• Keine Ergebnisse gefunden

1.1.4 Zufriedenheit als Wohlbefindenskomponente

1.1.4.5 Affektive Inferenz

Das einfache Bottom-up-Modell der Zufriedenheiten enth¨alt (zumeist implizit) An-nahmen ¨uber den psychologischen Verarbeitungsmodus bei der Entstehung von Zufrieden-heit – es handelt sich um ein kognitives Modell der Informationsverarbeitung, das davon ausgeht, daß zur Bewertung der eigenen Lebensbedingungen die vorhandene Information

¨uber dieselben mittels eines Vergleichs von Ist- und Soll-Zustand kognitiv verrechnet wird.

Die oben aufgef¨uhrten

”Relativit¨atstheorien“ der Zufriedenheit bilden eine weitere Variante eines solchermaßen kognitiven Modells, welche auf der postulierten Instabilit¨at der Soll-Zust¨ande gr¨undet. Eine Alternative zur

”kognitiven Sichtweise“ bietet ein affektives Zu-friedenheitsmodell: Zufriedenheit kann nicht nur aus Verarbeitung objektiver Information

¨uber eigene Lebensqualit¨at, sondern bis zu einem gewissen Grade auch aus dem emotiona-len Erleben des Individuums resultieren. Mit anderen und einfacheren Worten: Wenn wir uns wohl f¨uhlen, dann sind wir auch zufrieden. Veenhoven (1996) bezeichnet dieses als affektive Inferenz.

Es scheint mir an dieser Stelle angebracht, noch einmal die Aufmerksamkeit auf ter-minologische Fragen zu richten. In Theorie und Forschung zum SWB ist, wie im Bisheri-gen ausreichend dargestellt sein sollte, eine begriffliche Dichotomie

”kognitiv“ versus

” af-fektiv“ durch die Unterscheidung entsprechend benannter Wohlbefindenskomponenten zu besonderer Bedeutung gelangt und es wurde bereits in Kapitel 1.1.3 darauf hingewiesen, daß dieses auch einer gewissen Ungenauigkeit Vorschub leisten kann. Denn die Konzep-tion einer Komponente habituellen affektiven Wohlbefindens impliziert Kognitivit¨at in der Verarbeitung bzw. Bilanzierung affektiven Erlebens zu einem entsprechenden Urteil. Die Bezeichnung dieser Wohlbefindenskomponente als affektiv betrifft also den Inhalt der In-formationsverarbeitung. Auch die sogenannte kognitive Komponente ist m.E. durch den inhaltlichen Gegenstand der damit gemeinten Beurteilungen definiert und gegen die affek-tive abgegrenzt: N¨amlich eben durch die objekaffek-tiven Lebensumst¨ande, auf die sich die Zu-friedenheitsurteile beziehen sollen. Deshalb ist hier die Bezeichnung als

”kognitiv“ in der Weise mißverst¨andlich, daß dieser Begriff nicht den Inhalt, sondern einen psychologischen Modus benennt, der dieser Komponente nicht exklusiv zukommt. Da sich aber diese beiden Bezeichnungen in der SWB-Forschung eingeb¨urgert haben, sollen sie hier auch weiterhin verwendet werden. Wenn nun jedoch zu alledem noch von affektiver Inferenz die Rede ist, dann k¨onnte das zu weiterer begrifflicher Verwirrung beitragen, und deshalb sei hier dar-auf hingewiesen, daß dieser Begriff im folgenden ausschließlich dar-auf Zufriedenheitsurteile bezogen wird: Affektive Inferenz meint den Einfluß affektiver Wohlbefindensaspekte auf Zufriedenheitsurteile.

Die theoretische Begr¨undung der affektiven Inferenz beruht auf einer

informations-verarbeitungstheoretischen Sichtweise des Urteilsprozesses, der zur Bildung von Zufrie-denheitsurteilen f¨uhrt. Die Konstruktion eines solchen Urteils wird als komplexe Aufgabe betrachtet, die effiziente L¨osungsstrategien erfordert. Affektive Inferenz dient in diesem Zu-sammenhang als Heuristik, die solche raschen und einfachen L¨osungen erm¨oglicht. Grund-legend f¨ur diese Betrachtungsweise war das vielzitierte

”judgement model of subjective well-being“ von Schwarz & Strack (1991), welches aufgrund der besonderen Bedeutung, die es f¨ur die weitere Theoriebildung zum SWB gewonnen hat, im folgenden Unterkapitel ausf¨uhrlicher dargestellt wird.

Folgt man nun der Vorstellung, daß globale, unspezifische Lebenszufriedenheit in star-kem Maße durch die affektive Befindlichkeit der Person gepr¨agt ist, so bedeutet dieses nicht die Unabh¨angigkeit dieser Zufriedenheitsurteile von der objektiven Ebene menschlicher Lebensrealit¨at. So benutzt Veenhoven (1996) gerade die Affektivit¨at der allgemeinen Le-benszufriedenheit als Argument f¨ur deren Brauchbarkeit als Sozialindikator bei Vergleichen auf der Macroebene, d.h. zwischen L¨andern, Kulturen, Regionen u.¨a.. Diese Brauchbarkeit n¨amlich ist in Zweifel gezogen durch den stets in

”rein-kognitiven“ Theorien der sozial-wissenschaftlichen Zufriedenheitsforschung schlummernden Relativit¨atsverdacht, daß sich individuelle Bewertungsstandards prinzipiell an dem allgemeinen materiellen Niveau der Gesellschaft ausrichten, so daß sich in jeder Gesellschaft unabh¨angig von deren absolutem Niveau objektiver Lebensbedingungen eine Nivellierung individueller Zufriedenheiten auf einem mittleren Durchschnittswert ergeben m¨ußte. Demnach sollte also in einem schwach entwickelten Drittweltland mit schlechten materiellen Lebensbedingungen dieselbe durch-schnittliche Lebenszufriedenheit beobachtet werden, wie in einem hochentwickelten Indu-striestaat mit besten sozialen und ¨okonomischen Konditionen. Dagegen argumentiert Veen-hoven (1996, 10, Hervorhebung von OS):

”Unlike conscious comparisons between ideal and reality, affects are largely unreasoned experiences that probably signal the degree to which basic needs are met. If so, satisfaction ratings reflect something universal, that can be meaningfully compared cross-culturally.“ Der erste dieser beiden S¨atze enth¨alt sozusagen eine soziologisch relevante Quintessenz der Theorie affektiver Inferenz: Affektives Erleben wird hier gewissermaßen als Vermittlungsinstanz betrachtet, durch die objektive Lebens-qualit¨at subjektiv erlebbar wird – n¨amlich in der Weise, daß objektiv

”gute“ Bedingungen zu besserer Befriedigung elementarer und universeller menschlicher Bed¨urfnisse (

”needs“) und deshalb zu einem Mehr an positiv-affektiver Erfahrung f¨uhren.

1.1.4.6 Das

”judgement model of subjective well-being“ von Schwarz & Strack Schwarz & Strack (1991) berichten von einer ganzen Serie sozialpsychologischer Ex-perimente, in denen durch die experimentelle Manipulationen sehr deutliche Effekte auf die Zufriedenheitsurteile der Probanden bewirkt werden konnten. Die besondere Relevanz die-ser Ergebnisse besteht jedoch in den ihnen zugrundeliegenden theoretischen Leitmotiven, welche als Bausteine einer Theorie der Zufriedenheitsbewertung, die auch

widerspr¨uchli-che empiriswiderspr¨uchli-che Befunde erkl¨aren kann, dienen k¨onnen.

Die Basishypothese besteht darin, daß die Generierung von Zufriedenheitsurteilen ei-ner Art von Sparsamkeitsprinzip folgt, indem n¨amlich stets die einfachstm¨ogliche Strategie gew¨ahlt wird, die zu einem hinreichend sicheren Urteil f¨uhrt. Ein wesentlicher Aspekt die-ser ”Einfachststrategie“ besteht darin, daß zur Urteilsbildung auf leicht verf¨ugbare Infor-mation zugegriffen wird, die allerdings auch informellen Wert (

”informal value“) besitzen, d.h. als relevant f¨ur die Bewertungsaufgabe eingestuft werden muß. Die Verf¨ugbarkeit von Information w¨achst mit der H¨aufigkeit und/oder dem geringen zeitlichen Abstand ihrer vor-herigen Verwendung, sie ist am gr¨oßten dann, wenn die Information in der Beurteilungssi-tuation selbst bereits aktualisiert ist, z.B. dadurch, daß die Art der Zufriedenheitsbefragung bereits Hinweisreize auf diese Information enth¨alt.

Aus der Annahme einer Einfachststrategie zur Bildung von Zufriedenheitsurteilen ist die Hypothese affektiver Inferenzen ableitbar, v.a. f¨ur Urteile allgemeiner, unspezifischer Lebenszufriedenheit: Im diesem Falle n¨amlich w¨are die kognitive Verrechnung aller rele-vanten objektiven Information ¨uber die eigene Lebensrealit¨at – viele Feststellungen aktu-eller Ist-Zust¨ande, Adjustierungen von Soll-Zust¨anden und Vergleiche der beiden mitein-ander, danach Gewichtung jedes dieser Vergleiche und Verrechnung aller Ergebnisse zu einem Gesamturteil – eine komplizierte und ineffektive Strategie zur Generierung des Ur-teils, viel einfacher ist die affektive Inferenz vom jeweils aktuellen Affektzustand, welcher gewissermaßen jederzeit psychisch real und somit unmittelbar verf¨ugbar ist. Somit w¨are zu vermuten, daß zur Bewertung allgemeiner Lebenszufriedenheit in starkem Maße affek-tive Inferenzen eingesetzt werden. Ist jedoch in der Urteilssituation der informelle Wert des Affektzustandes in Frage gestellt, oder sind relevante objektive Informationen leicht verf¨ugbar, so werden eher

”kognitive“ Inferenzstrategien gew¨ahlt. F¨ur die Beurteilung spe-zifischer Bereichszufriedenheiten w¨are dementsprechend eine geringere Wahrscheinlich-keit affektiver Inferenzen anzunehmen:

”Evaluations of specific life domains, on the other hand, are often less complex. In contrast to judgements of general life satisfaction, infor-mation is usually available for judgements of specific life domains and comparison criteria for evaluation are well-defined. . . . Moreover, one’s affective state is not considered relevant information in evaluating many domains“ (Schwarz & Strack, 1991, 39).

Aus dieser informationsverarbeitungstheoretischen Perspektive folgt auch, daß Zufrie-denheitsurteile gezielt beeinflußt werden k¨onnen, indem beispielsweise durch entsprechen-de Manipulationen entsprechen-der Urteilssituation die Aktivierung, Akzentuierung oentsprechen-der auch Diskre-ditierung bestimmter Informationen bewirkt wird. Dazu hier nur zwei Beispiele aus der Vielzahl entsprechender Befunde: Es konnte experimentell gezeigt werden, daß Probanden, die vor dem Urteil ¨uber die allgemeine Lebenszufriedenheit gebeten wurden, drei beson-ders positive bzw. (in einer weiteren Experimentalbedingung) negative Ereignisse aus ihrer j¨ungsten Vergangenheit aufzuschreiben, gegen¨uber einer Kontrollgruppe ohne entsprechen-de Instruktion im Durchschnitt erh¨ohte bzw. verminentsprechen-derte Zufrieentsprechen-denheiten berichten (Strack et al., 1985). Aus Sicht der Autoren wurde von den Probanden bei der Generierung des

Zufriedenheitsurteils auf eben die Information zur¨uckgriffen, die durch die vorangegan-gene Beschreibungsaufgabe ins Ged¨achtnis gerufen und dadurch leicht zug¨anglich wurde.

Die Beeinflussungsrichtung kehrt sich jedoch um, wenn die Instruktion lautet, zeitlich weit zur¨uckliegende positive bzw. negative Ereignisse zu schildern – die Beschreibung positi-ver Ereignisse bewirkt dann positi-verminderte Zufriedenheiten und umgekehrt. Wiederum wurde hier – so die Erkl¨arung der Autoren – die zuvor

”aktualisierte“ Information verwendet, welche nun jedoch infolge der zeitlichen Distanz nicht mehr als repr¨asentativ f¨ur die mo-mentane Lebenssituation betrachtet werden konnte, sondern stattdessen zur Adjustierung eines idealen Soll-Zustandes nach oben bzw. unten und damit zu den gefundenen Zufrie-denheitsumkehrungen f¨uhrte.2 Einen geradezu plakativen Beleg f¨ur den Einfluß der mo-mentanen Stimmung auf Urteile der allgemeinen Lebenszufriedenheit liefert der folgende Befund (Schwarz & Clore, 1983): Bei einer Probandengruppe, die bei sonnigem Wetter telefonisch um ein Zufriedenheitsurteil gebeten wurde, waren die Zufriedenheiten signifi-kant erh¨oht gegen¨uber einer Gruppe, die bei Regenwetter befragt wurde. Interessanterweise verschwand dieser Effekt, wenn der Interviewer vorgab, von außerhalb anzurufen und die Probanden vor dem Zufriedenheitsrating fragte, wie bei ihnen das Wetter sei. Mit dieser Manipulation sollte den Probanden sozusagen das momentane Wetter als Ursache ihrer Stimmung ins Bewußtsein gerufen und dadurch die Relevanz der Stimmung f¨ur das Urteil der allgemeinen Lebenszufriedenheit unterminiert werden.

Das Urteilsmodell von Schwarz & Strack (1991) hat, wie bereits erw¨ahnt, großen Ein-fluß auf die weitere Theoriebildung genommen, der Verweis auf diese Ver¨offentlichung scheint in kaum einer neueren Ver¨offentlichung, in der die psychologische Theorie der Generierung von Lebenszufriedenheitsurteilen thematisiert ist, zu fehlen. Angesichts die-ser Bedeutung des Modells erscheint es geboten, auch ihre m¨oglicherweise kritisierbaren Aspekte eingehender zu betrachten.

Denn insgesamt hinterl¨aßt die von Schwarz & Strack (1991) pr¨asentierte F¨ulle von Effekten der Stimmung auf Zufriedenheitsurteile den Eindruck, es handle sich bei der all-gemeinen Lebenszufriedenheit um ein derart fl¨uchtiges, ganz und gar von variierenden kon-textualen Bedingungen abh¨angiges Konstrukt, daß es gar nicht mehr reliabel erfaßbar ist.

Welchen Sinn hat es, dieses Konstrukt ¨uberhaupt noch zu verwenden, wenn Zufrieden-heits¨außerungen beispielsweise vom Wetter und von zuf¨alligen situationalen Hinweisreizen zur Selektion von Information dominiert werden? Zur Beantwortung dieser Frage muß auf einige Schw¨achen dieser Arbeit hingewiesen werden, welche m.E. zun¨achst einmal – trivia-lerweise – in der mangelnden externen Validit¨at der experimentellen Befunde zu vermuten sind. Die Quintessenz des psychologischen Experiments besteht ja in der Maximierung in-terner Validit¨at zuungunsten der externen

”Situations- und Populationsvalidit¨at“ (Hager &

Westermann, 1983), die m¨oglichst optimale Isolierung einzelner Effekte f¨uhrt

gewisser-2Man kann gegen die von den Autoren vorgebrachten Erkl¨arungen dieser Effekte allerdings einwenden, daß zumindest die Frage nach noch nicht weit zur¨uckliegenden

positiven“ bzw.

negativen“ Erlebnissen eher erlebte Affekte aktualisiert, als kognitive Vergleichsprozesse.

maßen auch zu deren ¨Uberakzentuierung und wirft die Frage nach deren relativer Bedeut-samkeit in realweltlichen Lebenskontexten auf. Diese aber ist in der Arbeit von Schwarz &

Strack (1991) noch nicht beantwortet, auch wenn es angesichts der dargestellten Ergebnisse schwerfiele, die Existenz derartiger Effekte prinzipiell in Zweifel zu ziehen.

Im Grunde widerspricht die – m¨oglicherweise unbeabsichtigte – ¨Uberakzentuierung zeitlich fluktuativer, kontextualer Einfl¨usse auf den Beurteilungsprozeß dem postulierten Prinzip des einfachstm¨oglichen Urteils: Eine besonders leichte Strategie k¨onnte doch darin bestehen, einfach auf bereits gef¨allte Urteile zum SWB zur¨uckzugreifen. Denn wieso sollte man annehmen, daß solch eine Beurteilung in jedem Augenblick g¨anzlich neu vorgenom-men werden muß? Zieht man in Betracht, daß die subjektive Bewertung des eigenen Lebens von existentieller Bedeutung f¨ur den Menschen – f¨ur die Aufrechterhaltung von Identit¨at und Selbstwert, f¨ur die notwendige Selbstverortung im sozialen Gef¨uge, f¨ur das Erkennen m¨oglicher Gef¨ahrdungen usw. – ist, so scheint die Annahme zwingend, daß Individuen sol-che Bewertungen fortgesetzt durchf¨uhren und folglich dann, wenn sie um ein explizites Urteil gebeten werden, bereits ¨uber ein solches verf¨ugen. Situationale Hinweisreize sollten somit, falls sie weder extreme Auff¨alligkeit besitzen (wie z.B. die in experimentellen Un-tersuchungssituationen gezielt manipulierten), noch die bisherige Bewertung grunds¨atzlich in Frage stellen (z.B. durch die unverhoffte Mitteilung eines hohen Lotteriegewinns), al-lenfalls moderierende Wirkung haben. Wenn also Menschen stets wissen, wie zufrieden sie ungef¨ahr sind, so w¨aren umfassende Neubewertungen schlicht unn¨otig und zu umst¨andlich.

Des weiteren k¨onnte man gegen das

”judgement model“ einwenden, daß darin affekti-ve Inferenz ausschließlich als Einfluß momentaner Stimmung konzipiert ist: Soll man etwa annehmen, daß das affektive Erleben eines Menschen in der Aneinanderreihung fl¨uchtiger Launen besteht, die jeweils im n¨achsten Moment wieder gel¨oscht und aus dem Ged¨achtnis getilgt werden? Wenn man davon ausgeht, daß Personen Urteile ¨uber habituelles affektives Wohlbefinden bilden, so erscheint es nicht konsequent, das affektive Erleben des Individu-ums ausschließlich auf den Aspekt der momentanen Stimmung zu reduzieren.

Veenhoven (1996, 34) formuliert unter Bezug auf die Theorie von Schwarz & Strack:

”A typical heuristic seems to involve departing from the mood of the moment, which can be read quite vividly, and next considering how representative that mood is for general affecti-ve experience.“ Diese Sichtweise, welche mir in der Originalarbeit von Schwarz & Strack (1991) nicht unbedingt erkennbar scheint, wendet gewissermaßen das Prinzip des Zugriffs auf die einfachst verf¨ugbare Information auf die Generierung des Urteils ¨uber habituelles affektives Wohlbefinden an, es ist dabei allerdings nicht explizit gesagt, daß das einmal konstruierte affektive Wohlbefinden dann wiederum zur Generierung des Zufriedenheitsur-teils verwendet wird – genau dieses aber scheint Veenhoven zu meinen, wenn man die im vorherigen Unterkapitel 1.1.4.5 dargelegte Richtung der Argumentation, die er in seinem Artikel hinsichtlich der affektiven Inferenz vertritt, zugrundelegt und nicht mißinterpretiert.

Wenn aber die momentane Stimmung die einfachst zug¨angliche Information ist, wieso soll-te dann bei der Generierung des Zufriedenheitsursoll-teils nicht direkt auf diese zugegriffen

werden, sondern sie nur indirekt ¨uber den

”Umweg“ des habituellen affektiven Wohlbefin-dens einfließen? Eine Antwort im Sinne von Schwarz & Strack k¨onnte in der Ber¨ucksich-tigung des informellen Werts dieser Informationen liegen: Die Annahme scheint plausibel, daß der habituelle Aspekt des affektiven Erlebens gr¨oßeren Informationsgehalt zur Bildung von Zufriedenheitsurteilen besitzt, als die bloß augenblickliche Stimmungslage. Allerdings beinh¨alt diese Sichtweise die Vorstellung, daß zur einfachstm¨oglichen Bildung eines Zu-friedenheitsurteils auf ein Urteil ¨uber habituelles Wohlbefinden zugegriffen wird, welches ja auch erst generiert oder zumindest wieder abgerufen werden muß, und daß es sich somit bei dieser

”vorgeschalteten“ Generierung bzw. diesem Abruf immer noch um einen weniger komplexen Informationsverabeitungsprozeß handelt, als bei der kognitiven Verrechung ob-jektiver Information. Dieses k¨onnte tats¨achlich aus der oben dargestellten Affektfrequenz-theorie begr¨undet werden, gem¨aß der ja habituelles affektives Wohlbefinden auf einfachste Weise ausschließlich aufgrund leicht verf¨ugbarer H¨aufigkeitsinformation entsteht.

Es scheint diesbez¨uglich aber auch eine Sichtweise m¨oglich, die im Rahmen des von Schwarz & Strack vorgelegten Modells Selbsteinsch¨atzungen des habituellen affektiven Wohlbefindens als m¨ogliche Quelle affektiver Inferenzen ber¨ucksichtigt, ohne daß die-ser Theorierahmen noch durch die explizite Zusatzannahme eines

”Umwegs“ in der Ver-arbeitung momentaner Stimmungsinformation erg¨anzt werden m¨ußte: Der Stimmungsbe-griff kann auch so verstanden werden, daß damit sozusagen die jeweils momentan aktuelle Selbstwahrnehmung eigenen Affekterlebens gemeint ist, welche dann jeweils mehr oder weniger stark von dem ¨uber einen l¨angeren Zeitabschnitt hinweg aggregierten habituel-len Affekterleben abweichen kann. M¨oglicherweise k¨onnen aktuell durchlebte spezifische Emotionen hoher Intensit¨at, die nur durch bestimmte situationale Reizkonfigurationen in-duziert werden, das momentane Affekterleben g¨anzlich dominieren, w¨ahrend in Situationen

”geringer Emotionalit¨at“ die Person Selbstausk¨unfte bzw. Selbstwahrnehmungen des eige-nen Affekterlebens eher auf dem habituellen Aspekt begr¨undet. Dieses w¨urde dann bedeu-ten, daß z.B. eine Person am Ende eines

”guten Tages“ auch bei geringf¨ugiger momentaner Verstimmung noch durchaus zu einer insgesamt positiven Einsch¨atzung ihrer Befindlich-keit gelangen kann, wogegen eine unverhoffte intensive Verstimmung den Blick auf die vorherigen positiven Erlebnisse tr¨ubt bzw. soviel Selbstaufmerksamkeit beansprucht, daß vorherige positive Affekte f¨ur den Augenblick nicht mehr wahrgenommen werden.

” Stim-mung“ k¨onnte somit also auch habituelles affektives Wohlbefinden enthalten.

Wie auch immer man den Stimmungsbegriff konzeptualisiert, der darin enthaltene Fo-kus darf nicht mit affektiver Instabilit¨at bzw. mit den instabilen Anteilen an den Affektreak-tionen eines Individuums verwechselt werden — dieses ist mit Blick auf die oben umrissene trait-orientierte Thematisierung intraindividueller Stabilit¨at gerade der affektiven Wohlbe-findenskomponente ausdr¨ucklich hervorzuheben. In dem Maße, in dem Affektreaktionen auf zeitlich invarianten Pers¨onlichkeitskomponenten beruhen, wird sich in diesen auch Sta-bilit¨at zeigen und werden folglich auch die momentanen Stimmungen einer Person relativ stabil sein.

Ungeachtet der konzeptuellen Fragen hinsichtlich des inhaltlichen Umfangs der von Schwarz & Strack (1991) gemeinten Stimmungseinfl¨usse besitzt deren Modell seine be-sondere Relevanz als Fundament f¨ur eine Theorie affektiver Inferenz in Zufriedenheitsur-teilen und hat als solches, wie bereits gesagt, auch großen Einfluß auf die weitere Zufrie-denheitsforschung genommen. Dieser besteht zum einen in dem, was oben als als Prinzip des einfachstm¨oglichen Urteils bezeichnet wurde, und zum anderen in der daraus abgelei-teten Annahme, daß Urteile zur allgemeinen Lebenszufriedenheit v.a. aufgrund affektiver Inferenzen gebildet werden, w¨ahrend Bereichszufriedenheiten eher durch kognitive Ver-rechnung von Information ¨uber objektive Lebensumst¨ande gebildet werden d¨urften. Ganz allgemein l¨aßt sich aus dem Modell von Schwarz & Strack ableiten, daß bei der Beurteilung von (bereichsspezifischer oder allgemeiner) Zufriedenheit sowohl affektive Inferenzen, als auch kognitive Verrechnungen objektiver Informationen beteiligt sind und daß sich das Mi-schungsverh¨altnis der beiden Elemente aus der jeweiligen Verf¨ugbarkeit und dem informel-len Wert affektiver bzw. objektiver Vergleichsinformation ergibt (vgl. diesbez¨uglich auch:

Fox & Kahneman, 1991).

Outline

ÄHNLICHE DOKUMENTE