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1.3 Voruntersuchung: Einfluss einer telemedizinischen Unterstützung

1.3.3 Methodik der Voruntersuchung

Zur Durchführung der Untersuchung wurden Personen aus dem Großraum Berlin aufgefordert, ihre spontane Hilfsbereitschaft einzuschätzen, nachdem sie zwei unter-schiedliche Unfallszenarien mit schwerverletzten Personen geschildert bekamen. Sie sollten sich jeweils vorstellen, dass sie am Unfallort anwesend sind, bevor der Rettungs-dienst eintrifft. Im ersten Szenario stand den anwesenden Personen am Unfallort als Hilfsmittel nur der in PKWs gesetzlich vorgeschriebene Verbandskasten zur Verfügung.

Im zweiten Szenario sollten sich die Befragten vorstellen, dass sie einen telemedizini-schen Notfallkoffer (TNK) nutzen können. Dabei handelt es sich um einen erweiterten Verbandskasten, über den der Unfallhelfer eine direkte Verbindung (mit Bild- und Tonü-bertragung) zu einem Arzt in einem Call-Center aufnehmen kann, der ihn bei der Durchführung der richtigen Erste-Hilfe-Maßnahmen anleitet.

Die Personen wurden neben der Einschätzung ihrer spontanen Hilfsbereitschaft nach Faktoren befragt, die Einfluss auf das Hilfeverhalten ausüben können. Auf diesem Weg wurde analysiert, welche die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Hilfsbereitschaft im dargestellten Szenario sind und wie sich ihre Ausprägungen bei der Verfügbarkeit eines telemedizinischen Notfallkoffers verändern. Die in die Befragung aufgenommenen Ein-flussfaktoren wurden auf der Grundlage der Literaturanalyse festgelegt.

Für die Befragung wurde eine vollstandardisierte Variante gewählt, die in Form eines Fragebogens mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten operationalisiert wurde. Zur

Ver-30Wenn ein Unfallopfer als unschuldig angesehen wird, wird ihm viel eher geholfen, als wenn es den Unfall selber verschuldet hat [Batson1998].

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ringerung des potentiellen Einflusses von sozialer Erwünschtheit erfolgte die Befragung schriftlich, um externe Effekte durch Geschlecht, Erwartungen und Verhalten des Inter-viewers auszuschließen. Der Fragebogen wurde den Teilnehmern schriftlich und als Online-Fragebogen (Software GrafStat31) zur Verfügung gestellt. Die Anonymität der Befragung wurde gewährleistet.

Der Fragebogen stand zwischen Ende Dezember 2004 und Anfang Januar 2005 ins-gesamt drei Wochen online zur Verfügung. Gleichzeitig wurde er als Druckversion mit Rücksendeumschlag an Freiwillige verteilt, die in Einkaufszentren, in der Universität oder über eine Pressemitteilung geworben wurden.

Fragebogenaufbau

Der Fragebogen war in neun Abschnitte unterteilt: (A) Ausbildung im Bereich Erste-Hilfe, (B) Einschätzung der eigenen Erste-Hilfe-Fähigkeiten, (C) Erfahrungen in Not-fallsituationen, (D) Allgemeine Einschätzung zur Hilfeleistung, (E) Einschätzung des Verhaltens nach einem Straßenverkehrsunfall - Szenario ohne TNK, (F) Einschätzung des Verhaltens nach einem Straßenverkehrsunfall - Szenario mit TNK und (G) Angaben zur Person.

Das Unfallszenario wurde wie folgt beschrieben, um eine einheitliche Urteilsgrund-lage für die Befragung zu schaffen:

Sie sind tagsüber in einem Auto unterwegs. Auf einer sonst unbefahrenen Landstraße beobachten Sie, wie ein Auto ins Schleudern kommt und in den Straßengraben fährt. Es befindet sich eine verletzte Person im verunglück-ten Fahrzeug. Die Person blutet stark am Bein und ist bewusstlos.

Um die Veränderung der Hilfsbereitschaft durch den Einsatz eines telemedizinischen Notfallkoffers zu erfragen (Szenario mit TNK), wurde folgende Beschreibung gegeben:

Die Charité - Universitätsmedizin Berlin arbeitet an einem Forschungspro-jekt zur Entwicklung eines Notfallsystems (telemedizinischer Notfallkoffer) zur Unterstützung von Unfallhelfern bei der Durchführung von Erste-Hilfe-Maßnahmen nach Straßenverkehrsunfällen vor dem Eintreffen des Ret-tungsdienstes. Bei dem telemedizinischen Notfallkoffer handelt es sich um einen erweiterten Verbandskasten, über den Unfallhelfer eine direkte Ver-bindung (Bild- und Tonübertragung) mit einem Arzt in einem Call-Center aufnehmen können, der sie bei der Durchführung der richtigen Erste-Hilfe-Maßnahmen anleitet. Stellen Sie sich nun bitte vor, Ihnen steht der

teleme-31GrafStat Ausgabe 2004, Version 2.97, http://www.grafstat.de

dizinische Notfallkoffer in der oben beschriebenen Unfallsituation zur Ver-fügung.

Für jede Frage wurden Alternativantworten oder 6-stufige bipolare Rating-Skalen vorgegeben. Die Erfassung der Altersangaben sowie der Zeit seit der letzten Erste-Hilfe-Ausbildung erfolgte über eine offene Frage. Durch einen Vorabtest wurde gewähr-leistet, dass die Fragen verständlich und eindeutig sind.

Statistische Auswertung

Die Datenauswertung erfolgte mit der Statistiksoftware SPSS. Die Alternativantwor-ten wurden in binären Variablen mit einer dichotomen Kodierung (nein=0, ja =1), die Antworten auf Rating-Skalen in metrischen Variablen erfasst. Die metrische Interpreta-tion der Rating-Skalen ist vor dem Hintergrund der Untersuchung von Binting in der vorliegenden Situation möglich [Binting1980].

Für die Auswertung wurde zur Messung der Hilfsbereitschaft eine neue Variable (Hilfsbereitschaft) gebildet, die dem Mittelwert aus zwei anderen Variablen entspricht.

Diese Vorgehensweise wurde gewählt, da aufgrund von Effekten der sozialen Erwünschtheit eine Verzerrung der Angaben auf die direkte Frage nach der Einschät-zung der eigenen Hilfsbereitschaft zu erwarten ist. Die erste Variable - auf einer Ratings-Skala erhoben - entspricht den Antworten auf die direkte Frage nach der Bereit-schaft zur Durchführung von Erste-Hilfe-Maßnahmen. Die zweite Variable - auch auf einer Ratings-Skala erhoben - enthält die Negation der Antworten auf die Frage nach dem Unterlassen von Erste-Hilfe-Leistungen.

Für die Auswertung der Daten wurden zunächst eine bivariate und anschließend eine multivariate Analyse durchgeführt. Für die bivariate Analyse wurden die Korrelations-koeffizienten nach Pearson zwischen den untersuchten Einflussfaktoren und der Vari-able Hilfsbereitschaft (bzw. Steigerung der Hilfsbereitschaft) berechnet. Die multivariate Analyse wurde mit Hilfe der linearen Regression mit den Einflussfaktoren als Regressoren (unabhängige Variablen) und der abhängigen Variable Hilfsbereitschaft (bzw. Steigerung der Hilfsbereitschaft) durchgeführt. Die Auswahl der unabhängigen Variablen, die in das multivariate Modell zur Erklärung der abhängigen Variable aufge-nommen wurden, erfolgte mit der SPSS-Funktion (Stepwise) zur automatischen Modell-suche, die mit Signifikanztests schrittweise über die Aufnahme weiterer Regressoren in das Modell entscheidet.

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