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Szenische Darstellung

Im Dokument Die Gerechtigkeit muss ihren Lauf nehmen (Seite 146-151)

Eine Sonderstellung nehmen die szenischen Darstellungen ein, die ausschließ-lich aus Dialogen oder Dialogen mit knappen Regieanweisungen des Erz¨ahlers bestehen, da sie nach Stanzel kein erz¨ahlerisches Element darstellen:

Die dramatisierte Szene, die nur, oder fast nur aus Dialogen der Charaktere besteht, ist streng genommen kein narratives, sondern

ein dramatisches Bauelement. Sie kann daher, auch wenn sie re-lativ h¨aufig in Erz¨ahlungen anzutreffen ist, nicht zur Konstituie-rung der Grundtypen des Erz¨ahlens verwendet werden, was nicht bedeutet, daß ihr bei der Erstellung des Profils, das sich aus der Aufeinanderfolge der verschiedenen Bauelemente einer Erz¨ahlung ergibt, keine Bedeutung zukommt.3

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¯a tragen die dramatisierten Szenen stark zur Dy-namik und zum Spannungsverlauf bei und werden vor allem an den Stellen eingesetzt, die f¨ur die Handlung entscheidend sind: im Verh¨or der drei auf der Polizeiwache in Crater (S. 58-69) und w¨ahrend der Gerichtsverhandlung (S. 84-100). Diese beiden Schl¨usselstellen sollen den Leserinnen und Lesern besonders lebendig vor Augen gef¨uhrt werden. Der Roman enth¨alt noch ei-nige andere dramatisch gestaltete Szenen, die aber viel k¨urzer und f¨ur den Handlungsverlauf weniger bedeutsam sind.

In den szenisch dargestellten Abschnitten tritt der Erz¨ahler weitgehend zur¨uck und beschr¨ankt sich auf meist knappe Regieanweisungen. Die Umsetzung der Handlung in Dialoge erweckt den Eindruck, sich mitten im Geschehen zu be-finden. Durch die st¨andigen Sprecherwechsel ¨andert sich jedes Mal die Per-spektive, was dem Erz¨ahlten eine starke Dynamik und eine schnelles Tempo verleiht.

– Aber er war wirklich niemals bei uns. Siehst du nicht, Genosse Gibr¯ˇ an, dass seine L¨uge ein Zeichen seiner Verstrickung ist?

– Ich sehe nichts, als dass er mit seinen Aussagen den Beweis seiner Unschuld in eure H¨ande gelegt hat, dass er wie jemand ist, der euch um Hilfe bittet. Es ist eure Pflicht, ihn zu retten.

– Ihn zu retten? Und warum sollten wir einen M¨order retten?

– Das ist, als wolltest du von uns verlangen, dass wir seine Kom-plizen im Verbrechen seien!

– Und was erz¨ahle ich Mozart?

– Warum ¨uberlassen wir seine Sache nicht dem Gericht, dass es sein Schicksal ohne Einmischung entscheide?

Gibr¯ˇ ans Geduld war am Ende und er hob w¨utend die Stimme.

(S. 63)

Hier tritt der Erz¨ahler ganz zur¨uck und es ist nicht einmal gekennzeichnet, wer gerade spricht. Lediglich aus dem Gesagten selbst l¨asst sich ableiten, um wen es sich handelt: Die besonnenen ¨Außerungen mit dem Wunsch, den Fall den Gerichten zu ¨uberlassen, sind Ah.mad zuzuordnen, die Emp¨orung und

3Stanzel 1991, S. 70 f.

Wut Mahd¯ı und die FrageUnd was erz¨ahle ich Mozart kann kein anderer als Anwar stellen.

Das aufgeregte Hin und Her dieser Szene spiegelt sich deutlich in ihrer Ge-staltung wider. Die S¨atze sind kurz, der Sprecher wechselt st¨andig, und es werden viele Fragen gestellt. Keine der Figuren ergreift das Wort, um mit einer l¨angeren Rede die Stimmung zu beruhigen. Diese Unruhe und das ra-sche Tempo w¨urden Regieanweisungen und Kommentare des Erz¨ahlers nur schw¨achen.

Noch aufregender und im Tempo schneller als das Verh¨or komponiert , Aw-laq¯ı die Gerichtsverhandlung. Sie ist zum gr¨oßten Teil als Dialog gestaltet, in den einige Passagen in Er-Form eingef¨ugt sind. Diese beschreiben entweder aus der Innenperspektive die Gedanken der Figuren, oder aus der Außen-perspektive die Ereignisse im Gerichtssaal, die nicht Teil der Vernehmungen sind.

Durch die Dialogform f¨uhlen sich die Leserinnen und Leser direkt ins Gesche-hen hineinversetzt, das in der w¨ortlichen Rede unmittelbarer erscheint, und weder erkl¨art noch kommentiert wird. Dabei wirkt der Dialog ambivalent auf das Tempo: Durch die Ausf¨uhrlichkeit der Zeugenbefragung wird das Tempo gebremst, durch knappe Antworten, die auf nicht im Text gestellte Fragen gegeben werden, nimmt die Geschwindigkeit zu.

– Du hast in deiner ersten Antwort auf die Frage des gesch¨atzten Herrn Richters gesagt, dass du dich nicht erinnerst, wo du in der Nacht zum 4. Juni warst. Ist es nicht so?

– Ja, das habe ich gesagt. [...]

– Dann sagtest du weiter, dass du dir sicher seist, ,Umar ,Abd as-Sal¯am in jener Nacht nicht getroffen zu haben?

– Ja, dessen bin ich mir sicher.

– Wie erkl¨arst du dann den Mangel an Gewissheit bei deiner er-sten Antwort und die v¨ollige Sicherheit bei deiner zweiten Ant-wort?

– Ich erkl¨are das lediglich damit, dass ich die Wahrheit gesagt habe.

– Was ist die Wahrheit?

– Die Wahrheit ist, was ich gesagt habe.

– Was du beim ersten Mal gesagt hast, oder was du beim zweiten Mal gesagt hast?

– Was ich beide Male gesagt habe.

– Wie, wo es doch offensichtlich einen Widerspruch zwischen bei-den Antworten gibt? Kannst du dies dem hohen Gericht erkl¨aren?

– Was ich in der ersten Antwort sagte, gilt speziell f¨ur den Ort

meines alleinigen Aufenthaltes. Was ich in der zweiten Antwort sagte, betraf die Anwesenheit einer weiteren Person bei mir.

– Was du in beiden Antworten gesagt hast, betraf die selbe Sache.

(S. 88 f.)

In der Verh¨orszene werden die Ausagen, die Ah.mad bereits gemacht hat, rekapituliert. Darin zeigt sich sein z¨ahes Ringen mit dem Verteidiger. Durch die st¨andigen Wiederholungen der selben Angaben in nur leicht ge¨anderter Satzstellung wirkt diese Stelle erm¨udend und nervenaufreibend, wie die Si-tuation, die sie beschreibt. Das Tempo ist stark verlangsamt, trotz h¨aufiger Sprecherwechsel, die sich allerdings auf zwei Figuren beschr¨anken. Die S¨atze sind kurz und bieten wenig Abwechslung.

Ahnlich gestaltet sich die Befragung Anwars. Auch hier verwendet der Autor¨ kurze S¨atze und Ellipsen, um die gesprochene Sprache und Anwars Aufre-gung m¨oglichst authentisch einzufangen:

– Ja, ich war es gewohnt, dort in der Gesellschaft Ah. mad al-Q¯ad.¯ıs und Mahd¯ı B¯asunbuls zu sitzen.

– Nein, es kam nicht vor, dass ich dort zu jener fortgeschrittenen Stunde alleine saß.

– Nicht ein einziges Mal.

– Wenn es noch fr¨uhzeitig war, ja. Nat¨urlich saßen wir nicht immer zusammen oder gleichzeitig.(S. 96)

Da die Fragen nicht gestellt werden und sich nur aus dem Bezug ableiten lassen, den Anwar in seinen Antworten auf sie nimmt, konzentriert sich das ganze Geschehen dieser Szene auf ihn. Alle anderen Figuren sind ausgeblen-det und erscheinen nicht einmal als Stichwortgeber. Auch der Erz¨ahler ver-schwindet, um nicht den Fokus von dieser einen Figur abzulenken. So einsam und exponiert, wie sich der Zeuge im Zeugenstand f¨uhlt, so isoliert stehen seine Aussagen im Text. Obwohl Außenperspektive vorherrscht, wird Anwars Unbehagen deutlich.

Auch wenn der Er-Erz¨ahler in den Dialogpassagen immer wieder ganz zur¨ uck-tritt, ist er doch gerade f¨ur die Darstellung der Gerichtsverhandlung un-verzichtbar. Immer wieder beschreibt er aus der Innenperspektive einer der Helden dessen Gef¨uhle und Gedanken und liefert damit wichtige Schl¨ussel f¨ur das Verst¨andnis des Textes. Vor Gericht sind die drei Helden aufgeregt und befinden sich im Gewissenskonflikt, da sie sich zu Beginn ihrer Zeugen-aussage noch nicht entschieden haben, ob sie die Wahrheit sagen, oder den Drohungen ˇGibr¯ans nachgeben und l¨ugen sollen. Ihr Z¨ogern und ¨Uberlegen beschreibt der Er-Erz¨ahler:

Er (Ah. mad; B. V.) war verwirrt und stockte. Er hatte eine an-dere Frage erwartet, leichter als diese, danach, ob der Angeklagte zu jener Zeit bei ihnen war oder nicht. Dann h¨atte er mit ja oder nein antworten k¨onnen. Was diese Frage betraf... Wie konnte er auf der Richtigkeit seiner Antwort bestehen, nachdem all diese Monate vergangen waren? Deswegen, und um mehr Zeit zu ge-winnen, um ¨uber die Antwort nachzudenken, tat er so, als h¨atte er die Frage nicht richtig geh¨ort.(S. 84)

In der Ehrfurcht des Schweigens, das ¨uber dem Saal schwebte, kehrte Anwar H

¯¯an zu sich selbst zur¨uck und fasste sich m¨uhsam.

Da wurde ihm die Dem¨utigung bewusst, in der er steckte, und die Schande, die er selbst auf sich geladen hatte. Er f¨uhlte, dass er nackt vor den Leuten stand, ohne dass etwas seine Bl¨oße verbarg.

(S. 94)

In beiden Szenen steht eine Figur im Zeugenstand und denkt ¨uber ihre Lage nach. Das Tempo, das sich im Dialog mit schnellem Sprecherwechsel st¨andig steigert, wird hier stark verlangsamt und die ¨außere Handlung gestoppt. Aus der Innenperspektive wird das Verhalten der Figur erkl¨art. Dies verdeutlicht den Gewissenskonflikt der beiden Hauptfiguren und ihre Auseinandersetzung mit der schwierigen Situation, in der sie sich befinden.

Eine weitere wichtige Funktion des Er-Erz¨ahlers f¨ur die Konstruktion der dramatisierten Szenen ist die Darstellung der ¨außeren Handlung, die nicht durch die Dialoge abgedeckt wird und die der Erz¨ahler zusammenfasst:

Der Streit wurde gef¨ahrlich und die Stimmen lauter. Die Stimme und das Geschrei ˇGibr¯ans hatten sich dem Geschrei angeschlos-sen in dem Versuch, am lautesten zu warnen und zu drohen. Die Rettung kam in Form lauten Klopfens an der T¨ur, die ˇGibr¯an sofort schnell ¨offnete. Ein von Kopf bis Fuß schwer bewaffneter Soldat trat ein, als k¨ame er direkt vom Schlachtfeld oder ginge dort hin. Unerschrocken entbot er den milit¨arischen Gruß. Der Eintritt des Soldaten war wie der Wind, der ein loderndes Feuer l¨oscht. Ein pl¨otzliches, d¨usteres Schweigen trat ein und breitete sich aus. Aus dem Mund des Soldaten kamen stoßweise, dicht aufeinander folgende, zusammengesetzte Worte. (S. 59)

An dieser Stelle wird die st¨andig wechselnde Perspektive des vorangegan-genen Dialogs abgel¨ost durch einen Panoramablick, der die ganze Szenerie erfasst. Nicht mehr der Inhalt des Streitgespr¨achs steht im Vordergrund, son-dern die Stimmung, die im Zimmer herrscht und die sich in der Diskussion

der drei Nachtplauderer mit ˇGibr¯an hochgeschaukelt hat. Durch den Auftritt des Soldaten wird das Wortgefecht unterbrochen und die drei Helden blicken stumm auf die beiden Milit¨ars, die sie weniger durch ihre Worte als durch Gesten einsch¨uchtern. Diese wiederzugeben ist Aufgabe des Erz¨ahlers.

W¨ahrend der Gerichtsverhandlung beschreibt wieder der Er-Erz¨ahler pano-ramaartig das Geschehen:

Das Gemurmel im Saal wurde gef¨ahrlich lauter, bis es sich zum L¨arm wandelte, w¨ahrend der Richter die Riten vollzog und sich zu seinen beiden Kollegen wandte, die rechts und links von ihm saßen, und dabei jedem von ihnen Worte ins Ohr fl¨usterte, die niemand h¨orte. Zur gleichen Zeit fl¨usterte ˇGibr¯an, der infolge des Verh¨orverlaufs erblasst war, mit ziemlich lauter Stimme ins Ohr eines jungen Mannes mit zerzaustem Haar, der neben ihm saß und eine Brille vor seine Augen setzte, die einen dummen, idiotischen Blick aussandten. Der Mann mit dem zerzausten Haar h¨orte ˇGibr¯ans Fl¨ustern zu und wandte sich schockiert zu ,Umar , Abd as-Sal¯am und drehte sich ein einziges Mal zu Ah. mad al-Q¯ad.¯ı, voller entt¨auschter Hoffnung.(S. 86 f.)

Diesmal wird die Aufregung und Spannung, die im vorangehenden Dialog erzeugt wurde, nicht abrupt unterbrochen, sondern durch die Beschreibung der im Gerichtssaal herrschenden hektischen Betriebsamkeit noch gesteigert.

Der Blickwinkel des Er-Erz¨ahlers wechselt st¨andig zwischen den Figuren hin und her, bleibt aber in der Außenperspektive, was der Szene einen filmarti-gen Charakter verleiht. So schnell wie sich die Dinge ereignen, sollen sie den Leserinnen und Lesern vermittelt werden. Was in dieser Szene gesagt wird, ist f¨ur die Handlung nicht von Bedeutung, da es den Protagonisten und dem Publikum gleichermaßen verborgen bleibt.

Im Dokument Die Gerechtigkeit muss ihren Lauf nehmen (Seite 146-151)