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5.1 Telematische Prognose der Verletzungsintensität

5.2.4 Nutzen der Laienhilfe und möglicher Nutzen des

Nachdem die Anforderungen an einen telemedizinischen Notfallkoffer untersucht und diskutiert wurden, stellt sich die Frage, welcher Nutzen durch die telemedizinische Unterstützung von Laien bei Erste-Hilfe-Maßnahmen nach Straßenverkehrsunfällen erzielt werden kann. Die Quantifizierung dieses Nutzens ist eine Grundvoraussetzung für die Durchführung gesundheitsökonomischer Evaluationen, die die Bildung eines Verhältnisses zwischen dem erzielbaren Nutzen des Systems und den Kosten für die Einführung und den Betrieb ermöglichen [Schöffski2002]. Im Vergleich mit

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ven Maßnahmen (z.B. Insassenschutzmaßnahmen) zur Reduzierung der Anzahl der getöteten und verletzten Personen nach Straßenverkehrsunfällen (vgl. Abb. 1) können damit Anhaltspunkte für politisch-strategische Entscheidungen über die flächende-ckende Einführung eines Telemedizinsystems gewonnen werden. Parallel zu dieser Arbeit wurde von Auerbach eine Kosten-Wirksamkeits-Analyse für das hier konzipierte Telemedizinsystem durchgeführt [Auerbach2005]. Als Grundlage für die Kosten-Wirk-samkeits-Analyse wurde im Rahmen dieser Arbeit der Nutzen der Erste-Hilfe-Maßnah-men von Laien nach Straßenverkehrsunfällen untersucht.

Für die Ermittlung des Nutzens müssen prinzipiell zwei Effekte berücksichtigt wer-den: Die Verfügbarkeit des Telemedizinsystems wird zum einen die Hilfsbereitschaft entsprechend den Ergebnissen der Voruntersuchung erhöhen und zum anderen eine Stei-gerung der Qualität und der Effektivität der Maßnahmen ermöglichen. Beide Effekte werden einen Einfluss auf die Letalität und die Rehabilitationsprognose nach Straßen-verkehrsunfällen ausüben. Da in der zur Verfügung stehenden empirischen Datengrund-lage die Qualität der Maßnahmen nicht bewertet wurde, konnte nur der generelle Einfluss von Erste-Hilfe-Maßnahmen, unabhängig von der Effizienz, untersucht wer-den. Als Outcome-Parameter wurde die Letalität gewählt, da alle anderen möglichen Parameter (z.B. Behandlungsdauer) nicht oder nur unvollständig erfasst wurden.

Die multivariate logistische Regressionsanalyse zeigt, dass von Laien durchgeführte Erste-Hilfe-Maßnahmen unabhängig von ihrer Qualität einen signifikanten Einfluss auf die Überlebenswahrscheinlichkeit von schwerverletzten Personen ausüben (OR=3,2;

95% CI: 1,196 - 8,790; p<0,03). In der Literatur konnten keine Studien gefunden wer-den, in denen der Einfluss von Laienhilfe auf die Überlebenswahrscheinlichkeit von traumatisierten Patienten analysiert wurde [Dick2003A]. In mehreren Studien wurde jedoch der Einfluss von Laienreanimationen bei kardiologischen Notfällen auf die Überlebenswahrscheinlichkeit untersucht [Gallagher1995, Wik1994, Hoeyweghen1993]. Gallagher et al. betrachteten diesen Zusammenhang in New York City an 2.071 Herzkreislaufstillständen und nutzten als Analyseverfahren auch die logistische Regression. Der Anteil der Überlebenden in der Gruppe mit Laienreanima-tion lag signifikant höher als in der Gruppe ohne LaienreanimaLaienreanima-tion. Der odds ratio für die Laienreanimation betrug OR=3,7 (95% CI: 1,7 - 8,8; p<0,001). Dieses Ergebnis deckt sich recht gut mit dem der eigenen Untersuchung, obwohl erhebliche Unter-schiede im Studiendesign und in der Art der Notfälle (kardiologische versus traumatolo-gische Notfälle) vorliegen. Gallagher et al. konnten - im Gegensatz zur eigenen Untersuchung - noch einen Schritt weitergehen und zwischen richtig (effektiv) und falsch (ineffektiv) durchgeführer Herz-Lungen-Wiederbelebung differenzieren. Für effektive Reanimationen durch Laien lag in ihrer Studie der odds ratio bei OR=5,7 (95% CI: 2,7 - 12,2; p<0,001).

Der in der eigenen Untersuchung ermittelte Effekt-Koeffizient (odds ratio) ermög-licht zunächst nicht, eine generelle Aussage über die Erhöhung der Überlebenswahr-scheinlichkeit nach Straßenverkehrsunfällen zu treffen, wie sie für die gesundheitsökonomische Evaluation benötigt wird. Der Koeffizient gibt Auskunft, um welchen Faktor sich das Wahrscheinlichkeitsverhältnis zwischen Überleben und Sterben statistisch ändert, wenn Erste-Hilfe geleistet wird. Durch Anwendung des logistischen Regressionsmodells auf die zugrundeliegenden Fälle wurde unter der Annahme, dass in allen Fällen Laienhilfe geleistet wird, die Änderung der Überlebenswahrscheinlichkeit bestimmt. Mit dieser idealtypischen Annahme ergab sich in der betrachteten Gruppe von schwerverletzten Personen eine Steigerung der durchschnittlichen Überlebenswahr-scheinlichkeit um 1,6%. Hochgerechnet auf das Unfallgeschehen in Deutschland, würde 243 Personen pro Jahr das Leben gerettet werden können. Die getroffene Annahme ist allerdings unrealistisch, weil nicht davon auszugehen ist, dass bei allen Unfällen ein Laie, der durch die Verfügbarkeit eines telemedizinischen Notfallkoffers zur Erste-Hilfe-Leistung motiviert werden kann, anwesend ist.

Bei der durchgeführten Abschätzung blieb der zweite oben erwähnte Effekt unbe-rücksichtigt. Durch den Einsatz des Telemedizinsystems wird die Qualität und damit die Effizienz der Erste-Hilfe-Maßnahmen gesteigert. Dieser Effekt wurde durch Studien zur Telefonreanimation bestätigt und bereits diskutiert. Wie stark die Qualität steigen wird und welche Auswirkungen dies auf die Überlebenswahrscheinlichkeit hat, wurde noch nicht untersucht. Wird wieder auf die Studie von Gallagher et al. zurückgegriffen und ihr Effekt-Koeffizient (OR=5,7) für eine effizient durchgeführte Herz-Lungen-Wieder-belebung durch Laien als Anhaltspunkt für eine mögliche Qualitätsverbesserung der Maßnahmen herangezogen, kann eine weitere Abschätzung durchgeführt werden. Es wird dafür die Annahme getroffen, dass in den Fällen, in den Laien Erste-Hilfe leisten, eine Effizienz erzielt wird, die der von Gallagher et al. beobachteten entspricht. Wird das logistische Regressionsmodell mit einem entsprechend angepassten Regressionsko-effizienten für die Variable Erste-Hilfe (B=-1,740) auf alle ausgewerteten Fälle ange-wendet, fällt die durchschnittliche Letalität in der ausgewerteten Gruppe von verletzten Personen gegenüber dem Status Quo um 3,7% auf 17,1% ab. Dies entspricht einer Reduzierung der getöteten in der Gruppe der MAIS 3 bis 5 verletzten Personen um 17,7% und bezogen auf alle getöteten Personen um 8,6%. Hochgerechnet auf das Unfallgeschehen in Deutschland, würde 573 Personen pro Jahr das Leben gerettet wer-den können.

Die durchgeführte Nutzenberechnung für den flächendeckenden Einsatz eines tele-medizinischen Notfallkoffers stellt nur eine Abschätzung dar. Um weitere Anhalts-punkte zu gewinnen, wird wieder auf den Vorschlag zur Durchführung von Simulationsstudien mit einem Prototypen des Systems verwiesen. Eine endgültige

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heit über den Nutzen des Systems wird erst erzielt werden können, wenn das System in der Praxis eingesetzt wird.

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