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Implikationen für konstruktive Konfliktberichterstattung Alle hier angeführten Punkte sind für die Umsetzung konstruktiver

3 Der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung

3.2 Einflussfaktoren des journalistischen Systems

3.2.1.2 Implikationen für konstruktive Konfliktberichterstattung Alle hier angeführten Punkte sind für die Umsetzung konstruktiver

Konfliktbericht-erstattung keineswegs förderlich, sondern stehen vielmehr im Gegensatz zu den Ansprüchen, die in den Modellen von Galtung und Kempf an Konfliktberichterstat-tung gestellt werden. Wenn man die Faktoren Platzmangel und Zeitdruck als sys-temimmanente Ausgangsprobleme ansieht und die kontinuierliche Beschleunigung

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der Nachrichtensysteme in Betracht zieht, so erscheint die Frage berechtigt, ob die friedensjournalistischen Forderungen nach mehr Komplexität, mehr Hinter-grund- und mehr Vor- und Nachkriegsberichterstattung nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt sind.

In der Tat sind Platzmangel und Zeitdruck im journalistischen Geschäft keine aus-schaltbaren Faktoren. Sie stellen somit für eine konstruktive Konfliktberichterstat-tung eine kontinuierliche und schwerwiegende Herausforderung dar. Gleichzeitig ist jedoch offensichtlich, dass Platzmangel und Zeitdruck keine fixen, unveränder-baren Größen darstellen. Wird ein Konflikt von den Medien als besonders wichtig eingestuft (wie zum Beispiel der Irakkrieg 2003), so werden dafür große Mengen an Platz bzw. Sendezeit bereitgestellt und die personellen Ressourcen entspre-chend verstärkt, damit mehr Information beschafft und der enorme Zeitdruck bes-ser bewältigt werden kann. Innerhalb der durch Platz und Zeit vorgegebenen Grenzen bleibt den Medien also immer noch ein nicht geringer Spielraum. Der Komplexitätsgrad der Berichterstattung wird somit nicht einfach durch den Platz-und Zeitmangel bestimmt, sondern mindestens ebenso stark durch die Prioritä-tensetzung der Medien. Hier könnte eingewendet werden, dass aufgrund des ins-gesamt gleich bleibenden Platzes eine komplexere Berichterstattung über den einen Konflikt zwangsläufig eine weniger komplexe Berichterstattung über einen anderen Konflikt zur Folge hat. Dies ist jedoch nicht notwendigerweise der Fall:

Die Menge der Berichterstattung ist keineswegs mit der Komplexität der Bericht-erstattung gleichzusetzen. Zum Beispiel nehmen die ständige Wiedergabe der neu-esten Äußerungen der politischen Eliten oder die ausführliche Darstellung von Kampfhandlungen der Konfliktparteien zwar einigen Platz in Anspruch, tragen aber wenig zum Verständnis der Komplexität und des Hintergrunds eines Konflikts bei.

In diesem Zusammenhang kritisiert auch Rüdiger Siebert (I 15) die mittlerweile

"zum Selbstzweck gewordene" Live-Berichterstattung, die keinen Informationsge-winn bringe, aber dem Publikum Aktualität und Unmittelbarkeit suggeriere. Dies bedeutet nicht, dass Live-Berichterstattung oder die Darstellung aktueller Ge-schehnisse generell überflüssig oder von minderem Wert wären. Es soll hiermit je-doch deutlich gemacht werden, dass mehr Komplexität auch unter dem gegebenen Platzmangel möglich wäre, wenn die Medien es denn wollten.

Ähnliches gilt für den Zeitdruck, unter dem Berichterstattung produziert wird:

Auch diesem stehen Medien nicht vollkommen machtlos gegenüber. Sowohl auf der redaktionellen als auch auf der individuellen Ebene bestehen Spielräume, die im Sinne konstruktiver Konfliktberichterstattung genutzt werden können. Entspre-chende konstruktive Strategien sind in der journalistischen Praxis durchaus vorzu-finden:

• Redaktionelle Zeitvorgaben: Ein Redaktionskonzept kann etwa explizit vorse-hen, dass Korrespondenten vor Ort nicht ständig nur für Live-Schaltungen

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reit stehen müssen, sondern dass ihnen genügend Zeit zur eigenen Recherche eingeräumt wird:

"Wir diskutieren das in unserem eigenen Network genau und sagen: Die Berichterstatter vor Ort brauchen die Zeit. Wenn sie wirklich nicht nur Meldungen verlängern sollen oder mit drei geschnittenen Bildern den halben Tag bestreiten, dann müssen die raus, dann müssen die drehen. In der Regel unter schwierigen Bedingungen, also brauchen sie län-ger. … Sonst tappen wir natürlich im Grunde wieder in die Falle, die Kriegsparteien in-teressiert: dass wir nicht den langen Atem haben, sondern nur den kurzen. Und je kürzer unser Atem ist, desto stärker sind wir ihnen ausgeliefert. Diese Gefahr ist enorm groß."

(Roth, I 28)

• Zeit aushandeln: Falls eine Redaktion nicht von vornherein derartige Prioritäten setzt, ergeben sich für Reporter vor Ort dennoch Handlungsspielräume, wenn sie entweder bei der Redaktion einen herausragenden Ruf genießen oder aber über ein gewisses Verhandlungsgeschick verfügen. Dass Hartnäckigkeit gegen-über der eigenen Redaktion durchaus zum Erfolg führen kann, zeigt folgendes Beispiel:

"Es ging um Kämpfe zwischen verfeindeten Kurden im Nordirak. Eine dieser Fraktionen rückte unaufhaltsam vor und war gerade dabei, den ganzen Nordirak einzunehmen. Die Satellitenschüsseln standen alle in der Südosttürkei, also ungefähr elf Autostunden ent-fernt. Mein Job war es, über diesen Konflikt zu berichten. Ich hatte gesagt: Ich muss ins Konfliktgebiet, ansonsten kann ich über nichts berichten. Doch die Redaktion hat damals gesagt: Aber was hilfst du uns, wenn du nicht auf Sendung bist? Und da hab ich mich echt hartnäckig gegenüber denen durchgesetzt. Schließlich hatten wir es dann verein-bart, dass ich reinfahre auf die türkische Seite, auf die irakische Seit überwechsle, wir sind ungefähr zehn Stunden mit dem Auto unterwegs gewesen. Haben da übernachtet, hatten am nächsten Tag insgesamt 90 Minuten Drehzeit, um dann wieder zehn Stunden im Auto zurückzufahren. Aber diese 90 Minuten Drehzeit waren hochinteressant. Nur so gräbst du auch wirklich gute Geschichten aus." (Meyer, I 12)

• Erfahrung und Kreativität: Auch eine definitiv starke Zeitlimitierung muss noch nicht unbedingt eine Berichterstattung nach sich ziehen, die mehr oder weniger auf die Wiedergabe der neuesten Agenturmeldungen beschränkt bleibt. Um auch unter solchen Umständen instruktive Berichterstattung produzieren zu können, ist neben etwas Kreativität wohl vor allem Erfahrung und ein Netzwerk an Kontakten erforderlich, auf das innerhalb kürzester Zeit zurückgegriffen werden kann. Wie in den folgenden Kapiteln noch verschiedentlich gezeigt wer-den wird, stellen viele strukturell oder systembedingte Einflussvariablen eben keine absoluten Größen dar, sondern haben unterschiedliche Auswirkungen je nach Kompetenzen und Strategien des individuellen Journalisten, der in diesem System handelt. Der folgende Fall zeigt, welchen Nutzen die gute Landeskennt-nis eines Reporters für den konstruktiven Umgang mit hohem Zeitdruck haben kann:

"Der erste Tag in Afghanistan war zum Beispiel so eine Geschichte. Ich bin an einem Frei-tag angekommen, aber sehr spät abends. Und unsere SonnFrei-tagszeitung wollte unbedingt

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eine Reportage aus Afghanistan. Weil ich war zwar nicht der erste, aber einer der frühe-ren Journalisten die da ankamen. Da wollte man höfrühe-ren, was dort los ist. Ich habe einen Tag Zeit gehabt, eigentlich ist das unter normalen Umständen handwerklich nicht ver-tretbar. Was ich aber machen kann, habe ich dann gesagt, ich kann die Leute, die ich bei meinem letzten Besuch gesehen habe, aufsuchen und erzählen, was aus denen gewor-den ist. Ich hatte deren Adressen noch. Das waren unter anderem ein Geldwechsler, der Direktor des Zoos von Kabul, und mein damaliger Übersetzer. Das ist relativ wenig Auf-wand für den Start, erzählt aber eine Geschichte. Das war das einzige, was man so schnell bewältigen konnte. Und das habe ich dann auch gemacht." (Martens, I 25)

3.2.2 Einflussfaktoren der Mesoebene: Organisationsformen,