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Der Jemenitische Schriftstellerverband

3.10 Zur Situation der Schriftstellerinnen

3.10.3 Der Jemenitische Schriftstellerverband

1971 gr¨undeten einige Autoren in Aden den Jemenitischen Schriftstellerver-band50, der sich in seiner Satzung die Belebung des literarischen Schaffens im Jemen, die Nachwuchsf¨orderung und die Herstellung von Kontakten zu Autorinnen und Autoren in anderen L¨andern zum Ziel setzte. Außerdem soll-ten die Mitglieder gegen Zensur und politische Verfolgung verteidigt werden.

Von Anfang an war der Verband in beiden Landesteilen aktiv und schaffte es,

¨uber die Grenze hinweg den Kontakt unter den Schriftstellern des Jemen zu f¨ordern und die Literatur des einen Landesteils im anderen zu verbreiten51. Trotz der politischen Schwierigkeiten gelang es dem JSV, in beiden Landes-teilen in verschiedenen St¨adten Festivals und Tagungen zu veranstalten. In seiner Verbandszeitschriftal-h. ikma (Die Weisheit) werden literarische Werke und literaturkritische Aufs¨atze ver¨offentlicht.

Der Verband ist in Sanaa, Taizz, Aden, al-H. udayda, Ibb, Aby¯an, Lah.ˇg, al-Mukall¯a und Say¯un vertreten und hat rund 500 Mitglieder. Die meisten Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die im Jemen ver¨offentlicht haben, sind im JSV organisiert. Seine R¨aumlichkeiten spielen eine wichtige Rolle bei der

48Mut

¯ann¯a 1990, S. 51, 56

49,Ali 1996, S. 69 f.

50Als Quellen f¨ur dieses Kapitel dienten die Angaben,Awlaq¯ıs (vgl. S. 256) und Orths (Orth 1997, S. 71 f.).

51,Awlaq¯ı berichtet:Er war die einzige Organisation seiner Art, die vor der Einheit im gesamten Jemen aktiv war.(,Awlaq¯ı im 2. Brief; vgl. S. 256)

Kontaktpflege der Autoren untereinander, denn sie werden regelm¨aßig f¨ur Q¯at-Sitzungen genutzt, bei denen sich die Verbandsmitglieder ¨uber das Lite-raturschaffen informieren, ihre Werke vortragen und auch Symposien zu ver-schiedenen Themen veranstalten. Frauen sind allerdings aufgrund der stren-gen Geschlechtertrennung im Jemen von diesen Treffen weitest gehend aus-geschlossen, was die Arbeit der Autorinnen zus¨atzlich erschwert.

Kapitel 4

Ubersetzung ¨

Die drei Nachtplauderer

3 Als der Kulturverein, der parallel zum K¨onigin Arw¯a-Weg in Aden liegt, auf dem H¨ohepunkt seiner Macht und seines Glanzes war, da erlebten seine Tage und N¨achte den sch¨onsten Club der alten Stadt, die geduldig inmitten einer ununterbrochenen, kreisf¨ormigen Kette hockte, die die hohen, kahlen Berge bilden.

Hier wurden im Laufe der Jahre hunderte Meter Q¯atstr¨aucher1 abgestreift, tausende und abertausende Flaschen Coca-Cola wurden ge¨offnet, und es wur-de an L¨ammern geschlachtet, was zum Zusammenstellen einer ganzen Herde reichen w¨urde. Was die Arten von Getr¨anken angeht, die ausgeschenkt wur-den, so waren sie nicht weniger als eine geeignete Grundlage, um einen kleinen See zu bilden.

Hier gab es Sinn f¨ur Festivals der Musik, des Tanzes, des Theaters und des Kinos, f¨ur ihre Besucher Stimmung und f¨ur ihre Riten Heiligung. Und in den N¨achten der endlosen Gespr¨ache gab es etwas, das ihren L¨arm von dem Echo befreite, das zur¨uckgeworfen wird.

Hier pflegte das Lachen frei im endlosen Raum zu ert¨onen und die Tr¨anen versteckten sich schamhaft in den (Taschen-) T¨uchern. Der Glanz schimmerte schwebend in der Schw¨arze der Nacht und der Klang der Melodien und der Lieder kreiste fr¨ohlich in der Luft, durchbrach die Sperre der Berge, die Sperre des Schweigens und die Sperre der Angst.

Hier hatten die Dinge einen Geschmack, der Geruch einen Duft, das Wort einen Sinn, das Herz ein Pulsieren, die Liebe einen Platz. Hierher ka-men Pr¨asidenten, Ministerpr¨asidenten, Minister, Mitglieder eines B¨uros und

1Die zarten Bl¨atter des Q¯atstrauches werden im Jemen als Volksdroge gekaut (s. Scho-pen 1978).

Ausschusses, Richter, Gouverneure, Botschafter, (religi¨ose) Richter, Scharf-richter, Rechtsanw¨alte, Angeklagte, Zeugen, Polizisten, Diebe, Verschw¨orer, Spione, Verr¨ater, Unschuldige und M¨order.

Und zwischen den Mauern dieses altehrw¨urdigen Clubs, in den N¨achten 4

der Geselligkeit, konnten einen unm¨oglich Zweifel ¨uberkommen, dass jeder, der ihm angeh¨orte, gem¨aß seinem Verdienst zum menschlichen Geschlecht geh¨orte.

X X X

Vor einigen Tagen nahm die Polizei drei Mitglieder des Clubs fest, die un-ter dem Spitznamen die drei Nachtplauderer bekannt waren. Dies waren:

Ah.mad ,Abdallah al-Q¯ad.¯ı, der Journalist und bekannte Dichter, der Kom-ponist Anwar Ibr¯ah¯ım H

¯¯an und der Theaterregisseur Mahd¯ı,Iwad. B¯asunbul.

X X X

Dem Club geh¨orten Gr¨undungsmitglieder an, diese hatten Freunde und G¨ as-te, und außer diesen und jenen gab es viele, die den Club regelm¨aßig besuch-ten. Als Muh.ammad ,Abd al- ˇGabb¯ar N¯aˇg¯ı vor zehn Jahren starb, schloss der Club sieben Tage hintereinander und die Mitglieder vergossen ehrliche Tr¨anen. Er war – Gott habe ihn selig – ein junger Mann, der vor Leben-digkeit und Fr¨ohlichkeit sprudelte, und sein pl¨otzlicher Tod traf als nieder-schmetternder Schock ein, der alle erschreckte. Die am meisten ergriffenen und best¨urzten Mitglieder waren die drei Nachtplauderer. Sie hatten Seite an Seite mit Muh.ammad ,Abd al- ˇGabb¯ar N¯aˇg¯ı gearbeitet, bei der Vorberei-tung jedes St¨utzpfeilers, jedes Winkels und jedes Zimmers im Club bei dessen Er¨offnung. Bei ihnen waren außerdem Mah.m¯ud R¯aˇsid, Badr al-H¯aˇsim¯ı, ,Al¯ı H. usayn, as-Sayyid Burh¯an, S¯alim as-Sabt¯ı und andere. Ihre Jugendlichkeit pulsierte vor Hitze und Provokation. Ihr Wille war stark.

Die Zukunft erstreckte sich vor ihnen mit weit ge¨offneten T¨uren, und die 5

Hoffnung winkte mit ihren Fahnen im hereinbrechenden Abendrot. Das Un-bekannte verbarg sich mit tausend Gew¨andern und Schleiern und bem¨uhte sich dabei, die H¨asslichkeit seiner Gestalt und die Scheußlichkeit seiner Natur zu verbergen.

Das Verborgene k¨undigte an, warnte aber nicht.

Die Zeit war jung, auf dem Gipfel ihrer Bl¨ute, in ihrer vollen Kraft und Ver-lockung.

Und die M¨oglichkeiten des Lebens waren weit und erstaunlich. Es heißt, Mu-h.ammad ,Abd al- ˇGabb¯ar N¯aˇg¯ı k¨onnte noch am Leben sein, wenn er in ein richtiges Krankenhaus gebracht worden w¨are und wenn ihn ein richtiger Arzt untersucht h¨atte. Wenn der Club derzeit nicht verlassen w¨are, w¨urde eine Ge-denkfeier zur Erinnerung an seinen zehnten Todestag veranstaltet.

Unter den Mitgliedern und Freunden des Clubs, deren Vereinigung zerstreut wurde, war S¯alim as-Sabt¯ı zum Botschafter in einem Staat am Golf ernannt worden.

,Abdallah al-Qas.¯ır wurde unter dem Verdacht verhaftet, in einem Sa-botagenetz mitzuwirken, Rid.w¯an ,Abd al- ˙Gan¯ı stahl die Gelder der Berufs-schule und wurde ins Gef¨angnis geworfen, , Abd ar-Razz¯aq ,Abd al-Wal¯ı hatte die Aufgaben des Direktors der Stiftung f¨ur Forschung und Studien

¨

ubernommen, H¯aˇsim ,Abd al-Qaw¯ı unterlag in der Wahl der Volkskammer, as-Sayyid Burh¯an wurde w¨ahrend der Ereignisse get¨otet, und er k¨ampfte mit diesen und es heißt auch mit jenen. Und Muz.affar aˇs-ˇS¯afi, ¯ı wurde unter der Anklage der Spionage hingerichtet, wie man sagte. Muh.ammad ˇGa,far wurde Stellvertreter des Generaldirektors und Vorsitzender des Aufsichtsrats der Nationalbank Abu Dabis, N¯as.ir S¯alim floh mit denen, die in den Tagen der großen Flucht flohen, ,Abd al-Kar¯ım Murˇsid wurde aus seinem Arbeits-verh¨altnis entlassen, dann aus seinem Haus geworfen, bevor er sich das Leben nahm,

Nab¯ıl Mahy¯ub wurde auf offener Straße meuchlings ermordet. Es heißt aber 6 auch, er sei bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. ,Umar ,Abd as-Sal¯am brachte Badr al-H¯aˇsim¯ı absichtlich um, wobei er ihm vors¨atzlich auflauerte. Die Liste ist lang...

Was die ¨ubrigen Mitglieder des Clubs und seine Besucher und G¨aste angeht, soweit sie Ministerposten erklommen hatten oder mehr oder weniger, so hat-ten sie es aufgegeben, zu kommen, um ihr Prestige zu wahren, das die Ehrfurcht vor der Macht hervorgebracht hatte... und weil sie verhindert sei-en durch die Prinzipisei-en des Protokolls und seine Bestimmungsei-en.

Warum wurde der Kulturclub eigentlich aufgegeben? Vor mehr als zwan-zig Jahren wurde dieser Club er¨offnet, um zu bleiben. W¨ahrend dieser zwan-zig Jahre war er der Baum, unter dem die Mitglieder Schatten suchten in-mitten der W¨uste des verdorrten Lebens. Warum wurde der Club also auf-gegeben?

Der Club war der Zufluchtsort und das Asyl, zu dem sich seine Mitglieder und seine G¨aste vor der Plage der Arbeit, den M¨uhen des Lebens und den Schwierigkeiten des Daseins fl¨uchteten. W¨ahrend der St¨undchen, die sie in

seinem Inneren verbrachten, vergaßen sie den Fluch, der auf ihnen lastete.

Sie vergaßen, dass der Fr¨uhling nicht in ihre Stadt kam, dass der Regen die ¨Acker ihrer D¨orfer nicht tr¨ankte, dass der Kaffee nicht in ihren Caf´es verkauft wurde, dass die Entbehrung nicht aus ihren H¨ausern wich, und dass das Erbarmen nicht den Weg in die Herzen ihrer Richter kannte.

Hier erlangten die Clubmitglieder und Besucher eine Art von Vergebung, 7

L¨osung von Vergehen und Erl¨osung von geistigen oder emotionalen M¨angeln, die sich auf ihr Leben h¨auften und es minderten.

Viele sehnten sich nach der sch¨onen und einfachen Vergangenheit, die ihnen vertraut war, die sie verstanden und die sie liebten. Sie begeisterten sich nicht f¨ur die rohe und trockene Gegenwart, die die Erinnerung verbot und keinen Trost gew¨ahrte. Sie vertrauten nicht auf die Zukunft, deren Teil zu sein sie nicht mehr begehrten.

Sie waren fr¨ohlich und lachten, indem sie ignorierten, dass mit dem Gestern, das starb, das Heute begraben wurde, das nach ihm kam, und (indem sie ignorierten,) dass das Morgen, das vor dem Kommenden warnte, seine beiden verkr¨uppelten H¨ande ausstreckte, um die Gr¨aber auszuheben.

Die Besucher des Clubs praktizierten regelm¨aßig mit ihrem Zeitvertreib und Spiel im Club das Vergessen. Sie umfassten es mit Appetit, Sehnsucht und Leichtsinn. Zum Vergessen legten sie große Distanzen zur¨uck, wandten M¨uhe und Geld auf und nahmen Opfer auf sich, um einige Zeit in Gegenwart des Vergessens und der Pracht seines herrlichen K¨onigreiches zu genießen. Warum wurde der Club also aufgegeben?

Gibt es einen Grund oder eine Person oder eine Tendenz, die dahintersteckt, dass die Besucher ihren Club verließen? Wer ist derjenige, dessen Geist von Widerwillen, B¨osem und Hass ¨uberfließt, so dass er den Leuten die Gnade des Vergessens verbietet? Oder ist es so, dass die Leute pl¨otzlich verr¨uckt wurden und beschlossen, den Genuss des Vergessens aufzugeben?

Es gibt keinen ¨uberzeugenden Grund. Und so lange der Grund nicht gefunden 8

ist, wird es niemanden geben, der dar¨uber eine Erkl¨arung abgibt.

X X X

Die Uhr hatte die dritte Stunde der Morgend¨ammerung ¨uberschritten, als die drei Nachtplauderer in der Stille der Nacht und in ihrem Schrecken verhaftet wurden.

X X X

Die drei Nachtplauderer Ah.mad al-Q¯ad.¯ı, Anwar H

¯¯an und Mahd¯ı,Iwad.

B¯asunbul waren die letzten der Clubmitglieder, die mit Beharrlichkeit an den Besuchen im Club festhielten, nachdem sich seine Mitglieder zerstreut hat-ten. Sie wurden wegen ihrer großen Leidenschaft, nachts wach zu sein, mit dem Spitznamen die drei Nachtplauderer benannt. Sie waren die ersten, die in den Club kamen, und die letzten, die ihn verließen. Als best¨unde zwi-schen ihnen und dem Schlaf eine Feindschaft oder Blutrache. Niemand weiß, wann sie schliefen, wie sie bei ihrer Arbeit durchhielten und wieviel Zeit sie zu Hause verbrachten. Und sie behielten die Gewohnheit, nachts wach zu sein, sogar nach der Aufl¨osung des Clubs bei. Sie trafen sich st¨andig außerhalb des Clubs und saßen auf der kleinen Mauer parallel zum Weg vor dem Eingang des Clubs. In letzter Zeit dauerte ihr n¨achtliches Plaudern oft von der Nacht bis zum Morgengrauen, und sie gaben die Gewohnheit des st¨andigen n¨ acht-lichen Plauderns bis zum Moment ihrer Festnahme nicht auf.

Bevor die Gesellschaft des Clubs zerstreut wurde, teilten mit ihnen die Liebe zum n¨achtlichen Plaudern Mah.m¯ud R¯aˇsid,,Al¯ı H. usayn, Badr al-H¯aˇsim¯ı und andere.

Was Mah.m¯ud R¯aˇsid angeht, so hat ihn Gott vor zwei Jahren zu sich gerufen, 9 weil die Zeit es nicht zuließ, dass er ein richtiges Krankenhaus mit einem rich-tigen Arzt darin erreichte, genauso wie Muh.ammad,Abd al- ˇGabb¯ar N¯aˇg¯ı vor ihm. Was,Al¯ı H. usayn betrifft – der emigrierte vor vier Jahren nach Europa.

Er arbeitet jetzt in Kopenhagen in einer d¨anischen Firma f¨ur die Produktion von Gefl¨ugel, das nach islamischer ¨Uberlieferung geschlachtet wird. Vor zwei Monaten schickte er eine Postkarte aus dem Land der Milchk¨uhe, des K¨ases und der Striptease-M¨adchen. Anwar H

¯¯an w¨are fast verr¨uckt geworden. Er las die Karte, Mahd¯ı B¯asunbul weinte, und Ah.mad al-Q¯ad.¯ı sagte immer wieder:

Die hat Ab¯u ,Ulwa gemacht.

Badr al-H¯aˇsim¯ı wurde vor zehn Jahren von ,Umar ,Abd as-Sal¯am umge-bracht, ¨uber den kr¨aftig verbreitet wurde, dass er schon vorher get¨otet h¨atte.

Aber... Warum Badr al-H¯aˇsim¯ı?

Badr al-H¯aˇsim¯ı war ein geeignetes Mordopfer, weil er seine Stimme immer ablehnend erhob, wenn die ¨ubrigen K¨opfe sich gehorsam neigten, obwohl sie ablehnten. Badr al-H¯aˇsm¯ı war ein blitzendes Strahlen zu der Zeit, als seine Asche verscharrt wurde, die die Glut des Brandes ausbreitete, und sein Licht l¨oschte. Badr al-H¯aˇsim¯ı war ein fruchtbarer Tropfen Sperma in der Zeit der Unfruchtbarkeit. Er war ein Moment von Inspiration in der Ewigkeit der Einfalt. Er war eine leuchtende Kerze in der Dunkelheit der Schatten. Er war ein Ruf der Wahrheit im Zeitalter der L¨uge. Badr al-H¯aˇsim¯ı war ein Ritter in einer Welt von Strolchen. Er war ein Irrtum in Zeit und Ort, in denen

die Werte umgew¨alzt und die Zeichen umgekehrt wurden. Dann beugt sich der L¨owe vor dem Hund und kniet dabei nieder. Der Wolf weidet eine Herde L¨ammer, und die edlen der Kamele werden hinter die Schw¨anze von Eseln gebunden.

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Badr al-H¯aˇsim¯ı war ein leichtes Mordopfer, weil er unbewaffnet war, aber sein M¨order schwer bewaffnet.

Der Schreck schmetterte Mahd¯ı B¯asunbul nieder, als er h¨orte, dass der M¨order Badr al-H¯aˇsim¯ıs freigelassen worden war. Sein Schreck f¨uhrte ihn in die Kanz-lei seines Bruders, des bekannten Anwalts Zayn ,Iwad. B¯asunbul, denn sein Schreck hatte ihn nicht zur ¨Uberzeugung von der Wahrheit (dieser Nach-richt) gelangen lassen. Er w¨are nicht bereit gewesen, zu glauben, wenn sein Bruder ihm nicht die Richtigkeit der Nachricht versichert h¨atte. Er war bis zu diesem Punkt nicht sicher, dass sich die Erde tats¨achlich auf dem Horn eines Stieres dreht, dass der Stier im Meer pfl¨ugt, dass sich das Meer nicht f¨ur den Stock des Propheten Moses interessiert, und dass die Zehn Gebote ein j¨udisches M¨archen sind, das der Weltimperialismus propagiert.

Mahd¯ı konnte das Weinen nicht zur¨uckhalten, als er der Erkl¨arung seines Bruders zuh¨orte, die ihrerseits nicht dessen Abscheu vor seinem Beruf und seinen Ekel vor sich selbst und vor den Bergen von Akten verminderte, die sich vor ihm auft¨urmten. Zayn erkl¨arte in entschiedener K¨urze und Eile, wie jemand, der ein f¨ur alle Mal von den Einzelheiten dieses Problems erl¨ost wer-den will:

— Der Vorfall war klar. Und das Verzeichnis der Vorstrafen bekr¨aftigt den Schuldspruch durch die Beweisf¨uhrung anhand eines ¨ahnlichen vorangegan-genen Falles. Die Anklage ist gerechtfertigt anhand aller Indizien und Bewei-se, und der Richter f¨allte das Todesurteil. Vor seiner Best¨atigung wurde das Urteil zu einer lebensl¨anglichen Haftstrafe gemildert. Und der Angeklagte wurde ins Gef¨angnis geworfen.

Anwalt Zayn verstummte und sein Schweigen dauerte an. Mahd¯ı musste ihn zum Weiterreden anstacheln. Er fragte ihn voller Zorn:

— Was dann? Wie kommt es, dass nach einigen Monaten der M¨order freige-11

lassen wurde ?

— Ich habe dir den Fall geschildert, wie er sich nach den Gesichtspunkten des Rechts darstellt. Soweit es vom Gesetz abh¨angt, nahm die Gerechtigkeit ihren Lauf.

— Die Gerechtigkeit nahm ihren Lauf?

schrie Mahdi und verlor die Nerven. Und er wiederholte den Satz immer wie-der, schreiend vor einem Zorn, dessen Brennen loderte. Zayn sagte mit Ruhe, mit der er das Thema beendete:

— Lebe wohl, Mahd¯ı, ich habe viel Arbeit und deine Pl¨adoyers brauche ich

nicht. Schließe die T¨ur hinter dir, wenn du so nett bist.

Mahd¯ı schlug die T¨ure sehr heftig hinter sich zu. Die Wucht (des Stoßes) ließ ein kleines Schild herunterfallen, das an der R¨uckseite der T¨ur befestigt war. Auf der kleinen Tafel war mit erhabenen Buchstaben ein Sprichwort geschrieben, das hieß:Wenn das Gesetz verstummt, beginnt die Tyrannei. Als Mahd¯ı B¯asunbul den Stadtrand Adens erreichte, bei den vielen verwor-renen Kreuzungen, blieb er stehen. Pl¨otzlich flackerte seine fruchtbare teuf-lische Phantasie auf, die ihn oft mit originellen Gedanken versorgte, die sei-nen Theaterinszenierungen eine besondere Eigenart verliehen. Er ging einige Schritte nach vorne, bis er mitten auf der Straße auf dem Zebrastreifen spezi-ell f¨ur Fußg¨anger ankam. Er blieb stehen und drehte sich um, wobei er seine beiden H¨ande in die H¨ohe streckte, als z¨oge er auf der B¨uhne einen Kreis. Er ließ die Z¨ugel seiner Stimme schießen bis zum ¨Außersten ihrer Reichweite:

— Ihr Einwohner des Jemen. Das Blut des H¯aˇsim¯ı Badr ist in euer aller H¨alsen, und wenn es umsonst vergossen wurde, werdet ihr nach dem heutigen Tag nie mehr friedliche Ruhe genießen. O Gott, ich habe (deine Botschaft)

¨ubermittelt. O Gott, sei du mein Zeuge.2 12

Der Verkehrsfluss geriet in Verwirrung. Einige Autos hielten an und die Pas-santen blieben vor Verbl¨uffung wie angewurzelt auf ihren Pl¨atzen stehen.

Das Ger¨ausch des Reibens der R¨ader auf dem Asphalt und das Geschrei der Passanten brach ab. Es ging eine Zeitspanne vorbei, die schwer zu messen war. Bevor die Leute wieder Luft holten, brach die Stimme eines Verkehrs-polizisten br¨ullend und drohend los:

— Geh, du Verr¨uckter! Geh!

Der Schrei des Soldaten erscholl nur als kurze Anmerkung, denn als er ihn ausstieß, hatte Mahdi gerade seine Demonstration aufgegeben und kehrte wieder in die Welt der Menschen zur¨uck.

X X X

Der Befehlshaber der Polizeistreife stieg ruhig vom Pick Up herunter. Er bat die drei Nachtplauderer h¨oflich, auf den Wagen zu klettern, dessen Lade-fl¨ache als eine Art Eisenk¨afig gebaut war. Sie taten es dem¨utig. Nachdem sie im Inneren des Eisenk¨afigs Platz genommen hatten, schloss er hinter ihnen die T¨ur, ohne den Schubriegel fest zu schließen.

2,Awlaq¯ı benutzt hier fast die selben Formulierungen wie der Prophet Muh.ammad in seiner Abschiedspredigt, wie sie in ders¯ıra an-nabaw¯ıya des Ibn Hiˇam ¨uberliefert sind.

,Awlaq¯ı:

YîD…A ¯ ÑêÊË@ ...J ªÊK. ú G@ ÑêÊË@

Ibn Hiˇam:

YîD…@ ÑêÊË@ ...J ªÊK. Éë ÑêÊË@ ...J ªÊK. Y¯ ú GA ¯

(vgl. as-s¯ıra an-nabaw¯ıya , Kairo 1955, S. 604).

X X X

Wo gingen die jungen M¨anner hin? Und wohin entwickelten sich die Zust¨ande der ¨ubrigen Gef¨ahrten, die die Tage und die Ereignisse verstreut haben?

Gibt es ein Mittel, das die Gruppe von neuem vereint?

13

Wann kehrt ihre Vertrautheit ins Herz und ihr Leuchten in die Seele zur¨uck...

wann?

Wann legt die Zeit ihre Trauerkleider ab und macht ihre Tage und N¨achte von ihrer Trostlosigkeit frei... wann?

Wann kommen die, die wir lieben, und wann lieben jene, die die Liebe nicht kannten und versuchten?

Wann herrschen die Nachsicht, die Liebe und die Harmonie? Und wann nimmt die Vergebung den Platz der Rachegel¨uste ein?

Wann herrschen die Nachsicht, die Liebe und die Harmonie? Und wann nimmt die Vergebung den Platz der Rachegel¨uste ein?