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2.2 Nationale und internationale Berichterstattungssysteme

2.2.3 Sozialberichterstattung

2.2.3.5 Themenfelder und Berichtsformen

Sozialberichterstattung wird systematisch danach unterschieden, auf welche regionale/sozialräumliche Ebene sie sich bezieht, wie umfassend oder spezifisch sie ausgerichtet ist (z.B. ausgewählte Themen oder Bevölkerungsgruppen) und wer sie betreibt. Die Differenzierung ist im Einzelnen der Abbildung 2.2.5 zu entnehmen.

Seit den 70er Jahren wurde in der Bundesrepublik Deutschland begonnen, eine systematische Sozialberichterstattung auf nationaler Ebene zu etablieren. Berichte der Bundesregierung der letzten Jahre waren z.B. der Familienbericht, der Kinder- und Jugendbericht, der Sozialbericht, der Erste und Zweite Armuts- und Reichtumsbericht und der Bericht zur Lage der älteren Generation.109 Der Sozialbericht der Bundesregierung wird jährlich vorgelegt, er enthält im Teil A einen Überblick über Maßnahmen und Vorhaben der Gesellschafts- und Sozialpolitik (z.B. Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik, soziale Aspekte der Bildungspolitik, Schwerpunkte der Rentenreform, Finanz- und Beitragssatzentwicklung in der gesetzlichen Krankenversicherung, europäische Sozialpolitik) und im Teil B eine differenzierte Aufschlüsselung des Sozialbudgets. Die genannten anderen (Ressort)Berichte werden einmal je Legislaturperiode vorgelegt.

Sozialberichte werden auch von Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden herausgegeben, hierzu gehört der im Jahr 2000 veröffentlichte „Bericht über Armut und Ungleichheit in Deutschland“ von der Hans-Böckler-Stiftung, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband. Berichte dieser Interessenvertreter gehen häufig sehr kritisch mit den Berichten der Bundesregierung um, sie werfen ihnen eine Unterschätzung des wahren Ausmaßes der Ungleichheit und die unzureichend differenzierte Analyse für die einzelnen Risikogruppen vor.110

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wie Schweden, Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden ist der Grad der Institutionalisierung niedrig.

Sozialberichterstattung wird in Deutschland durch eine Vielzahl von Akteuren, Konzepten und Berichtsformen geprägt. Im Ergebnis entstehen Berichte mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen und mit unterschiedlichen inhaltlichen Akzenten.111 Die SBE der Länder ist in der Regel in einem Referat der Abteilung Soziales angesiedelt und dort nach Ergebnissen einer Umfrage im Jahr 2001 mit 1 bis 4 Stellen unterlegt. Parlamentarische Aufträge zur SBE werden entweder von Projektgruppen der Ministerien selbst erstellt, häufig erfolgt durch diese jedoch eine Koordinierung der an Externe – Institute, wissenschaftliche Einrichtungen ((Fach-)Hochschulen, Universitäten) – vergebenen Aufträge. Auf externen Sachverstand wird vor allem zurückgegriffen, wenn es um die Auswertung des Sozio-ökonomischen Panels, der Einkommens- und

109 BMFSFJ (1995), (2001b) und (2002); BMAS (2001) und (2002); BMGS (2005): Der Zweite Armuts- und Reichtumsbericht verwendet für den europäischen Vergleich die zwischen den EU-Mitgliedern vereinbarten „Laeken-Indikatoren“ (2005:42, 262-269)

110 Hanesch/Krause/Bäcker (2000)

111 Noll (1997:9)

Verbrauchsstichprobe oder anderer großer Datenmengen bzw. der Umsetzung des Lebenslagenkonzeptes geht.112

Abbildung 2.2.5: Typologie Sozialberichterstattung

(Quelle: nach Noll (1997:7); eigene Darstellung)

112 SenArbSozFrau (2001)

Ebene der BE

International National Regional Kommunal

Amtlich

Nicht-amtlich Akteure der BE

Statistische Ämter, Ministerien, Verwaltung

Wissenschaftliche Institute, Verbände

Ebene der BE

International National Regional Kommunal

Amtlich

Nicht-amtlich Akteure der BE

Statistische Ämter, Ministerien, Verwaltung

Wissenschaftliche Institute, Verbände

Typ der BE

Umfassend, bereichsübergreifend

speziell

Lebens-/Politikbereiche Bevölkerungsgruppen Problembereiche

Gesundheit Bildung Familie Umwelt

Kinder/Jugendliche Ältere Menschen

Frauen/Männer Migranten Obdachlose

Armut Sozialhilfebezug

Behinderung Gewalt Prostitution

Typ der BE

Umfassend, bereichsübergreifend

speziell

Lebens-/Politikbereiche Bevölkerungsgruppen Problembereiche

Gesundheit Bildung Familie Umwelt

Kinder/Jugendliche Ältere Menschen

Frauen/Männer Migranten Obdachlose

Armut Sozialhilfebezug

Behinderung Gewalt Prostitution

Sozialberichte werden - unterstützt durch das 2001 von der Europäischen Kommission vorgelegte Grünbuch mit dem Titel „Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung von Unternehmen“ – zunehmend auch von Unternehmen erstellt. Da eine Verankerung in den nationalen Gesetzen der Länder noch fehlt, sind die Inhalte und deren Differenzierungen sehr unterschiedlich, häufig berichten sie über die Entwicklung der Beschäftigungszahlen und spezielle Personalentwicklungsprojekte. Dargestellt werden soll die soziale Verantwortung der Unternehmen (Corporate Social Responsibility – CSR) durch Berichte über die konkreten Arbeitsbedingungen (incl. der Arbeitsgefährdungen), Einhaltung der Arbeitszeiten, Verzicht auf Kinderarbeit und Abschaffung der Diskriminierung am Arbeitsplatz. Auf europäischer Ebene werden derzeit Standards für die von den Unternehmen freiwillig einzuhaltenden Verhaltensnormen und ihre Darstellung in der Berichterstattung erarbeitet.113

Nachfolgend soll die Sozialberichtslandschaft seit Anfang der 1990er Jahre auf der Ebene der Länder und Kommunen näher betrachtet werden.

Die Idealform eines allumfassenden, bereichsübergreifenden Sozialberichts bildet die Lebensbedingungen der Bevölkerung ab, beschreibt und analysiert systematisch sowohl den Zustand als auch die Veränderung unter Berücksichtigung objektiver und subjektiver Kriterien. Der Bericht sollte soziale Risikofaktoren und Risikogruppen ebenso wie soziale Potentiale im sozialräumlichen Vergleich darstellen und analysieren, und er muss Handlungspotentiale aufzeigen. Dies sind wissenschaftstheoretische Forderungen und Forderung der Öffentlichkeit, wie in den vorangegangenen Abschnitten dargestellt wurde.

Die Berichte der Länder und Kommunen decken dieses Spektrum selten ab. Inhalte, Datengrundlagen und Darstellungsformen sind sehr unterschiedlich, hier zeigen sich fehlende Standards für die Berichterstattung bezüglich Themenfelder und Indikatoren – beispielhaft sollen dafür die Berichte aus Bayern, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Berlin, Bremen, Frankfurt, Sachsen-Anhalt genannt sein.114

In den Sozialberichten der Länder und Kommunen werden vor allem amtliche Daten aufgearbeitet. Entsprechend dem Ressourcenkonzept werden Einkommensdaten, Sozialhilfebezug, Arbeitslosigkeit, Wohnraumversorgung und Verschuldung differenziert nach Risikogruppen (z.B. Alleinerziehende, kinderreiche Familien, Ausländerinnen und Ausländer, Obdachlose, ältere Menschen) dargestellt und teilweise auch sozialräumlich diskutiert. Viele Berichte enthalten auch qualitative Ergebnisse, die aus Institutionenbefragungen (z.B. Jugend- und Sozialamt) und Betroffenenbefragungen gewonnen werden. Die qualitative Orientierung der Berichte erfordert einen hohen Arbeitsaufwand und Ressourceneinsatz. Hier gilt es neben den Betroffenen auch Akteure und Schlüsselpersonen einzubeziehen: von Armut betroffene Menschen, MitarbeiterInnen in den Ämtern und Trägern der freien Wohlfahrt sowie VertreterInnen von Verbänden,

113 Angerler et al. (2003)

114 SMASFFG (1999); LGA (2003) Anmerkung: Bericht zur sozialen Lage enthält nur Tabellen;

MASSKS (1999); Bartelheimer (1997); Podszuweit/Schütte (1997); Meinlschmidt (2004);

Arbeitnehmerkammer (2004); MGS (2003)

Gewerkschaften, Vereinen und Initiativen, die eine Lobbyfunktion für Menschen in sozial problematischen Situationen wahrnehmen.115

Berichte auf kommunaler Ebene haben durch Kleinräumigkeit eine neue Art der Problemwahrnehmung geschaffen, sie haben den Zugang zu sonst komplexen sozialpolitischen Zusammenhängen vereinfacht.

Die Beobachtungsebenen kommunaler SBE sind:

Überblick über allgemeine gesellschaftliche Strukturen und Prozesse (z.B.

ökonomische Entwicklungen, Individualisierung, Wertewandel)

stadtteilbezogene Berichte über die soziale Lage und Milieus in bestimmten Stadtteilen (Stadtteilanalyse)

zielgruppenorientierte Berichte über die soziale Lage bestimmter sozialer Gruppen und Kategorien (Obdachlose, ältere Menschen, Alleinerziehende)

handlungsfeldorientierte Berichte über Entwicklungstendenzen und Konzepte in bestimmten sozialen Politikfeldern (Kindertagesstätten, Wohnungspolitik, Perspektiven der Altenhilfe), wobei diese Art der Berichterstattung häufig konzeptionelle Elemente enthält und damit nach der in dieser Arbeit gewählten Systematik bereits der Sozialplanung zugerechnet werden muss.

Gemeinsam ist allen Berichten die Darstellung und Beschreibung der Armutsformen, einige decken Ursachen von Armut und Unterversorgung auf, aber nur wenige (z.B.

Frankfurt, NRW) geben Handlungsempfehlungen für die fachliche und fachpolitische Sozialplanung.

Konflikte zwischen den Herausgebern der Berichte und den Nutzern entstehen häufig durch unterschiedliche Vorstellungen darüber, was ein „Sozialbericht“ ist. Einerseits gibt es die Berichterstattung der verschiedenen Ressorts (Bildung, Arbeit, Gesundheit u.s.w), die einen mehr oder weniger vollständigen Überblick über den Bereich - z.B. Gesundheit über die gesundheitliche Lage, das Gesundheitsverhalten, personelle und strukturelle Ressourcen, Finanzierung und Kosten, politische Rahmenbedingungen – geben. In einen Sozialbericht fließen aus den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft folgende Fragestellungen ein: Wie hoch ist der Anteil der Personen mit niedriger Bildung? Welche Auswirkungen hat dies auf die Beteiligung am Erwerbsleben, das Einkommen, den Gesundheitszustand? Unterscheidet sich der Gesundheitszustand der verschiedenen sozialen Schichten? Gibt es besondere Risikogruppen? Gibt es Unterschiede in der Lebenserwartung? Ein Sozialbericht muss die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche

115 Rohde (2001:93)

zusammenführen und Bevölkerungsgruppen, Regionen mit besonderen Potentialen aber auch Deprivationsrisiken aufdecken.116