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Der Zusammenhang zwischen Rollenselbstverständnis und journalistischem Handeln

3 Der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung

3.3 Individuelle Merkmale von Journalisten

3.3.2 Das Aufgaben- und Rollenselbstverständnis

3.3.2.1 Der Zusammenhang zwischen Rollenselbstverständnis und journalistischem Handeln

Mit Scholl und Weischenberg (1998) sehen wir das Rollenselbstverständnis prin-zipiell als ein Einstellungskonstrukt an. Einstellungen können definiert werden als positive, negative oder gemischte Reaktionen auf Personen, Gruppen, Dinge oder Ideen (Brehm & Kassin, 2002). In unserem Fall ist der Einstellungsgegenstand die eigene Rolle als Journalist. Da es sich beim Rollenverständnis jedoch nicht um eine Einstellung bezüglich einer konkreten Frage handelt, die mit Befürwortung, Ablehnung oder Indifferenz beantwortet werden kann (wie etwa bei der Einstel-lung zur Frage des Fingerabdrucks in Personalausweisen), scheint es uns ange-messener, von einem Einstellungsgeflecht zu sprechen. Das Konzept der Einstellungen wiederum ist eng mit Werten verbunden (Zick, 2004). Das Einstel-lungsgeflecht Rollenselbstverständnis kann entsprechend auch als ein Ausdruck zugrunde liegender Werte von Journalisten angesehen werden.

Die Beziehung zwischen Einstellung und Verhalten ist generell keineswegs eindeu-tig. Auch wenn im Alltag oft von Einstellungen auf Verhaltensweisen geschlossen werden mag, ist eine solche direkte Beziehung empirisch nicht haltbar. Dies liegt

102 3. Der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung

an den von Fall zu Fall unterschiedlichen, zwischen der Einstellung und dem Ver-halten vermittelnden Prozessen und Faktoren. Um im journalistischen Bereich die Erklärungslücke zwischen Einstellung (= Rollenverständnis) und Verhalten (= Be-richterstattung) zu schließen, wurde als Zwischenglied das Konstrukt Handlungs-relevanz der Einstellung vorgeschlagen (Weischenberg, von Bassewitz & Scholl, 1989; Scholl & Weischenberg, 1998). Damit wird die Wahrscheinlichkeit der prak-tischen Umsetzung des Rollenselbstverständnisses in (redaktionelles) Handeln be-zeichnet. Die Handlungsrelevanz der Einstellung ist demnach vor allem abhängig von der Kongruenz zwischen den Einstellungen der Journalisten und der Tendenz des Mediums sowie von anderen institutionellen Faktoren.

Noch größeren Erklärungswert bietet unseres Erachtens das in der Psychologie derzeit wohl empirisch am besten fundierte Modell für die Beschreibung der Be-ziehung zwischen Einstellung und Verhalten: die Theorie des geplanten Verhal-tens (Ajzen, 1991). Danach geht dem jeweiligen Verhalten die Bildung einer Verhaltensintention voraus. Die Intention setzt sich aus drei Komponenten zusam-men: der Einstellung gegenüber dem Verhalten, der subjektiven Norm und der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle. Die Einstellung gegenüber dem Verhalten ist das Produkt aus der Erwartung, durch das Verhalten bestimmte Konsequenzen erreichen zu können, und der Bewertung dieser Konsequenzen. Die subjektive Norm wird beeinflusst durch die Einschätzung, was andere wichtige Personen über das Verhalten denken, und die Motivation, der Meinung anderer zu folgen.

Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle bezeichnet die wahrgenommene Wahr-scheinlichkeit, das Verhalten überhaupt ausführen zu können.

Abbildung 6: Theorie des geplanten Verhaltens nach Ajzen (1991)

Übertragen auf die Beziehung zwischen dem Einstellungsgeflecht Rollenselbstver-ständnis und dem Verhalten Berichterstattung könnte dies konkret Folgendes

be-Subjektive Norm Intention Verhalten

Einstellung gegenüber dem Verhalten

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle

3.3 Individuelle Merkmale von Journalisten 103

deuten: Nehmen wir einmal an, Teil des Rollenverständnisses eines Journalisten ist es, möglichst neutral und präzise zu informieren. Die Einstellung gegenüber der Produktion einer bestimmten Berichterstattung ist dann das Produkt aus der Er-wartung, mit dieser Berichterstattung bestimmte Konsequenzen erreichen zu kön-nen (nämlich neutral und präzise zu informieren) und der positiven Bewertung dieser Konsequenzen (was in unserem Beispiel ja Teil des Rollenverständnisses ist). Für die Bildung der Intention, eine bestimmte Berichterstattung zu produzie-ren, ist es weiterhin von Belang, was der Journalist glaubt, dass seine Kollegen oder der Chefredakteur über eine solche Berichterstattung denken, und inwieweit er motiviert ist, der Meinung seiner Kollegen oder des Chefredakteurs zu folgen.

Falls er also der Auffassung ist, dass der Chefredakteur bei dem in Frage stehenden Berichtsgegenstand eine klare Parteinahme der Redaktion einfordert und es für ihn große Bedeutung hat, der Linie des Chefredakteurs zu folgen, ist es unwahr-scheinlich, dass er die Intention fassen wird, zu diesem Thema eine möglichst neu-trale Berichterstattung zu produzieren – auch wenn dies eigentlich seinem Selbstverständnis entspräche. Schließlich spielt die subjektive Einschätzung, ob sich die gewünschte Berichterstattung überhaupt realisieren lässt, eine wichtige Rolle. Doch selbst wenn diese drei Komponenten "zusammenpassen" und ein Jour-nalist die Intention bildet, eine bestimmte, seinem Rollenselbstverständnis ent-sprechende Berichterstattung zu produzieren, lässt sich daraus das tatsächliche Verhalten noch nicht vorhersagen. Zum Beispiel kann seine Einschätzung, die Be-richterstattung realisieren zu können, falsch sein – etwa weil er den Zeitaufwand falsch eingeschätzt hat oder weil die Redaktion ihm nicht die erwarteten Mittel zur Verfügung stellt – und die Umsetzung der Intention darum scheitern.

Obwohl dieses Modell zunächst auf der individuellen Ebene angesiedelt ist und das Verhalten von einzelnen Personen erklären will, ist es durchaus mit systemischen Ansätzen vereinbar. Der soziale Kontrollaspekt innerhalb von Medienorganisatio-nen spiegelt sich in der KompoMedienorganisatio-nente der subjektiven Norm wider, in der die Meinung relevanter anderer Person zum Tragen kommt. Andere Einflüsse des Makrosystems Journalismus (wie etwa Medienökonomie, redaktionelle Organisation, journalisti-sche Routinen) können an verschiedenen Komponenten des Modells wirksam wer-den: Zum einen prägen sie die wahrgenommene Verhaltenskontrolle eines Journalisten, zum anderen können sie als intervenierende Faktoren zwischen In-tention und Verhalten begriffen werden, die letztlich darüber entscheiden, ob das Verhalten tatsächlich ausgeübt wird.

Als Fazit kann somit Folgendes festgehalten werden: Nach der Theorie des ge-planten Verhaltens ist zwischen dem Rollenselbstverständnis und der Berichter-stattung eines Journalisten in der Regel weder ein direkter noch ein besonders starker Zusammenhang zu erwarten (anders als es etwa von Donsbach (1997) nahe gelegt wird). Andererseits ist die Erhebung von Rollenselbstbildern aber auch nicht als irrelevant zu bezeichnen (vgl. Rühl, 1980). Das

Rollenselbstver-104 3. Der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung

ständnis ist zwar nicht der einzige und wohl selten der bestimmende Faktor für die Berichterstattung, es kann aber unter den entsprechenden Rahmenbedingun-gen durchaus von journalistischer Handlungsrelevanz sein.

Vor dem hier skizzierten theoretischen Hintergrund ist auch besser zu verstehen, warum empirische Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen journalisti-schen Einstellungen und medialen Inhalten zu uneinheitlichen Ergebnissen führen (Shoemaker & Reese, 1996). Es ist prinzipiell zu bezweifeln, dass generelle Aus-sagen über den Zusammenhang zwischen politischen Einstellungen oder dem Rol-lenverständnis von Journalisten und ihrer Berichterstattung getroffen werden können. Aufgrund der Vielzahl anderer Einflussfaktoren, die sich jedoch von Fall zu Fall unterschiedlich stark auswirken, fällt auch der Einfluss der persönlichen Einstellungen von Fall zu Fall (und von Untersuchungsgegenstand zu Untersu-chungsgegenstand) unterschiedlich aus und muss im spezifischen Kontext jeweils neu bestimmt werden.

3.3.2.2 Empirische Befunde zum Aufgaben- und