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2.2 Nationale und internationale Berichterstattungssysteme

2.2.3 Sozialberichterstattung

2.2.4.1 Definition von Gesundheit und Krankheit aus unterschiedlichen Perspektiven

Herzinfarkt, Diabetes und Krankheiten des Bewegungsapparates zu verursachen. Die Gesundheitsauffassung ändert sich auch in Verbindung mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln in unserem Kulturkreis zu jeder Zeit für jedermann – ebenso wie Schönheitsideale. Gesundheit ist geprägt von Werten, sozioökonomischen und soziokulturellen Gegebenheiten.

Im Folgenden werden die verschiedenen gegenwärtig diskutierten Auffassungen über Gesundheit und Krankheit sowie die Entwicklung der Gesundheitsberichterstattung in Deutschland dargestellt.

2.2.4.1 Definition von Gesundheit und Krankheit aus unterschiedlichen

Zivilisationskrankheiten chronisch-degenerative Erkrankungen, die sich in der Grauzone zwischen Gesund und Krank befinden. Zum anderen wächst die Bedeutung der psycho-somatischen Gesundheit/Krankheit auf Grundlage der Kommunikation des Menschen mit anderen und seiner Rolle als soziales Wesen. Im Ergebnis der Rationalitätssteigerung der sozialen Systeme entstehen Temposteigerung, funktionale Spezialisierung, Zeitmangel und Anonymität, die auf Dauer zu einer Störung der Balance des Menschen und damit zu Krankheit führen. Ausdruck für die Anpassung des Gesundheitswesens an die veränderten Bedingungen zur Gesunderhaltung bzw. Wiederherstellung der Gesundheit ist die Zunahme der Berufsgruppen der Psychologen, der psychologischen Psychotherapeuten und der Heilpraktiker mit ganzheitlichem Gesundheitsverständnis zu Lasten des klassischen Berufs der Ärzte. Verstärkt wird damit die soziale Krankheitsbekämpfung im Gegensatz zur organischen. Zur Abbildung der über die naturwissenschaftlich begründbare Gesundheit/Krankheit hinausgehenden Wechselwirkungen zwischen den Menschen und der Gesellschaft – Kommunikationsprozesse in den sozialen Systemen Familie, Schule, Arbeit usw. – wird zur Differenzierung der Aktivitäten des Gesundheitssystems der Code lebensförderlich-lebenshinderlich empfohlen. An diesem Code können gleichzeitig alle anderen sozialen Bereiche gemessen werden.131

Gesundheit und Krankheit lassen sich aus unterschiedlichen Perspektiven, von Schumacher und Brähler als unterschiedliche Bezugssysteme bezeichnet, beschreiben:132 Für die betroffene Person rückt das subjektive Erleben und Befinden in den

Mittelpunkt. Gemessen werden diese Erfahrungen mit den Konzepten „Subjektive Gesundheit“, „Gesundheitsbezogene Lebensqualität“ und „Wohlbefinden“ häufig in Ergänzung zu objektiven medizinischen Befunden und epidemiologischen Daten. Die gesundheitsbezogene Lebensqualität umfasst neben der psychischen Verfassung auch erkrankungsbedingte körperliche Beschwerden sowie Funktionseinschränkungen. Zu den zur Messung häufig eingesetzten Instrumenten zählen der SF-36-Fragebogen zum Gesundheitszustand und der Quality of Life-Fragebogen der WHO. Häufig lassen sich zwischen subjektiv geschilderten Beschwerden und objektiven, medizinisch nachweisbaren somatischen Befunden keine oder nur sehr geringe Zusammenhänge nachweisen.

Aus Sicht der Medizin als Wissens- und Handlungssystem wird vom Arzt eine sichere Diagnose und eine möglichst eindeutige Unterscheidung zwischen Gesundheit und Krankheit erwartet. Evidenzbasiertes Wissen, überlieferte Erfahrungen der Medizin und ein persönliches Erfahrungswissen nutzt der Arzt um eine möglichst sichere ärztliche Diagnose zu stellen. Krankheiten werden überwiegend als Normabweichungen verstanden. Neben der medizinischen Befunderhebung sollte der Arzt auch eine Sozialanamnese durchführen, die sich auf konkrete Lebensbedingungen des Kranken bezieht.

131 Bauch (1996:78-81)

132 Schumacher/Brähler (2003:1-23)

Entsprechend der Übereinstimmung von objektivem Befund und subjektiven Beschwerden lassen sich verschiedene Typologien von Personen charakterisieren. Die Übereinstimmung zwischen objektiver und subjektiver Komponente entspricht den Erwartungen eines organmedizinischen Krankheitsmodells. Organische Befunde bei Personen, die sich subjektiv wohl fühlen („Kranke Gesunde“) werden zufällig (z.B.

bei Reihenuntersuchungen) gefunden. Diese Gruppe ist aus medizinischer Sicht problematisch, da die Gefahr besteht, dass Erkrankungen erst zu einem Zeitpunkt diagnostiziert werden, zu dem eine effektive Behandlung oder Heilung nicht mehr möglich ist. Aus medizinischer Sicht problematisch sind auch die „Gesunden Kranken“, Personen für deren subjektive Beschwerden sich keine eindeutigen körperlichen Ursachen finden lassen. Der Anteil von Personen mit derartigen somatoformen Störungen gemessen an allen Patienten, die wegen körperlicher Beschwerden einen Arzt aufsuchen, wird auf 20% geschätzt.

Gesundheit und Krankheit wird aus Sicht der Gesellschaft vor allem unter dem Aspekt der Leistungsfähigkeit betrachtet. Ein kranker Mensch ist auf verschiedene Hilfeleistungen – Krankschreibung, Krankengeld, Rentenzahlung usw. – angewiesen, die durch das Gesundheits- und Sozialversicherungssystem erbracht werden müssen.

Jede Gesellschaft entwickelt spezifische Vorstellungen zur Bewertung von Krankheit und Gesundheit. In Deutschland und anderen entwickelten Industriegesellschaften wird Krankheit negativ bewertet, gleichzeitig stellt „Gesundheit“ ein Grundrecht dar.

Das deutsche Sozialgesetzbuch definiert die Bewahrung, Verbesserung und Wiederherstellung der Gesundheit als primären Zweck des Gesundheitswesens. Die Gesellschaft erwartet vom Kranken und vom Gesunden ein entsprechendes soziales Verhalten: Der Kranke soll aktiv und kooperativ an der eigenen Wiedergenesung mitwirken, während der Gesunde sein individuelles Gesundheitsverhalten im Sinne der Krankheitsvermeidung gestalten soll.

In den letzten Jahren hat sich das Verständnis von Gesundheit und Krankheit stark gewandelt, ausdrücken lässt sich dies in der zunehmenden Abkehr vom Konzept der Pathogenese und dem damit stark verbundenen Risikofaktorenkonzept hin zur Salutogenese. Als Risikofaktoren gelten solche Merkmale, die (statistisch) eindeutig mit dem Auftreten von Krankheiten verbunden sind. Es können biologische Faktoren, Umweltbedingungen, soziale Beziehungen oder Verhaltensweisen wie z.B. Übergewicht, Bewegungsarmut, Alkoholmissbrauch, psychosozialer Stress oder Lärmbelästigungen sein. Seit den 1950er Jahren wurden in epidemiologischen Studien insbesondere bei der Erforschung koronarer Herzkrankheiten diese Zusammenhänge festgestellt. Allerdings führen diese Risikofaktoren nicht zwangsläufig zu Erkrankungen wie den Herzinfarkt.

D.h., es lässt sich keine eindeutige Ursache-Wirkung-Beziehung feststellen. Seit der WHO-Konferenz von Alma-Ata 1978 und dem dort verabschiedeten Programm

„Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000“ wurde das biomedizinische Risikofaktorenmodell zunehmend ergänzt durch Gesundheitsförderung als ein sozial-ökologisches Gesundheits- und Präventionsmodell. Wesentliche Impulse gehen vom amerikanischen Wissenschaftler Aaron Antonovsky aus, der sich mit der Entstehung von Gesundheit – Salutogenese (Salus, lat.: Unverletztheit, Heil, Glück; Genese, griech.: Entstehung) – und nicht mit der

Entstehung von Krankheit – Pathogenese – beschäftigt. In dem Salutogenesemodell Antonovskys ist das Kohärenzgefühl (lat.: zusammenhängend, zusammenhalten, Halt haben) die entscheidende Komponente für die Gesundheit jedes Menschen. Es besteht aus drei Komponenten: Verstehbarkeit (der Welt, Zusammenhänge begreifen), Handhabbarkeit (Vertrauen, aus eigener Kraft oder mit Unterstützung Lebensaufgaben zu meistern) und Sinnhaftigkeit (es gibt Ziele, Projekte, für die es sich zu engagieren lohnt).

Das Kohärenzgefühl entscheidet darüber, ob äußere Belastungen als bedrohlicher Stress oder als Herausforderung angesehen werden. Es wird besonders in Kindheit und Jugend geformt, lässt sich jedoch lebenslang entwickeln – ein gut entwickeltes Kohärenzgefühl versetzt die Menschen in die Lage, vorhandene Ressourcen zum Erhalt ihrer Gesundheit zu mobilisieren. Die Salutogenese geht von protektiven Faktoren aus, von personalen Ressourcen. Gesundheit kann immer wieder neu erhalten und erarbeitet werden, mit Prävention werden Maßnahmen zur Erhaltung vorhandener Fähigkeiten und Funktionen ergriffen, mit der Prophylaxe Anleitung zu gesundheitsförderndem Verhalten gegeben.133