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2.2 Nationale und internationale Berichterstattungssysteme

2.2.1 Definition und Funktionen der Berichterstattung

2.2.1.1 Gender-Problematik

Mit dem 1997 in Amsterdam verhandelten und am 1. Mai 1999 in Kraft getretenen Vertrag über die Europäische Gemeinschaft wurden in Weiterentwicklung des Maastrichter Vertrages (1992) konkrete Schritte vereinbart, um die Europäische Union (EU) bürgernäher zu gestalten und ihre politische Identität nach innen und außen sichtbarer zu machen.37 Der Vertrag verbessert den Grundrechtschutz der Bürgerinnen und Bürger der EU durch viele Einzelmaßnahmen und sieht gleichzeitig Sanktionsverfahren gegen Mitgliedsstaaten vor, die systematisch gegen die Menschenrechte und Grundfreiheiten – z.B. Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion, einer Behinderung oder des Alters - verstoßen.

In Art. 2 und 3, Abs. 2 wurde erstmals auf EU-Ebene die Gleichstellung von Männern und Frauen rechtlich festgeschrieben. Im Zusammenhang mit den sozialen Grundrechten

37 Vertrag von Amsterdam (1998)

werden im Art. 136 insbesondere die Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz gefordert. Dazu gehören gleichberechtigte Zugänge zu Schul- und Berufsbildung sowie auch die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgeltes für Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit (Art. 141). Zum Ausgleich bzw. der Verhinderung von Ungleichheiten sollen von den Mitgliedsländern für das unterrepräsentierte Geschlecht spezifische Vergünstigungen beibehalten oder beschlossen werden.

In der Bundesrepublik Deutschland enthält das Grundgesetz (Art. 3 Abs. 2, 3) die Verpflichtung des Staates für eine aktive und wirkungsvolle Gleichstellungspolitik.38 Abgeleitet davon enthalten viele Bundesgesetze – z.B. das SGB III zur Arbeitsförderung, konkretisiert durch das sog. Job-AQTIV-Gesetz mit den Schwerpunkten Aktivieren, Qualifizieren, Trainieren, Investieren und Vermitteln – rechtliche Festlegungen. Politische Unterstützung erhielt der Prozess der Gleichstellung von Frauen und Männern durch den Kabinettsbeschluss der Bundesregierung am 23. Juni 1999.39 Die Anerkennung der Gleichstellung wird als durchgängiges Leitmotiv für alle Politikfelder gefordert und soll mittels der Gender-Mainstreaming-Strategie gefördert werden. Im Nachgang dazu wurden auch in vielen Bundesländern (z.B. Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Berlin) Kabinettsbeschlüsse für die jeweilige Landespolitik getroffen.

Das soziale Geschlecht (engl. gender, im Gegensatz zu sex, dem biologischen Geschlecht), d.h. die gesellschaftlich, sozial und kulturell geprägten Geschlechterrollen von Frauen und Männern sollen fortan in Politik und Gesellschaft von vornherein und regelmäßig als zentrale Bestandteile bei allen Entscheidungen und Prozessen berücksichtigt werden. Diese als Gender-Mainstreaming-Ansätze bezeichneten Prinzipien klingen zunächst recht allgemein, sie wurden deshalb in unterschiedlicher Intensität, Verbindlichkeit und mit differenziertem inhaltlichem Verständnis umgesetzt. Die Überprüfung der Implementierung des Gender-Mainstreaming in den Strukturfonds-Programmplanungsdokumenten 2000-2006 der EU zeigt, dass die erfolgreiche Umsetzung eines dualen Ansatzes – die Geschlechtergleichstellung als Querschnittaufgabe bei allen Aktionen und Programmprioritäten zu berücksichtigen und gleichzeitig gezielte Maßnahmen zum Abbau geschlechtsspezifischer Benachteiligungen zu treffen – noch in den Anfängen steckt.40

Nachfolgend werden aufgrund der bislang geringen Implementierung von Gender Mainstreaming in die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft ausführlich die Instrumente und Methoden zur Umsetzung beschrieben und gleichzeitig die Verbindung zur Berichterstattung aufgezeigt.

Beginnend bei der Ausgangsanalyse muss die Geschlechterperspektive ein wesentliches Entscheidungskriterium für die Auswahl, Eignung und Qualität von Maßnahmen und Programmen sein. Ex-ante-Bewertungen müssen die Ausgangssituation, die Wirkungen

38 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (1949)

39 BMFSF (2004)

40 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2002a:11)

während und nach der Durchführung von Programmen aufzeigen. Grundlage dafür sind indikatorengestützte Berichterstattungssysteme.

Instrumente und Methoden zur Umsetzung von Gender-Mainstreaming:41

Analytische Instrumente und Methoden: Grundlage für die Analyse der Ausgangssituation und die Evaluation von Maßnahmen sind geschlechterdifferenzierte Statistiken und Analysen. Die systematische Aufschlüsselung der Daten nach dem Geschlecht ist Voraussetzung für die Erstellung von Gleichstellungsindikatoren42 und damit zugleich Voraussetzung für die Aufstellung quantifizierten Indikatoren und Zielvorgaben. Bislang nicht daten- und wissensgestützte Bereiche müssen durch Forschung und Datenerhebungen erschlossen werden.

Darüber hinaus sollten geschlechterdifferenzierte Checklisten und Gleichstellungsprüfungen zur systematischen Bewertung der geschlechtsspezifischen Auswirkungen aufgestellt werden. Diese enthalten Klassifizierungen der Maßnahmen nach ihrem Beitrag zur Gleichstellung: gleichstellungspositiv (Maßnahme ist gezielt auf die Verbesserung der Chancengleichheit von Frauen und Männern ausgerichtet – hohe Gender-Priorität), gleichstellungsorientiert (allgemeine Maßnahme, die zu den Gleichstellungszielen beitragen wird – mittlere Gender-Priorität) und gleichstellungsneutral (allgemeine Maßnahme, trägt zu keinem der Gleichstellungsziele bei – geringe oder keine Gender-Priorität).

Bildungsinstrumente und -methoden: Schulungen, auch Gender-Training genannt, sollten für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeboten werden, die an der Aufstellung, Implementierung und Evaluation von Maßnahmen, Programmen und Projekten beteiligt sind. Es gilt, die Instrumente für ein effektives Gender-Mainstreaming vorzustellen und den Nutzen der spezifischen Maßnahmen zur Förderung der Geschlechtergleichstellung zu verdeutlichen.

Weitere Methoden sind nachbetreuende Besprechungen und der Einsatz von mobilen Gender-Expertinnen und –Experten sowie die Erarbeitung und Bereitstellung von Unterrichtsmaterialien für Schulen und Schulungen.

Konsultationsinstrumente: Einrichtung von Lenkungs- und Steuerungsgruppen sowie Begleitausschüssen mit einer ausgewogenen Beteiligung von Frauen und Männern.

Die ausgewogene Beteiligung beider Geschlechter ist über die Benennung von je einem weiblichen und männlichen Mitglied in diesen Gremien oder über Quoten (z.B.

mindestens 40 % und höchstens 60 % Angehörige eines Geschlechts) möglich.

Darüber hinaus können regelmäßige Befragungen und Anhörungen von Organisationen und Institutionen, die sich mit Fragen der Chancengleichheit befassen, ein Feedback über die Relevanz und Wirksamkeit der Intervention geben und

41 Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2002a:10-20); Europäische Kommission

(2000a:14-42 16) Definition und Beispiele für Gleichstellungsindikatoren vgl. Abschnitt 3.1.2 Systematik und Typisierung von Indikatoren.

Verbesserungen in der Strategie zur Förderung der Chancengleichheit ermöglichen. Zu den Gender-Experten gehören staatliche Frauen- und Gleichstellungsstellen auf nationaler oder regionaler Ebene, Frauenorganisationen und –netzwerke, Frauen- und Gleichstellungsausschüsse der Gewerkschaften und Berufsverbände, Expertinnen und Experten für Statistiken sowie wissenschaftliche Einrichtungen, die sich gezielt mit Gleichstellungsfragen befassen.

Ein weiteres Instrument ist die Verbreitung von Informationen im Bereich der Geschlechtergleichstellung durch Vernetzung (Rundtischgespräche, Schaffung von Netzwerken für kommunale, nationale und internationale Kontakte) und Bereitstellung der Informationen (Verbreitung bewährter Verfahren in Form von Good-Practice-Leitfäden, Nutzung von Websites im Internet, Bereitstellung von Datenbanken).

Gender-Mainstreaming wird dadurch für eine breite Öffentlichkeit nachvollziehbar und kontrollierbar.

Die gesetzlich und politisch verankerte Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen der Gesellschaft erfordert eine regelmäßige Berichterstattung unter Heranziehung präziser Indikatoren. Grundlage sind geschlechterdifferenzierte Daten, mit deren Hilfe ökonomische, ökologische und soziale Maßnahmen, Programme und Projekte hinsichtlich ihrer Geschlechtergerechtigkeit analysiert und überprüft werden können.

Gleichstellungsindikatoren können vertikale und horizontale Segregation zwischen Frauen und Männern aufdecken und durch die Formulierung von Gleichstellungszielen Basis für den Abbau bzw. die Verhinderung von Disparitäten bilden.

Standards für die Berichterstattung wurden z.B. vom Robert Koch-Institut – zuständig für die Gesundheitsberichterstattung des Bundes – aufgestellt. Danach ist darauf zu achten, dass die Geschlechterperspektive bei allen Themen berücksichtigt wird und die dafür notwendigen Daten geschlechtsspezifisch dargestellt und analysiert werden. Die Unterschiede von Frauen und Männern hinsichtlich Gesundheit-Krankheit, ihre unterschiedlichen Arbeits- und Lebensbedingungen, die körperlich-biologischen Bedingungen, der Umgang mit Gesundheit-Krankheit und deren Potentialen und Risiken sowie die unterschiedliche Inanspruchnahme medizinischer und sozialer Leistungen und die unterschiedliche Versorgung durch die Professionellen sollen bei der Darstellung der Themen und entsprechender Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen berücksichtigt werden.43

Für alle Instrumente und Maßnahmen des Gender-Mainstreaming werden finanzielle und humane Ressourcen benötigt, die Bestandteil der Kostenplanung für Maßnahmen, Programme und Projekte sein müssen.

43 RKI (2003c:19)