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Das Zufriedenheitsparadox des h¨oheren Lebensalters

1.2 Zufriedenheit im h¨oheren Lebensalter: Stabilit¨at trotz Verlust?trotz Verlust?

1.2.1 Das Zufriedenheitsparadox des h¨oheren Lebensalters

Betrachtet man Forschungsbefunde zum

”quantitativen“ Zusammenhang zwischen Alter und Zufriedenheit, so zeigt sich ein ¨uberraschendes Bild: In nahezu allen Studien der letz-ten drei Dekaden wurden bis weit ins hohe Erwachsenenalter hinein keine eindeutigen und deutlichen Zusammenh¨ange zwischen Zufriedenheitsindikatoren und Lebensalter bzw., wenn ¨uberhaupt, eine leichte Zunahme in den h¨oheren Altersgruppen im Vergleich zu J¨ungeren gefunden (siehe z.B. Perrig-Chiello et al., 1996; Smith et al., 1996; Horley &

Lavery, 1995; Herzog & Rodgers, 1981; Larson, 1978; siehe v.a. auch Ergebnisse großan-gelegter internationaler Surveys bei: Diener & Suh, 1997; Inglehart, 1990; Butt & Beiser, 1987; Veenhoven, 1984). Dagegen konstatierte noch Wilson (1967) aufgrund der Ergeb-nisse ¨alterer Untersuchungen eine alterskorrelierte Abnahme von Lebenszufriedenheit, die seither nur noch vereinzelt und wenn, dann nur als sehr schwacher Zusammenhang gefun-den wurde (z.B. Doyle & Forehand, 1984).

Es kann also gesagt werden, daß – auch unter unterschiedlichen sozialen und kul-turellen Bedingungen – zumindest w¨ahrend der letzten Dekaden alte Menschen sich im Durchschnitt nicht unzufriedener mit ihrem Leben zeigten, als Menschen aus j¨ungeren Al-tersgruppen, und dieses Ergebnis entsprach nicht den Erwartungen, die vorwissenschaftlich und zum Teil auch in der Alternsforschung bez¨uglich dieses Zusammenhangs bestanden.

Demnach n¨amlich sollte ganz allgemein das SWB ¨alterer Menschen sich auf niedrigerem Niveau befinden, als dasjenige J¨ungerer, da das hohe Alter sowohl gem¨aß eines weitverbrei-teten negativen Stereotyps, als auch erfahrungswissenschaftlich belegt eine krisenbehaftete Lebensphase ist, die mit erh¨ohter Morbidit¨at und in der Regel mit Funktionseinbußen und Verlusten im sozialen und psychologischen Bereich verbunden ist (entsprechende empi-rische Befunde z.B. bei: Mayer & Baltes, 1996) – und dieses im Kontrast zum vorange-gangenen mittleren Erwachsenenalter, f¨ur welches eine besonders g¨unstige Konstellation psychosozialer, ¨okonomischer und gesundheitlicher Bedingungen charakteristisch scheint (Mirowski & Ross, 1999). Zudem scheint die in den letzten Jahrzehnten erreichte Verbes-serung der gesundheitlichen Versorgung (zumindest in den entwickelten Industrienationen) zu einer zunehmenden Verschiebung des Krankheitsgeschehens ins h¨ohere Erwachsenen-alter, d.h. zu einer zunehmenden Konzentration schwerer Erkrankungen auf die sp¨ateren Lebensphasen gef¨uhrt zu haben, so daß Hochaltrigkeit mehr denn je durch eine sozusagen relative H¨aufung gesundheitlicher Probleme (im Vergleich zum mittleren Erwachsenenal-ter) gekennzeichnet ist (Fries, 1991; Albarede et al., 1993, 183-217: Kapitel IV). So ist f¨ur Brandtst¨adter & Rothermund (1998) H¨oheraltrigkeit v.a. durch den Verlust von gesundheit-lichen (h¨ohere Inzidenz chronisch-degenerativer Erkrankungen, h¨ohere Multimorbidit¨at), sozialen (Rollenverluste, Verluste von Interaktionspartnern und Interaktionsgelegenheiten) und lebenszeitlichen (weniger verf¨ugbare Restlebenszeit) Handlungsressourcen gepr¨agt, d.h. durch eine von den ¨Alteren h¨aufig erlebte und berichtete Diskrepanz zwischen Hand-lungszielen und Handlungsm¨oglichkeiten:

”Solche Diskrepanzerlebnisse verweisen darauf, daß die Einschr¨ankung von Handlungsressourcen als zentrales Problem des Alterns erlebt

wird“ (ebd., 224).

Alle diese Umst¨ande sprechen also daf¨ur, daß eigentlich bei ¨alteren Menschen eine Reduktion des SWB stattfinden und folglich ein Abfall der Zufriedenheitswerte ¨uber das h¨ohere Lebensalter hinweg beobachtbar sein sollte. Zudem wurde verschiedentlich argu-mentiert, daß zudem das dementsprechende Altersbild selbst hier verst¨arkend in diese Rich-tung in der Art einer self-fullfilling prophecy wirken sollte:

”Das allgemeine Stereotyp des hohen Alters ist jedoch negativ. Dies legt die Vermutung nahe, daß es f¨ur alte Menschen sozial akzeptabler ist, eingeschr¨anktes Wohlbefinden anzugeben, und daß m¨oglicherweise der soziale Druck der Norm

’mein Leben ist sch¨on‘ zu entsprechen, nicht so stark wie im j¨ungeren Alter empfunden wird“ (Smith et al., 1996, 500). Zwar widersprechen neuere Stu-dien der hier behaupteten Dominanz eines einseitig negativen Stereotyps (zum ¨Uberblick vgl. Filipp & Mayer, 1999) bzw. scheinen sie zu belegen, daß es dann, wenn es als soziale Repr¨asentation existiert, oft individuell nicht ¨ubernommen wird (z.B. Heckhausen & Brim, 1997). Jedoch k¨onnte mit Blick auf die hier eigentlich angesprochene soziale Erw¨unschtheit des Antwortverhaltens immer noch argumentiert werden, daß die Vermutung eines allge-mein vorhandenen, wenn auch selbst nicht geteilten negativen Altersbildes eine in der oben zitierten Weise von positiven normativen Verzerrungen befreite Angabe von Zufriedenheit erlaubt.

Befunde zu affektiven Wohlbefindenskomponenten im h¨oheren Lebensalter ¨ahneln de-nen zur Lebenszufriedenheit nur teilweise: Diener & Suh (1997) fanden im Altersgruppen-vergleich stabile Durchschnittswerte in den negativen, nicht jedoch in den positiven Af-fekten, bei denen sich erwartungsgem¨aß mit h¨oherem Alter niedrigere Durchschnittswerte zeigten. Dieses Ergebnis konnten Kunzmann et al. (2000) mit Daten aus der Berliner Al-tersstudie (BASE, vgl. Mayer & Baltes, 1996) best¨atigen. Beide Untersuchungen beruhen auf den Konstrukten zweier unabh¨angiger Affektdimensionen, die vorne bereits diskutiert wurden (Kapitel 1.1): Es wurde dort bez¨uglich der wohlbefindenstheoretischen Bedeutung dieser Dimensionen der Standpunkt vertreten, daß sie nicht prinzipiell mit habituellem af-fektiven Wohlbefinden gleichzusetzen sind. Denn die Konstruktion der Habitualit¨at setzt irgendeine Verrechnung des affektiven Erlebens voraus und es sind divergierende theoreti-sche Standpunkte ¨uber den Modus dieser Verrechnung m¨oglich. Beispielsweise ist gem¨aß der vorne dargestellten Affektfrequenztheorie des habituellen affektiven Wohlbefindens nur eine teilweise inhaltliche ¨Uberschneidung desselben mit den beiden Affektdimensionen an-zunehmen, da letztere als wie auch immer erfragte Frequenzen bestimmter diskret wahr-genommener und intensiver Emotionen konzipiert sind, w¨ahrend die Affektfrequenztheo-rie letztlich auf die Verrechnung ¨uber die Zeit hinweg kontinuierlicher affektiver T¨onung, unah¨angig von Inhalt und Intensit¨at, begr¨undet ist. Konsequenterweise w¨are dann aus den berichteten Ergebnissen auch kein eindeutiges Fazit abzuleiten was die Stabilit¨at des nach der Affektfrequenztheorie konzipierten durchschnittlichen habituellen affektiven Wohlbe-findens in h¨oheren Lebensaltersgruppen anbelangt. Solange die konzeptionelle Beziehung zwischen diesen Affektdimensionen und dem, was als habituelles affektives SWB

bezeich-net werden kann, nicht ganz eindeutig gekl¨art ist, kann m.E. also keine Schlußfolgerung

¨uber die Stabilit¨at des letzteren aus Befunden zur Stabilit¨at ersterer abgeleitet werden und sollten diese Befunde als das benannt werden was sie sind: N¨amlich solche zur Stabilit¨at der Frequenz negativer bzw. positiver Emotionen.

Der Umstand, daß entgegen entsprechender Erwartungen Menschen in h¨oheren Al-tersgruppen im Durchschnitt mit ihrem Leben nicht unzufriedener sind (und sich m¨ogli-cherweise auch nicht deutlich schlechter f¨uhlen), als J¨ungere, wird in der gerontologischen Literatur vielfach als Zufriedenheits- oder Wohlbefindensparadox des h¨oheren Lebensalters bezeichnet (z.B. Baltes & Baltes, 1990; Brandtst¨adter & Greve, 1992; 1994; Kunzmann et al., 2000; Staudinger, 2000). Ob diese Begriffswahl die Sache zutreffend bezeichnet, kann bezweifelt werden, denn

”paradox“ im Sinne einer logischen Widerspr¨uchlichkeit ist die Nicht¨ubereinstimmung der f¨ur das h¨ohere Alter typischen Entwicklungen der objektiven Lebensqualit¨at und des SWB eigentlich nicht. Jedoch zeigt der Begriff sozusagen das ge-rontologische Erstaunen ¨uber dieses Ph¨anomen: Warum nur sind alte Leute zufrieden, wenn sie guten Grund zur Unzufriedenheit h¨atten? Die Beantwortung dieser Frage ist, wie vorne schon gesagt wurde, von großer gerontologischer Relevanz: W¨urde das SWB ¨alterer Men-schen weitestgehend

”reaktiv“ den gesundheitlichen und sozialen Ver¨anderungen folgen, die im h¨oheren Alter in der Regel stattfinden, so w¨are der Rahmen dessen, was geronto-logische Forschung ¨uberhaupt praktisch bewirken kann, eher eng gesteckt. Denn es m¨ußte dann ja eine Verschlechterung des SWB in dieser Lebensphase prinzipiell vorausgesetzt werden, da nun einmal gewisse gesundheitliche, soziale und auch psychische Einbußen im hohen Alter unvermeidlich sind. Die Suche nach positiven Interventionsm¨oglichkeiten, mit denen Alternsprozesse verbessert werden k¨onnten, erhielte damit sozusagen einen defen-siven Charakter – es k¨onnte dabei eigentlich nur um eine zumindest teilweise Vermeidung oder Hinausz¨ogerung altersbedingter Verluste gehen und es w¨are dadurch schlußendlich ein Altersmodell impliziert, welches Altern in erster Linie mit Abbau und herannahendem Tod gleichsetzt und eigentlich nur als Phase objektiv und subjektiv schwindender Lebensqua-lit¨at begreifen kann. Das sogenannte Wohlbefindensparadox enth¨alt somit gewissermaßen eine frohe Botschaft: Alte Menschen k¨onnen sich m¨oglicherweise auch dann noch (subjek-tiv) wohl befinden, wenn sich ihre objektiven Lebensumst¨ande verschlechtern. Der Geron-tologie selbst wurde damit ein interessantes Forschungsfeld zur Erkl¨arung des Paradoxes er¨offnet: Das Wissen darum, weshalb und unter welchen Bedingungen alte Menschen Le-benszufriedenheit (und m¨oglicherweise auch affektives Wohlbefinden) bei alterstypischen Verlusten aufrechterhalten k¨onnen, kann z.B. die Grundlage f¨ur gerontologische Interven-tionsstrategien sein, die auf eine St¨arkung dieser

”Zufriedenheitskompetenz“ im h¨oheren Lebensalter abzielen.

H¨aufig wird nun in den Ver¨offentlichungen zu diesem Thema das Zufriedenheitspara-dox begrifflich und konzeptuell mit Stabilit¨at der Zufriedenheit im h¨oheren Alter gleichge-setzt, beispielsweise auch durch die Bezeichnung als

”stability-despite-loss paradox“ (z.B.

Kunzmann et al., 2000). Tats¨achlich zeigen die oben beschriebenen Befunde im – meist

querschnittlichen – Altersgruppenvergleich durchschnittlicher Zufriedenheitsmaße ja eine große Stabilit¨at derselben bei den H¨oheraltrigen. Es kann jedoch daraus nicht ohne wei-teres eine intraindividuelle Merkmalsstabilit¨at von Zufriedenheit bei alten Menschen ab-geleitet werden, vielmehr ist letztere nur eine von mehreren M¨oglichkeiten zur Erkl¨arung solcher

”querschnittlicher“ Mittelwertsstabilit¨at. Eine eingehendere Untersuchung der Fra-ge, inwieweit SWB im h¨oheren Alter

”stabil aufrechterhalten“ wird, setzt zwingend die Erfassung intraindividueller Ver¨anderung des fraglichen Merkmals und d.h. l¨angsschnittli-che Untersuchungsdesigns voraus. Soll¨angsschnittli-che l¨angsschnittlil¨angsschnittli-chen Untersuchungen jedoch sind eher rar ges¨at – ein Mangel, der bereits von Kozma & Stones (1978) und j¨ungerer Vergan-genheit auch in den Reviews von Diener & Suh (1997) und Diener et al. (1999) beklagt wurde.

Die l¨angsschnittliche Untersuchung des Ausmaßes intraindivdueller Ver¨anderung von Zufriedenheit im h¨oheren Alter kann also als Grundanforderung jeglicher wissenschaftli-cher Auseinandersetzung mit dem sogenannten Zufriedenheitsparadox angesehen werden und es ist zu konstatieren, daß diese Anforderung zumindest auf den ersten Blick bislang nur bruchst¨uckhaft erf¨ullt scheint. Ein zweiter Blick aber erscheint angesichts der Rele-vanz solcher l¨angsschnittlicher Befunde gerade auch f¨ur die hier im folgenden noch darge-stellte Untersuchung geboten, n¨amlich v.a. auf die wenigen existierenden gerontologischen L¨angsschnittstudien bzw. auf die dort m¨oglicherweise auch nur am Rande berichteten dies-bez¨uglichen Ergebnisse.

1.2.2 L¨angsschnittliche Untersuchungen zum Zusammenhang von

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