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2.2 Nationale und internationale Berichterstattungssysteme

2.2.3 Sozialberichterstattung

2.2.3.7 Kritik und Perspektiven

sich gegenseitig verstärkend beeinflussen oder kausal miteinander verknüpft sind bleibt eine der interessantesten Fragestellungen, die zu selten beantwortet wird.

So gab es in Berlin 1997 vom Abgeordnetenhaus die Forderung, einen „Berliner Sozialbericht“ vorzulegen, der auch einen Armutsbericht enthält. Kritisiert wurden die auf verschiedenen Berichtsebenen nebeneinander vorliegenden Einzelberichte – Drogenbericht, Bericht zur sozialen Lage, zur Transparenz in der Projektlandschaft, zur Situation der Frauen, Sozialstrukturatlas, Familienbericht, Integrationsbericht, Obdachlosenplan – die sich mit der sozialen Situation bzw.

Versorgung in Berlin befassen. Nach Ansicht der Politiker sind diese Einzelberichte nur sehr begrenzt für eine konzentrierte Sozialplanung geeignet.

Gefordert wird eine wissenschaftlich fundierte und aussagekräftige Berichterstattung über die soziale Situation und die Problemlagen der Berliner Bevölkerung sowie die Entwicklung von sozialpolitischen Handlungsfeldern.126 Eine Analyse bestehender Sozialberichte auf kommunaler Ebene zeigt, dass im

Gegensatz zu Berichten auf der Bundes- und Landesebene, die meist aufgrund eines formalen Anlasses verfasst werden und eher deskriptiv und bilanzierend sind, man auf der kommunalen Ebene Berichte aus inhaltlichen und sachlichen Anlässen erstellt und eher analytisch an die Problemstellung herangeht. Damit steht auf kommunaler Ebene besonders der subjektive Informationsbedarf der handelnden Personen im Vordergrund.

Die auf Basis verschiedener Datenquellen erstellten Sozialberichte sollten als Endprodukt auch den Datenlieferanten zur Verfügung stehen, so kann die Sinnhaftigkeit der kleinräumig oft sehr mühsam - hinsichtlich Vollständigkeit und Validität - erhobenen Daten und damit eine gemeinsame Verantwortung deutlich gemacht werden

2. Kritische Betrachtung zum Inhalt der SBE:

Der Vergleich der Sozialberichtslandschaft in den neuen Bundesländern zeigt, dass es in den Ländern und Kommunen verschiedene Berichtstypen gibt, die kaum miteinander vergleichbar sind. Kritikwürdiger ist jedoch die mangelnde Vergleichbarkeit innerhalb einer Stadt oder Kommune bei Vorliegen mehrere Berichte im Zeitverlauf, sie beruht auf Differenzen der Alters- oder Gemeindegrößenklassen oder unterschiedliche thematische Ausrichtungen die keine Fortschreibung der Eckdaten erlaubt. Auch hier zeigt sich eine fehlende länderübergreifende Konzeption zur Sozialberichterstattung, die den Ländern Orientierung hinsichtlich der relevanten Themen und entsprechender Indikatoren gibt und regionale und überregionale Vergleiche ermöglicht. Es liegt darüber hinaus die Vermutung nahe, dass die politisch Verantwortlichen die Notwendigkeit einer kontinuierlichen und vergleichbaren Berichterstattung wie sie die Wissenschaft fordert noch nicht erkannt haben.

126 Abgeordnetenhaus von Berlin (1997)

Charakteristisch für viele Berichte ist die reine Monitoringfunktion mit ausschließlich beschreibender Analyse und vor allem ohne das Aufzeigen fachlicher und politischer Handlungsperspektiven. Ursächliche Zusammenhänge zwischen sozialen und gesundheitlichen Aspekten (z.Β zwischen Armut und Gesundheit) werden selten sozialräumlich problematisiert. Weiterentwickelt werden sollte das methodische Instrumentarium zur prognostischen Betrachtung sozialer Prozesse und der Darstellung von Wirkungszusammenhängen.

Berichte auf kommunaler Ebene haben durch Kleinräumigkeit eine neue Art der Problemwahrnehmung geschaffen und den Zugang zu sonst komplexen sozialpolitischen Zusammenhängen vereinfacht.

Sozialberichterstattung ist oft geschlechtsneutral. Sie berücksichtigt z.B. nicht die unterschiedlichen Zugangsbedingungen zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, die kurz- und langfristigen Auswirkungen der Tatsache, dass ca. 90 % der Alleinerziehenden Frauen sind (Mobilität auf dem Arbeitsmarkt, Einkommensniveau und Auswirkungen auf spätere Rentenbezüge, Verteilung der Zeitautonomie). Berichterstattung muss konsequent beide Geschlechterperspektiven berücksichtigen und die Ansätze des Gender Mainstreaming auf allen Ebenen der Berichterstattung Datenerfassung, -auswertung, und Analyse - umsetzen.

In den letzten Jahren sind eine Vielzahl von kommunalen Armutsberichten entstanden, die aufgrund der fehlenden Datengrundlagen auf einer abstrakten Ebene verharrten, ohne die Verhältnisse der Kommune darzustellen. Damit konnte zwar auf die möglicherweise bestehenden Disparitäten in der Kommune hingewiesen und die Diskussion in der Öffentlichkeit angestoßen werden, konkrete Konsequenzen wurden auf sozialpolitischer Ebene aber nur selten gezogen.

Dringend nötig sind deshalb Übersichten über verfügbare Datenquellen auf den verschiedenen regionalen Ebenen und die entsprechende Bereitstellung der Daten für alle Nutzer auf der Grundlage einheitlicher Kriterien und Berichtsformate. Die vorhandenen Daten der (amtlichen) Statistik sollten fachlich besser aufgearbeitet werden, darüber hinaus müssen Datenquellen neu erschlossen werden, wo das Spektrum der von Armut betroffenen oder bedrohten Teile der Bevölkerung nicht ausreichend dargestellt werden kann. Dazu gehört auch der Aufbau einer neuen Datenbasis durch Umfragen und regionale Stichproben im Rahmen bundesweit laufender Surveys zur Dauerbeobachtung von sozialer Lage, Einstellungen und Lebenslagen.

Aus Sicht der Datenhaltung und -auswertung lassen sich folgende Probleme benennen: Die Organisation der Daten muss in der Form gelöst werden, dass Verknüpfungen und Auswertungen auch über die Grenzen einzelner Datenbasen hinweg möglich sind. Aus datenorganisatorischer Sicht wird eine feste Bezugsgröße über alle Datenbestände hinweg, etwa eine Personenkennzahl wie in den skandinavischen Ländern, gefordert. Über dieses Kennzeichen könnten alle die Person betreffenden Informationen zugeordnet werden, so z.B. ob sie und in

welcher Höhe sie Sozialhilfe bezieht, ob sie eine Beratungsstelle für Suchtkranke besucht hat, Klient der Schuldnerberatung ist und vieles mehr. Bereits aus dieser kurzen Aufzählung werden aber auch die mit dieser Art der Datenorganisation verbundenen Datenschutzprobleme sichtbar. Der Gesetzgeber untersagt bisher die Verwendung eines derartigen Personenkennzeichen zu verwenden, das Bundesverfassungsgericht führt in seinem Beschluss vom 16.07.1969 zur Verfassungsmäßigkeit einer Repräsentativstatistik (Mikrozensus) u.a. aus, dass es

„mit der Menschenwürde [...] nicht zu vereinbaren [wäre], wenn der Staat das Recht in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren ...“127 Die Lösung einer verknüpften Datenhaltung und –auswertung liegt in der Zusammenstellung der Datenbasen nach Problemgruppen und Problemfeldern und soweit möglich nach dem Raumbezug, was bedeutet, dass nicht alle zu einem einzelnen Bürger vorhandenen Daten verknüpft und gleichzeitig ausgewertet werden können. Seine soziale Lage kann aber aus verschiedenen relevanten Perspektiven betrachtet und die dafür unmittelbar relevanten Merkmale herangezogen werden.

Wege zur Verbesserung der informationellen Infrastruktur sollen durch die Einrichtung von Forschungsdatenzentren beim Statistischen Bundesamt und ausgewählten Statistischen Landesämtern (darunter Berlin) ermöglicht werden.

Das Mikrodatenangebot (u.a. Mikrozensus) soll durch die Bereitstellung als Scientific Use File sowie als Public Use Files verbessert werden und damit die Zusammenarbeit zwischen amtlicher Statistik und der empirischen Sozial- und Wirtschaftsforschung.128 Die Forschungsdatenzentren befinden sich derzeit im Aufbau, es liegen deshalb noch keine Erfahrungen vor, ob und wie auch die Länder und Kommunen Nutzer dieser, bislang auf die Wissenschaft ausgerichteten Angebote werden.

2.2.4 Gesundheitsberichterstattung

Wenn von der Gesundheit gesprochen wird, entsteht der Eindruck, dass Gesundheit – und damit auch die Berichterstattung über diese - eindeutig beschreibbar ist. Tatsächlich jedoch gibt es unterschiedliche Perspektiven zur Beurteilung von Gesundheit bzw.

Krankheit, die sich beispielsweise mit fortschreitendem Lebensalter und soziokulturellen Veränderungen wandeln.

Ein hohes Körpergewicht – Bilder des Malers Peter Paul Rubens vermitteln noch heute einen Eindruck davon - galt im Zeitalter des Barock z.B. als Ausdruck von Macht, Schönheit und Gesundheit. Zweihundert Jahre später stand diese Leibesfülle im Verdacht,

127 (BVerfGE 27, 1, 6 = NJW 1969; Das Verbot der Verwendung von Personenkennzeichen wird aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG abgeleitet.)

128 Kommission zur Verbesserung der informationellen Infrastruktur zwischen Wissenschaft und Statistik (2001)

Herzinfarkt, Diabetes und Krankheiten des Bewegungsapparates zu verursachen. Die Gesundheitsauffassung ändert sich auch in Verbindung mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln in unserem Kulturkreis zu jeder Zeit für jedermann – ebenso wie Schönheitsideale. Gesundheit ist geprägt von Werten, sozioökonomischen und soziokulturellen Gegebenheiten.

Im Folgenden werden die verschiedenen gegenwärtig diskutierten Auffassungen über Gesundheit und Krankheit sowie die Entwicklung der Gesundheitsberichterstattung in Deutschland dargestellt.

2.2.4.1 Definition von Gesundheit und Krankheit aus unterschiedlichen