2.2 Nationale und internationale Berichterstattungssysteme
2.2.3 Sozialberichterstattung
2.2.4.4 Datenquellen
Die Forschungsgruppe GBE156 analysierte im Rahmen der Bestandsaufnahme für den Aufbau der GBE in Deutschland insgesamt rd. 270 Datenquellen hinsichtlich ihrer Eignung für die Berichterstattung und kommt zu folgender Einschätzung: Die inhaltliche
156 Forschungsgruppe GBE (1990:18-64)
und methodische Qualität einiger Datenquellen ist für die GBE-Nutzung nicht ausreichend, vielfach ist der Zugang zu den Datenquellen erschwert bzw. es entstünden Bearbeitungskosten für die Verwendung in der GBE. Für den Themenbereich Soziodemographie werden die vorhandenen Datenquellen inhaltlich und methodisch als ausreichend betrachtet, während für die Themen Gesundheitszustand (insbesondere zur ambulanten Morbidität), Gesundheitsverhalten sowie Finanzierung und Kosten des Gesundheitswesens erhebliche Datenlücken festgestellt wurden. Auf Grund inhomogener Datenmengen entsteht ein hoher Bedarf an Harmonisierung und Kooperation.
Grundsätzlich lassen sich die verschiedenen Datenquellen danach unterscheiden, ob die Gewinnung epidemiologischer Informationen unmittelbarer Zweck der Datenerhebung selbst war (gilt z.B. für Todesursachenstatistik und epidemiologische Krebsregister) oder ob in anderen Zusammenhängen erhobene Daten auch für die GBE genutzt werden (z.B.
für Abrechnungszwecke im stationären Bereich erhobene Daten).
Neben Daten aus der amtlichen Statistik, Leistungsstatistiken u.ä. sollte die GBE auch subjektive Informationen über den Gesundheitszustand und das Wohlbefinden der Bevölkerung enthalten. Repräsentative Ergebnisse für die Bevölkerung in Deutschland liefert der 1997 begonnene erste gesamtdeutsche Bundes-Gesundheitssurvey. Unter der Bezeichnung „Nationaler Gesundheitssurvey“ wurden bereits in den Jahren 1984-1986, 1987-1989 und 1990-1991 repräsentative Stichproben der bundesdeutschen Bevölkerung einer standardisierten Untersuchung und einer umfangreichen Befragung zu gesundheitsrelevanten Themen unterzogen. Mit weitgehend gleicher Methodik wurde auch in den neuen Bundesländern 1991-1992 der Gesundheitssurvey Ost vorgenommen.
Gefragt wird u.a. nach Erkrankungen im Verlaufe des Lebens, nach derzeitigen gesundheitlichen Beschwerden, nach Ernährungsgewohnheiten, Medikamentenkonsum, Umweltbelastungen und der Zufriedenheit mit der medizinischen Betreuung. Der Bundes-Gesundheitssurvey liefert keine regionalen Ergebnisse, d.h. Daten für die regionale GBE sind aus dieser Quelle nicht verfügbar.157
Die Stadt München hat zur Ergänzung der vorhandenen quantitativen Datenquellen 1999 erstmalig ein als Telefonbefragung angelegtes „Gesundheitsmonitoring“ durchgeführt.
Das Studiendesign der computergestützten Telefonbefragung ist vergleichbar mit einer bayernweiten Befragung sowie mit dem Bundes-Gesundheitssurvey.158
In Berlin wurde 1991 der erste bundeslandbezogene Gesundheits- und Sozialsurvey in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt. Ziel des Surveys war es, die Lebensbedingungen, den Gesundheitszustand, die Gesundheitsrisiken, das Gesundheits- und Krankheitsverhalten sowie die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen in Bevölkerungsgruppen unterschiedlichen Alters und sozialer Lagen zu erfassen. Damit konnten Datendefizite über die Lebensverhältnisse im wiedervereinigten Berlin kurzfristig reduziert werden und für den Vergleich zwischen den östlichen und westlichen Berliner Bezirken wurde eine wesentliche Datengrundlage geschaffen.159 Das Instrument der
157 Bellach (1999)
158 DUGISM (2001)
159 Kirschner/Radoschewski (1993:6-9)
repräsentativen Bevölkerungsbefragung wurde in den „Gesundheitsbarometern“
fortgesetzt. Nachdem der Gesundheits- und Sozialsurvey eine Dominanz der chronischen Krankheiten im Morbiditätsgeschehen deutlich machte, standen im Mittelpunkt des Gesundheitsbarometers 1994 Fragen der Prävention: Wie beurteilt die Berliner Bevölkerung die Präventionsangebote? Wie ausgeprägt ist das Gesundheitsverhalten der Berlinerinnen und Berliner? Welche Bedeutung und welchen Stellenwert hat die Prävention im Leben der Berlinerinnen und Berliner?160
Die Erfüllung der verschiedenen Funktionen der GBE erfordert nicht nur eine tabellarische Auflistung von Indikatoren, sondern die Darstellung von Zusammenhängen zwischen den verschiedenen Themenfeldern – z.B. zwischen Gesundheitszustand und sozioökonomischen Bedingungen oder der Inanspruchnahme von Leistungen des Gesundheitswesens. Hier zeigt sich jedoch ein Mangel an Verknüpfbarkeit der verschiedenen Datenquellen. Einerseits werden unterschiedliche Erhebungseinheiten (z.B.
in Bezug auf Morbidität und Mortalität: Erhebung von Fällen im Rahmen der Krankenhausdiagnosestatistik, Personen in der Todesursachenstatistik) verwendet, andererseits ist die regionale, zeitliche und (Alters)Gruppendifferenzierung sehr unterschiedlich.
Ein Jahrzehnt nach dieser Analyse hat die Arbeitsgruppe GBE der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden (AOLG) bei der Überarbeitung und Weiterentwicklung des Indikatorensatzes der Länder insbesondere den Fragen der Datenqualität und –verfügbarkeit große Aufmerksamkeit gewidmet. Ausgehend von der inhaltlichen Festlegung der einzubeziehenden Indikatoren zur Abbildung des Gesundheitszustandes und der ihn beeinflussenden Faktoren wurden zusammen mit den Datenhaltern Qualitätsbewertungen vorgenommen und in einer Metadatenbeschreibung festgehalten. Unterschieden wurde zwischen der Qualität der benutzten Datenquelle und der Qualitätssicherung eines Indikators (z.B. Gewährleistung der zeitlichen, regionalen und internationalen Vergleichbarkeit, Wahl der validen Datenquelle). Als Orientierung dienten Qualitätskriterien der EU und der WHO.
Der Indikatorensatz der Länder wurde mit den Datenhaltern auf Bundes- und Länderebene abgestimmt, dabei wurde die Datenverfügbarkeit geprüft und die Datenstruktur bereits in der Tabellenstruktur berücksichtigt. Datenhalter auf der Länderebene sind u.a. die Statistischen Landesämter, die Ärztekammern, die Apothekerkammern, die Psychotherapeutenkammern, die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen, die Chemischen-, Lebensmittel- und Veterinäruntersuchungsämter, die Obersten Landesgesundheitsbehörden, die Krebsregister, die Landesarbeitsämter, die Umweltbehörden der Länder. Datenhalter auf der Bundesebene sind u.a. die Bundesministerien für Gesundheit und Soziale Sicherung sowie für Wirtschaft und Arbeit, das Statistische Bundesamt, das Robert-Koch-Institut, das Deutsche Rheuma-Forschungszentrum Berlin, die Heilpraktikerverbände, die Kassen(zahn)ärztlich Bundesvereinigung, der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger.161
160 Hermann/Meinlschmidt/Thoelke (1994:6)
161 MGSFF (2003)
Beispielhaft für die Vielzahl der Datenquellen und Datenhalter der GBE der Länder wird nachfolgend das Themenfeld Gesundheitszustand dargestellt:
Tabelle 2.2.1: Datenquellen und -halter für Themenfeld Gesundheitszustand der GBE der Länder
Datenquelle Datenhalter
ADT-Panel Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung
AIDS-Fallregister AIDS-Zentrum - Abteilung für Infektions-epidemiologie des Robert Koch-Instituts Bevölkerungsstatistik Statistische Landesämter
Bundes-Gesundheitssurvey Robert Koch-Institut Dokumentation des
Berufskrankheiten-Geschehens in der Bundesrepublik Deutschland
Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften Dokumentation zu den Unterbringungsgesetzen
der Länder (PsychKG)
Sozialpsychiatrische Dienste der Oberen Landesgesundheitsbehörden
Dokumentation zum Betreuungsgesetz Justizministerien
Erhebungen zur Zahngesundheit Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege;
Landesarbeitsgemeinschaften für Jugendzahnpflege
Geburtenstatistik Statistische Landesämter
HIV-Meldungen nach § 7, Abs. 3 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)
AIDS-Zentrum in der Abteilung für
Infektionsepidemiologie des Robert Koch-Instituts Jahresstatistik zur Krebsinzidenz Epidemiologische Krebsregister der Länder
KG 8-Statistik Bundesministerium für Gesundheit und Soziale
Sicherung
Krankenhausstatistik, Teil II - Diagnosen Statistische Landesämter
Perinatalerhebungen der Länder Geschäftsstellen für Qualitätssicherung der Länder
Pflegestatistik Statistische Landesämter
Schulanfängeruntersuchungen Oberste Landesgesundheitsbehörden Statistik der Arbeits- und Wegeunfälle
(Unfallanzeigestatistik)
Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit;
Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossen-schaften; Bundesverband der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften; Bundesverband der Unfallkassen
Statistik der gesetzlichen Rentenversicherung Verband Deutscher Rentenversicherungsträger Statistik der meldepflichtigen Krankheiten Abteilung für Infektionsepidemiologie des Robert
Koch-Instituts
Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung Statistische Landesämter Statistik der Schwerbehinderten Statistische Landesämter Statistik der Straßenverkehrsunfälle Statistische Landesämter Statistik über abgeschlossene Leistungen zur
Teilhabe
Verband Deutscher Rentenversicherungsträger Statistik über die Kerndokumentation der
regionalen kooperativen Rheumazentren der Länder
Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin
Sterbetafeln Statistische Landesämter
Todesursachenstatistik Statistische Landesämter (Quelle: MGSFF (2003:84-356); eigene Darstellung)