• Keine Ergebnisse gefunden

In der schwierigen Zeit, in der die drei Nachtplauderer leben, beweisen sie viel Mut, wenn sie entsprechend ihren moralischen Grunds¨atzen handeln, denn sie haben sich daf¨ur entschieden, gegen den Strom zu schwimmen. Als Vorbild und Warnung dient ihnen Badr al-H¯aˇsim¯ı, der sich weigerte, sich anzupassen, und der diesen Mut mit dem Leben bezahlte (vgl. S. 9). Deshalb halten sich Ah.mad und Mahd¯ı zur¨uck, wenn sie in ihren Zeitungsartikeln und Theaterst¨ucken Gesellschaft und Politik kritisieren, aber nicht genug, um der gerichtlichen Verfolgung zu entgehen.

Die drei Nachtplauderer wissen, dass sie sich mit ihren hohen moralischen Anspr¨uchen an sich selbst aus der Masse der Mitl¨aufer herausheben und

mehr Mut beweisen als die meisten von ihnen. Aber sie fragen sich immer wieder, ob ihr Handeln mutig oder bloß leichtsinnig ist.

Nat¨urlich ist nicht alles, was in unserem Inneren entstanden ist, v¨ollige Furcht, die uns mit totaler Feigheit beflecken kann, son-dern in uns dringt viel Mut ein, und dieser Mut m¨ochte, dass die Dinge entsprechend ihrer nat¨urlichen Wesensart seien. Aber mit dem Vorrat an Furcht in uns und mit dem Andauern der Geduld und des Lebens werden moralische Normen der Zeit, dem Ort und dem Umfeld angepasst. Mit aufmerksamer Beobachtung des Be-reichs, der dem Mut und dem, was er an T¨ucke in sich einschließt, gew¨ahrt wird, an T¨ucke, die nicht zwischen dem Mut und dem Leichtsinn unterscheidet. Hierzu kommen die guten Ratschl¨age weiser Freunde. Dann k¨onnen wir zwischen Voreiligkeit und Scharf-sinn unterscheiden. (S. 53)

Ah. mad al-Q¯ad.¯ı sagte:

— Es gibt keinen Ausweg und keine L¨osung außer dem Leicht-sinn. Wer von uns m¨ochte um sein Leben spielen? Oder zumin-dest um seine Sicherheit und Ruhe? Die Zeit der tragischen Hel-den ist vorbei.

Mahd¯ı sagte immer wieder:

— Die L¨osung gleicht also dem Russischen Roulette. Aber nie-mand hat den Mut, es zu spielen. (S. 68 f.)

Die drei Helden wollen, dass moralische Werte die Grundlage ihres Tuns sind, nicht schlichtweg Leichtsinn. Deswegen sprechen sie bei ihren n¨ acht-lichen Treffen auf der Mauer auch immer wieder ausf¨uhrlich miteinander

¨uber das, was sie erlebt haben und was sie planen. Mahd¯ı berichtet nach seiner R¨uckkehr aus ˇSih.r seinen Freunden von seinem Misserfolg, den er bei der Auff¨uhrung seines St¨uckes erlebte. Er hatte versucht, das Publikum zu bewegen und Gesellschaftskritik zu ¨uben, hat aber nur Unverst¨andnis und Verwirrung hervorgerufen. Zudem hat er den Kulturkommissar ver¨argert, der ihn nach der Auff¨uhrung heftig angriff. Also war sein ganzer Mut umsonst, und er hat nichts von dem bewirkt, was er beabsichtigte.

W¨ahrend des Verh¨ors lassen sich die drei Nachtplauderer nicht leicht ein-sch¨uchtern und vertreten ihre ¨Uberzeugung gegen¨uber ˇGibr¯an. Ah.mad ver-sucht zun¨achst, mit sachlichen Argumenten ˇGibr¯an zu bewegen, ihnen die Falschaussage zu ersparen:

Wenn du von seiner Unschuld ¨uberzeugt bist, Genosse ˇGibr¯an, warum lasst ihr ihn dann nicht frei, seid zufrieden und lasst uns in Ruhe? (S. 58)

Mahd¯ı hingegen will diesen von Ah.mad gesuchten Kompromiss nicht hinneh-men und fordert lautstark Gerechtigkeit. In seiner Entt¨auschung und Wut dar¨uber, wie im Staat Recht verdreht wird, verliert er jegliche Angst (vgl.

S. 58 f.). Doch weder Ah.mads Argumente noch Mahd¯ıs Angriffe k¨onnen die drei Helden aus ihrer schwierigen Lage befreien. Schließlich sehen sie ein, dass aktiver Widerstand gegen ˇGibr¯an zwecklos ist, und widersetzen sich mit Schweigen, bevor sie endg¨ultig nachgeben (vgl. S. 65-67).

Den gr¨oßten Mut beweisen die drei Nachtplauderer vor Gericht, als sie trotz Gibr¯ˇ ans Drohungen die Wahrheit sagen (vgl. S. 86, 91, 95). Dieser Mut kommt nicht nur aus ihrer inneren ¨Uberzeugung, sondern wird durch die beiden Auftritte des Mannes im blauen Anzug gest¨arkt, der die drei auffor-dert, die Wahrheit zu sagen, und der ihnen eine bessere Zukunft verspricht, in der Freiheit und Menschenrechte f¨ur alle gelten.

Die Zeugenaussage ist ein Treuh¨anderamt, das den Zeugen aufer-legt ist. Erz¨ahlt die Wahrheit, sagt das Richtige und f¨urchtet euch vor nichts. (S. 80)

Sogar ihr f¨urchtet euch also. Aber ihr k¨onnt die Wahrheit sagen.

Die Zeiten haben sich ge¨andert. (ebd.)

Mit seiner Aufforderung st¨arkt der Mann im blauen Anzug den drei Helden den R¨ucken, die sich bereits von ihrem Gewissen dazu gedr¨angt f¨uhlen, die Wahrheit zu sagen. Mit seinem ganzen Auftreten strahlt der Unbekannte Ruhe und Sicherheit aus, die sich auf die drei Nachtplauderer ¨ubertragen.

Als Anwar von seinem Traum erz¨ahlt, in dem der Mann im blauen Anzug im UFO erscheint, beschreibt er das Gef¨uhl kindlichen Urvertrauens, das die drei Freunde w¨ahrend der Begegnung mit der messianischen Gestalt bef¨allt:

Wir lebten in den Weiten der s¨ußen Ruhe, die uns in die fernsten Jahre unserer Kindheit zur¨uckversetzte, an den Tag, an dem wir in baumwollene Hemden gewickelt wurden, die sehr weich, fest und kostbar waren.(S. 82)

Das Gef¨uhl v¨olliger Sicherheit und Geborgenheit, das ein S¨augling in dieser Situation empfindet, ist den drei Nachtplauderern im Laufe ihres Lebens ab-handen gekommen. Die schrecklichen Ereignisse, die die j¨ungere Geschichte ihres Landes pr¨agen, haben ihre Angst und ihr Misstrauen gesch¨urt. Diese st¨andige Unsicherheit durchbricht der Mann im blauen Anzug mit seinem Auftreten und seinem Versprechen, dass sich die Zeiten ge¨andert h¨atten und die Gefahr f¨ur die drei Helden geringer geworden sei. Als die drei summ¯ar nach der Gerichtsverhandlung wieder auf ihrer Mauer sitzen und von der

Angst vor ˇGibr¯an geplagt werden, sucht sie der Unbekannte dort auf und lobt sie f¨ur ihren Mut vor Gericht und f¨ur ihre Ehrlichkeit (vgl. S. 101).

Doch er schafft es nicht, ihnen die Angst und die Unsicherheit zu nehmen, die sie qu¨alen, und ihnen dauerhaft das Vertrauen in eine bessere Zukunft zu geben. Die Schrecken der Vergangenheit lasten zu stark auf den drei Nacht-plauderern.

Und wer leitet uns auf dem Weg, der zur endg¨ultigen Befreiung f¨uhrt, die die Furcht zerschl¨agt, die uns das Gef¨uhl des Vertrau-ens raubte, die Freiheit, die Entschlossenheit und den Willen?

Wer gibt uns die Kraft zum freien Losst¨urmen zur¨uck , das uns zu der Entdeckung leitet, die zum Sieg f¨uhrt? Wie gewinnen wir den Glauben an die Zukunft zur¨uck, den wir suchen, dass wir f¨ur sein sch¨onstes Strahlen arbeiten... (S. 111)

Wie k¨onnen wir der Aufl¨osung der Verbindungen widerstehen, die zwischen uns und der Drohung mit dem Ende unseres Gef¨uhls der Vertrautheit, Sicherheit und Zugeh¨origkeit besteht? Wer gibt uns die innere Ruhe, die uns zur R¨uckkehr zu uns selbst bef¨ahigt, zum Vertrauen und zur Heiterkeit, die in unserem Inneren zittert, zu unserer Reinheit und Spontaneit¨at, dass wir unseren sch¨ opferi-schen F¨ahigkeiten die Z¨ugel schießen lassen, dass sie frei in den Himmel einer neuen Welt fliegen, rein und mutig, wie wir sie uns oft getr¨aumt haben, sie uns gew¨unscht und sie erwartet haben...

(ebd.)

Im Dokument Die Gerechtigkeit muss ihren Lauf nehmen (Seite 184-187)