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5.1 Telematische Prognose der Verletzungsintensität

5.2.1 Typische Verletzungsmuster, pathophysiologische Zustände

Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass die meisten bei Verkehrsunfällen schwerverletzten Personen (MAIS 3 bis 5) schwere knöcherne Verletzungen am Bein (41%), schwere innere Brustkorbverletzungen (29%), schwere Schädel-Hirn-Verletzun-gen (29%) und schwere knöcherne VerletzunSchädel-Hirn-Verletzun-gen am Arm (11%) aufweisen. Ein ähnli-ches Verletzungsmuster ergibt sich bei der Auswertung von 2.812 Datensätzen der Notarzteinsatzprotokolle (MIND) aus Hamburg, Göttingen und Rügen durch Schmiedel

über alle traumatologischen Notfälle. Im Gegensatz zur Auswertung der GIDAS-Daten-bank, in der ausschließlich Verkehrsunfälle erfasst sind, liegen allerdings Thoraxverlet-zungen seltener (15%) vor [Schmiedel2002]. Dies kann dadurch erklärt werden, dass Verletzungen des Brustkorbes insbesondere bei Verkehrsunfällen mit Frontal- und Sei-tenkollisionen infolge von Intrusionen in den Fahrgastinnenraum verursacht werden und deshalb bei Verkehrsunfällen im Vergleich zu den gesamten traumatologischen Notfäl-len häufiger vertreten sind [Zador1993, Richter2001]. In der Studie von Schmiedel wurde auch der Erstbefund der Notärzte bezüglich Bewusstseinslage und Atmung der Verletzten ausgewertet. Insgesamt 40% der Verletzten wiesen ein Beeinträchtigung der Bewusstseinslage auf. Bei 28% lag eine Bewusstseinsstörung vor und 12% waren bewusstlos. Eine Atemstörung wurde bei 12% und eine Apnoe bei 6% dokumentiert.

Der Anteil der Personen mit einer Beeinträchtigung der Bewusstseinslage deckt sich recht gut mit den Ergebnissen der eigenen Auswertung. In der GIDAS-Datenbank wur-den jedoch deutlich weniger Personen mit Atemstörungen (6%) erfasst, obwohl der Anteil der Thoraxverletzungen wesentlich höher liegt.

Zur Frage der indizierten und der von Laien tatsächlich durchgeführten Erste-Hilfe-Maßnahmen liegen in der Literatur relativ wenig Untersuchungen vor. Die erste umfas-sende Untersuchung wurde von Bartsch et al. im Großraum Bonn durchgeführt [Bartsch1989]. Bei 500 Notfällen aller Art (16% traumatologische Notfälle) haben Not-ärzte die Qualität der Erste-Hilfe-Leistung von Laien beurteilt. Es wurde dabei jedoch nicht nach unterschiedlichen Maßnahmen differenziert. Eine ähnliche Studie wurde im Raum Marburg von Donner-Banzhoff et al. durchgeführt [Donner1999]. Sie evaluierten 1.150 Notfälle aller Art, erfassten die Anwesenheit von Erst-Helfern und beurteilten die Qualität einzelner Maßnahmen. Die umfassendste und detaillierteste Untersuchung zu diesem Thema erfolgte im Rahmen einer prospektiven 2-Center-Studie in Wien und Mainz [Mauritz2003, Thierbach2004]. Bei 2.812 Notarzteinsätzen mit traumatologi-schen Notfällen wurde von Mauritz et al. die Indikation von Erste-Hilfe-Maßnahmen sowie die Qualität der Durchführung der Maßnahmen erfasst und ausgewertet. Bei 17%

der Notarzteinsätze war die Unfallursache ein Verkehrsunfall. In allen genannten Stu-dien wurde das gesamte Spektrum von unterschiedlichsten Unfallursachen betrachtet, so dass die Ergebnisse nur eingeschränkt auf Straßenverkehrsunfälle übertragen werden können. Aus der Literatur sind keine Studien bekannt, mit denen die Indikation und Durchführung von Erste-Hilfe-Maßnahmen ausschließlich bei Straßenverkehrsunfällen untersucht wurde.

Die Erhebung der indizierten Maßnahmen erfolgte in allen Studien mittels eines Fra-gebogens, der von Notärzten oder Rettungsassistenten bzw. -sanitätern nach dem Ein-satz ausgefüllt wurde. In der vorliegenden Untersuchung wurde die Erfassung der indizierten Maßnahmen aus methodischen Gründen nicht direkt durch die Beurteilung

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der Situation am Unfallort, sondern retrospektiv aufgrund der vorliegenden Verletzun-gen sowie des pathophysiologischen Zustandes67 der Unfallopfer durchgeführt. Diese Vorgehensweise musste gewählt werden, da in der genutzten Unfalldatenbank keine Informationen über die indizierten Erste-Hilfe-Maßnahmen enthalten sind. Vorteilhaft an dieser Vorgehensweise ist, dass ein breites Spektrum an Erste-Hilfe-Maßnahmen berücksichtigt werden kann und die Zuordnung der Indikation von Maßnahmen nach einem festgelegten Kriterienkatalog erfolgt. Schwierigkeiten treten jedoch bei der Beur-teilung der Indikation von Erste-Hilfe-Maßnahmen auf, wenn aufgrund mehrerer Verlet-zungen unterschiedliche Maßnahmen erforderlich sind, die sich gegenseitig widersprechen (z.B. stabile Seitenlage versus Schocklage). Um dieses Problem zu lösen wurden Entscheidungsregeln definiert. Da die Maßnahmen aus den retrospektiv in der Klinik erfassten Verletzungen der Unfallopfer abgeleitet wurden, kann nicht davon aus-gegangen werden, dass alle indizierten Maßnahmen an der Unfallstelle für einen Arzt oder einen Laien erkennbar gewesen wären. Dieser Aspekt führt tendenziell zu einer Überschätzung der Indikationen. Zusätzlich zu der Beurteilung der Indikation einer Maßnahme, wie sie auch bei Mauritz et al., Donner-Banzhoff et al. und Bartsch et al.

erfolgte, wurde in der eigenen Untersuchung die Bedeutung einer Maßnahme für die Sicherung der Vitalfunktionen bewertet.

Als häufigste lebensrettende Laienmaßnahmen für schwerverletzte Personen wurden die Basisdiagnostik (Schockzeichen prüfen und Vitalfunktionen überwachen bei 96%

der schwerverletzten Personen), Atemwege freimachen (53%), Wundverband Bein (43%) und Kopf (31%) sowie die Schocklagerung (41%) und die stabile Seitenlage (20%) identifiziert. Die Basisdiagnostik wurde leider in keiner anderen Studie als Lai-enmaßnahme erfasst, obwohl sie von jedem Erst-Helfer bei traumatologischen Notfällen als Erstes durchgeführt werden sollte [Handley2001]. Donner-Banzhoff et al. haben die Basisdiagnostik nur als mögliche Maßnahme für Rettungspersonal und Ärzte, die vor dem Eintreffen eines Notarztes am Unfallort anwesend waren, vorgesehen. Die Indika-tion der Basisdiagnostik wurde in ihrer Untersuchung beim Rettungspersonal in 67%

und bei Ärzten in 94% der Fälle positiv beurteilt. Bei Mauritz et al. waren die am häu-figsten indizierten Maßnahmen: Verband anlegen (in 26% der Fälle), Lagerung (24%), Blutstillung (18%) und Sicherung der Unfallstelle (16%). In der Studie von Donner-Banzhoff et al. waren es: Lagerung (78%), Immobilisation (14%), Medikation (8%) und Atemwege freihalten (8%). Aufgrund der unterschiedlichen Definition der Maß-nahmen und des unterschiedlichen Anteils an lebensbedrohlich verletzten Personen in

67Aus methodischen Gründen wurde in den genutzten Unfalldatenbanken der pathophysiologi-sche Zustand nur zum Zeitpunkt des Eintreffens der Rettungskräfte am Unfallort erfasst. Da der Zustand im Zeitverlauf nicht konstant ist, wird auch die Indikation von Erste-Hilfe-Maß-nahmen einer Änderung unterliegen. Dieser Effekt konnte in der Untersuchung nicht berück-sichtigt werden.

den Studien (Mauritz et al.: 2%, Donner-Banzhoff et al: 47%, eigene Untersuchung:

32%) ist eine Vergleichbarkeit der Studien untereinander bezüglich der indizierten Maßnahmen nur eingeschränkt möglich. Die Sicherung der Unfallstelle wurde in der eigenen Untersuchung als Maßnahme nicht berücksichtigt, da sie bei Straßenverkehrs-unfällen nahezu in jedem Fall erforderlich ist und noch vor der Versorgung eines Unfallopfers durchgeführt werden sollte [Buchfelder1999, Handley2001]. Die kardio-pulmonale Reanimation war bei 6% der schwerverletzten Personen indiziert. Dieser Wert deckt sich mit den Ergebnissen der Bonner Studie, in die auch ein ähnlich hoher Anteil an schwerverletzten Personen einbezogen wurde. Wie bereits dargestellt, darf durch die relativ seltene Indikation die Bedeutung dieser Maßnahme nicht unterschätzt werden, da sie für das Unfallopfer die nahezu einzige Überleneschance bietet [Gallagher1995, Callies2000].