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Angst vor Terror und Gewalt

Im Dokument Die Gerechtigkeit muss ihren Lauf nehmen (Seite 181-184)

Das Verhalten der Figuren in as-summ¯ar at

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¯a wird oft von der Angst vor Gewalt bestimmt, die auf Erfahrungen beruht, die sie in der Vergangen-heit gemacht haben. Vor allem der Terror w¨ahrend der Januar-Unruhen 1986 und das anschließende harte Durchgreifen der Regierung sind stets pr¨asent und belasten die positiv dargestellten Figuren, w¨ahrend ˇGibr¯an und Seines-gleichen ihre Macht auf diese schrecklichen Erinnerungen st¨utzen.

Die Verbrechen und die Willk¨urherrschaft, die w¨ahrend der Januar-Ereignisse und kurz danach ihren H¨ohepunkt erlebten, werden mehrfach direkt genannt.

Die Jahre der Gewalt, der Qu¨alerei, der Untersuchungsgerichte und des verr¨uckten Ungest¨ums gingen vor¨uber zum Archiv der

Geschichte und starben in den Geschichtsb¨uchern und der Erin-nerung jener, die sie erlebt hatten, geehrt, gew¨urdigt und von Fah-nen und Flaggen begleitet. Keine neuen Beben, keine Beschlag-nahmen oder Demonstrationen, [...] keine Ausnahmezust¨ande und keine Sabotagenetze oder irregul¨aren Zusammenk¨unfte, nicht ein-mal regul¨are Zusammenk¨unfte. Nichts. Kein Schrecken und keine Einsch¨uchterung.

Kein Schwarz und kein Weiß außer Nacht und Tag.

Selbst die Erinnerung an die sich ¨uberst¨urzenden Ereignisse des Januars und was sich bei ihnen ereignete und nach ihnen und ih-retwegen an Scheußlichkeiten, Schrecken und Gr¨aueln. (S. 22 f.) Der schreckliche D¨amon der Vergangenheit, sein Terror und sei-ne furchtbaren Schrecken wurden in ihrer Phantasie lebendig wie ein Panoramabild, das unter dem Licht der Scheinwerfer greifbar wird. Tr¨anen, Blut, menschliche Glieder und Leichname bev¨ olker-ten das Bild. Die Todeszellen und die Folterwerkzeuge waren auf die Eckpfeiler und Winkel verteilt und Bataillone Unschuldiger erwarteten ihr unbekanntes Schicksal. Der schnelle Tod in dieser furchtbaren Heimsuchung war ein Ziel, das schwer zu erreichen war (S. 65).

Sie saßen wieder jede Nacht mit verwirrtem Verstand und umher-schweifenden Augen, w¨ahrend sie sich jeden Moment in argw¨ ohni-scher Erwartung darauf gefasst machten, bewaffnete Regimenter von der Einfahrt des steilen Weges her auftauchen zu sehen und zu beobachten, wie ihre Raupenketten den Asphalt des Weges mit ihren eisernen Krallen kneten. (S. 110)

Die Angst vor Gewalt beherrscht nicht nur die drei Nachtplauderer, sondern viele ihrer Mitb¨urger. Die Erinnerungen sind zu schrecklich, als dass die Men-schen unbeschwert mit ihnen leben k¨onnten. Das Vertrauen der Menschen in die Regierung sowie in die derzeit herrschende Ruhe ist tief ersch¨uttert, sodass die Bev¨olkerung st¨andig mit einem pl¨otzlichen Umschwung in die al-ten Zust¨ande rechnet. Dies hat es den Machthabern erm¨oglicht, das Volk auf sozialistischen Kurs zu zwingen. Selbst die drei Nachtplauderer, die als moralisch sehr hoch stehende und verantwortungsvolle Menschen dargestellt werden, haben aus Angst vor Gewalt und unter Zwang anders gehandelt, als sie wollten. Zuerst hatten sie noch ihre Meinung verbreitet. Als ihnen dies ver-boten wurde, hatten sie geschwiegen. Doch die M¨achtigen gaben sich damit nicht zufrieden und verlangten von den drei summ¯ar , dass sie die

Errun-genschaften des Sozialismus ¨offentlich priesen. Nach mehreren Einsch¨ uchte-rungsversuchen und Verhaftungen gaben die drei Protagonisten schließlich nach (vgl. S. 52 f.). Doch sie leiden unter der mangelnden Meinungsfreiheit, die im S¨udjemen herrscht. Ah.mad muss in seinen Zeitungsartikeln der Regie-rungspartei nach dem Mund reden und kann nur in Gedichten verschl¨usselt seine wahre Meinung ¨außern (vgl. S. 14). Mahd¯ı beklagt, dass aufgrund der Zensur kein einheimischer Autor ein Drama herausbringe, das seinen An-spr¨uchen gen¨ugen w¨urde, und dass ausl¨andische St¨ucke mit ihrer Handlung und Aussage immer fremd blieben (vgl. S. 15). Selbst die Musik, die als Kunstform unpolitisch ist, leidet unter der fehlenden Meinungsfreiheit und der Angst der Jemeniten. Anwar hat festgestellt, dass er die Menschen mit seinen Melodien nicht mehr erreichen kann, denn ihr Leid ist zu stark, als dass sie noch unbeschwert die Musik genießen k¨onnten (ebd.). Das ganze Volk leidet unter der Angst und den traumatischen Erlebnissen der Vergangenheit, wodurch vor allem das kulturelle und intellektuelle Leben lahmgelegt wird.

Auch der Kulturclub ist nicht von ungef¨ahr ausgestorben, sondern viele sei-ner Mitglieder wurden ermordet oder gingen ins Exil, weil ihre Ideen nicht ins sozialistische Einheitsdenken passten (vgl. S. 5). Die Angst vor beruf-lichen Nachteilen hat außerdem viele ehemalige Mitglieder des Kulturclubs dazu gebracht, diesen zu verlassen, um ihr Prestige zu wahren, das die Ehrfurcht vor der Macht hervorgebracht hatte (S. 6).

Bei ihrer Verhaftung wissen die drei summ¯ar nicht, was der Grund f¨ur ihre Festnahme ist. Sofort bef¨allt sie eine große Angst vor dem Ungewissen, denn die willk¨urlichen Verhaftungen Unschuldiger und Verh¨ore unter Folter sind ihnen noch gegenw¨artig. Diese Furcht steigert sich bis zum Verh¨or st¨andig, und sobald ˇGibr¯an als Figur eingef¨uhrt ist, wissen die Leserinnen und Leser, dass er diese Angst bewusst gesch¨urt hat.

W¨ahrend des Verh¨ors mit ˇGibr¯an versuchen die drei Protagonisten, entspre-chend ihrer ¨Uberzeugung zu handeln. Doch ˇGibr¯an droht ihnen wiederholt mit schlimmen Folgen f¨ur ihre Weigerung, vor Gericht eine Falschaussage zu leisten. Bewusst l¨asst er die drei Helden im Unklaren dar¨uber, welche Formen genau seine Rache annehmen wird. Doch gerade mit dieser Unbestimmtheit sch¨urt er ihre Angst um so mehr. Am Ende des Verh¨ors f¨urchten die drei um ihr Leben und erkl¨aren sich bereit, ,Umar ,Abd as-Sal¯am ein Alibi zu geben.

Konkret werden ˇGibr¯ans Drohungen w¨ahrend der Gerichtsverhandlung, als Mahd¯ı aussagt, er und seine Freunde seien unter Druck gesetzt worden. An dieser Stelle springt ˇGibr¯an auf und greift nach seiner Pistole. Nun ist ein-deutig, in welche Richtung seine Drohungen weisen, und dass er seine Macht mit purer Gewalt sichert. Entsprechend groß ist die Angst der drei Nacht-plauderer vor seiner Rache, nachdem sie im Prozess die Wahrheit gesagt

haben. Bereits beim Verlassen des Gerichtsgeb¨audes bef¨allt sie Beklemmung und ihnen wird bewusst, dass ihr Leben nicht mehr so ruhig sein wird wie vorher (vgl. S. 100). Die Angst vor ˇGibr¯an pr¨agt fortan ihre n¨achtlichen Treffen auf der Mauer vor dem Club. Die drei wissen, dass sie diese Angst

¨uberwinden m¨ussen, um wieder ein ruhiges und friedliches Leben f¨uhren zu k¨onnen, doch es gelingt ihnen nicht. Schließlich sitzen sie schweigend beisam-men, obwohl ihre Treffen sonst dem Plaudern gewidmet sind (vgl. S. 102).

Von ihrer inneren Unruhe getrieben, suchen sie einen Ausweg aus der Angst und gehen ins Caf´e, um sich zu beruhigen. Dort wird ihnen klar, wie viele M¨anner ihr Schicksal teilen und die Nacht im Caf´e verbringen, da sie aus Angst vor ˇGibr¯an und Seinesgleichen nicht schlafen k¨onnen. Diese Erkennt-nis best¨arkt die drei in ihrem Ziel, ihre Furcht zu ¨uberwinden. Doch trotz ihrer Bem¨uhungen bef¨allt sie immer wieder die Angst vor der Rache ˇGibr¯ans.

Im Licht dieser pr¨ufenden, genauen und reifen Sichtweise kri-stallisierten die drei Nachtplauderer im Laufe der Tage heraus, dass sich die Schatten des Kummers noch nicht vollst¨andig von ihrem Himmel zerstreut hatten und dass der Samen der Furcht, den ˇGibr¯an in jeden einzelnen von ihnen ges¨at hatte, immer noch lebte und das geeignete Klima und die passende Zeit abwartete, um zu wachsen und zu bl¨uhen. (S. 105)

Je l¨anger die Verhandlung zur¨uckliegt, desto geringer wird die Angst der drei Nachtplauderer vor ˇGibr¯an. Doch sie verschwindet nicht ganz, und es bleibt immer noch die Unsicherheit und die drohende Gefahr, dass die derzeit fried-lichen Umst¨ande wieder in Gewalt und Terror umschlagen. Mit entsprechend gemischten Gef¨uhlen sehen die drei Helden in die Zukunft.

Im Dokument Die Gerechtigkeit muss ihren Lauf nehmen (Seite 181-184)