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3 Der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung

3.5 Die Konfliktsituation vor Ort

3.5.1 Konflikt- und kriegsbedingte Einflüsse

3.5.1.1 Informationsmanagement der Konfliktparteien

In Konflikt- und Kriegsgebieten gestaltet sich die Beschaffung von Informationen in der Regel schwieriger als im Rahmen normaler journalistischer Arbeit im Hei-matland. Zu einem erheblichen Teil sind dafür die mannigfaltigen, im

vorherge-20 Emcke (vorherge-2004, S. 18).

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henden Kapitel bereits thematisierten Versuche der Konfliktparteien verant-wortlich, den Informationsfluss zu steuern und zu kontrollieren. Krieg führende Nationen oder an einem Konflikt beteiligte Parteien können durch die Art, wie stark und mit welchen Methoden sie den Fluss von Informationen kontrollieren und steuern, sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen für die Arbeit von Jour-nalisten schaffen. Entsprechend verschieden stellten sich die Arbeitsmöglichkeiten von Journalisten in Konflikten und Kriegen der letzten Jahrzehnte dar: Ob in Viet-nam, im Golfkrieg 1991 oder in den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien, ob in Ru-anda, ob im ersten oder zweiten Tschetschenienkrieg, ob in Afghanistan oder im Irakkrieg 2003 – jedes Mal gestalteten sich die Zensurmaßnahmen und Restrikti-onen der Krieg führenden Mächte wieder anders, waren die Maßnahmen des In-formationsmanagements und der Kriegspropaganda unterschiedlich professionell ausgeprägt. In manchen Konflikten wurde versucht, die Medien vollkommen zu verbannen (z.B. während der US-Invasion in Grenada 1983); in anderen Fällen war ein Teil der Medien von vornherein ausgeschlossen (z.B. während des Falk-landkrieges, bei dem es für Journalisten keine andere Möglichkeit gab, zum Kriegsschauplatz zu gelangen als mit dem Militär); im Golfkrieg wurden einzelne Pools von Journalisten gebildet, die vom Militär speziell gebrieft und auch be-schützt wurden, während dem Rest kaum mehr an Information zur Verfügung stand als die offiziellen Verlautbarungen enthielten; in Vietnam oder in den Konf-likten im ehemaligen Jugoslawien wiederum gab es prinzipiell für alle Journalisten freien Zugang zu den Kriegschauplätzen (vgl. Hudson & Stanier, 1998). Während den Medien im Krieg gegen Afghanistan nur sehr wenige eigene Bilder zur Verfü-gung standen, wurde im Irakkrieg für ausgewählte Journalisten die Möglichkeit geschaffen, als embedded correspondents den Krieg sogar direkt an der Seite von Einheiten des Militärs mitzuerleben und bestimmte Kriegshandlungen in Echtzeit auf die Bildschirme der Welt zu übertragen.

Im Folgenden werden die Formen des Informationsmanagements nicht entlang einer Chronologie der Konflikte der vergangenen Jahrzehnte dargestellt, sondern es wird versucht, die unterschiedlichen Methoden zu systematisieren, die in die-sen Konflikten zur Anwendung kamen.

Verhinderung von Information

Unter den Begriff Informationsmanagement fallen zunächst solche Methoden, die zum Ziel haben, zu verhindern, dass bestimmte Informationen in die Öffentlichkeit gelangen. Dies kann dadurch geschehen, dass die Arbeitsergebnisse von Journa-listen einer inhaltlichen Kontrolle unterzogen werden, dass JournaJourna-listen der Zu-gang zu Quellen und Örtlichkeiten verwehrt wird, dass sie bei ihrer Arbeit überwacht werden und dass ein Verstoß gegen die Spielregeln der Konfliktpartei-en Konfliktpartei-entsprechKonfliktpartei-end sanktioniert wird.

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Zensur

Zensur im klassischen Sinn bedeutet, dass journalistische Produktionen auf ihren Inhalt überprüft und kontrolliert werden, d.h. sie werden entweder stichproben-artig begutachtet oder müssen regelmäßig einer Kontrollstelle vorgelegt und von dieser genehmigt werden. Entspricht der Inhalt nicht den Vorstellungen der Kon-fliktpartei, werden Änderungen verlangt oder die Arbeiten werden zurückgewie-sen und ihre Veröffentlichung verboten. Eine derartige offene Zensur ist insbesondere in autoritären Regimen anzutreffen. Aber auch in demokratischen Staaten wird die Presse- und Meinungsfreiheit im Kriegsfall durch die Möglichkei-ten der Militärzensur eingeschränkt. Den embedded correspondents im Irakkrieg waren zum Beispiel durch das Embedment Manual des Verteidigungsministeriums klare Regeln vorgegeben, worüber sie berichten durften und worüber nicht. Wer sich nicht an diese Regeln hielt, hatte seinen Gaststatus beim Militär schnell ver-wirkt: Weil sie gegen diese Grundregeln verstoßen hatten, die jeder vor seinem Einsatz unterschreiben musste, wurden mehr als zwanzig Journalisten wieder "di-sembedded" und gezwungen, den Irak selbständig oder auch von Militär begleitet zu verlassen (Katovsky & Carlson, 2003). Um die negativen Auswirkungen für das eigene demokratische Image einzudämmen, werden von den Zensoren oftmals entsprechende Begleitmaßnahmen ergriffen: z.B. wird die Zensur deklariert als Schutzmaßnahme für die Zensierten statt als Beschränkung der Pressefreiheit, oder es werden die von der Zensur betroffenen Personen abgewertet, so dass die Zensur eher gerechtfertigt erscheint, oder es werden potenzielle Enthüllungsjour-nalisten von vornherein eingeschüchtert (Jansen & Martin, 2004).

Einschränkung der Bewegungsfreiheit/Abriegelung von Örtlichkeiten

Konfliktparteien können den Zugang zu bestimmten Konfliktregionen oder Örtlich-keiten für Journalisten versperren und die Abgrenzungen etwa durch Militär, Poli-zei oder sonstige Kontrollposten sichern. Die Folgen sind genauso simpel wie eklatant: Ohne journalistische Augenzeugen der Geschehnisse vor Ort gibt es kei-ne oder allenfalls eikei-ne verzögerte Berichterstattung darüber. Das Nachvollziehen dessen, was gerade im Konfliktgebiet passiert, wird beinahe unmöglich. Das Han-deln der herrschenden Konfliktpartei entzieht sich damit der Kontrolle der Öffent-lichkeit, sie kann vor Ort völlig uneingeschränkt agieren. Dies war zum Beispiel im zweiten Tschetschenienkrieg der Fall, wie der damalige ARD-Korrespondent Tho-mas Roth berichtet:

"Im zweiten Tschetschenienkrieg ist von Anfang an versucht worden, das Kriegsgebiet ab-zuriegeln. Das ist am Anfang nicht gelungen, aber nach einem halben, dreiviertel Jahr war das schon relativ weitgehend gediehen. So dass überhaupt keine realistische Berichterstat-tung mehr zustande kam, wenn man offizielle Wege ging. … Es kommt das Material nicht zustande. Ich denke schon, dass man das in der ARD, da bin ich sogar sehr sicher, in die Nachrichten kriegte, wenn man das entsprechende Material dafür hat. Aber da das praktisch

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nicht zustande kommt, kann man es auch nicht senden. Das ist sozusagen die effektivste Kontrolle. Die braucht dann so etwas wie Zensur überhaupt nicht mehr, weil wenn der Zu-gang nicht mehr möglich ist, dann brauchst du auch nichts mehr zu zensieren. Das ist die Putinsche Taktik, damit umzugehen." (Roth, I 28)

Zugangserschwernis durch Genehmigungsverfahren

Statt Gebiete komplett abzusperren, kann der Zugang auch dadurch erschwert werden, dass er nur mit einer entsprechenden Genehmigung gestattet wird. Ob oder wie schnell eine Genehmigung im Einzelfall erteilt wird, obliegt dann immer noch einer gewissen Willkür von Vertretern des Machtapparats. Derartige Hürden waren für Journalisten zum Beispiel während des Bosnienkrieges die Regel:

"Hindernisse waren die unendlichen Genehmigungen, die man brauchte. Man kriegt dann ja auch Absagen. Wenn sie zum Beispiel während des Krieges nach Bosnien wollten, da mus-sten sie ja erst ich weiß nicht welche Wege gehen, um vom dortigen Informationsministeri-um die Genehmigung zu kriegen. Bei manchen Themen kriegte man sie nicht, weil man Deutscher war. Bei manchen kriegte man sie nicht, weil dort im Ministerium jemand saß, der einen nicht mochte. Es war immer so ein bisschen ein Spießrutenlaufen und Glückstreffer, ob man nun da rein durfte." (Flottau, I 24)

Persönliche Überwachung

In einigen Ländern, gerade unter autoritären Regimen, ist es nicht unüblich, dass ausländische Journalisten von vornherein nur unter direkter Aufsicht arbeiten kön-nen. Journalisten werden in solchen Fällen entweder ständig oder zumindest wäh-rend des Aufenthaltes an von den Machthabern als sensibel erachteten Orten von einem Mitarbeiter des Staatsapparats begleitet und überwacht:

"Ich war im Irak zum Beispiel, da ist es ganz strikt, da kriegt man von Anfang an einen Be-gleiter zur Seite gestellt. Der achtet darauf, wo man hingeht, mit wem man redet. Und hört natürlich auch genau zu, was man mit dem redet. Das ist so ein bisschen wie in der DDR."

(Philipp, I 17)

Entzug der Aufenthaltsgenehmigung

Konfliktparteien können einzelnen, ihnen unbequemen Journalisten oder auch sys-tematisch ganzen Journalistengruppen die Arbeitsgrundlage entziehen, indem sie ihnen für ihren Einflussbereich die Aufenthaltsgenehmigung entziehen. Solche Maßnahmen mögen eine Reaktion auf vorangegangene Berichterstattung darstel-len, sie mögen der jeweiligen nationalen Zugehörigkeit von Journalisten geschul-det sein oder einen bloßen Akt der Machtdemonstration bedeuten. Die Ausweisung ist auf indirektem, eher schleichendem Wege möglich, indem etwa ein bestehen-des Visum nicht verlängert wird, oder durch die explizite Anweisung, das Land so-fort zu verlassen. So wurde etwa im Verlauf des Kosovokonflikts 1998 der ARD-Korrespondent Friedhelm Brebeck aufgefordert, das Land binnen zehn Stunden zu verlassen; er wurde von Pristina zur mazedonischen Grenze geleitet und erhielt

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danach keine Akkreditierung mehr (Schnitzler, 1999). Dies stellte zu der damaligen Zeit keineswegs einen Einzelfall dar, sondern war Teil der "Informationspolitik" un-ter Slobodan Miloševi

ć

: "Sehr viele Kollegen wurden einfach an die Grenze ge-bracht und weggeschickt und konnten kein Visum mehr bekommen, konnten nicht wieder zurückkommen" (Ivanji, I 27).

Persönliche Schikanierung

Im Extremfall, der allerdings weltweit gesehen keineswegs als Ausnahmefall an-gesehen werden kann, werden Journalisten aufgrund ihrer Berichterstattung oder als Maßnahme allgemeiner Einschüchterung persönlich schikaniert, beschimpft, bedroht, misshandelt, gefoltert, ins Gefängnis gesteckt, oder gar ermordet. Im Verlauf des Jahres 2003 wurden weltweit 766 Journalisten vorübergehend in Haft genommen, am Ende des Jahres saßen mehr als 120 Journalisten im Gefängnis (Reporters Without Borders, 2004a). Der Großteil dieser Schikanierungen ereig-nete sich in den letzten Jahren in Ländern in Asien und Afrika, vielfach waren ein-heimische Journalisten betroffen, die Kritik gegen das eigene Regime geäußert hatten. In Kriegen und internationalen Konflikten sind von derartigen Repressio-nen aber genauso ausländische Journalisten betroffen. Der deutschen Öffentlich-keit wurde dieses Problem schlaglichtartig während des Kosovokriegs vor Augen geführt, als der Sat.1-Reporter Pit Schnitzler 26 Tage in einem Belgrader Gefäng-nis in Einzelhaft gehalten wurde. Er musste dort am Tag 17 bis 18 Stunden lang stehen, wurde vom Wachpersonal geschlagen und immer wieder schikaniert, etwa in der Form, dass er gezwungen wurde, auf den Knien den Hitlergruß zu ent-bieten (Schnitzler, 1999). Der damalige serbische Staatsapparat versuchte, auch andere Journalisten mit den unterschiedlichsten Methoden einzuschüchtern:

"Es gab Perioden, wo alle große Probleme hatten mit dem Informationsministerium, mit dem Staatssicherheitsdienst hier. Da gab es einen ziemlich heftigen Druck. Auf alle. Und ich hatte das Gefühl, dass sie sehr individuell vorgehen, auch sehr gelernt, was diese Stasi-Methoden angeht. … Zum Beispiel einen guten Freund von mir, der für das deutsche Fernsehen gear-beitet hat, den hatten sie in eine Kneipe mitgenommen, der Staatssicherheitsdienst, dann haben sie ihn dort vor allen Leuten geprügelt. Ich weiß nicht, wahrscheinlich war es so ein psychologisches Spiel, ihn vor anderen erniedrigen. Bei mir hatten sie es anders versucht:

Man hat mir zu einem Zeitpunkt verboten zu arbeiten. Damit gedroht, wenn du weiter schreibst, dann gehst du ins Gefängnis oder dann kommst du vors Kriegsgericht." (Ivanji, I 27)

Instrumentalisierung und Desinformation

Ein zweites Bündel von Strategien des Informationsmanagements bezieht sich nicht auf die Verhinderung, sondern auf die gezielte Herstellung und Verbreitung von Informationen. Solche Strategien zielen darauf ab, dass Medien sich die Sicht-weise und Interpretationen der Konfliktpartei zu eigen machen, dass von Journa-listen solche Inhalte transportiert werden, welche die eigene Position und Argumentation stärken und die des Gegners schwächen und somit zu einer

erhöh-160 3. Der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung

ten Akzeptanz des eigenen Vorgehens führen. Die Medien werden in diesem Fall von den Konfliktparteien instrumentalisiert, um die eigenen Interessen zur Gel-tung zu bringen. Dies geschieht zum einen durch eine entsprechende Präsentati-on, Einbettung und Bewertung von Informationen, teilweise auch durch gezielte Desinformation und Lügen. Solche Strategien sind besonders virulent im Krieg selbst, spielen aber eine ähnlich wichtige Rolle in der Vorkriegszeit, in der eine Ak-zeptanz für den kommenden Krieg hergestellt werden muss, und in Nachkriegssi-tuationen, in denen es darauf ankommt, die positiven Konsequenzen des Krieges aufzuzeigen und den Krieg dadurch auch im Nachhinein zu legitimieren (vgl. hier-zu die Ausführungen im vorigen Kapitel).

Journalistische Gegenstrategien

Auch wenn die Restriktionen, Repressionen und Informationskampagnen von Konfliktparteien insgesamt schwerwiegende Hindernisse für eine konstruktive Konfliktberichterstattung darstellen, sind Journalisten solchen Maßnahmen nicht vollkommen hilflos ausgeliefert. Sowohl was die Recherche und Informations-sammlung vor Ort als auch was die mediale Darstellung von Ereignissen betrifft, verfügen Journalisten durchaus über Möglichkeiten, das Informationsmanage-ment von Konfliktparteien zu unterlaufen oder zumindest dessen nachteiligen Ein-fluss auf die Berichterstattung zu verringern. Berufserfahrung in Konfliktgebieten erweist sich dabei generell als vorteilhaft, weil dadurch nicht nur das Informati-onsmanagement von Konfliktparteien besser durchschaut werden kann, sondern weil damit normalerweise auch eine profundere Kenntnis von geeigneten journa-listischen Gegenstrategien verbunden ist. Um das entsprechende Repertoire von Konfliktberichterstattern aufzuzeigen, werden im Folgenden die Gegenstrategien systematisiert, die in den Experteninterviews genannt wurden.

Reflexion der eigenen Rolle/Bewusstmachung der Funktionalisierung

Voraussetzung für einen konstruktiven Umgang mit den Informationsstrategien der Konfliktparteien ist zunächst, sich diese Strategien als einzelner Journalist und als Redaktion oder Medienunternehmen immer wieder bewusst zu machen. Das bedeutet eine Reflexion der Rolle, die Medien und Journalisten in Konflikten für die verschiedenen Konfliktakteure spielen. Dazu gehört, sich beständig zu fragen:

Wer versucht einen gerade auf welche Weise zu instrumentalisieren? Ist noch ge-nügend Distanz zu den einzelnen Konfliktparteien vorhanden? Welche strategi-schen Absichten stecken hinter der Verlautbarung eines Regierungsbeamten, eines Militärs, eines bewaffneten Kämpfers, aber gegebenenfalls auch hinter der eines Flüchtlings oder des Sprechers einer Hilfsorganisation? Ein Motiv ist bei allen Akteuren auszumachen, die sich gefragt oder ungefragt den Medien mit Informa-tionen zur Verfügung stellen. Das Vorhandensein eines Motivs an sich ist keines-wegs etwas Fragwürdiges. Für Journalisten kommt es allerdings darauf an, diese

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Motive zu durchschauen bzw. vorgebliche Motive kritisch zu hinterfragen. Ansons-ten laufen sie schnell Gefahr, Fehlinformationen aufzusitzen oder bloße Behaup-tungen als Fakten einzuordnen und zu bewerten.

Nach der Einschätzung des Leiters des ARD-Hauptstadtstudios, Thomas Roth, ist die Sensibilität hierfür in den Medien in den letzten Jahren gewachsen, was sich auf die Berichterstattung über den Irakkrieg entsprechend auswirkte:

"Wir haben natürlich immer wieder auch hier, in meiner Redaktion, darüber gesprochen:

Denkt daran, Kriegsparteien haben immer Interessen. Und das war sicherlich auch in der Weltspiegel-Redaktion so, oder in der Redaktion der Sender, die die Kollegen betreuen, Teil der Diskussion, da bin ich ganz sicher. Auch in den täglichen Schaltkonferenzen ist das na-türlich immer wieder thematisiert worden: Liegen wir da richtig, haben wir da die nötige Di-stanz gehabt, ist das klar geworden? Insofern war, von den Konflikten, die ich miterlebt habe, das Problembewusstsein bei diesem Krieg meines Erachtens bislang am Höchsten."

(Roth, I 28)

Infragestellung/Prinzipielles Misstrauen

Aus der Bewusstmachung der eigenen Rolle im Krieg ergibt sich fast zwangsläufig eine entsprechende Grundhaltung, mit welcher die gesamte Berichterstattung in Kriegszeiten angegangen wird: Informationen, von welcher Seite sie auch stam-men, werden noch stärker in Frage gestellt als innerhalb der gängigen journalis-tischen Routine. Die Arbeit ist geprägt von einem prinzipiellen Misstrauen gegen-über amtlichen Verlautbarungen; gegengegen-über Angaben, die einem als Fakten sentiert werden; gegenüber Bildern, die den unbestechlichen Augenschein prä-sentieren sollen, kurz: gegenüber allen Informationen, auch denen, die auf den ersten Blick offensichtlich und plausibel erscheinen mögen.

Vielfältige Informationsquellen

Da offizielle Verlautbarungen von Politikern und Militärs im Kriege mehr noch als zu anderen Zeiten mit höchster Vorsicht genossen werden müssen, liegt eine Stra-tegie, nicht auf diese Verlautbarungen angewiesen zu sein, darin, dass die Medi-en, stärker als sie dies sonst tun, eine breite Palette anderer Informationsquellen heranziehen und diese miteinander vergleichen. Solche Informationsquellen kön-nen außer der eigekön-nen Recherche und Anschauung vor Ort z.B. die Medien aus den jeweiligen Konfliktländern sein, internationale Medien, Journalisten vor Ort, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen des Konfliktlandes, sonstige Perso-nen des öffentlichen Lebens, Vertreter internationaler OrganisatioPerso-nen (Hilfsorga-nisationen, Friedensorganisationen etc.) oder Stimmen aus der Bevölkerung.

Nach der Erfahrung von Thomas Roth (I 28) erhält man wirklich aussagekräftige Informationen über einen Krieg ohnehin nicht in den offiziellen Briefings der Kon-fliktparteien, sondern indem man sich selbst auf die Suche nach den Auswirkun-gen des Krieges begibt:

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"Das [offizielle Briefing] ist immer sehr abstrakt, und man hat immer diesen sauberen Ein-druck. Das ist aber nicht so. Und das kriegt man nur raus, wenn man versucht zu beschrei-ben, was wirklich mit den Leuten passiert, mit den Kombattanten, aber auch mit der Zivilbevölkerung. Und wenn man sucht, dann stößt man halt auf solche Sachen: Ich erinnere mich an eine Szene im ersten Tschetschenienkrieg, wo sich bestimmt 300 Menschen in den unterirdischen Gängen einer Mühle versteckt hatten, weil sie Angst hatten. Durch Zufall war diese Dohle offen, da war jemand unten, ich bin dann runter und fand die dort. Das hat sehr viel über den Krieg erzählt. Eigentlich erzählt nur das wirklich viel über Krieg. Je konkreter man ihn hinkriegt. Kanonen schießen überall gleich auf der Welt."

Die Vielfalt möglicher Informationen kann – zumindest bei größeren Sendeanstal-ten oder Zeitungen/Magazinen, die sich dies leisSendeanstal-ten können – zusätzlich durch eine entsprechende organisationale Struktur gefördert werden, indem Reporter an verschiedenen Schauplätzen des Konflikts bzw. auf der Seite einer jeden Kon-fliktpartei stationiert werden (vgl. Kap. 3.5.1.2).

Professionelle Ausrüstung und Technik

Zur Frage der Organisation und Struktur zählt ebenfalls, stets auf dem neuesten Stand der Nachrichtentechnik zu sein, um mit den Konfliktparteien unter techno-logischen Gesichtspunkten Schritt halten zu könnten. Wegen der aufwändigeren benötigten Technik stellt dies vor allem für Fernsehkorrespondenten noch eine stete Herausforderung dar. Für Hörfunk- und Printjournalisten dagegen ist das Problem der Nachrichtenübertragung durch den Einsatz von Satellitentelefonen mittlerweile weitgehend gelöst.

Flexibilität

Adäquate Ausrüstung und Technik kann als Voraussetzung für gute Berichterstat-tung gesehen werden, letztlich nützt sie aber auch nur, wenn bestimmte Qualitäten des Berichterstatters hinzukommen. Eine Fähigkeit, über die Konfliktberichterstat-ter vor Ort generell verfügen müssen und die in sämtliche Gegenstrategien mit hineinspielt, ist ein hoher Grad an Anpassungsfähigkeit und Flexibilität:

"Wenn sie nicht fähig sind, auf eine Situation flexibel zu reagieren, sondern meinen, sie könnten das mit irgendwelchen Apparaten, hilft ihnen das auch nichts. Sie müssen in man-chen Situationen reagieren, das hat nichts mit Ausrüstung und mit Geld zu tun. Dass sie ein-fach einschätzen können, was muss ich jetzt tun, um weiterzukommen, um zu schreiben, um das eben so zu recherchieren, wie ich es möchte. Da würde mir alles Geld dieser Welt nichts helfen." (Flottau, I 24)

List und Tücke

Zu dieser erforderlichen Flexibilität gehört auch, in der Arbeit vor Ort bisweilen auf ungewöhnlichere Methoden zurückzugreifen. Um trotz der Restriktionen der Kon-fliktparteien an verwertbare Informationen heranzukommen oder überhaupt wei-terhin journalistisch tätig sein zu können, scheinen für Reporter vor Ort mitunter

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zum Beispiel Vorgehensweisen notwendig, die eine gewisse Portion an List und Tücke erfordern. Anders ausgedrückt: Es werden Methoden angewandt, die darin bestehen, Akteure auf Seiten der Konfliktparteien zu täuschen, ihnen zu drohen, sie zu ködern oder zu bestechen.

Beispielsweise hätte Thomas Roth ohne solche Methoden im zweiten Tschetsche-nienkrieg keine Möglichkeit mehr für eine realistische Berichterstattung gesehen:

"Also musste man das heimlich tun, das entsprechend lang vorbereiten, auch die russischen Posten lang bearbeiten. Übrigens am Wenigsten mit Geld, das hat eine Menge mit Sachen

"Also musste man das heimlich tun, das entsprechend lang vorbereiten, auch die russischen Posten lang bearbeiten. Übrigens am Wenigsten mit Geld, das hat eine Menge mit Sachen