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Ar-rah¯ına – der erste moderne Roman

Zayd Mut.¯ı, Damm¯aˇgs 1984 erschienenes Werkar-rah¯ına (Die Geisel) wird als erster moderner Roman des Jemen angesehen.38 Damm¯aˇg w¨ahlt einen historischen Stoff, das Leben einesduwayd¯ar 39 im Palast eines Gouverneurs des Imams. Der Junge war zuerst Gefangener in der Festung40, entschied sich dann aber freiwillig, als duwayd¯ar im Palast zu arbeiten. Doch bald stellt er fest, wie fremd ihm, dem Jungen vom Land, das h¨ofische Leben ist. Sein

36,Abd al-Wal¯ı nennt kein Datum, aber es ist klar, dass es sich um die Erst¨urmung Sanaas 1948 handelt.

37Hier spielt,Abd al-Wal¯ı wahrscheinlich auf den FilmRoma, citt`a apertavon Roberto Rosselini aus dem Jahr 1945 an, in dem amerikanische Soldaten Rom pl¨undern.

38usuf 1997, S. 21;,Ab¯ud 1987, S. 19

39D uwayd¯ar, pl.daw¯adira war zur Zeit des Imamats die Bezeichnung f¨ur einen Pagen bis zum 13. Lebensjahr, der in den Harems als Diener arbeitete und die Eunuchen ersetzte.

Die Imame nahmen S¨ohne der gr¨oßten Familien des Landes als Geiseln, um so Angriffe der St¨amme zu verhindern. Diese Kinder wurden entweder im Gef¨angnis festgehalten, oder dienten, wie in Damm¯gs Roman, alsdaw¯adira.

40Gemeint ist die Festungal-q¯ahira (Kairo) oberhalb der Stadt Taizz

Kollege, derh¨ubsche duwayd¯ar , f¨uhrt ihn in seine Arbeiten und den All-tag in der Residenz des Gouverneurs ein und gl¨anzt mit seinem Wissen ¨uber Technik, Politik und – vor allem – die Frauen. Diese nutzen die erwachende Sexualit¨at der daw¯adira aus und besuchen sie nachts in ihrem Zimmer, um von den Jungen Liebesdienste zu erhalten.

Dem Helden des Romans widerstrebt das Leben am Hof, das ihm verweich-licht und unmoralisch erscheint. Er verliebt sich zwar heftig in die geschiedene Schwester des Gouverneurs, ˇsar¯ıfa H. afs.a, die auch Gefallen an ihm findet, doch er widersetzt sich ihr, als sie ganz selbstverst¨andlich ¨uber ihn verf¨ugen will, wie sie es von anderen daw¯adira gewohnt ist. Auf seine Aufm¨upfigkeit reagiert dieˇsar¯ıfa mit Gewalt und l¨asst ihn in Ketten legen. Der duwayd¯ar ist zwar noch jung, aber sehr stolz und entzieht sich trotz seiner Verliebtheit derˇsar¯ıfa , indem er dem Gouverneur erkl¨art, er sei zu alt f¨ur den Dienst bei den Frauen. Daraufhin bedient er den Gouverneur und die M¨anner.

Der h¨ubsche duwayd¯ar ist inzwischen an Tuberkulose erkrankt und dem Helden wird schmerzlich bewusst, von welch hoher Warte die Familie des Gouverneurs auf ihre Diener herabblickt, denn die Frauen, die fr¨uher jede Nacht den h¨ubschen duwayd¯ar besuchten, bleiben aus, weil sie sein Hu-sten st¨ort und sein Gesicht blass geworden ist. Als er schwer krank im Bett liegt, ist der Protagonist der einzige, der sich um ihn k¨ummert.

Bei der Beerdigung des h¨ubschen duwayd¯ars treffen sich der Held und ˇsar¯ıfa H. afs.a nach l¨angerer Zeit wieder und sprechen lange miteinander. Sie weiß, dass er die Gelegenheit zur Flucht nutzen wird, und bittet ihn, sie mit zu nehmen, doch er lehnt ab. Diesmal ist er, der immer als dummer Jun-ge behandelt wurde, der vern¨unftige. Die ˇsar¯ıfa versucht, ihn mit Gewalt zur¨uckzuhalten und sich zu unterwerfen, doch der Junge l¨auft davon, seiner lange ersehnten Freiheit entgegen.

Damm¯aˇg erz¨ahlt seinen Roman aus zwei Perspektiven: Der h¨ubsche duwayd¯ar erkl¨art dem Helden und damit auch den Leserinnen und Lesern das Leben im Palast und die Stellung seiner Bewohnerinnen und Bewohner, der Protagonist betrachtet als Außenstehender das f¨ur ihn fremde dekadente Leben der Familie des Gouverneurs und stellt seinem Kollegen die Fragen, die f¨ur das Verst¨andnis der Handlung wichtig sind. So werden beide Perspek-tiven parallel beleuchtet. Dabei bleiben die Standpunkte der beiden Jungen bestehen, da der Held im Gegensatz zumh¨ubschenduwayd¯ar nicht bereit ist, sich anzupassen und die st¨andigen Erniedrigungen hinzunehmen. Diese

¨außern sich im Verhalten der M¨achtigen gegen¨uber ihren Untergebenen und werden symbolisiert durch ein Spottlied, das die Palastwachen regelm¨aßig singen, wenn ein duwayd¯ar auftaucht, und dessen Zeile Deine Mutter, o duwayd¯ar , ist außer sich wegen ihres Verlustes; ihre Tr¨anen fallen wie der Regen..., sich als Motiv durch den Roman zieht.

Die beiden Jungen w¨ahlen gegens¨atzliche Wege, um ihr unw¨urdiges Leben im Palast zu ertragen: Der h¨ubsche duwayd¯ar passt sich an und unter-wirft sich. Sein passiver Widerstand gipfelt darin, dass er an Schwindsucht erkrankt und stirbt. Die Geisel hingegen ist aufm¨upfig, gibt Widerworte und gibt auch nicht nach, als dieˇsar¯ıfa den Jungen in Ketten legen l¨asst. Der Gefangene k¨ampft st¨andig f¨ur seine Freiheit und W¨urde, die er zum Schluss auch erlangt.

Ein weiterer Gegensatz, der den Roman durchzieht, ist das Verh¨altnis von Herrschenden und Beherrschten. Der Gouverneur und dieˇsar¯ıfa H. afs.a be-handeln ihre Untergebenen als ihnen zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet und gestehen ihnen keine pers¨onlichen Freiheiten zu. Widerstand wird sofort hart bestraft. Besonders heftig reagiert dieˇsar¯ıfa , als die Geisel ihre Aff¨are mit einem ber¨uhmten Dichter und Frauenhelden sehr deutlich missbilligt.

Da ihr Page nicht nur ihre Schw¨ache erkannt hat, sondern ihr auch noch Ratschl¨age erteilt, schl¨agt sie ihn in hilfloser Wut ins Gesicht und l¨asst das Kind in Ketten legen. Solange die beiden Jungen im Palast leben, sind sie der Familie des Gouverneurs ausgeliefert. Nur durch Flucht oder Tod k¨onnen sie sich deren Willk¨ur entziehen.

Damm¯aˇg verwendet f¨ur seinen Roman eine moderne Umgangssprache, wie sie von Journalisten und in Fernsehserien verwendet wird, und die ¯Amina Y¯usuf als lu˙ga wust.¯a 41 bezeichnet. Damit ist der Roman nicht nur Jemeni-ten zug¨anglich. Trotzdem verliert er nicht seine Authentizit¨at, da der Autor immer wieder speziell jemenitische Begriffe einflicht. Der Roman ist nicht autobiographisch, st¨utzt sich aber auf Erfahrungen, die der Verfasser selbst gemacht oder bei Verwandten indirekt miterlebt hat.

Damm¯aˇg42 wurde 1943 im Dorf D¯ı al-Mahmar bei Ibb geboren und ent-stammte einer Familie, die in der Widerstandsbewegung gegen die Imame der H. am¯ıd ad-D¯ın-Dynastie sehr aktiv war. Sein Vater, Mut.¯ı, ibn , Abdal-lah Damm¯aˇg begr¨undete 1944 mit Muh.ammad Mah.m¯ud az-Zubayr¯ı, Ah.mad Muh.ammad Nu,m¯an und anderen dieFreien Jemenitenund war am Um-sturzversuch von 1948 beteiligt. Bereits 1944 wurden mehrere Cousins des Autors als Geiseln genommen und einige seiner Onkel inhaftiert. Da sich Mut.¯ı ibn ,Abdallah Damm¯aˇg maßgeblich an der Revolution von 1962 betei-ligte, wurde er zum Gouverneur von Ibb ernannt.

Zayd Mut.¯ı, besuchte ab 1955 dieah. mad¯ıya-Grundschule in Taizz und setzte ab 1958 seine Ausbildung an der Mittelschule (i,d¯ad¯ıya ) in Ban¯ı Suwayf in Agypten fort, weil es im Jemen damals noch keine weiterf¨¨ uhrenden Schulen gab. 1959 bis 1963 besuchte er die Oberstufe in der Stadt T. ant.¯a und studierte

41usuf 1997, S. 120

42zur Biografie Damm¯gs s. Orth 1997, S. 120 f. und al-Sharaabi 2000

anschließend bis 1968 Journalistik an der Kairo-Universit¨at. Danach kehrte Damm¯aˇg in den Jemen zur¨uck und wurde 1970 ins Parlament gew¨ahlt. 1975 wurde er zum Gouverneur der Provinz al-Mah.w¯ıt ernannt und 1978 erneut ins Parlament gew¨ahlt. Ab 1979 war er im Außenministerium besch¨aftigt und ab 1980 Charg´e d’affaires in Kuwait. Nach der Vereinigung der beiden Jemen 1990 war er als Berater mit dem Titel Botschafter im Außenmi-nisterium t¨atig. Er war außerdem Mitglied der Regierungspartei Allgemei-ner Volkskongress, des Jemenitischen Schriftstellerverbandes, des Verbandes der Schriftsteller Asiens und Afrikas, der Jemenitischen Journalistengewerk-schaft, des Jemenitischen Roten Halbmonds, des Jemenitischen Rates f¨ur Frieden und Solidarit¨at(maˇglis as-silm wat-tad. ¯amun al-yaman¯ı ) und des Jemenitischen Menschenrechtskomitees.

Am 5. M¨arz 2000 erlag Zayd Mut.¯ı, Damm¯aˇg in London einer Leuk¨amie, an der er bereits 15 Jahre lang litt. Neben seinem Roman ver¨offentlichte er mehrere Kurzgeschichtensammlungen: t.¯ah¯ıˇs al-h.awb¯an (Der Teufel von al-H. aub¯an43; 1973),al-,aqrab (Der Skorpion; 1982),al-ˇgisr (Die Br¨ucke; 1986) und ah. z¯an al-bint mayy¯asa (Die K¨ummernisse des M¨adchens Mayy¯asa; 1990).

3.10 Zur Situation der Schriftstellerinnen