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2.2 Nationale und internationale Berichterstattungssysteme

2.2.5 Integrierte Berichterstattung

2.2.5.3 Themenfelder und Berichtsformen

Integrierte Programme, in denen gesundheitliche Aspekte eine zentrale Rolle spielen, haben internationale Ausgangspunkte und werden durch Initiativen umgesetzt, die auf Länder- bzw. kommunaler Ebene entwickelt werden. Integration bezieht sich mit unterschiedlichen Schwerpunkten auf die Einbeziehung und Verknüpfung verschiedener Themenbereiche und die sich davon ableitende Beteiligung verschiedener Akteure sowie den räumlichen und zeitlichen Vergleich.

Nachfolgend werden integrierte Programme erläutert, die in Deutschland verankert sind und in denen ausdrücklich die Anforderungen an Berichterstattung definiert sind. Unter dem Blickwinkel der besonderen Schwerpunktsetzung auf die Verbindung zwischen gesundheitlichen und sozialen Aspekten in den Programmen sowie der Verwendung in den Kommunen, werden für das Gesunde-Städte-Netzwerk und die Agenda 21 auch die von ihnen verwendeten Indikatoren vorgestellt.

Gesunde-Städte-Netzwerk179

Ausgangspunkt für das seit 1989 bestehende Netzwerk (engl: Healthy-Cities-Projekt) ist die Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung von 1986. Hervorgegangen ist das Programm aus einer kanadischen Initiative, welche die New Public Health-Bewegung in den Städten entwickelter Länder zu etablieren versucht. In Deutschland gehören z.Z.

etwa 50 Städte und Gemeinden dazu. Das Netzwerk ist ein freiwilliger Zusammenschluss der beteiligten Kommunen und dient vor allem als Aktions- und Lerninstrument, mit dem die Arbeit vor Ort im Sinne der Gesunde-Städte-Konzeption unterstützt werden soll. Voraussetzung der Aufnahme in das Netzwerk ist die verbindliche Selbstverpflichtung der Kommunen zum sog. 9-Punkte-Programm.

Regelung der Berichterstattung in den Punkten 6 und 9 der Beitrittskriterien:

- Punkt 6: Verständliche und zugängliche Informationen und Daten – auf Basis der Gesundheits- und Sozialberichterstattung - sollen den Prozess zu einer gesunden Stadt begleiten.

Festgelegter Mindeststandard: Gesundheits- und Sozialberichterstattung muss von der Analyse über die Möglichkeiten der Beratung bis zur konkreten Handlung als kommunale Gemeinschaftsaufgabe begriffen und umgesetzt werden.

- Punkt 9: Alle 4 Jahre trägt das Gesunde-Städte-Mitglied den anderen

Netzwerkmitgliedern seinen Erfahrungsbericht vor. Spätestens nach 4 Jahren werden die zuständigen Gremien in der Stadt über die kommunale Umsetzung der Gesunde-Städte-Programmatik informiert, um über die weitere Arbeit zu

entscheiden.

179 Gesunde-Städte-Netzwerk (1993)

Festgelegter Mindeststandard: Der Erfahrungsbericht baut auf dem 9-Punkte-Programm und den Mindeststandards auf und stellt den Ertrag der Mitgliedschaft im Netzwerk dar.

Ziel des Programms ist es, gesundheitsförderliche Lebensbedingungen zu schaffen, die auf eine sichere und natürliche Umwelt gerichtet sind, sowie die Entwicklung einer sektorenübergreifenden, gesundheitsfördernden Politik mittels Bürgerbeteiligung.

Hauptinstrument der Berichterstattung sind sog. „City Health Profile“, d.h.

Monitoring-Berichte auf der Basis von Indikatoren.

Unter dem Leitbild „Gesundheitsförderung, Gesundheitsschutz und soziale Gerechtigkeit in Städten“ umfasst die Berichterstattung die Bereiche Gesundheit und Krankheit, Gesundheitsdienste, Umweltfaktoren und soziökonomische Faktoren.

Nachfolgend werden die vorgeschlagenen Basisindikatoren, die von den Ländern und Kommunen ergänzt werden können, dargestellt. Das Indikatorensystem wird laufend auf seine Anwendbarkeit geprüft, Kriterien sind dafür insbesondere die Validität, Zuverlässigkeit, Quantifizierbarkeit, Datenverfügbarkeit und Vergleichbarkeit der Städte.

Tabelle 2.2.2: Basisindikatoren des Healthy Cities Projekts WHO-Europa

A Gesundheitsindikatoren

- Mortalität: alle Ursachen gemeinsam nach 5-Jahres-Altersgruppen, Säuglingssterblichkeit (jährl.

Rate: N/durchschn. N in der Altersgruppe * 100 000)

- Mortalitätsraten nach Ursachen: Kreislauf, ischämische Herzkrankheiten, Hirnschlag, Atemwegserkrankungen, Krebs der oberen Atemwege, Lungenkrebs, Gebärmutterhalskrebs, Brustkrebs, Unfälle und Vergiftungen, Verkehrsunfälle, Selbsttötung, Aids nach Alter und Geschlecht

- Niedriges Geburtsgewicht (<2.500 g) Zahl/Zahl der Lebensgeborenen in %

B Gesundheitsdienstindikatoren (Public Health)

- Gesundheitserziehungsprogramm (Zahl der Projekte und Budgetanteil)

- Durchimpfungsgrad der Kinder (%) für alle obligatorischen Impfungen (z.B. Masern, Polio, Tetanus, Röteln, Diphterie)

- Anzahl der Einwohner pro niedergelassenem Arzt: Primärversorgung (%) - Anzahl der Einwohner pro Vollzeit-Pflegekraft / Krankenschwester (%) - Anzahl der Einwohner mit privater und gesetzlicher Krankenversicherung (%) - Verfügbarkeit von fremdsprachigen Gesundheitsdiensten für Migranten

- Anzahl der gesundheitsbezogenen Fragen und Sitzungen, die jährlich von der Stadt durchgeführt werden (Gesundheit, Soziales und Umwelt)

D Sozioökonomische Indikatoren

- Anzahl der Einwohner, die ohne sanitäre Einrichtungen oder ohne Leitungswasserzugang wohnen - Geschätzte Anzahl Obdachloser getrennt nach auf der Straße oder in Einrichtungen lebend - Arbeitslosenquote und Arbeitssuchende

- Anteil der Einwohner mit unterdurchschnittlichem Pro-Kopf-Einkommen und

Sozialhilfeempfänger (Armutsindikator)

- Anzahl der Kindergarten-Plätze für Vorschulkinder

- Anzahl der lebendgeborenen Kinder pro Altersgruppe (Fünfjahresschritte) der Mutter - Anzahl der Abtreibungen und Fehlgeburten pro Lebendgeborene

- Anzahl behinderter Beschäftigter pro Gesamtzahl der Behinderten

C Umweltindikatoren

- Luftverschmutzung (NO2, CO, O3, SO2, Staub, Ruß, Blei), jährl. Anzahl der Tage über dem Grenzwert SO2, Staub und Blei bzw. Anzahl der Stunden NO2, CO, O3 (%Wasserqualität nach WHO-Guidelines mehrere Unterindikatoren Nitrat, Flour, Benzol, Chlordan und fäkale coliforme (Zahl der Überschreitungen/Zahl der Messungen)

- Prozentanteil der insgesamt geklärten Menge Abwasser

- Abfallsammlung im Haushalt nach Art (z.B. Mülltrennung, lose, Plastiktüten) (%)

- Haus-Abfallentsorgung nach Art (Mülldeponie, Verbrennung mit und ohne Abwärmeauffang, Recycling, Kompostierung)

- Anteil von Grünflächen pro Gesamtfläche getrennt nach öffentlichen, landwirtschaftlichen und naturbelassenen Flächen

- Anzahl der verfügbaren Quadratmeter öffentlicher Grünfläche pro Kopf - Anteil zurück gewonnener ehemals industriell genutzter Flächen - Anzahl der Sporteinrichtungen pro 1.000 Einwohner

- Gesamtlänge der Fußgängerzonen (km/km2) - Gesamtlänge der Fahrradwege (km/km2)

- Öffentlicher Nahverkehrstransport (Anzahl der Sitze pro 1.000 Einwohner/pro Tag) - Gesamtlänge der mit öffentlichen Verkehrsmitteln befahrenen km/km in der Stadt) - Wohnraum: Anzahl der Zimmer einschließlich Küche pro Einwohner

(Quelle: Osius (2001:66-67); eigene Darstellung)

Lokale Agenda 21180

Sie umfasst die 3 Säulen Ökonomie, Ökologie und Soziales. Auf Basis der Agenda 21 der Rio-Konferenz 1992 haben z.Z. etwa 2.000 Kommunen in Deutschland Ratsbeschlüsse zur Umsetzung einer örtlich angepassten Agenda 21 gefaßt. Daneben bestehen Initiativen auf Ebene der Bezirke, Bundesländer und des Bundes. Zur Rio-Folgekonferenz im September 2002 in Johannesburg legte die Bundesregierung den Entwurf einer Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie vor. Die Strategie soll für die nächsten Jahre Prioritäten setzen, Ziele und Maßnahmen aufzeigen und als Grundlage für weitere politische Reformen und ein verändertes Verhalten von Unternehmen und Verbrauchern dienen. Dem Leitbild liegen die vier Koordinaten Generationengerechtigkeit, Lebensqualität, sozialer Zusammenhalt und internationale Verantwortung zugrunde. Zu den insgesamt acht prioritären Handlungsfeldern gehören Energie, Mobilität, Gesundheit, demographischer Wandel, Bildung, Wirtschaft, Siedlungsentwicklung und globale Verantwortung hinsichtlich der Armutsbekämpfung.

180 Einacker/Tomerius (2002)

Im Kapitel 40 des Agenda 21-Dokumentes181 ist die Berichterstattung für das Programm durch entsprechende Ziele und Maßnahmen geregelt. Als solide Grundlage für Entscheidungen auf allen Ebenen soll die Umsetzung der folgenden zwei Programmbereiche erfolgen:

1. Überbrückung der Datenlücken

- Erfassung und Bewertung von Daten, deren Umwandlung in nutzbare Informationen, Veröffentlichung

- bessere Koordinierung zwischen Umwelt-, Bevölkerungs-, Sozial- und Entwicklungsdaten

- Entwicklung von Indikatoren für gemeinsame, regelmäßig aktualisierte und allgemein zugängliche Berichte und Datenbanken

- Stärkung der Informationen über demographische Faktoren, der Verstädterung, der Armut, der Gesundheit und dem Recht auf Zugang zu Ressourcen sowie speziellen Bevölkerungsgruppen (Frauen, Kinder und Jugendliche,

Migrantinnen und Migranten, Behinderte) 2. Verbesserung der Verfügbarkeit der Informationen:

- eine Fülle von vorhandenen Daten und Informationen kann für den Prozess der nachhaltigen Entwicklung verwendet werden

- sachgerechte Verwaltung der Informationen

- Festlegung von Normen und Verfahren für die Informationsverarbeitung - Erstellung von Dokumentationen

Die UN-Kommission für Nachhaltige Entwicklung (Commission on Sustainable Development – CSD), deren Aufgabe die Überprüfung der Umsetzung und Weiterentwicklung der Agenda 21 ist, hat 1995 ein mehrjähriges Arbeitsprogramm zu Nachhaltigkeitsindikatoren verabschiedet. Kernelement ist eine Indikatorenliste mit 134 Einzelindikatoren für die Bereiche Ökologie, Ökonomie und Soziales, die derzeit in einer Pilotphase von 22 Ländern getestet wird (vgl. Tabelle 2.2.5.1 Bereiche Gesundheit und Soziales). Die Indikatoren sind den einzelnen Kapiteln der Agenda zugeordnet und können von den Ländern ergänzt werden. In Deutschland haben z.B.

die Länder Baden-Württemberg, Thüringen, Bayern und Hessen ergänzende Indikatoren für eine nachhaltige Entwicklung für die lokale und regionale Ebene aufgestellt.

181 Agenda 21 (1992:Kapitel 40)

Tabelle 2.2.3: Indikatoren der Agenda 21 – Bereiche Gesundheit und Soziales

Indikatoren - Bereich Gesundheit - % der Bevölkerung mit adäquaten Sanitäranlagen

- Verfügbarkeit von sauberem Trinkwasser*

- Lebenserwartung bei Geburt*

- Anzahl der Neugeborenen mit normalem Geburtsgewicht - Säuglings-/Kindersterblichkeit*

- Müttersterblichkeit

- Ernährungsstatus der Kinder (Kalorienverbrauch pro Kopf u. Tag)*

- Impfungen gegen Kinderkrankheiten - Anwendung von Verhütungsmitteln

- Verbreitung von Kenntnissen über mögliche Schadstoffe in der Nahrung - Anteil der Gesundheitsausgaben für lokale Gesundheitsvorsorge - Anteil der Gesundheitsausgaben vom Bruttosozialprodukt*

- Inzidenz von Krankheiten in Zusammenhang mit Umweltfaktoren*

- % der städtischen Bevölkerung, die SO2, PM10, Ozon, CO, Blei ausgesetzt sind

Indikatoren - Bereich Soziales Armut

- Arbeitslosenrate*

- Anteil der Bevölkerung in absoluter Armut - % der Bevölkerung mit adäquaten Sanitäranlagen Demographie und Nachhaltigkeit

- Fertilitätsrate*

- Wachstumsrate der Bevölkerung*

- Bevölkerungsdichte pro km2* - Auswanderungsrate pro Jahr Bildung

- Alphabetisierungsrate - Pflichtschuljahre

- Anteil der Frauen in weiterbildenden Schulen - Anteil der Frauen bei Beschäftigten

- Anteil der Frauen im Staatsdienst Ausgaben für Bildung

* in der deutschen Testphase

(Quelle: Osius (2001:22-23); eigene Darstellung)

Das Kapitel 6 der Agenda 21182 widmet sich dem Schutz und der Förderung der Gesundheit, dort heißt es u.a.: „Gesundheit und Entwicklung stehen in einer engen Wechselbeziehung zueinander. […] Aufgrund des Zusammenhangs zwischen Gesundheit, umweltbezogenen und sozioökonomischen Verbesserungen sind sektorübergreifende Bemühungen erforderlich.“

182 Agenda 21 (1992:Kapitel 6)

Folgende Programmbereiche werden im Kapitel 6 benannt:

a) Deckung der Bedürfnisse im Bereich der primären Gesundheitsversorgung, b) Bekämpfung übertragbarer Krankheiten,

c) Schutz besonders anfälliger Gruppen (Säuglinge und Kinder, Jugendliche, Frauen, Eingeborene (Anmerkung d. Autorin: übertragen auf Deutschland sind dies Migrantinnen und Migranten),

d) Lösung der Gesundheitsprobleme in den Städten,

e) Reduzierung der durch Umweltverschmutzung bedingten Gesundheitsrisiken und Gefährdungen.

Zur Umsetzung der Ziele der Agenda 21 werden finanzielle Ressourcen und Finanzierungsmechanismen Kapitel 33), Technologie-Transfer (Agenda-Kapitel 34), internationale institutionelle Rahmenbedingungen (Agenda-(Agenda-Kapitel 38), Rechtsinstrumente (Agenda-Kapitel 39) und Informationen für die Entscheidungsfindung (Agenda-Kapitel 40 Berichtssystem) genannt.

Gesundheit 21183

Das 1998 von der WHO aufgestellte Programm basiert auf der Ottawa-Charta für Gesundheitsförderung 1986 und stellt Grundwerte wie Chancengleichheit, Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Rücksicht auf die Bedürfnisse der Geschlechter in den Mittelpunkt, es ist die Weiterentwicklung des Programms „Gesundheit für Alle“. Es umfasst 21 Zielbereiche für das 21. Jahrhundert und bildet häufig die Grundlage für regionale Gesundheitsziele.

Das Ziel 19 benennt die Anforderungen an die Berichterstattung im Rahmen des Programms. Gesundheitsinformationssysteme werden neben der Forschung grundsätzlich als Schlüsselbereiche zur langfristigen Verbesserung der Gesundheit der Menschen in Europa eingeschätzt. Im stationären Bereich wird die Einführung von Systemen zur Verbesserung der klinischen Patientenversorgung, wie automatisierte Krankenakten oder direkte elektronische Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Primärärzten und Krankenhäusern empfohlen. Datensysteme zur Lebensmittelsicherheit und Bekämpfung von Infektionskrankheiten sowie andere Themenkomplexe befinden sich in der Entwicklung bzw. werden schrittweise in den europäischen Ländern eingesetzt. Auf der Public-Health-Ebene werden Informationen über den Gesundheitszustand, Risikofaktoren und die Organisation der Gesundheitsdienste benötigt. Seit 1984 erstatten alle Mitgliedsstaaten der WHO auf der Basis eines einheitlichen Katalogs von Indikatoren Bericht.

183 WHO-Europa (1999:181-187)

Ziel 19 – Forschung und Wissen zur Förderung der Gesundheit (Anforderungen für „Wissen“)

- Effektive Nutzung und Verbreitung von Wissen zur Unterstützung der

„Gesundheit für Alle (GFA)“.

- Einrichtung und Pflege von Datenbanken zu gesundheitlichen und gesundheitsbezogenen Themen zur Überwachung und Beurteilung von Gesundheitskonzepten und –maßnahmen.

- Verfügbarkeit und leichte Zugänglichkeit der Gesundheitsinformationen für die verschiedenen Nutzerkreise (Politiker, Manager, Fachkräfte im Gesundheitswesen, Wissenschaftler, Öffentlichkeit).

- Ausbau des Monitorings der Gesundheit, ihrer Determinanten und des Gesundheitsversorgungssystems. Verwendung der globalen GFA-Indikatoren und Ergänzung durch spezifische Indikatoren, die die Landesspezifik reflektieren.

- Entwicklung und Weiterentwicklung von Gesundheitsindikatoren sowie Indikatoren für strukturelle, umweltbezogene, verhaltensrelevante und soziale Determinanten.

- Verfügbarkeit der Informationen auf elektronischen Medien und regelmäßige, allgemein zugängliche Veröffentlichung zur Förderung öffentlicher Debatten über künftige Handlungsprioritäten und der Schärfung des Gesundheitsbewusstseins der Menschen.

- Entwicklung europäischer Standards für periodische Gesundheitserhebungen zur Gewinnung von Informationen über Lebensweisen und gesundheitlichen Risikofaktoren.

- Stärkere Standardisierung von Definitionen und Datenerfassungssystemen in allen Mitgliedsländern.

Aktionsprogramm Umwelt und Gesundheit184

Der Grundsatz, dass jeder Mensch Anspruch auf eine Umwelt hat, die ein höchstmögliches Maß an Gesundheit und Wohlbefinden ermöglicht wurde auf der 1.

Europäischen Konferenz „Umwelt und Gesundheit“ 1989 verabschiedet. Auf der 2.

Europäischen Konferenz 1994 legte die WHO einen „Aktionsplan Umwelt und Gesundheit“ vor. Seit dieser Zeit haben nahezu alle WHO-Mitgliedsländer Nationale Aktionspläne Umwelt und Gesundheit formuliert oder bereiten solche Pläne vor. Seit 1999 existiert in Deutschland – vorgelegt von den Bundesministerien für Umwelt und Gesundheit – ein entsprechendes Programm. Es dient der Herstellung eines Gesundheitszustandes der Menschen, der frei von ungünstigen Einflüssen durch (physikalische, mediengetragene) Umweltnoxen oder durch Gefährdungen beim Umgang mit Verbraucherprodukten des täglichen Bedarfs oder durch die Nahrung ist.

184 Seifert (2000:323-324)

Folgende Ziele für die Berichterstattung sind im Programm benannt:

- Zum Aktionsprogramm gehört eine Dokumentation, die den aktuellen Sach- und Erkenntnisstand dokumentiert.

- Es wird ein differenziertes Beobachtungs- und Berichterstattungs- („Surveillance“-) System für Umwelt und Gesundheit geschaffen.

- Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Bundesoberbehörden, dazu gehören der Ausbau des Umweltmedizinischen Informationsforums (UmInfo) sowie des Umweltmedizinischen Informationssystems (UmIS).

Berichte über den Ist-Zustand und den Erfolg der Programme werden in unterschiedlichen zeitlichen Rhythmen vorgelegt, ihr Inhalt variiert und liegt in der Verantwortung der durchführenden Region. Häufig werden einzelne Dimensionen mit ausgewählten (Schlüssel)Indikatoren charakterisiert. Eine standardisierte Berichtsform auf der Basis von Indikatoren befindet sich häufig erst im Aufbau. Aktivitäten und Ergebnisse der

„Gesunden Städte“ werden z.B. in den „Gesunde-Städte-Nachrichten“, in Tagungsdokumentationen (z.B. Fachtagung des Bundesweiten Arbeitskreises Migration und öffentliche Gesundheit vom Februar 2003), auf der Homepage der Städte und Kommunen (in Berlin z.B. Bezirk Treptow-Köpenick) dargestellt.185 Erste Ergebnisse der im Rahmen der Agenda 21 geforderten Nachhaltigkeit wird die Bundesregierung Deutschland als „Fortschrittsbericht 2004“ im Herbst 2004 vorlegen.186 Darüber hinaus gibt es Agenda 21 Programme und entsprechende Berichte, an denen mehrere Länder beteiligt sind, so z.B. zur Entwicklung der Ostsee-Region mit den beteiligten Ländern Dänemark, Estland, Finnland, Deutschland, Island, Lettland, Litauen, Norwegen, Polen, Nord-West-Russland und Schweden. Die Sektoren Landwirtschaft, Energie, Fischerei, Forstwirtschaft, Industrie, Tourismus, Transport und Raumplanung werden mit Hilfe von Indikatoren abgebildet, begleitet wird die Analyse von allgemeinen Indikatoren wie Lebenserwartung, Säuglingssterblichkeit, Arbeitslosigkeit, Einkommensverteilung, Wahlbeteiligung und Umweltbelastung.187

Eine wichtige Rolle im Rahmen der Berichterstattung über integrierte Programme spielen Workshops und Symposien bei Fachgesellschaften und Fachtagungen. Hierzu zählt beispielsweise die Session „Integrierte Programme: Zum Sachstand der Zielentwicklung in Deutschland“ und „Integrierte Programme: Monitoring, Surveillance und Berichterstattung“ im Rahmen der Jahrestagung 2002 der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) und der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie (DGMS). Derartige Foren eignen sich besonders zur Darstellung und Diskussion der multisektoralen Ansätze integrierter Programme.

185 Ein Überblick zu den Aktivitäten und Veröffentlichungen der „Gesunden Städte“ ist unter http://www.gesunde-staedte-netzwerk.de zu finden.

186 Leitbild, Entwurf der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie sowie Arbeitsschritte auf dem Weg zum

„Fortschrittsbericht 2004“ sind unter http://www.bundesregierung.de dargestellt.

187 Ministry of Environment/Baltic 21 Secretariat (2000)

Zur Unterstützung der Berichterstattung werden entweder passend zu einzelnen Projekten Datenbanken (mit häufig eingeschränkten Zugangsmöglichkeiten für Projektfremde) aufgebaut oder globale Datenbanksysteme zur öffentlichen Nutzung und ohne konkrete Projektanbindung zur Verfügung gestellt. Zu letzteren zählen „Statistik regional“ der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, „Indikatoren und Karten zur Raumentwicklung“ (INKAR) des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung sowie auf internationaler Ebene „Regional Statistics about Europe“ (REGIO) der Europäischen Union.

Mit dem Projekt „Gesundheit als integrierendes Leitziel in der Konzeption und Erprobung eines regionalen Berichtssystems nachhaltiger Entwicklung“ im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung von 2002 bis 2005 geförderten Forschungsschwerpunktes „Problemorientierte regionale Berichtssysteme“ soll für die auf die Verbesserung kommunaler Lebensqualität zielenden Programme Healthy Cities, Lokale Agenda 21, Soziale Stadt und Aktionsprogramm Umwelt und Gesundheit ein Berichtssystem mit Nachhaltigkeitsbezug aufgebaut werden. In Zusammenarbeit mit 10 ostdeutschen Mitgliedsstädten des deutschen Gesunde-Städte-Netzwerkes (Berlin Lichtenberg, Berlin Marzahn-Hellersdorf, Chemnitz, Dresden, Erfurt, Greifswald, Halle (Saale), Magdeburg, Rostock, Stralsund) werden Netzwerke zwischen den verschiedenen Akteuren in der Kommune aufgebaut sowie ein integriertes Berichtssystem auf der Basis bereits vorhandener Berichtssysteme konzipiert und von den beteiligten Städten erprobt.188

Tabelle 2.2.4: Kernindikatoren des Projekts „Gesundheit als integrierendes Leitziel in der Konzeption und Erprobung eines regionalen Berichtssystems nachhaltiger Entwicklung“

I Demographische Daten

- Gesamteinwohnerzahl (absolut) - Geburten/Sterbefälle (absolut)

- Wanderungssaldo: Abwanderung und Zuwanderung (absolut) - Anteil der Ausländer an der Gesamtbevölkerung

- Anteile von Altersgruppen an der Gesamtbevölkerung

II Kommunale Ökonomie

- Bruttowertschöpfung in EUR je Einwohner

- Verhältnis Einnahmen/Ausgaben pro Haushaltsjahr (absolut) - Pro-Kopf-Verschuldung in EUR

- Wohnungsleerstand im öffentlichen und genossenschaftlichen Bereich (Anteil am Gesamtbestand) - Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerungsgruppe von 15 bis 65 Jahren (Erwerbstätigenquote) - Erwerbstätige nach Stellung im Berufsleben (Anteil der entspr. Gruppe an allen Erwerbstätigen) - Unternehmensbestand (plus Neugründungen, minus Insolvenzen)

188 zsh (2004); Institut für Medizin-Soziologie (2004) Die Projektleitung hat die Universität Hamburg, Institut für Medizin-Soziologie, Prof.Dr.Dr. Alf Trojan.

III Gesundheit

- Vorzeitige Sterblichkeit nach ausgewählten vermeidbaren Todesursachen (unter 65 Jahren) (Anteil an allen Sterbefällen)

- Ausgewählte meldepflichtige Erkrankungen (absolut, Inzidenz) - Straßenverkehrsunfälle (Verletzte, Tote) (je 1.000 Einwohner) - Zahngesundheit von Kindern (DMFT-Index)

- Anzahl der ambulant tätigen Ärzte und Zahnärzte (je 1.000 Einwohner)

- Schwerbehinderte Menschen (ab 50 % Grad der Behinderung, je 1.000 Einwohner) - Impfungen bei Kindern zum Zeitpunkt der Schuleingangsuntersuchungen

IV Soziales

- Haushaltsgrößen (Ein-Personenhaushalte, Haushalte mit Kindern) (Anteil an der Gesamtzahl der Haushalte)

- Wohnraum (m2 pro Person)

- Arbeitslosenquote nach ausgewählten Strukturmerkmalen - Sozialhilfequote nach ausgewählten Strukturmerkmalen

- Zahl der Wohngeldempfänger (Anteil an Gesamtzahl der Haushalte) - Durchschnittliche Einkommen je Steuerpflichtigen

- Verteilung der Einkommen auf unterschiedliche Gruppen nach Höhe des zu versteuernden Einkommens (Anteil der Einkommensklassen am Gesamteinkommen)

- Jugenddelinquenz in verschiedenen Bereichen (Anzahl der für Straftaten verurteilten Jugendlichen je 1.000 Einwohner)

V Bildung

- Schüler nach Schularten in der 9. Klasse (Anteil an Gesamtschülerzahl)

- Schulabgänger nach Schulabschluss (auch ohne Schulabschluss, Anteil an allen Schulabgängern)

VI Umwelt

- Flächennutzungsstruktur (Anteil an der Gesamtfläche)

- Modal-Split (Anteil der verschiedenen Verkehrswege - ÖPNV, MIV, Fahrrad, Fuß – am gesamten Wegeaufkommen pro Werktag)

- Lärmbelastung (nach Pegelklassen der gesundheitlichen Belastung) - Luftbelastung (Ausstoß von Luftschadstoffen je Einwohner)

VII Partizipation

- Wahlbeteiligung (Anteil an Wahlberechtigten) - Zahl der Selbsthilfegruppen (je 10.000 Einwohner)

(Quelle: Institut für Medizin-Soziologie (2003); eigene Darstellung)

Eine nahezu ideale Verwirklichung des Gedankens der integrierten Berichterstattung strebt das Statistische Bundesamt mit dem im Jahr 2001 gegründeten Projekt zum

„Aufbau eines sozio-ökonomischen Berichssystems“ an. Das geplante Berichtssystem soll in sozio-ökonomischen Modellrechnungen Szenarien für eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung aufzeigen und mit Nachhaltigkeitsindikatoren die Unterschiede zwischen der gegenwärtigen Lage und einer modellmäßig entwickelten

zukunftsfähigeren Konstellation beschreiben. Das Projekt knüpft an das in den 70er Jahren von Richard Stone für die Vereinten Nationen entwickelte System of Social and Demographic Statistics sowie die in einigen europäischen Ländern verwendeten Sozialrechnungsmatrizen an.189

Inhalt des sozio-ökonomischen Berichtssystems soll die gesamte Bevölkerung einer Region mit allen ihren Aktivitäten sein. Die Aktivitäten werden durch die dafür aufgewendete Zeit, Mengen sowie Finanzen charakterisiert. Input-Output-Tabellen, wie sie im Rahmen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verwendet werden, bilden die Grundlage für das Berichtssystem. Sie sollen jedoch wesentlich erweitert werden, um Personen in schwierigen Lebenslagen – Alleinerziehende, kranke und pflegebedürftige Personen, Obdachlose, Sozialhilfeempfänger, Personen in Heimen und Gefängnissen – abbilden zu können. Dazu werden verschiedene Statusmerkmale, wie Alter, Geschlecht, Familienstand, Ausbildungsniveau, Gesundheitszustand, Beteiligung am Erwerbsleben und die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen aufgenommen. Schließlich sollen auch physische Vorgänge der Menschen, wie Ernährungs- und Stoffwechselvorgänge und die unmittelbaren Auswirkungen dieser, wie Anfall von Hausmüll, Abwässern sowie Luftemission durch Heizung und Nutzung von privaten Pkw einbezogen werden.190

Eine besondere methodische Herausforderung stellt nicht die Abbildung der sozio-ökonomischen Aktivitäten der Bevölkerung zu einem bestimmten Stichtag dar, sondern die Darstellung der Übergänge von einer Lebensphase (Veränderungen des Familienstandes, des Bildungs- und Einkommensniveaus; passiver und aktiver Lebenszyklus) in eine andere. Obwohl bereits auf einige methodische Erfahrungen im Zusammenhang mit den Bevölkerungsprognosen, der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und der umweltökonomischen Berichterstattung zurückgegriffen werden kann, müssen erhebliche Forschungsaktivitäten investiert werden, um der Komplexität des Themas gerecht zu werden und das Modell in die Praxis zu überführen. Angedacht ist bei knapper werdenden Mitteln für die sozio-ökonomische Forschung die Kooperation der an diesem Themenkreis arbeitenden und die Bildung eines Forschungsverbundes.191