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Strukturmerkmale und Prinzipien von Kriegspropaganda Wie lassen sich aber in demokratischen Gesellschaften die Widerstände der

3 Der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung

3.4 Lobbyismus, Informationsmanagement, Propaganda

3.4.1.2 Strukturmerkmale und Prinzipien von Kriegspropaganda Wie lassen sich aber in demokratischen Gesellschaften die Widerstände der

Bevöl-kerung gegen einen Krieg brechen? Wie kann die öffentliche Meinung und die Me-dienkampagne für einen Krieg gewonnen werden?

Zunächst ist festzuhalten, dass entsprechende Beeinflussungsversuche keines-wegs erst mit dem Beginn eines Krieges einsetzen. Luostarinen und Ottosen (1998, 2002) unterscheiden vier Stufen von Propaganda, die zu unterschiedlichen Phasen eines Konflikts wirksam werden:

1. Vorstufe: Das Zielland kommt in die Nachrichten, es wird über die dortigen Zu-stände berichtet und steigende Betroffenheit erzeugt.

2. Rechtfertigung: Es werden Hauptnachrichten über das Zielland produziert; die unmittelbare Gefahr für die Nachbarn, für die eigene Bevölkerung oder Bevöl-kerungsgruppen im Zielland wird hervorgehoben; die Dringlichkeit des Han-delns wird betont, Ziele wie Frieden, Freiheit und Demokratie werden formuliert.

3. Implementation: durch Nachrichtenmanagement, Zugangskontrolle, Zensur etc.

4. Nachträgliche Legitimierung: u.a. durch spezielle Reisen für Journalisten ins Zielland und Lancieren von Berichten über die dortige Entwicklung in Richtung Frieden, Wohlstand und Demokratie.

Darüber hinaus werden Propagandamaßnahmen auch schon ganz unabhängig von aktuellen, sich bereits anbahnenden Konflikten durchgeführt. In Form von Imagekampagnen wird beispielsweise versucht, das Ansehen des eigenen Landes in der Welt zu verbessern und Vertrauen in die eigene Politik herzustellen (vgl.

Manheim & Albritton, 1984; Kunczik, 1990). Solche Imagekampagnen stehen zwar zunächst oft nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit Kriegsvorbereitun-gen, der dadurch erzielte Vertrauensaufbau und Glaubwürdigkeitsgewinn kann aber zu einem späteren Zeitpunkt von Nutzen sein, wenn es darum geht, die öf-fentliche Meinung von der Notwendigkeit eines Krieges zu überzeugen.

Informationen in solchen Imagekampagnen, die normalerweise inhaltlich und be-züglich der Quellenangabe korrekt sind, die aber vor allem darauf abzielen, das Publikum von der Vertrauenswürdigkeit und der moralischen Stärke des Absen-ders zu überzeugen, werden gemeinhin als weiße Propaganda bezeichnet. Als schwarze Propaganda dagegen gelten Informationen, mit denen der Gegner oder die Bevölkerung gezielt in die Irre geführt werden soll. Sie bestehen aus Lügen und Täuschungen und werden meist einer falschen Quelle zugeschrieben. Graue Propaganda liegt im Bereich zwischen weißer und schwarzer Propaganda: die Her-kunft und die Richtigkeit der Informationen sind unsicher, oder Informationen werden halbrichtig oder verzerrt dargestellt (Jowett & O'Donnell, 1999).

Für Propagandatexte typisch sind die folgenden drei Strukturmerkmale (Luostari-nen & Kempf, 2000; Luostari(Luostari-nen, 2002):

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1. Harmonisierung der Darstellungsebenen

Die unterschiedlichen Darstellungsebenen eines Konflikts – die konkrete Beschrei-bung von Tagesereignissen, die kontextuellen Darstellungen, welche die Konflikt-konstellation, seine Entstehung und Entwicklung betreffen, sowie die Beschreibung mythischer oder religiöser Ebenen des Konflikts – stützen und ergänzen einander.

Die Harmonisierung erfolgt dadurch, dass unter den verschiedenen konkreten Ta-gesereignissen diejenigen ausgewählt werden, die zu den Propagandabotschaften auf den anderen Ebenen passen. Die Begründungen der Handlungen und das Han-deln der Konfliktparteien erscheinen dadurch plausibel und kohärent.

2. Motivationslogik

Propagandatexte liefern einen umfassenden Interpretationsrahmen für den Kon-flikt im Allgemeinen und das Handeln der KonKon-fliktparteien im Besonderen. Der In-terpretationsrahmen beinhaltet bestimmte Interpretationen der Vergangenheit, der gegenwärtigen Situation und der Zukunft. In Bezug auf die Vergangenheit werden z.B. die Notwendigkeit eines militärischen Einsatzes in bestimmten histo-rischen Situationen betont oder der Friedenswillen und die Gutartigkeit eigener Handlungen im Verlauf der Geschichte hervorgehoben. Die Interpretation der ge-genwärtigen Situation wird vor allem über starke und schlagwortartige Begriffe und Metaphern gesteuert, die sich als Grundlage des Konflikts herauskristallisie-ren sollen (z.B. "humanitäre Intervention" anstelle von "NATO-Angriffskrieg" im Kosovo; "Feldzug gegen den Terror" statt "Bombardement der afghanischen Be-völkerung"; "Befreiung des Iraks" und "Zerstörung von Massenvernichtungswaf-fen" statt "Völkerrechtswidriger Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat"). Mit Recht kann darum behauptet werden: "Der Krieg beginnt nicht mit seinem Aus-bruch. Er beginnt mit dem Gebrauch der Worte" (Iten, 1995, S. 13). Alternative Interpretationen der Konfliktsituation werden hingegen diskreditiert, indem sie etwa als moralisch minderwertig, weltfremd oder als den Interessen des Feindes nahe stehend konzeptualisiert werden. Gleichzeitig wird die Notwendigkeit ra-schen Handelns betont und davor gewarnt, dass mit einem weiteren Zögern die Chancen für eine erfolgreiche Konfliktintervention für immer vertan werden. Die Interpretation der Zukunft ist nach zwei Seiten gerichtet: Zum einen sollen mit dem Krieg demnach die eigenen Werte und Traditionen verteidigt und damit auch für die Zukunft ein Leben in Freiheit und Würde sichergestellt werden. Zum ande-ren wird der Krieg zugleich als Brücke in eine bessere Welt und in eine bessere Zukunft dargestellt. Der Kampf schafft eine neue Ordnung und Gerechtigkeit, die nicht zuletzt auch der Bevölkerung des aktuellen Gegners zugute kommt.

3. Polarisierung von Identifikationsanreizen

Durch Anreize zu sozialer Identifikation sollen auf der eigenen Seite Gemein-schafts- und Solidaritätsgefühle erzeugt und das Bewusstsein der gemeinsamen

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Gruppenidentität bestärkt werden. Gleichzeitig sollen dadurch die Diskrepanz und Gegensätzlichkeit zur Identität des Gegners offensichtlich werden. Dies geschieht unter anderem durch die Beeinflussung der Identitätsstrukturen der Menschen (der Identitätsaspekt der Zugehörigkeit zu einem Staat, zu einer ethnischen, reli-giösen oder sonstigen Gruppe wird besonders aktiviert), durch den extensiven Ge-brauch einheitsstiftender Symbole (Fahnen, Hymnen, ruhmreiche Gestalten und Ereignisse aus der eigenen Geschichte), durch den Verweis auf Autoritäten, durch die scharfe Unterscheidung zwischen Gutem und Bösen und durch die Dämonisie-rung der FühDämonisie-rung des Gegners.

Als kompatibel mit diesem Propaganda-Strukturmodell erweisen sich die Prinzipien der Kriegspropaganda, die der britische Politiker und Pazifist Lord Arthur Ponsonby bereits in der Folge des Ersten Weltkriegs herausgearbeitet hat (Ponsonby, 1928).

Gut 75 Jahre später zeigte die Historikerin Anne Morelli auf, dass Ponsonbys Zehn Gebote der Kriegspropaganda nicht nur im Ersten Weltkrieg eine Rolle spielten, sondern in den Kriegen seither von Konfliktparteien aller Seiten beinahe regelmä-ßig angewendet wurden (Morelli, 2004). Die zehn Prinzipien der Kriegspropaganda lauten:

1. Wir wollen keinen Krieg.

2. Das feindliche Lager trägt die alleinige Schuld am Krieg.

3. Der Feind hat dämonische Züge.

4. Wir kämpfen für eine gute Sache und nicht für eigennützige Ziele.

5. Der Feind begeht mit Absicht Grausamkeiten. Wenn uns Fehler unterlaufen, dann nur versehentlich.

6. Der Feind verwendet unerlaubte Waffen.

7. Unsere Verluste sind gering, die des Gegners aber enorm.

8. Unsere Sache wird von Künstlern und Intellektuellen unterstützt.

9. Unsere Mission ist heilig. (Im wörtlichen oder im übertragenen Sinn: Häufig werden auch Werte wie Demokratie, Zivilisation, Freiheit oder Marktwirtschaft in den Rang heiliger Werte erhoben.)

10.Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, ist ein Verräter.

Führt man sich die historischen Beispiele vom Ersten Weltkrieg bis zum Irakkrieg im Jahr 2003 vor Augen, so ist es in der Tat frappierend, wie sehr sich die Propa-gandastrategien über die Zeit hinweg gleichen.

Wie ein roter Faden ziehen sich etwa die Beteuerung des eigenen Friedenswillens und die damit korrespondierende Behauptung, der Krieg werde einem durch die Aggression des Gegners aufgezwungen, durch die Verlautbarungen der Konflikt-parteien (Prinzipien 1 und 2). Entsprechende Bekundungen stellten sogar in den Erklärungen Hitlers vor dem Zweiten Weltkrieg ein Leitmotiv dar; vor dem Irak-krieg 2003 waren sie sowohl von George W. Bush als auch von Saddam Hussein zu hören.

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Eine enorm wichtige Rolle kommt zu allen Zeiten der Dämonisierung des Gegners zu (Prinzip 3). Da es schwerer ist, Hass gegenüber einer Gruppe von Menschen als Gesamtheit erzeugen, werden die negativen Gefühle auf den Führer des feind-lichen Landes konzentriert. Dieser wird zum personifizierten Bösen stilisiert und wahlweise als Verrückter, Barbar, durchtriebener Krimineller, Schlächter, Unruhe-stifter, Feind des Menschengeschlechts oder Monster dargestellt.17 Kriege werden nach offizieller Diktion deshalb weniger gegen die Bevölkerung geführt, sondern vielmehr gegen Napoleon, gegen den Kaiser, gegen Mussolini, Hitler, Nasser, Gaddhafi, Khomeini, Saddam Hussein, Aidid, Karadzic, Miloševi

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, Osama bin La-den (vgl. Morelli, 2004). Die einfachste Methode der Dämonisierung besteht heut-zutage darin, den jeweiligen "Teufel vom Dienst" als Wiedergänger Hitlers zu präsentieren (ein Vergleich, der sowohl im Fall Saddam Husseins als auch im Fall Miloševi

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s von Politikern ebenso wie von den Medien mehrfach gezogen wurde).

Müller (2002) weist darauf hin, dass es in Konflikten, in denen solche Persönlich-keiten fehlen (wie etwa in Ruanda oder Haiti) weitaus schwerer fällt, die Öffent-lichkeit davon zu überzeugen, dass eine Intervention geboten ist.

Auch die öffentlich propagierten Kriegsziele (Prinzip 4) unterscheiden sich von Krieg zu Krieg nur wenig. Nach Morelli können die offiziellen Kriegsziele der Alli-ierten im Ersten Weltkrieg in den drei Punkten "Militarismus auslöschen", "kleine Nationen verteidigen" und "die Demokratie in der Welt durchsetzen" zusammen-gefasst werden. Diese Ziele "werden seitdem am Vorabend jedes Konflikts propa-giert und gleichen einander bis in die Formulierungen hinein, auch wenn sie nur wenig oder überhaupt nichts mit den wirklichen Kriegsgründen zu tun haben"

(Morelli, 2004, S. 47). Nie als offizielle Begründung genannt werden dagegen ge-opolitische oder ökonomische Kriegsziele. Höchstwahrscheinlich wäre die Mehr-heit der Bürger nicht bereit, einem Krieg, der vorrangig aus solchen Motiven heraus geführt wird, zuzustimmen. Für die Machthaber ist es darum weitaus Er-folg versprechender, hohe moralische Ideale ins Feld zu führen.

Berichte über die Grausamkeiten des Feindes werden von den Konfliktparteien im-mer wieder gezielt in Umlauf gebracht (Prinzip 5). Ob entsprechende Geschichten auf tatsächlichen Gegebenheiten aufbauen oder auf freier Erfindung beruhen, ist dabei zweitrangig für ihren Erfolg. Die Ähnlichkeit der Methoden, die zu verschie-denen Zeiten zur Anwendung kamen, ist auch hier erstaunlich. Im Ersten Welt-krieg machten beispielsweise aufrüttelnde Berichte von belgischen Säuglingen die Runde, denen deutsche Soldaten angeblich die Hände abgehackt hatten. Diese Berichte führten u.a. mit dazu, dass in den Vereinigten Staaten die öffentliche Mei-nung in Richtung der Befürwortung eines Kriegseintritts kippte. Spätere

Nachfor-17 Ein neuerliches Beispiel hierfür lieferte der Spiegel mit seiner Ausgabe vom 14. Februar 2005: Die Titelseite zeigte eine Collage mit der Überschrift "Der Irre mit der Bombe", unter der Nordkoreas Präsident Kim Jong Il lächelnd vor einem Atompilz abgebildet war.

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schungen ergaben jedoch, dass sämtliche der untersuchten Geschichten über abgehackte Hände, in denen zum Teil sogar Namen und Orte genannt worden wa-ren, frei erfunden worden waren (Morelli, 2004). Ein ganz ähnliches Motiv lag der Brutkasten-Geschichte zugrunde, die im Vorfeld des Golfkriegs 1991 lanciert wur-de (vgl. MacArthur, 1993). Demzufolge waren irakische Soldaten in ein kuwaiti-sches Krankenhaus eingedrungen, hatten dort Babys aus den Brutkästen gerissen und auf dem kalten Fußboden sterben lassen. Zeugin dieser Geschichte war ein 15jähriges kuwaitisches Mädchen, das zur Tatzeit angeblich im Krankenhaus ge-arbeitet hatte. Unter Tränen erzählte sie vor dem Menschenrechts-Arbeitskreis des US-Kongresses und danach vor laufenden Kameras ihre Erlebnisse. Ihre Aus-sage wurde von 700 Fernsehstationen gesendet, allein in einer einzigen ABC-Sen-dung bekamen sie 53 Millionen US-Amerikaner zu sehen (Kunczik, 1995). Später wurde die Geschichte auch im UN-Sicherheitsrat präsentiert. Präsident Bush be-zog sich in seinen Reden vor dem Golfkrieg mehrmals auf diese Begebenheit, um die Grausamkeit der irakischen Besatzer zu betonen. Schließlich griff sogar Amne-sty International die Brutkasten-Story in einem ihrer Menschenrechtsberichte auf, was der Geschichte besondere Glaubwürdigkeit verlieh. Ohne Zweifel trug die Ge-schichte einen wesentlichen Teil dazu bei, die öffentliche Meinung in den USA für eine militärische Intervention gegen den Irak zu mobilisieren. Erst nach dem Golf-krieg wurde aufgedeckt, dass die Geschichte gänzlich inszeniert gewesen war. Die amerikanische Public-Relations-Firma Hill & Knowlton hatte sie im Auftrag der ku-waitischen Regierung konzipiert und für ihre weitreichende Verbreitung gesorgt.

Bei der vermeintlichen Augenzeugin handelte es sich um die Tochter des kuwaiti-schen Botschafters in den USA, die zuvor von Hill & Knowlton genauestens instru-iert und traininstru-iert worden war.18

Auch alle weiteren von Ponsonby identifizierten Prinzipien der Kriegspropaganda könnten an zahlreichen Beispielen aus den Kriegen des vergangenen und des ge-genwärtigen Jahrhunderts belegt und illustriert werden. Für eine ausführlichere Schilderung der Methoden, Taktiken und Techniken, mit denen Machthaber in Kriegszeiten versuchen, die Medien und die Bevölkerung zu beeinflussen, sei auf Darstellungen verwiesen, die sich dieser Thematik in umfassender Weise widmen (z.B. Beham, 1996; Forster, 1998; Jowett & O'Donnell, 1999; Taylor, 2003a; Cla-ßen, 2004b; Morelli, 2004) oder welche die Strategien des Informationsmanage-ments und der Propaganda im Rahmen einzelner Kriege in den Blick nehmen (z.B.

MacArthur, 1993; Beham, 2000; Bussemer, 2003; Brown, 2003; Claßen, 2003;

18 Dass die Brandmarkung des Feindes als Kindermörder generell ein beliebtes Propagandamotiv dar-stellt, belegen zahlreiche weitere Beispiele. So wurde im Zweiten Weltkrieg von allen Seiten die Behauptung verbreitet, die Gegenseite habe Sprengkörper in Form unverfänglicher, zum Teil wie Spielzeug aussehender Gegenstände abgeworfen. 1982 warf die UdSSR den afghanischen Wider-standskämpfern vor, Sprengfallen in Spielzeugform einzusetzen; umgekehrt wurden sie selbst bezichtigt, explodierende Bleistifte abgeworfen zu haben. Für keine dieser und ähnlicher Behaup-tungen konnte jedoch ein Beweis erbracht werden (Hartwig, 1999).

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Knightley, 2003; Taylor, 2003b) und die zum Teil auch von Akteuren seitens des Militärs verfasst wurden (z.B. die entsprechenden Beiträge im Sammelband von Badsey, 2000; Shea, 2000; Jertz, 2001; Jertz & Bockstette, 2004).

3.4.1.3 Sozialpsychologische Grundlagen von Kriegspropaganda