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1.2 Zufriedenheit im h¨oheren Lebensalter: Stabilit¨at trotz Verlust?trotz Verlust?

1.2.2 L¨angsschnittliche Untersuchungen zum Zusammenhang von h¨oherem Lebensalter und Zufriedenheith¨oherem Lebensalter und Zufriedenheit

1.2.3.1 Uberlagerung von Alters- und Kohorteneffekt? ¨

Das Zufriedenheitsparadox des h¨oheren Alters wurde v.a. in Untersuchungen gefun-den, deren empirische Datenerhebungen im Zeitraum der letzten beiden Dekaden des zwan-zigsten Jahrhunderts stattgefunden haben. Die zu diesen Erhebungszeitpunkten in den Indu-strienationen ¨alteren Menschen haben – etwas plakativ formuliert – ihr Leben in schlechten Zeiten begonnen: Der Beginn der Lebensspannen der in den achtziger Jahren ¨Alteren fiel in eine historische Periode, die praktisch durch eine kaum unterbrochene Aneinanderrei-hung sozialer und politischer Problemlagen (erster Weltkrieg, Weltwirtschaftskrise, zweiter Weltkrieg) sowie v.a. auch durch einen allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungsstand gekennzeicnet war, der im Vergleich zu den durch den raschen materiellen und technolo-gischen Fortschritt gekennzeichneten Wohlstandsgesellschaften der achtziger Jahre nur als erheblich r¨uckschrittlich bezeichnet werden kann. Es liegt darum m.E. auf der Hand, zu vermuten, daß Menschen, deren fr¨uhe Lebensjahre durch solche vergleichsweise

reduzier-ten sozialen und ¨okonomischen Bedingungen und in vielen F¨allen sogar durch erhebliche Gef¨ahrdungen insbesondere w¨ahrend der durchlebten Kriege gepr¨agt waren, ihr Leben un-ter vergleichsweise risikofreien und mit vielen, dem technologischen Fortschritt geschulde-ten Annehmlichkeigeschulde-ten ausgestattegeschulde-ten Wohlstandsbedingungen insgesamt geschulde-tendenziell besser bewerten, als solche Personen, die die besagten schlechten Zeiten gar nicht oder doch zu-mindest w¨ahrend weniger fr¨uher Lebensjahre erlebt haben.

Und somit k¨onnte hier ein Kohorteneffekt vermutet werden: Es k¨onnte sich bei den Alteren – wiederum etwas plakativ formuliert – um eine gen¨ugsamere Generation han-¨ deln, die im h¨oheren Lebensalter trotz verst¨arkt problematischer Bedingungen nicht darum nicht unzufriedener als J¨ungere sind, weil Zufriedenheit im Alter stabil aufrechterhalten wird, sondern aufgrund ihres kohortenspezifisch erh¨ohten Zufriedenheitslevels. Mit Blick auf die in Kapitel 1.1.4.3 dargestellten theoretischen Konzepte w¨are anzunehmen, daß das Durchleben schlechter Zeiten bzw. die Erinnerung an diese die Adjustierung subjektiver internaler Standards bez¨uglich objektiver Lebensbedingungen beeinflußt, so daß die be-sagte Gen¨ugsamkeit in Form bescheidener internaler Soll-Zust¨ande besteht, welche zum Vergleich mit den aktuell wahrgenommenen objektiven Lebensumst¨anden herangezogen werden.

Ein negativer Effekt des Alterns auf Zufriedenheit (d.h. intraindividuelle Zufrieden-heitsverluste mit zunehmendem Lebensalter) bliebe also bei der Betrachtung dieses Zu-sammenhangs zu nur einem bestimmten Zeitpunkt m¨oglicherweise dann unentdeckt, wenn zus¨atzlich bei den heute ¨Alteren ein derartiger Kohorteneffekt auf Zufriedenheit wirkte. In diesem Fall k¨onnten sich Alterns- und Kohorteneffekte derart ¨uberlagern, daß ¨Altere mit mehr Zufriedenheitsverlusten bei kohortenspezifisch erh¨ohtem

”Ausgangsniveau“ dieser Verluste sozusagen jederzeit bei derselben Zufriedenheit angelangt w¨aren, wie die jeweils gleichzeitig J¨ungeren mit weniger Verlusten auf niedrigerem Niveau.

Idealtypischerweise w¨are dieses dann der Fall, wenn sowohl Alters-, wie auch Kohor-teneffekt als jeweils ¨uber die Zeitdimensionen Lebensalter bzw. Geburtszeitpunkt hinweg negative lineare Effekte wirksam w¨aren. Allerdings d¨urfte eine solche Linearit¨at eines Ko-horteneffekts einem verbreiteten Verst¨andnis zuwiderlaufen, das den Begriff der Kohorte weniger hinsichtlich des Geburtszeitpunkts der Kohortenmitglieder, als vielmehr aufgrund inhaltlich relevanter historischer Zeitpunkte, die von den Kohortenmitgliedern gemeinsam durchlebt wurden, begreift. In diesem Verst¨andnis ist also die Kohortenzugeh¨origkeit ge-wissermaßen eine dichotome (oder mehrfach abgestufte) kategoriale Variable und sind Ko-horten Gruppen von Personen, die einen bestimmten ausgew¨ahlten Zeitpunkt oder Zeitraum erlebt haben – was mit der Annahme linearer Kohorteneffekte kaum in Einklang zu brin-gen ist. Hinsichtlich der oben dargelegten Vermutunbrin-gen ¨uber den Einfluß der Erfahrung problematischer historischer Umst¨ande ist eine solche kategoriale Auffassung des Kohor-tenbegriffs nur auf den ersten Blick naheliegend und unproblematisch, auf den zweiten Blick w¨are beispielsweise zu fragen: Welches konkrete Datum bezeichnet genau das Ende der besagten schlechten Zeiten? Das Kriegsende z.B. markiert nicht den tats¨achlichen

Be-ginn besserer Zeiten, sondern eben der Nachkriegzeit, die von den heute ¨Alteren durchaus als eine durch Entbehrungen und Defizite gepr¨agte geschildert wird, und die dort begon-nene Entwicklung, die in die gegenw¨artige Wohlstandsgesellschaft m¨undet, hat sich kon-tinuierlich, und nicht im abrupten Wechsel vollzogen. Und auch wenn ein Cutoff-Wert f¨ur die Zugeh¨origkeit zu der Kohorte, f¨ur die der besagte

”Schlechte-Zeiten-Effekt“ wirksam sein sollte, festgelegt w¨urde, so w¨are darin eine enorme Vereinfachung und Ungenauigkeit enthalten, den es w¨urden sich dann ja auch die Kohortenmitglieder wiederum darin unter-scheiden, daß sie unterschiedlich lange Lebensspannen in den schlechten Zeiten verbracht haben.

Derartige Probleme verschwinden bei konsequenter Verwendung des Kohortenbegriffs:

”Cohort effects represent the impact of historical influences upon a group of individuals that share similar environmental circumstances at eqivalent temporal points in their life course“ (Schaie & Hofer, 2001, 55). Diese Definition widerspricht zwar nicht der oben dargestellten verbreiteten Auffassung von an historischen Zeitpunkten orientierten Kohor-tendefinitionen, wenn man sie jedoch konsequent zuende denkt, dann f¨uhrt dieses zu dem Geburtszeitpunkt der Personen als der eigentlichen

”Kohortenvariablen“, denn der Einfluß historischer Ereignisse zu demselben Zeitpunkt des Lebenslaufs setzt zwingend voraus, als diese Personen zu ungef¨ahr derselben Zeit geboren wurden. Tats¨achlich ist es die Varianz der Geburtszeitpunkte, die die mit dem Begriff des Kohorteneffekts eigentlich gemeinte Variation erlebter historischer Zeitpunkte beinhaltet. Die sozusagen nat¨urlichen Kohorten sind also die Gruppen gleichzeitig Geborener, jedoch ist auch die Messung des Geburts-zeitpunkts nicht beliebig genau, sondern kann nur ¨uber die Zuordnung zu den durch die Einheiten der Geburtszeitpunktskala erzeugten Zeitintervallen erfolgen. Die gebr¨auchlich-ste Zeiteinheit der Geburtszeitmessung ist die Skala der Kalenderjahre, es mag aber auch f¨ur bestimmte Zwecke gen¨ugen, beispielsweise in Jahrzehnten zu messen, so daß daraus also Zehn-Jahres-Geburtsjahrgangskohorten entst¨unden, – die Frage der Definition des Kohor-tenbegriffs driftet hier sozusagen ins Technische ab und wird wieder in Kapitel 2.1, wo die Methode zur Untersuchung der hier zu erl¨auternden Hypothese dargestellt wird, aufgenom-men. Wichtig ist hier vorerst nur, daß die Kohortenzugeh¨origkeit im Prinzip und sozusagen kontraintuitiv eine kontinuierlich ausgepr¨agte Variable ist, so daß es auch durchaus sinnvoll sein kann, einen Kohorteneffekt z.B. als linearen Effekt des Geburtsjahres zu konzipieren.

Genau diese Konzeption aber wird bei der in Kapitel 2.1 dargestellten Analysemetho-de zugrunAnalysemetho-degelegt. Die Linearit¨at stellt hierbei eine sehr weitgehenAnalysemetho-de Annahme dar, auch wenn damit nat¨urlich nur eine n¨aherungsweise Linearit¨at im Sinne eines mit der Fortschal-tung des Geburtsjahres einhergehenden ungef¨ahren linearen Trends gemeint sein kann. Sie ist f¨ur die hier anstehende theoretische Diskussion so zu ¨ubersetzen: Es wird angenommen, daß die gesamte erste H¨alfte des zwanzigsten Jahrhunderts bis in eine Phase allm¨ahlicher gesellschaftlicher Fortentwicklung nach dem Kriege hinein als im Vergleich zur Gegenwart schlechtere Zeiten im obengenannten Sinne aufzufassen sind und daß die Dauer der in die-sen Zeiten verbrachten Zeit einen positiven Effekt auf die Zufriedenheiten aus¨ubt. Dieses

ist nat¨urlich ein stark vereinfachtes Modell der eigentlich gemeinten Zusamenh¨ange, doch es erscheint unter den gegebenen Umst¨anden als hinreichend genau – solange n¨amlich kei-ne genauere Annahme ¨uber singul¨are historische Ereignisse voraussetzbar ist, welche auf alle Mitglieder der jeweils untersuchten Population gleichermaßen einen besonders starken Einfluß auf sp¨atere Zufriedenheitsbewertungen ausge¨ubt haben sollten. Zudem muß nicht angenommen werden, daß ein solcher linearer Trend zu ¨uber die Geburtszeitpunkte hin-weg sinkender Zufriedenheit tats¨achlich ¨uber das gesamte Spektrum der Geburtszeitpunkte hinweg besteht: Es w¨are aus den obigen ¨Uberlegungen, die die Annahmen dieses Trends begr¨unden, auch zu folgern, daß ein solcher Trend sozusagen zur Gegenwart hin abflaut:

Den Nachkriegsgenerationen ist gemeinsam, daß sie praktisch die gesamte Lebenszeit un-ter Wohlstandsbedingungen verbracht haben, zwischen den Geburtsjahrgangsgruppen aus diesem Spektrum variiert sozusagen der eigentliche Pr¨adiktor des Kohorteneffekts – die unter vergleichsweise r¨uckschrittlichen sozialen Bedingungen verbrachte Zeit – nicht mehr.

Wenn also – zumindest bei den in der ersten H¨alfte des zwanzigsten Jahrhunderts Geborenen – ein solcher Trend zu mit steigendem Geburtsjahr sinkender Zufriedenheit best¨unde, so k¨onnte dessen ¨Uberlagerung mit einem Trend zu mit wachsendem Lebensalter sinkender Zufriedenheit dazu f¨uhren, daß in querschnittlichen Vergleichen von Altersgrup-pen deren mittlere Zufriedenheiten sich kaum noch unterscheiden. Schematisch ist dieses in Abbildung 1.1 dargestellt. Dort repr¨asentieren die fettgedruckten Pfeile die Verl¨aufe der durchschnittlichen Zufriedenheiten dreier fiktiver Geburtskohorten ¨uber die Zeit hinweg. In Schema A ist ein negativer Alterseffekt ohne Kohorteneffekt abgebildet: Die Mittelwerte aller drei Kohorten sinken ¨uber die Lebenszeit kontinuierlich, es gibt aber keine Unter-schiede in deren Zufriedenheitsniveau (sie starten alle auf demselben Zufriedenheitslevel – inhaltlich w¨are es nat¨urlich wenig sinnvoll, diesen Startpunkt beim Geburtsjahr der Kohor-te festzulegen, f¨ur die hier angesKohor-tellKohor-ten ¨Uberlegungen k¨onnte man beispielsweise anneh-men, der Startpunkt sei eine festgesetzte Altersschwelle im mittleren Erwachsenenalter).

W¨urden zu irgendeinem Zeitpunkttdie durchschnittlichen Zufriedenheiten (µ1,µ2 undµ3) der Gruppen verglichen, so w¨urde der Alterseffekt entdeckt (allerdings w¨are ohne weitere Information nicht klar, ob die Mittelwertsunterschiede nicht durch einen Kohorteneffekt zu-standegekommen sind, da die drei Gruppen sich sowohl im Alter, als auch im Geburtsjahr unterscheiden). In Schema B ist entsprechend ein negativer Kohorteneffekt ohne Altersef-fekt abgebildet: Je h¨oher das Geburtsjahr der Gruppe, desto niedriger die durchschnittliche Zufriedenheit, jedoch ver¨andern sich die Durchschnittswerte der Gruppen ¨uber die Zeit, d.h. mit deren Altern, nicht. Beim querschnittlichen Vergleich w¨urden wiederum die Un-terschiede entdeckt, die entweder korrekt als Kohorteneffekt oder f¨alschlich als (positiver) Alterseffekt interpretiert werden k¨onnten. Schema C schließlich zeigt die oben er¨orterte M¨oglichkeit einer ¨Uberlagerung von negativem Alters- und Kohorteneffekt: Je h¨oher das Geburtsjahr der Gruppe, desto niedriger ist deren allgemeines Zufriedenheitsniveau, d.h.

die durchschnittliche Zufriedenheit zu irgendeinem bestimmten Lebensalter (z.B. beim hier abgebildeten Startpunkt). Gleichzeitig fallen die Verl¨aufe infolge eines Alterseffekts, so

ABBILDUNG 1.1:

daß es zu einer ¨Uberlagerung kommt und die Gruppenmittelwerte zum Zeitpunkt t eines querschnittlichen Vergleichs sich nicht unterscheiden – es w¨urde weder der Alters-, noch der Kohorteneffekt entdeckt, sondern der Eindruck entstehen, daß die durchschnittlichen Zufriedenheiten von derartigen ¨uber die Zeit variablen Effekten unbeeinflußt sind.

Allerdings erscheint es immerhin merkw¨urdig, daß eine solche Vermutung von Kohor-teneffekten allem Anschein nach bislang kaum explizit formuliert und untersucht wurde:

Auch eine intensive diesbez¨ugliche Literatursuche f¨orderte kaum entsprechende Ergebnis-se zutage. Immerhin findet sich bei Lehr (1991, 296) ein Hinweis in dieErgebnis-se Richtung und erkl¨arten in einer taiwanesischen L¨angsschnittstudie kohortenspezifische Lebenserfahrun-gen einen Anstieg der Lebenszufriedenheit nach Auspartialisierung von Pr¨adiktoren von Zufriedenheitsverlusten (z.B. alterstypischer Einkommensverluste) in einer Art und Wei-se, die der oben dargelegten Argumentation entspr¨ache (Chen, 2001). Abgesehen davon muß die Vermutung von Kohorteneffekten nicht darum falsch sein, weil sie bislang wenig beachtet wurde, sondern begr¨undet im Gegenteil dieser Umstand einen Forschungsbedarf nach der Analyse m¨oglicher Kohorteneffekte.

1.2.3.2 Zufriedenheitsgewinner und Zufriedenheitsverlierer?

Von der M¨oglichkeit abgesehen, daß die Befunde stabiler durchschnittlicher Zufrie-denheiten alter Menschen auf Kohorteneffekte zur¨uckzuf¨uhren sind, w¨are zu fragen, ob diese Stabilit¨at auf derjenigen des Merkmals Zufriedenheit im h¨oheren Lebensalter beruht.

Mit anderen Worten: Besteht bei alten Menschen eine geringe intraindividuelle Varianz der Lebenszufriedenheit im zeitlichen Verlauf, d.h. wird ein jeweils individuell spezifisches Zufriedenheitsniveau weitestgehend aufrechterhalten auch angesichts alterstypischer Ver-lusterfahrungen und Probleme? Es geht hierbei um jeweils intraindividuelle Ver¨anderung, die in den Durchschnittswerten von Altersgruppen im Grunde nicht vollst¨andig erfaßt wird, und zwar nicht nur nicht in querschnittlichen Vergleichen, sondern auch in l¨angsschnittli-chen dann nicht, wenn dort lediglich die Entwicklung der Mittelwerte einer Personengruppe

¨uber einen gewissen Zeitverlauf hinweg beobachtet wird. M¨oglicherweise n¨amlich bein-halten derartige Ergebnisse eine gewisse Vielfalt unterschiedlicher Ver¨anderungsverl¨aufe, m¨oglicherweise verdeckt die Stabilit¨at der Durchschnittswerte im Alternsverlauf einen be-deutsamen Anteil von F¨allen, bei denen tats¨achlich eine Verschlechterung der Lebenszu-friedenheit stattgefunden hat. Immerhin aber m¨ußten, wenn dem so w¨are, diese Verschlech-terungen durch viele

”Gewinner“ mit verbesserter Zufriedenheit so weit nivelliert werden, daß insgesamt im Vergleich zu den Werten j¨ungerer Personen der altersspezifische Durch-schnittswert stabil bleibt. Somit w¨are, wenn die Altersgruppenmittelwerte auch im l¨angs-schnittlichen Verlauf stabil w¨aren, entweder anzunehmen, daß Zufriedenheit im h¨oheren Alter weitestgehend intraindividuell stabil aufrechterhalten wird, oder aber daß Alterns-verl¨aufe auch zu einem nicht unerheblichen Teil durch verbessertes Wohlbefinden – zumin-dest was die Selbstbeurteilung der eigenen Lage anbelangt – gekennzeichnet sind.

Theoretische Gr¨unde f¨ur die letztere Annahme finden sich in der gerontologischen Literatur zum SWB ¨alterer Menschen. Die Diskussion um das

”stability-despite-loss pa-radox“ hat verschiedentlich zur Hypothese einer mit dem h¨oheren Lebensalter erh¨ohten Kompetenz zu selbstregulatorischer Aufrechterhaltung bzw. Optimierung affektiver Wohl-befindenskomponenten gef¨uhrt, die auch durch entsprechende empirische Befunde gest¨utzt werden konnte (Lawton et al., 1992; Labouvie-Vief, 1998; Kunzmann et al., 2000). Alles in allem und von m¨oglichen negativen Lebensereignissen abgesehen, w¨are h¨oheres Alter demnach sogar ein positiver Pr¨adiktor f¨ur verbessertes Affekterleben:

”What might be the gains that come with old age and potentially enhance subjective well-being? Richer know-ledge about our own emotions and those of the people around us, deeper understanding of the situations and factors that are relevant to our emotional lives, and the accumulation and elaboration of strategies to regulate emotional experience are promising candidates for fu-ture research investigations. If it were possible to become older without encountering health problems and limitations in physical functioning, then subjective well-being would likely improve as we gain more and more emotional competence“ (Kunzmann et al., 2000, 524).

Der letzte Satz enth¨alt gewissermaßen auch eine wichtige theoretische Setzung bez¨uglich der kognitiven Wohlbefindenskomponente im Alter: Eine im Alter verbesserte Kompetenz zu affektivem Wohlbefinden m¨ußte infolge affektiver Inferenz auch tendenziell verbesserte Zufriedenheiten bewirken. Es bedeutet demnach eine starke Simplifizierung, wenn H¨oheral-trigkeit lediglich als problematische Bedingung f¨ur Lebenszufriedenheit angesehen wird, vielmehr stellen Verlusterlebnisse und Verschlechterungen objektiver Lebensumst¨ande, die im hohen Alter geh¨auft — aber nicht in jedem Fall und nicht w¨ahrend dieses gesamten Lebensabschnittes mit gleichermaßen hoher Frequenz — auftreten, gewissermaßen nur die eine, negative Seite der Medaille dar. Auf der anderen, positiven Seite k¨onnte fortgeschrit-tenes Lebensalter per se ein Pr¨adiktor f¨ur verbessertes affektives Wohlbefinden sein, so daß auch f¨ur Lebenszufriedenheit ein positiver Alterseffekt zu erwarten w¨are, der sozusagen in Konkurrenz zu erwartbaren negativen Effekten alterstypischer Einbußen st¨unde und der umso st¨arker wirken k¨onnte, je weniger solcher Einbußen tats¨achlich stattfinden.

Von den besagten Entwicklungen

”emotionaler Kompetenz“ abgesehen, ist auch ein

”kognitiver“ Effekt des h¨oheren Lebensalters denkbar, der Zufriedenheitsurteile positiv be-einflußt: Wiederum unter Rekurs auf das in Kapitel 1.1.4.3 dargestellte Konzept der Adju-stierung internaler Standards f¨ur den Vergleich mit objektiven Lebensbedingungen k¨onnte vemutet werden, daß negative Altersstereotype bzw. ganz allgemein Erwartungen altersty-pischer Verluste bei den Betroffenen selbst eine wichtige Informationsquelle f¨ur die Fest-legung der internalen Soll-Zust¨ande zur Bewertung der eigenen Lebenslage darstellen. Mit anderen Worten: Wir alle erwarten gewisse Verschlechterungen unseres Lebens mit dem Alterwerden und m¨oglicherweise sind diese Erwartungen ¨ubertrieben, so daß f¨ur viele von¨ uns ein teilweises Ausbleiben dessen, was wir bef¨urchten, zur positiven ¨Uberraschung wer-den wird – w¨ahrend andere, die die erwarteten Verschlechterungen erleben, nicht negativ, sondern ¨uberhaupt nicht ¨uberrascht sein werden. Es k¨onnte also gerade auch aus den

theo-retischen Annahmen, die in Kapitel 1.1.4.3 unter dem Begriff der Relativit¨at von Zufrieden-heitsurteilen zusammengefaßt wurden, ein positiver Alterseffekt dergestalt abgeleitet wer-den, daß im h¨oheren Alter negative Erwartungen und/oder Altersstereotype zu entsprechend niedrig angesetzten Soll-Zust¨anden bez¨uglich relevanter Lebensbereiche f¨uhren, die dann eher ¨uber- als unterboten werden k¨onnen. Zudem k¨onnte es noch zu einer st¨arkeren Gewich-tung derjenigen Lebensumst¨ande, in denen eine solche positive ¨Uberraschung festgestellt wird, kommen. Schlechtere Zufriedenheit w¨are demnach nur f¨ur diejenigen Personen zu erwarten, die von alterstypischen Verlusten in besonders starkem, ¨uberdurchschnittlichem Maße betroffen sind.

Tats¨achlich zeigen empirische Befunde zu impliziten Entwicklungstheorien eine all-gemein vorhandene Erwartung eines mit dem Lebensalter sich verschlechternden Verh¨alt-nisses von Verlusten und Gewinnen (Heckhausen et al., 1989). Solche stereotypen Erwar-tungen wirken handlungsregulierend in dem Sinne, daß sie die pers¨onliche Lebensplanung und Lebensf¨uhrung beeinflussen (Brandtst¨adter, 1990) und bilden dar¨uber hinaus

” norma-tive Entwicklungs- und Lebensvorstellungen, vor deren Hintergrund wahrgenommene oder antizipierte Entwicklungsergebnisse erst bewertet und als

’Gewinne‘ oder

’Verluste‘ ver-bucht werden k¨onnen“ (ebd., 339). Wenn man also eine solchermaßen grunds¨atzliche Ent-wicklungsrelevanz von Altersnormen und impliziten Entwicklungstheorien bez¨uglich des h¨oheren Lebensalters voraussetzt, so ist geradezu zwangsl¨aufig anzunehmen, daß diese Bedeutung sich in der oben vermuteten Art und Weise, d.h. bei der Adjustierung inter-naler Soll-Zust¨ande, auch auf Zufriedenheitsurteile erstreckt: Aus der stereotypen Erwar-tung einer negativen Gewinn-Verlust-Bilanz resultieren

”bescheidene“ Entwicklungsziele f¨ur das h¨ohere Alter, welche als entsprechend niedrige Soll-Zust¨ande bei der Generierung von Zufriedenheitsurteilen fungieren oder zumindest die Festsetzung derselben beeinflus-sen k¨onnen.

Aus solchen ¨Uberlegungen resultiert also ein differenziertes Bild der Lebenszufrie-denheit im h¨oheren Alter, das nicht auf negative Aspekte fixiert bleibt, sondern v.a. die Varianz von Alternsprozessen ber¨ucksichtigt: Es ist durchaus anzunehmen, daß viele ¨alte-re Menschen unter negativen Entwicklungen ih¨alte-rer Lebensumst¨ande

”leiden“, daß sie sich schlecht f¨uhlen, wenn beispielsweise ihr Lebenspartner stirbt oder sie mit schwerwiegen-den gesundheitlichen Einschr¨ankungen konfrontiert werschwerwiegen-den, und daß sie dann, wenn sie sich schlecht f¨uhlen, auch nicht allzu zufrieden mit ihrem Leben sein werden. Es ist auch anzunehmen, daß alte Menschen die aus solchen Ereignissen resultierenden schwerwiegen-den Ver¨anderungen ihres Alltagslebens bei

”vern¨unftiger“ und gewissermaßen emotions-loser Einsch¨atzung negativ bewerten und entsprechend unzufriedener werden. Jedoch sind nicht alle gleichermaßen von derartigen Negativerfahrungen betroffen und ist auch nicht die gesamte Spanne des h¨oheren Alters eine ununterbrochene Abfolge derselben. ¨Altere Men-schen mit relativ (zu ihrer Altersgruppe) durchschnittlicher oder gar ¨uberdurchschnittlicher objektiver Lebensqualit¨at f¨uhlen sich m¨oglicherweise besser, als sie sich in j¨ungerem Alter in derselben Lage gef¨uhlt h¨atten.

ABBILDUNG 1.2:

Schematische Darstellung der Gewinner-und-Verlierer-Hypothese

Zeit Zufriedenheit

Verlusterlebnisse

Beginn der H¨oheraltrigkeit

Das daraus resultierende Bild differentieller Zufriedenheitsverl¨aufe mit Gewinnern und Verlierern ist in starker Vereinfachung schematisch in Abbildung 1.2 dargestellt: Mit dem ¨Ubergang in die H¨oheraltrigkeit steigt die Zufriedenheit (Gewinner) – solange, bis Verlust erlebt wird, dann aber f¨allt sie. Es ist also immerhin denkbar, daß es im h¨oheren Le-bensalter hinsichtlich der Lebenszufriedenheit nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner geben k¨onnte, so daß auch die M¨oglichkeit best¨unde, daß die solchermaßen unterschied-lichen Zufriedenheitsverl¨aufe sich zu jedem Zeitpunkt auf einem gleichbleibenden Niveau ausmitteln – dieses w¨urde dann zu den

”paradox“ stabilen Zufriedenheitsmittelwerten im Altersgruppenvergleich f¨uhren, ohne daß die Zufriedenheit selbst entsprechend stabil w¨are.

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