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3 Der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung

3.4 Lobbyismus, Informationsmanagement, Propaganda

3.4.2 Kriegspropaganda und die Medien

3.4.2.2 Mögliche Gegenstrategien der Medien

Angesichts des starken Einflusses des Informationsmanagements von Konfliktpar-teien auf die mediale Berichterstattung kommt der renommierte Kommunikations-wissenschaftler und PR-Experte Michael Kunczik zu dem Schluss: "Objektive und aktuelle Berichterstattung ist im Krieg nicht zu erwarten" (Kunczik, 1995, S. 101).

Diese Einschätzung mag aufgrund der empirischen Befunde zur Kriegsberichter-stattung als gegenwärtige Bestandsaufnahme gerechtfertigt sein (wenn auch nicht unbedingt in dieser Pauschalität). Die Bewertung dieser Abhängigkeit der Medien von den Konfliktparteien und die daraus abzuleitenden Konsequenzen sind jedoch keineswegs eindeutig. Nach Meinung von Kunczik haben sich die Me-dien ohnehin und auch in einer Demokratie an den Notwendigkeiten der

Kriegs-150 3. Der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung

führung zu orientieren. Entscheidend für eine Demokratie ist demnach lediglich,

"dass in der jeweiligen Nachkriegszeit aufgearbeitet wird, wie Informationen ma-nipuliert worden sind. Objektive Kriegsberichterstattung ist nicht Aufgabe der Journalisten, sondern ist ganz eindeutig Aufgabe der Historiker" (ebd., S. 101).

Weiter schreibt Kunczik in seinem Resümee über die Rolle der Medien im Krieg:

"Ich meine:

1. Die paradoxe Kommunikation im Krieg mit dem Gegner erfordert absolute Kontrolle über Informationen.

2. Journalismus ist im Krieg nicht unbedingt nutzlos, sondern kann auch militärisch wichtig werden, wenn die Journalisten instrumentalisiert werden können, um

a. den Gegner zu täuschen;

b. die gegnerische Öffentlichkeit bzw. die Weltöffentlichkeit zu beeinflussen und c. die eigene Öffentlichkeit bzw. die eigenen Truppen zu beeinflussen.

3. Im Kriege haben Journalisten, wenn sie aktuell und objektiv berichten wollen, nichts ver-loren. Der Schaden, den sie möglicherweise anrichten, ist zu groß. Abgesehen davon ist es eine Illusion zu glauben, Journalisten würden objektiv über den Krieg berichten wol-len. Zumeist vertreten sie eine bestimmte Sache" (ebd., S. 102).

Kuncziks Äußerungen implizieren eine scheinbar unausweichliche und offenbar geradezu notwendige Kapitulation der Medien vor den jeweiligen Machthabern.

Dies widerspricht freilich in fundamentaler Weise der Rolle und der Aufgabe, die die Medien nach friedensjournalistischen Vorstellungen einnehmen sollten. Aus friedenswissenschaftlicher Perspektive besteht der potenzielle Nutzen von Journa-lismus im Krieg ganz und gar nicht darin, dass er sich als Waffe der Militärs instru-mentalisieren lässt. Im Gegenteil, für Journalisten muss es gerade darum gehen, die vorgebrachten Kriegsargumente kritisch zu hinterfragen, Aussagen der Kon-fliktparteien auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen und Lügen und Manipulati-onen aller Seiten aufzudecken – und zwar nicht erst im Nachhinein, sondern gerade vor und während des Krieges. In Abwandlung eines Ausspruches des fran-zösischen Politikers Georges Clemenceau19 ist Kunczik zu entgegnen: Die Kriegs-berichterstattung ist eine viel zu wichtige Sache, um sie den Historikern zu überlassen. Gerade Demokratien können sich nicht auf eine nachträgliche Aufar-beitung der Täuschungen und Lügen beschränken, mit denen Kriege legitimiert oder in ihrem Fortgang gerechtfertigt werden. Insbesondere wäre eine solche Hal-tung in höchstem Maße zynisch gegenüber den unzähligen Menschen, die auf-grund von Kriegspropaganda ihr Leben lassen müssen und die von einer noch so detaillierten historischen Dokumentation all der Lügen, wegen derer sie getötet wurden, naturgemäß nichts mehr haben.

Vor dem Hintergrund der Vorstellungen von konstruktiver Konfliktberichterstat-tung ist darum zu fragen: Was können die Medien den Propagandamaßnahmen der Konfliktparteien entgegensetzen? Welche Strategien erscheinen geeignet, um

19 Das Originalzitat lautet: "Der Krieg ist eine viel zu wichtige Sache, um ihn dem Militär zu überlassen."

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sich den gezielten Beeinflussungsversuchen zu entziehen? Wie können die Medien auch unter den Bedingungen des Krieges eine möglichst vielseitige und unvorein-genommene Berichterstattung produzieren?

Dabei könnte für die Medien ein Blick auf die Strategien ihrer Gegenüber nützlich sein: Regierungen und Militärs sind lernende Systeme, die ihre Erfahrungen aus vergangenen Kriegen systematisch auswerten und dadurch ihr Medienhandling ständig vervollkommnen (Saxer, 1995). Aus den Erfahrungen im ehemaligen Ju-goslawien wurden z.B. von der NATO die folgenden drei Prinzipien als generelle Leitlinie für zukünftige Medienoperationen abgeleitet:"be prepared, be co-ordina-ted, be proactive" (Clifford & Wilton, 2000, S. 18). Genau diese Prinzipien müssten sich auch Medienorganisationen und Journalisten zueigen machen, um die Gefahr zu mindern, in Kriegszeiten zu bloßen Kommunikationsgehilfen der Konfliktpartei-en zu mutierKonfliktpartei-en. Auch wKonfliktpartei-enn MediKonfliktpartei-ensysteme in DemokratiKonfliktpartei-en viel dezKonfliktpartei-entraler orga-nisiert sind und darum nicht solch konzertierte Aktionssysteme entwickeln können wie die Regierungs- oder Militärapparate, so wäre dennoch eine Operationalisie-rung der Prinzipien Vorbereitung, KoordinieOperationalisie-rung und AntizipieOperationalisie-rung in Form der fol-genden Gegenstrategien denkbar (Saxer, 1995):

1. Strukturierung der Kommunikationssituation: systematische Überwachung po-tenzieller Konfliktherde auf der Welt (als erster Schritt von einem bloß reaktiven zu einem aktiven Mediensystem), Reserve an Journalisten, die an Krisenherden sofort eingesetzt werden können, falls nicht schon eigene Korrespondenten vorhanden sind; Ausbildung, die zur Kriegsberichterstattung qualifiziert, die be-fähigt, militärische Stellungnahmen kritisch zu würdigen und sich nicht die Agenda vorgeben zu lassen.

2. Medienmanagement des Informationsmanagements von Kriegführenden: Die Medien müssen ein objektivierendes Gegengewicht zum Informationsmanage-ment von Kriegführenden schaffen, sie müssen dessen Wirksamkeit in allen Elementen stören. Die Camouflierung der Zensur kann etwa durch ständige Hinweise auf deren Walten entschleiert werden, Informationen können vervoll-ständigt und pseudo-authentische Ereignisse reflektiert dargestellt werden.

3. Entroutinisierung der Medienpraxis: Dies würde für die Medien die Preisgabe einiger ihrer gängigen Produktionsroutinen bedeuten, zum Beispiel die Ausrich-tung auf Leitmedien (namentlich das Fernsehen), die Übersteigerung des Ak-tualitätsprinzips, das Selektionsraster der Nachrichtenfaktoren und die vor-herrschenden journalistischen Quellensysteme (Quellen sind normalerweise vor allem die Eliten, welche aber weitgehend selbst ins Geschäft des Informations-managements verstrickt sind). "Situationen, in denen nichts mehr normal ist, lassen sich eben nicht mit normalen Routinen bewältigen" (Saxer, 1995, S. 215).

Die Chancen für die Umsetzung dieser Strategien stuft Saxer allerdings selbst als bescheiden ein, da die dafür nötigen Investitionen die Mittel, die den Medien zur

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Verfügung stehen, bei weitem übersteigen und eine Bereitschaft, die Produktions-routinen im Kriegsfall zu überdenken, bei den führenden Medienorganisationen nicht auszumachen ist. Nichtsdestotrotz weisen die Strategien auch unter der Per-spektive konstruktiver Konfliktberichterstattung in die richtige Richtung. Knapp zehn Jahre nach der Formulierung dieser Vorschläge kann man konstatieren, dass die diesbezügliche Entwicklung der Medienpraxis unterschiedlich verlaufen ist. In manchen Punkten sind durchaus positive Veränderungen zu beobachten, zum Bei-spiel scheint der Ausbildung von Kriegsberichterstattern in manchen Institutionen ein höherer Stellenwert beigemessen zu werden oder waren die Hinweise auf Zen-sur und die unklare Quellenlage im Afghanistan- und Irakkrieg omnipräsent. Auf der anderen Seite ist die Dominanz des Aktualitätsprinzip noch weiter vorange-schritten, wie es sich in Afghanistan und im Irak an den regelmäßigen, aber oft nichtssagenden Live-Schaltungen vor Ort ablesen ließ. Eine Entroutinisierung der Medienpraxis im Kriegsfall ist also wohl auch in Zukunft kaum zu erwarten.

Weitere Vorschläge, die Informationsstrategien der Konfliktparteien zu durchkreu-zen, hat Krotz (2001) vorgelegt. Er sieht im Anmieten eigener Beobachtungssatel-liten eine Möglichkeit, sich aus der Abhängigkeit von Behauptungen der Konfliktparteien zu befreien und eine größere demokratische Kontrolle der Kriegs-führung zu erreichen. Ferner fordert er schon in Friedenszeiten eine "kontinuier-liche Vernetzung kritischer und unabhängiger Journalisten aus der ganzen Welt"

und "eine auf kritische und sachkundige Berichterstattung bezogene internationa-le Kooperation der Medien" (ebd., S. 25). Eine solche Zusammenarbeit findet un-ter den Korrespondenten vor Ort, insbesondere was technische und logistische Fragen betrifft, schon statt (siehe nachfolgendes Kapitel). Auch was einzelne Aus-bildungsangebote angeht, gibt es bereits entsprechende Kooperationen (z.B. zwi-schen ARD und BBC). Ob Medienorganisationen jedoch als Ganzes bereit sind, strategische Allianzen mit Medienunternehmen anderer Länder einzugehen, um ihre Konfliktberichterstattung zu optimieren, erscheint angesichts des immer här-ter werdenden Konkurrenzkampfes, der sich längst nicht mehr nur auf nationale Märkte beschränkt, zumindest fraglich.

3.4.2.3 Kriegspropaganda in den Augen von Konfliktberichterstattern Wie stellt sich das Problem Propaganda und Informationsmanagement für die Kon-fliktberichterstatter selbst dar? Die Aussagen der im Rahmen dieser Arbeit inter-viewten Journalisten machen deutlich, dass sie sich der Strategien von Instrumentalisierung, Täuschung und Desinformation im Krieg normalerweise durchaus bewusst sind. Alles andere wäre freilich auch sehr verwunderlich.

Schließlich ist die Redewendung, wonach das erste Opfer des Krieges die Wahrheit ist, mittlerweile auch außerhalb der Profession des Journalismus zum Allgemeingut geworden. Zudem unterscheiden sich die Versuche der Einflussnahme und

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mentalisierung der Berichterstattung in Zeiten internationaler Krisen zunächst nicht prinzipiell von den Bedingungen alltäglicher journalistischer Arbeit. Dass von der Berichterstattung betroffene Akteure und Interessensgruppen bestimmte Bot-schaften in den Medien unterbringen wollen, ist ein generelles Phänomen, mit dem Journalisten lernen müssen umzugehen. Der kritische Umgang mit Lobbyisten und so genannten spin doctors ist keine spezifische Aufgabe der Konflikt- oder Kriegs-berichterstattung, sondern gehört im Rahmen der politischen Berichterstattung auch in Friedenszeiten zum täglichen Brot von Journalisten:

"Jeder versucht, seine Lesart der Ereignisse zu steuern. Das ist nicht nur in einem Konflikt der Fall, sondern in jedem alltäglichen politischen Stückchen, das wir haben. Überall gibt es jemanden, der dreht und verkauft. Ob es jetzt um Krieg geht oder ob es darum geht, welche EU-Richtlinie zur Vereinheitlichung von X oder Y gemacht wird, überall stehen Interessen dahinter. Ob es jetzt die Butterlobby in Brüssel ist oder ob es Krieg führende Mächte sind."

(Kornelius, I 10)

Wie in diesem Kapitel aufgezeigt wurde, nehmen entsprechende "Verkaufsstrate-gien" in Zeiten des Krieges jedoch meist noch deutlich andere Dimensionen an.

Von Seiten der Politik und des Militärs werden dann zur Planung, Organisation und Durchführung der Informationskampagnen in der Regel zusätzliche Ressourcen freigestellt. Außerdem verfügen Konfliktparteien in Kriegszeiten über mehr Macht, ihre Deutungsmuster durchzusetzen, wenn die Arbeitsbedingungen von Journalis-ten durch Zensur, Versperrung von ÖrtlichkeiJournalis-ten usw. erschwert sind und ihnen dadurch auch die Überprüfung und Widerlegung von Informationen kaum möglich ist.

Darum macht das Wissen um die Strategien und Methoden des Informationsma-nagements allein Konfliktberichterstatter keineswegs immun dagegen, immer wieder den Darstellungen und Interpretationsmustern der Konfliktparteien an-heim zu fallen. Auch langjährige Erfahrung schützt davor nicht zwangsläufig, wie die Korrespondentin Renate Flottau im Rückblick auf den Kosovokrieg feststellt:

"Das kann ihnen immer mal passieren, dass Sie irgend so einer Lüge aufsitzen. Und das er-fahren Sie dann in der Regel erst zwei Jahre später. Wenn dann doch die ersten Memoiren von Politikern oder den Beteiligten erscheinen und die ersten Leute berichten, was da wirklich stattfand. Dann sitzen Sie schon mal dort und sagen, verdammt noch mal, da bin ich denen aber aufgesessen. Also Sie sind nicht der Allmächtige, der immer sagen kann: Du lügst und du lügst nicht. Die Propaganda ist ja zum Teil sehr gut. Zum Teil ist sie durchschaubar. Was aber doch beim Krieg manchmal dazu führte, dass man bei der serbischen Propaganda grundsätzlich sagte, sie lügt. Und bei den anderen eher geneigt war, denen mehr zu glauben.

Das muss man also im Nachhinein sagen. Wenn ich heute so manche Artikel oder Memoiren lese, oder auch höre, was jetzt bei dem Prozess gegen Milošević alles bezeugt oder nicht bezeugt wird, würde ich sagen, manchmal hatten auch die Serben Recht mit ihrer Propa-ganda oder ihrer Information, und ich habe es ihnen nicht geglaubt." (Flottau, I 24) Dennoch scheinen viele Konfliktberichterstatter vor Ort, insbesondere die erfah-reneren unter ihnen, Desinformationsstrategien letztlich nicht als außerordentlich

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gravierendes Problem für ihre Berichterstattung anzusehen. Abgesehen von ge-wissen Fehlern, die nie ganz ausgeschlossen werden können, sieht man sich – wie Detlef Kleinert – alles in allem gut gewappnet für die Informationspolitik von Kon-fliktparteien:

"Auf diese Tricks bin ich noch nie reingefallen – gut, nie reingefallen, wer kann das schon sagen, aber ich glaube, ich bin auf diese Tricks relativ selten reingefallen. Jeder wird mal an der Nase rumgeführt. Sie kennen das Wort 'Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst'. Natürlich ist man immer wieder in Situationen gekommen, wo man gemerkt hat, offizielle Seiten ver-suchen einen zu linken. Mit einiger Erfahrung kriegt man das aber doch relativ schnell mit."

(Kleinert, I 21)

Angesichts der zahllosen Beispiele erfolgreicher Propaganda mag eine solch opti-mistische Einschätzung überraschen. Sie steht aber im Einklang mit den Ergebnis-sen der Studie "Journalismus in Deutschland" (Weischenberg et al., 1994), wonach fast die Hälfte der Journalisten angibt, die Öffentlichkeitsarbeit habe nur einen geringen Einfluss auf die journalistische Arbeit; nur 16% weisen ihr einen großen oder sehr großen Einfluss zu. Schon Weischenberg et al. weisen darauf hin, dass diese Auffassung im Gegensatz steht zu empirischen Studien, welche die Bedeutung von Public Relations für journalistische Aussagen untersucht haben. Es ist somit zu vermuten, dass auch Konfliktberichterstatter die Wirkung von Propa-ganda auf ihre Arbeit tendenziell unterschätzen bzw. ihre Unabhängigkeit und den Stellenwert der eigenen Erfahrung überschätzen.

Doch auch bei realistischer Einschätzung des Einflusses von Propagandamaßnah-men auf die Berichterstattung: ein Patentrezept für den Umgang mit den Infor-mationsstrategien der Konfliktparteien wird es nie geben. Beeinflussungsversuche von Konfliktparteien werden wohl selten vollständig neutralisiert werden können.

Dennoch steht Journalisten ein Bündel möglicher Gegenstrategien zur Verfügung, mit denen die Einflüsse von Propaganda zumindest abgemildert werden können.

Wie Journalisten in Krisengebieten mit Propaganda konstruktiv umgehen können, wird im nächsten Kapitel anhand der geschilderten Erfahrungen von Konfliktbe-richterstattern aufgezeigt.