Handlungsspielräume moderner Eliten, zusammen mit der empfundenen früheren Vernachlässigung des Adels im nationalgeschichtlichen Rahmen, in ein vertieftes Interesse an der historischen Adelsforschung.6 Vor allem in der Tschechischen Republik stellte dabei diese Tendenz einen radikalen Bruch mit den vorherigen historiographischen Traditionen dar, sei es die national–

liberale der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Zwischenkriegszeit, oder die national–marxistische der Nachkriegszeit,7 welche den Adel aus dem Rahmen der Nationalgeschichte völlig ausklammerten.8

Die Konzeptualisierung des Adels als eines relevanten Themas für die zentraleuropäische Geschichtsschreibung der Moderne beschränkte sich dabei nicht nur auf Von Deutschem Adel. Die Grafen v. Bernstorff im zwanzigsten Jahrhundert, Stuttgart 2000. Heinz Reif (Hrsg.), Adel und Bürgertum in Deutschland I. Entwicklungslinien und Wendepunkte im 19.

Jahrhundert, Berlin 2000. Ders. (Hrsg.), Adel und Bürgertum in Deutschland II. Entwicklungslinien und Wendepunkte im 20. Jahrhundert, Berlin 2001.

5 Jan KŘEN, Bílá místa v našich dějinách, Praha 1992.

6Während die 90er Jahre noch eher mit einem popularisierenden Interesse an der Adelsgeschichte auf der einen Seite oder mit einer gezielten, die materiellen Restituierungsansprüche unterstützenden und auch oft von den adligen Familien finanziell geförderten Arbeiten auf der anderen Seite geprägt waren, setzte sich seit dem Anfang des 21. Jahrhundert die wissenschaftlich angelegte Adelsforschung zunehmend durch. Vgl.: Vladimír POUZAR (Ed.), Almanach českých šlechtických rodů, Praha 1996 – 2003. Karel Albrecht WALDSTEIN–WARTENBERG, Tisíc let Valdštejnů v Čechách, Bratislava 1998. Petr MAŠEK, Modrá krev, Praha 1994. Jan HALADA, Lexikon české šlechty, Praha 1993.

Vladimír ŠKUTINA, Český šlechtic František Schwarzenberg, Praha 1990. Ein entscheidender Impuls für die wissenschaftliche Konzeptualisierung des Adels für die Moderne war die im Jahr 2001 in Olmütz abgehaltene internationale Tagung. Siehe die Beiträge in: Études danubiennes, Les noblesses de Bohème et de Moravie au XIX siècle 19 (2003), Nr. 1 – 2.

7Zur Entwicklung der tschechischen Geschichtsschreibung im 20. Jahrhundert siehe: Pavel KOLÁŘ – Michal KOPEČEK, A Difficult Quest for New Paradigms: Czech Historiography after 1989, in: Sorin Antohi – Balázs Trenscséni – Péter Apor (Ed.), Narratives Unbound. Historical Studies in Post-Communist Eastern Europe, Budapest – New York 2007, S. 173 – 248. Maciej GÓRNY, Między Marksem a Palackým. Historiografia w komunistycznej Czechosłowacji, Warszawa 2001.

8 So findet der Adel in den immer noch paradigmatisch wirkenden Narrativen der tschechischen Geschichte des 19. Jahrhunderts, die gewissermaβen an der Schnittstelle der offiziellen und der systemfernen Historiographie entstanden, fast keinen Platz. Vgl.: Otto URBAN, Die tschechische Gesellschaft 1848 – 1918, Bd. I.-II., Wien – Köln – Weimar 1994. Jan KŘEN, Die Konfliktgemeinschaft. Tschechen und Deutsche 1780 – 1918, München 1994. Jiří KOŘALKA, Tschechen im Habsburgerreich und in Europa 1815 – 1914. Sozialgeschichtliche Zusammenhänge der neuzeitlichen Nationsbildung und der Nationalitätenfrage in den Böhmischen Ländern, Wien 1991.

das sozialgeschichtliche methodologische Instrumentarium, sondern bezog auch die kulturgeschichtlichen Anregungen relativ schnell mit ein. So liegen heutzutage Arbeiten vor, die den adligen „Kampf um Obenbleiben“9 nicht nur sozialgeschichtlich anhand der material-soziologischen Ausgangspunkte untersuchen, sondern die ihre Aufmerksamkeit auch den verschiedenen Varianten der adligen Repräsentierungs- und Selbstrepräsentierungsformen, des adligen Selbstverständnisses, der Entwicklung adliger Vergesellschaftung in der Familie oder Schule oder der adligen Geschlechtergeschichte widmen.10

Wie unterschiedlich auch die Fragestellungen und methodologischen Zugänge der mittlerweile schon weit fortgeschrittenen zentraleuropäischen Adelsforschung sein mögen, sind der Mehrheit der Arbeiten mindestens zwei Punkte gemeinsam. Die Rolle des Adels in der Moderne wird im breiteren Zusammenhang des gesellschaftlichen Elitenwandels verstanden, indem die Thematisierung des Adels mit seinen Erfahrungshorizonten und Handlungsspielräumen den mit den rapiden Veränderungen des 19. Jahrhunderts einhergehenden Elitenwandel beleuchten helfen soll.11 Dementsprechend wird dann auf der empirischen Ebene die Aufmerksamkeit häufig auf den hohen und alten Traditionsadel gerichtet, der in den Mittelpunkt des historiographischen Interesses gerückt ist.12

9 Rudolf BRAUN, Konzeptionelle Bemerkungen zum „Obenbleiben“. Adel im 19. Jahrhundert, in:

Hans–Ulrich Wehler (Ders.), Europäischer Adel 1750 – 1950, Göttingen 1989, S. 87 - 95.

10 Für einen umfassenden Überblick siehe: Charlotte TACKE, „Es kommt also darauf an, den Kurzschluss von der Begriffssprache auf die politische Geschichte zu vermeiden.“ „Adel“ und

„Adeligkeit“ in der modernen Gesellschaft, Neue Politische Literatur 52 (2007), Heft. 1, S. 91 – 123.

Monika WIENFORT, Der Adel in der Moderne, Göttingen 2006. Tatjana TÖNSMEYER, Zwischen Revolution und Reform. Neuere Forschungen zum böhmischen Adel zwischen 1848 und 1918/21, Geschichte und Gesellschaft 32 (2006), Heft 3, S. 364–384. Eckart CONZE - Monika WIENFORT, Themen und Perspektiven historischer Adelsforschung zum 19. und 20. Jahrhunderts, in: Dies.

(Hrsg.), Adel und Moderne. Deutschland im europäischen Vergleich im 19. und 20. Jahrhundert, Köln – Weimar – Wien 2004, S. 1 – 16.

11 Zdeněk BEZECNÝ – Milena LENDEROVÁ, Několik poznámek k proměnám elit v Čechách 1780 – 1914, in: Zdeněk Bezecný – Milena Lenderova – Jiří Kubeš (Hrsg.), Proměny elit v moderní době.

Sborník k narozeninám docenta Roberta Saka, České Budějovice 2003, S. 17 – 42. Auf der empirischen Ebene z. B.: Rüdiger von TRESKOW, Adel in Preuβen: Anpassung und Kontinuität einer Familie 1800 – 1918, Geschichte und Gesellschaft 17 (1991), Heft 3, S. 344 – 369. Niklaus von PRERADOVICH, Die Führungsschichten in Österreich und Preuβen (1804 -1918), Wiesbaden 1955.

12 Siehe z. B.: Radmila SVAŘÍČKOVÁ – SLABÁKOVÁ, Rodinné strategie šlechty. Mensdorfové-Pouilly v 19. století, Praha 2007. Zdeněk BEZECNÝ, Příliš uzavřená společnost. Orličtí Schwarzenbergové a šlechtická společnost v Čechách v druhé polovině 19. století, České Budějovice 2005. Siegfried GRILLMEYER, Habsburgs Diener in Post und Politik. Das „Haus“ Thurn und Taxis zwischen 1745 und 1867, Mainz 2005. Milena LENDEROVÁ, Tragický bál. Život a smrt Pavlíny ze Schwarzenbergu, Praha 2004. WILLIAM D. GODSEY, Nobles and Nation in Central Europe. Free Imperial Knights in the Age of Revolution 1750 – 1850, Cambridge 2004. Hannes STEKL – Marija WAKOUNIG, Windisch-Graetz. Ein Fürstenhaus im 19. und 20. Jahrhundert, Wien 1992. Hannes STEKL, Österreichs Aristokratie im Vormärz. Herrschaftsstil und Lebensformen der Fürstenhäuser Liechtenstein und Schwarzenberg, Wien 1973.

Das ist auf einer Seite folgerichtig und nachvollziehbar, denn im Kontext des Elitenwandels im 19. Jahrhundert war es gerade der hohe, traditionelle Adel, der als handelndes Subjekt des Kampfes um das „Obenbleiben“ zu verstehen ist. Auf der anderen Seite wird dann aber der Adel, nicht nur im zentraleuropäischen Kontext, oft nur auf diejenigen Gruppen reduziert, die allgemein unter dem Stichwort „Aristokratie“

zusammengefasst werden und die nur einen kleinen, wenn auch äuβerst wichtigen Ausschnitt derjenigen Akteure darstellt, die unter der rechtlichen Kategorie „Adel“ im 19. Jahrhundert subsumiert wurden.13

Das Phänomen der Adelsverleihungen bietet dagegen eine geeignete Möglichkeit diese Perspektive zu verbreiten und den Adel als gesellschaftliches Phänomen mit der Geschichte des modernen Staates in Zusammenhang zu bringen. Es ist nämlich der Subjektstatus des Staates, der in den Forschungen zu dem Elitenwandel im 19. Jahrhundert oft unterbelichtet bleibt. Der Elitenwandel wird als ein Konkurrenzkampf zwischen verschiedenen Gruppen, Individuen oder Handlungsmustern verstanden, wobei der Staat aus dem Bild entweder völlig heraus fällt oder auf ein reines Objekt reduziert wird, deren verschiedene Teile (Verwaltung, Militär usw.) von verschiedenen Spielern im Rahmen des Wettbewerbs um die Elitenfunktion in Anspruch genommen werden.14

Die sozialwissenschaftliche Konzeptualisierung des Staates als eines relevanten, autonomen gesellschaftlichen Akteurs hat dabei eine lange Geschichte. Abgesehen von den auf den Staat konzentrierten Teilen der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, wurde er auch im 20. Jahrhundert vielfältig theoretisch und empirisch aufgegriffen.15 Schon Max Weber und Otto Hintze konzeptualisierten den Staat in einer breiteren Perspektive und hoben

13 Anthony L. CARDOZA, Aristocrats in Bourgeois Italy. The Piedmontese Nobility 1861 – 1930, Cambridge 1997. Dominic LIEVEN, The Aristocracy in Europe 1815 – 1914, Basingstoke 1992.

David CANNADINE, The Decline and Fall of the British Aristocracy, New Haven 1990. Zu den Definitonsmöglichkeiten vom Adel siehe: Pierre SERNA, Der Adlige, in: Michelle Vovelle (Hrsg.), Der Mensch der Aufklärung, Frankfurt am Main 1996, S. 42 – 97. Ludolf KUCHENBUCH, „Adel“, in: Richard van Dülmen (Hrsg.), Fischer Lexikon Geschichte, Framkfurt am Main 1991, S. 105 – 120.

Werner CONZE, Adel, Aristokratie, in: Otto Brunner - Werner Conze - Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache, Bd. 16, Stuttgart 1972, S. 1 - 48.

14 Für einen knappen Forschungsüberblick siehe: Ewald FRIE, Adelsgeschichte des 19. Jahrhunderts?

Eine Skizze, Geschichte und Gesellschaft 33 (2007), Heft 3, S. 398 – 415. Michael G. MÜLLER, Adel und Elitenwandel in Ostmitteleuropa. Fragen an die polnische Adelsgeschichte im ausgehenden 18.

und 19. Jahrhundert, Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 50 (2001), Heft 4, S. 497 – 513. Annja Victorine HARTMANN, Kontinuitäten oder revolutionärer Bruch? Eliten im Übergang von Anciene Régime zur Moderne. Eine Standortbestimmung, Zeitschrift für historische Forschung 25 (1998), S.

389 – 426.

15 Für Deutschland siehe: Georg G. IGGERS, Deutsche Geschichtswissenschaft. Eine Kritik der traditionellen Geschichtsauffassung von Herder bis zur Gegenwart, München 1971, S. 98 – 119.

die restriktive Komponente des staatlichen Handelns hervor, das immer und notwendig die Kontrolle vom Raum und Individuen beanspruche, wozu dann eine Reihe von verschiedenen Zwangsinstitutionen und Zwangspraktiken instrumentalisiert würden. Der Staat wurde so schon bei Weber und Hintze zum Akteur, der nicht nur die Beziehungen zwischen sich selbst und der Gesellschaft strukturiert, sondern der auch weitgehend in die Beziehungen innerhalb der Gesellschaft eingreift.16

Nach dem zweiten Weltkrieg verlagerte sich dann die theoretische Reflexion des Staates gröβtenteils in den anglo-sächsischen Raum. Der moderne, bürokratisierte und vielfältig strukturierte Staat wurde als ein wichtiger Bestandteil des Modernisierungsparadigmas gesehen, der ein unausweichlicher Meilenstein auf dem Weg zu modernen industrialisierten Gesellschaften darstellt.17 Der grundlegende Schritt, den Staat als einen autonomen Akteur zu sehen, der eigene Zwecke verfolgt und Praktiken entwickelt, die auβerhalb der Interessen von konkreten gesellschaftlichen Gruppierungen stehen, wurde dann in den 80er Jahren von der staatsautonomischen Schule um Theda Skocpol gemacht.18

Der Staat wurde als ein autonomer Akteur betrachtet, der grundsätzlich durchaus fähig und bereit ist, verschiedene Instrumente der Gesellschaftspolitik einzusetzen und damit die Beziehungen innerhalb der Gesellschaft sowie mit der Gesellschaft zu strukturieren.19 Dieses Verständnis des Staates als eines Akteurs, dessen autonome Handlung ernst genommen werden muss, darf dabei bis heute weitgehend unverändert gelten.20

16 Max WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen 1985, S. 514 – 530, 815 – 837. Otto HINTZE, Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, Göttingen 1962, S. 470 – 510.

17 Vgl. grundlegend: Charles TILLY, Coercion, Capital, and European States A.D. 990 – 1990, Blackwell 1990. Ders., (Ed.), The Formation of National States in Western Europe, Princeton 1975.

Hans – Ulrich WEHLER, Modernisierungstheorie und Geschichte, Göttingen 1975.

18 Es wurden in der entsprechenden Literatur verschiedene Listen von Voraussetzungen erstellt, die ein solches autonomes staatliches Handeln ermöglichen, wie etwa eine stabile verwaltungs-militärische Raumkontrolle, genügend finanzielle und personelle Ressourcen, das Monopol bei der Anwendung der Gewalt oder die Absetzung von anderen äuβeren Instanzen. Die in dieser Arbeit behandelten Staaten erfüllen dabei grundsätzlich alle solche Voraussetzungen. Für die verschiedenen Kriterien der Staatsautonomie siehe zusammenfassend: Wolfgang REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999, S. 15 – 29. Peter B. EVANS – Dietrich RUCHEMEYER – Theda SKOCPOL (Ed.), Bringing The State Back In, Cambridge – New York 1985.

19 Theda SKOCPOL, Bringing The State Back In: Strategies of Analysis in Current Research, in: Peter B. Evans – Dietrich Ruchmeyer – Theda Skocpol (Ed.), Bringing The State Back In, Cambridge – New York 1985, S. 3 - 43.

20 Für einen knappen aktuellen Überblick siehe: Erika Cudworth – Tim Hall – John McGovern (Ed.), The Modern State. Theories and Ideologies, Edinburgh 2007. Steven Pressman (Ed.), Alternative Theories of the State, Basingstoke – New York 2006. Eine Ausnahme stellt jedoch die neo-marxistische Denktradition dar, die den Staat mehr oder weniger als Subjekt verschiedener

Klasseninteressen sieht und seine Kompetenz zum autonomen Handeln als nebensachlich betrachtet.

Die heutige sozialwissenschaftliche Konzeptualisierung des Staates entwickelt dann die Deutung des Staates sogar noch einen Schritt weiter. Auf dem klassischen Werk Tocquevilles „Der alte Staat und die Revolution“ aufbauend,21 wird der Staat nicht nur als ein wichtiger Akteur gedeutet, der durch seine absichtlichen Aktionen die innergesellschaftlichen Beziehungen mit strukturiert, sondern als ein Faktor, der durch seine eigene Konfiguration und sein Handeln gewisse Handlungsmuster und Gruppen in der Gesellschaft auch indirekt und unbeabsichtigt unterstützt und andere vernachlässigt.22 Dieser Effekt muss daher nicht zu den ausformulierten und verfolgten Zielen des staatlichen Handelns gehören, hat aber auf die Gesellschaft und konsequenterweise auch auf den Staat grundlegende Rückwirkungen.23

Die wissenschaftliche Deutung des modernen Staates erfuhr daher in den letzten hundert Jahren eine grundlegende Entwicklung. Das ursprüngliche Verständnis des Staates als einer oppressiven, disziplinierenden Struktur verwandelte sich in eine Deutung, welche die fördernde und Impulse gebende Dimension des staatlichen Handelns in den Mittelpunkt rückt.

Auch wenn der Blick auf das ganz konkrete historiographische Forschungsfeld geworfen wird, kann diese Entwicklung bestätigt werden. Die neuesten Betrachtungen zur Geschichte Zentraleuropas im 19. Jahrhundert fangen an, den Staat als einen aktiv handelnden Akteur zu konzeptualisieren, wobei gerade die inspirierende und fördernde Komponente seines Handelns thematisiert wird.

In der Geschichtsschreibung der Habsburgermonarchie wird für eine dynamische Auffassung des Staates plädiert, die das herrschende Bild der national-zentrierten Historiographien der Nachfolgerstaaten korrigieren sollte.24 Es wird im Einklang mit den tocquevilleschen Ausgangspunkten überzeugend argumentiert, dass es gerade der Habsburgische Staat war, der durch sein Handeln schon vor dem Jahre 1848 Räume schuf, Vgl.: Paul WETHERLY, Marxism and the State. An Analytical Approach, Basingstoke – New York 2005. Nicos POULANTZAS, Staatstheorie. Politischer Überbau, Ideologie, autoritärer Etatismus, Hamburg 2002. Michael HARDT – Antonio NEGRI, Empire, Cambridge – London 2000, S. 93 – 106. Göran THERBORN, What Does the Ruling Class When It Rules?, London 1978.

21 Siehe auf deutsch: Alexis de TOCQUEVILLE, Der alte Staat und die Revolution, Leipzig 1867.

22Kenneth NEWTON, Trust, Social Capital, Civil Society, and Democracy, International Political Science Review 22 (2001), Nr. 2, S. 201 - 214. Robert D. PUTNAM, Bowling Alone: The Collapse and Revival of American Community, New York 2000, S. 402 – 414.

23 Vgl.: Robert EDWARDS - Michael W. FOLEY - Mario DIANI, Social capital reconsidered, in:

Dies. (Ed.), Beyond Tocqueville: Civil Society and the Social Capital Debate in Comparative Perspective, Hanover 2001, S. 26680. Margaret LEVI, A State of Trust, in: Valerie Braithwaite -Margaret Levi (Ed.), Trust and Governance. New York 1998, S. 77 – 101.

24 Jeremy KING, The Nationalization of East Central Europe: Ethnicism, Ethnicity, and Beyond, in:

Maria Bucur – Nancy M. Wingfield (Ed.), Staging the Past: The Politics of Commemoration in Habsburg Central Europe, 1848 to the Present, West Lafayette 2001, S. 112 – 152. John W.

BOWYER, Some Reflections on the Problem of Austria, Germany, and Mitteleuropa, Central European History 22 (1989), Nr. 3, S. 310 – 311.

welche als notwendige Vorbedingungen für die Entwicklung der Nationalbewegungen und der Zivilgesellschaft wirkten.25 Die die gesellschaftliche Dynamik bestimmenden Faktoren konzentrierten sich dann im 19. Jahrhundert zum groβen Teil dementsprechend innerhalb und nicht auβerhalb des rechtlichen und sozialen Raumes des Habsburgischen Staates und standen gegenüber dem Staat in keiner direkten Opposition.26

Ähnliches lässt sich dabei auch für die Geschichtsschreibung über Deutschland sagen.

Auch hier wird der Staat in vielen Fällen als ein wichtiger, die gesellschaftliche Dynamik stimulierender Faktor betrachtet, sei es absichtlich durch die intentionalen „Revolutionen von Oben“27, oder unabsichtlich, wie etwa, ähnlich dem österreichischen Fall, bei der Schaffung der rechtlichen Räume für die spätere Entwicklung der Nationalbewegung und Zivilgesellschaft.28

In diesem Zusammenhang soll in der vorliegenden Arbeit die Praxis der Adelsverleihungen gesehen werden. Auch wenn die automatische Gleichsetzung des Adels-und Elitenbegriffs im Zentraleuropa des 19. JahrhAdels-undert umstritten wird,29 ist es kaum zu bestreiten, dass es in den ersten drei Vierteln des 19. Jahrhunderts in Zentraleuropa gerade der Adel als rechtlich definierte Kategorie war, die seitens des Staates als die gesellschaftliche Elite, als die Verkörperung der von dem Staate gewünschten Verhaltensmuster betrachtet wurde.30 Als ein staatlicher Akt der höchsten Belohnung gewisser Personen stellten dann die Nobilitierungen eine jener symbolischen, gesellschaftspolitischen Praktiken dar, mit welchen

25Vgl.: Jan KŘEN, Dvě století střední Evropy, Praha 2005, S. 145 – 151. Pieter M. JUDSON, Exclusive Revolutionaries: Liberal Politics, Social Experience, and National Identity in the Austrian Empire 1848 – 1914, Ann Arbor 1996, S. 18 – 56. Otto URBAN, Die tschechische Gesellschaft 1848 – 1918, Bd. I., Wien – Köln – Weimar 1994, S. 29 - 41. John W. BOWYER, Political Radicalism in Late Imperial Vienna: Origins of the Christian Social Movement 1848 – 1897, Chicago 1981, S. 1 – 10.26 Gary B. COHEN, Nationalist Politics and the Dynamics of State and Civil Society in the Habsburg Monarchy 1867 – 1914, Central European History 40 (2007), Nr. 2, S. 245 – 254.

27 Vgl.: Christopher CLARK, Preuβen. Aufstieg und Niedergang 1600 – 1947, München 2007, S. 373 – 393. Heinrich August WINKLER, Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte 1806 – 1933, Bonn 2006, S. 57 – 58.

28 Heinrich August WINKLER, Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte 1806 – 1933, Bonn 2006, S. 89 - 96. Stefan-Ludwig HOFFMANN, Geselligkeit und Demokratie. Vereine und zivile Gesellschaft im transnationalen Vergleich 1750 - 1914, Göttingen 2003, S. 42 – 43. David BLACKBOURN – Geoff ELEY, Peculiarities of German History, Oxford – New York 1983, S. 190 – 205.

29 Vgl.: Miloš ŘEZNÍK, Za naši a vaši svobodu. Století polských povstání (1794 – 1864), Praha 2006, S. 24 – 32.

30 Selbst in der soziologischen Literatur herrscht über die Elitenmerkmale kein eindeutiger Konsensus und die historische Forschung beweist schon lange, dass auch der Adel als keine einheitliche Gruppe betrachtet werden kann, sondern in seiner innerlichen Struktur differenziert werden muss. Vgl.

zusammenfassend mit weiteren Hinweisen: Siegfried GRILLMEYER, Habsburgs Diener in Post und Politik. Das „Haus“ Thurn und Taxis zwischen 1745 und 1867, Mainz 2005, S. 5 – 15.

der Staat die von ihm bevorzugten gesellschaftlichen Akteure und Handlungsmuster förderte, ihnen durch seine Anerkennung eine öffentliche Unterstützung zuteilte, sie mit einem beträchtlichen symbolischen Kapital ausstattete, und dadurch auch andere Akteure und Kulturpraktiken vernachlässigte.

Wenn also der Staat als Subjekt in den Mittelpunkt gerückt wird, sind die Adelsverleihungen als Mittel zur Demonstrierung der staatlichen Interessen zu verstehen, mit welchen der Staat ein System von positiven gesellschaftlichen Werten festsetzt und dann die

Wenn also der Staat als Subjekt in den Mittelpunkt gerückt wird, sind die Adelsverleihungen als Mittel zur Demonstrierung der staatlichen Interessen zu verstehen, mit welchen der Staat ein System von positiven gesellschaftlichen Werten festsetzt und dann die

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