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5.1 Telematische Prognose der Verletzungsintensität

5.2.3 Funktionen des telemedizinischen Notfallkoffers

Für die Entwicklung des telemedizinischen Notfallkoffers stellt sich die Frage, wel-che Funktionen zur Unterstützung von Laien bei der Versorgung von verletzten Perso-nen bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes erforderlich sind. Zur Beantwortung dieser Frage wurde die Bedeutung von 11 vorgegebenen Grundfunktionen, mit denen Laien

bei der Erkennung der Indikation und bei der Durchführung von Erste-Hilfe-Maßnah-men angeleitet werden können, evaluiert. Die ermittelten indizierten MaßnahErste-Hilfe-Maßnah-men nach Straßenverkehrsunfällen bildeten die Grundlage für die Untersuchung der Relevanz der einzelnen Funktionen.

Die Audiokommunikation zwischen dem Erst-Helfer und dem telemedizinischen Call Center sowie die Messung und Übertragung der Herzrate und des Blutdrucks wur-den als wichtigste Funktionen eingestuft. Die Audiokommunikation mit einem medizi-nisch geschulten Experten ist die einfachste und wichtigste Voraussetzung für eine telemedizinische Anleitung von Laien und hat sich bereits in der Praxis im Bereich der Telefonreanimation als effizient erwiesen [Rea2001, Dörges2001, Culley1991, Kellermann1989, Eisenberg1985]. Die alleinige Kommunikation ist dafür allerdings nicht ausreichend. Gut evaluierte Protokolle bzw. Algorithmen, die den Experten im Call Center einen Leitfaden geben, um den Laien in kurzer Zeit zu instruieren, sind erforderlich. Im Bereich der kardiopulmonalen Reanimation wurde bereits eine Vielzahl von Algorithmen entwickelt und getestet [Rufan2005, Carter1984]. Für die Versorgung von traumatologischen Notfällen müssen entsprechende Algorithmen, die den gesam-ten Ablauf der präklinischen Erstversorgung durch Laien abdecken, noch entwickelt und evaluiert werden.

Die Überprüfung der Vitalfunktionen ist die erste und wichtigste Maßnahme, die ein Laie bei einer verletzten Person durchführen muss. Daraus leiten sich die weiteren Maß-nahmen ab, die durchzuführen sind [Handley2001]. Wie bereits dargestellt, haben Laien allerdings erhebliche Schwierigkeiten bei der Atem- und Pulskontrolle [Bahr1997, Reith1999]. In den meisten Reanimationsrichtlinien stellte die Prüfung des Karotispul-ses das wichtigste Kriterium für die Erkennung eines Herz-Kreislauf-Stillstandes dar.

Für die Kontrolle des Pulses sollten die Laien maximal 10 Sekunden benötigen. Meh-rere Studien zeigten allerdings, dass Laien eine längere Zeitspanne brauchen, um das Vorhandensein des Pulses sicher zu beurteilen. Auch bei einer verlängerten Palpations-zeit kommt es zu einer signifikanten Anzahl von Fehldiagnosen [Bahr1997, Eberle1996, Mather1996]. Aus diesem Grund wurde für unerfahrene Laienhelfer die Pulskontrolle zur Prüfung der Kreislaufzeichen aus der Leitlinie für einfache lebensrettende Sofort-maßnahmen des European Resuscitation Council herausgenommen und die Kontrolle der Vitalfunktionen auf die alleinige Beurteilung des Bewusstseinszustandes und der Atmung beschränkt [Dick2002B].

Bei dem Einsatz des Telemedizinsystems kann diese Problematik durch die Nutzung biomedizinischer Sensoren, die eine kontinuierliche Überwachung des Vitalstatus der verletzten Person durch Experten im medizinischen Call Center ermöglichen, gelöst werden. In der professionellen Notfallrettung ist der Einsatz von Sensoren zur Kontrolle

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von Vitalparametern und zur Überwachung von Therapiemaßnahmen bereits zu einer Selbstverständlichkeit geworden [Thierbach2003]. Neuartige Technologien machen es möglich, die wichtigsten Vitalparameter (Herzrate und Blutdruck) mit einem Multi-Sen-sor-Armband automatisch und kostengünstig zu messen und zur Auswertung in ein medizinisches Call Center zu übertragen [Ahmad2004, IIS2004]. Für das Anlegen eines derartigen Armbandes wird ein Laie weniger Zeit benötigen als für die einmalige Atem-oder Pulskontrolle. Gleichzeitig wird ein valideres und kontinuierliches Monitoring der verletzten Person ermöglicht.

Die Integration von Sensor-Modulen in den TNK, die die Ableitung eines 1-Kanal EKG, die Messung der partiellen Sauerstoffsättigung und der Pulsfrequenz im arteriel-len Blutfluss ermöglichen, wurde in fast alarteriel-len Fälarteriel-len als wichtig oder hilfreich beurteilt.

Diese Funktionsmodule wurden aber weniger wichtig bewertet, als die Messung der Herzrate und des Blutdrucks. Die Auswertung des EKG durch einen Experten im Call Center bietet zwar bei kardiologischen Notfällen die Möglichkeit einen Herzinfarkt zu diagnostizieren [Burger2003], doch liegt diese Art von Notfällen bei Verkehrsunfällen eher selten vor. Die Pulsoximetrie zur Messung der partiellen Sauerstoffsättigung und der Pulsfrequenz ist ein Verfahren, das prinzipiell einfach anzuwenden ist und eine Überwachung der Atemfunktion ermöglicht. Die Bedeutung dieser Funktion für die Lai-enunterstützung wurde jedoch in den meisten Fällen nur als hilfreich bewertet, da das Verfahren bei Störungen der Mikrozirkulation - wie im Schock oder bei hypothermen Patienten - nur eine unzuverlässige Messgenauigkeit bietet [Thierbach2003].

Zur Anleitung von Laien bei der Durchführung der komplexeren Maßnahmen wur-den schematische Abbildungen, die auf dem Display des TNK vom Call Center einge-blendet werden können, als eine sehr wichtige Funktion bewertet. Es wurde dabei angenommen, dass Laien durch Abbildungen schneller und präziser instruiert werden können als durch sprachliche Beschreibungen und sich besser an bereits gelernte Maß-nahmen erinnern können. Zur Gestaltung der Benutzeroberfläche und der Anleitungsal-gorithmen sind weitere Untersuchungen erforderlich.

Die Übertragung von Videosequenzen und Standbildern von der Unfallstelle in das medizinische Call Center wurde in nahezu allen untersuchten Fällen als wichtige Ergän-zung zur Audiokommunikation eingestuft. Bilder können dem Experten im Call Center einen detaillierten Eindruck von der Unfallsituation und der verletzten Person vermit-teln [Genzwürker2002]. Ob Videosequenzen, Standbilder oder Kombinationen einen besseren Eindruck vermitteln können, wird durch Simulationen oder im Praxiseinsatz geklärt werden müssen. Für die Entscheidung werden neben der technisch verfügbaren Bandbreite im Mobilfunknetz zur Übermittlung der Daten in das Call Center praktische Aspekte wie die Kameraführung und die Beleuchtung eine bedeutende Rolle spielen.

In den TNK könnte auch eine Funktionskomponente zur automatischen externen Defibrillation integriert werden. Eine Reihe von Studien hat gezeigt, dass bei einem Herz-Kreislaufstillstand aufgrund von Kammerflimmern oder tachykarden Rhythmus-störungen durch eine rasche Defibrillation eine signifikante Verbesserung der Überle-benswahrscheinlichkeit erzielt werden kann [Lackner2001, Schnoor2003, Böttiger2003, Valenzuela2000]. Derartige Notfälle treten allerdings nach Straßenverkehrsunfällen sel-ten auf. Gegen die Integration dieser Funktionskomponente sprechen auch die hohen Herstellungskosten und die erforderliche Ausbildung von Laien, die eine korrekte Anwendung der automatischen externen Defibrillatoren in Notfallsituationen gewähr-leistet [Schlechtriemen2003].

Zur Bestimmung der Relevanz der möglichen Grundfunktionen des telemedizini-schen Notfallkoffers wurde in der Untersuchung von einem Arzt beurteilt, wie wichtig eine Funktion für die Unterstützung eines Laien bei der Erkennung der Indikation und bei der Durchführung einer Maßnahme gewesen wäre. Auf der Grundlage dieses Ratings und der Indikationshäufigkeit der Erste-Hilfe-Maßnahmen nach Straßenver-kehrsunfällen wurde anschließend die Relevanz für jede Funktion berechnet. Diese Vor-gehensweise zeigte eine Schwäche: Die Einschätzung der Bedeutung der einzelnen Funktionen für die Unterstützung eines Laien beruht nur auf der Einschätzung eines Arztes und steht damit nicht auf einer breiten empirischen Basis. Um belastbare Aussa-gen über die beste Funktionsausstattung und -ausgestaltung des telemedizinischen Not-fallkoffers treffen zu können, müsste die Einschätzung von mehreren Ärzten und durch Simulationsstudien abgesichert werden. Dies ist allerdings erst möglich, wenn ein Pro-totyp des Systems mit ausgewählten Grundfunktionen vorliegt. Für die Konstruktion eines Prototypen des telemedizinischen Notfallkoffers und die Planung der Simulations-studien liefert die vorliegende Untersuchung mit der Häufigkeit der indizierten Erste-Hilfe-Maßnahmen nach Straßenverkehrsunfällen und der Abschätzung der Relevanz der einzelnen Funktionen eine wichtige Basis.

5.2.4 Nutzen der Laienhilfe und möglicher Nutzen des