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2 Die Rolle der Medien in Konflikten

2.4 Die Beziehung zwischen Medien, Politik und Gesellschaft

2.5.1 Friedensjournalismus nach Johan Galtung

Johan Galtung (1998a, 2002) gebraucht bei der Entwicklung seines Modells von Friedensjournalismus den Vergleich, wie über Krankheiten und die Möglichkeiten, Krankheiten zu überwinden, berichtet wird. Galtung skizziert die Option einer Be-richterstattung, die nur die Krankheiten selbst in aller Ausführlichkeit darstellt, die die Symptome bis ins grausamste Detail schildert (vor allem, wenn sie Angehörige von Eliten betreffen) und die den Kampf zwischen dem menschlichen Körper und dem krankheitsauslösenden Faktor zu ihrem zentralen Gegenstand macht. Eine solche Art von Journalismus wäre krankheitsorientiert. Journalisten, die sich mit dem Thema auf diese Weise befassen, könnten als "Krankheitsjournalisten" be-zeichnet werden. De facto hat sich jedoch in den letzten Jahren die Gattung eines Gesundheitsjournalismus herausgebildet, in dessen Mittelpunkt die Berichterstat-tung über die Ursachen von Krankheiten, über Präventionsmöglichkeiten und über Erfolg versprechende Therapieformen steht und die auch den Zusammenhang der eigenen Lebensweise mit der Wahrscheinlichkeit der Entwicklung von Krankheiten thematisiert. Eine analoge Form des Friedensjournalismus, so Galtungs Analyse, habe sich jedoch bislang nicht etabliert. Vorherrschend sei eine Kriegsberichter-stattung, die sich auf die gewaltträchtigen Symptome des Konflikts konzentriert, auf die Vorbereitung und Durchführung von Kampfhandlungen zwischen

Konflikt-40 2. Die Rolle der Medien in Konflikten

parteien, auf die aktuellen Zerstörungen, und auf die geeigneten Mittel, die als Schuldige und Übeltäter identifizierten Konfliktparteien unschädlich zu machen.

Friedensjournalismus dagegen hätte die Aufgabe, die folgenden Fragen in den Vordergrund zu stellen (Galtung, 1998a):

1. Was ist der Gegenstand des Konflikts? Wer sind die Konfliktparteien, was sind ihre wirklichen Ziele? Wie viele Parteien stehen außerdem unsichtbar im Hin-tergrund?

2. Wo liegen die eigentlichen strukturellen und kulturellen Wurzeln des Konflikts, auch unter historischer Perspektive?

3. Welche Ideen gibt es für andere Lösungen als die, dass eine Partei ihre Vor-stellungen der anderen aufdrängt? Insbesondere kreative, neue Ideen? Kön-nen diese Ideen mächtig genug sein, um Gewalt zu verhindern?

4. Wenn es zur Gewaltanwendung kommt: Wie steht es dann mit solchen nicht sichtbaren Folgen wie Traumata und Hass und dem Wunsch nach Vergeltung und Ruhm?

5. Wer bemüht sich, Gewalt zu verhindern? Welche Visionen eines Konfliktaus-ganges haben diese Leute, was sind ihre Methoden und wie können sie unter-stützt werden?

6. Wer initiiert Wiederaufbau, Versöhnung und Konfliktlösung, und wer ist ledig-lich Nutznießer der Aktivitäten anderer?

Zur Verdeutlichung der Möglichkeiten, die Journalisten zunächst offen stehen, wenn sie über Konflikte berichten, stellt Galtung systematisch die Varianten des Friedens- bzw. Konfliktjournalismus und des Kriegs- bzw. Gewaltjournalismus ge-genüber (Tab. 1).

Diese Unterscheidung kann Galtung zufolge unter zwei Gesichtspunkten gelesen werden. Der eine ist normativer Art und beantwortet die Frage, wie Medien über Konflikte berichten sollten. Aus der Perspektive der Friedens- und Konfliktfor-schung ist eine Berichterstattung, die sich an den in der linken Spalte skizzierten Punkten orientiert, eindeutig zu favorisieren. Betrachtet man die Tabelle unter ei-nem deskriptiven Gesichtspunkt, so bildet sie insgesamt die Berichterstattung ab, die auf der Welt vorzufinden ist. Die Tabelle sollte folglich nicht missverstanden werden als eine Unterteilung in Soll-Zustand auf der einen (linken) und Ist-Zu-stand auf der anderen (rechten) Seite. Die meisten Medien sind augenblicklich weder der einen noch der anderen Seite eindeutig zuzuordnen, ihre Berichterstat-tung beinhaltet Anteile beider Varianten. Das bedeutet auch, dass Friedensjour-nalismus keine vollkommen neue, noch nie da gewesene, in der Praxis erst noch zu "erfindende" Art der Berichterstattung ist. Ansätze dazu sind nicht nur in spe-ziellen Außenseitermedien, sondern auch in der Mainstreamberichterstattung durchaus vorhanden (vgl. z.B. Bläsi & Jaeger, 2004; Bläsi, Jaeger, Kempf, Kon-dopoulou & Paskoski, 2005; Jaeger, 2004b).

2.5 Modelle von Friedensjournalismus und konstruktiver Konfliktberichterstattung 41

Tabelle 1: Friedensjournalismus vs. Kriegsjournalismus nach Galtung (1998a)

Teile des hier vorgestellten Modells von Friedensjournalismus, insbesondere die Wahrheitsorientierung, entsprechen sogar dem allgemein vorherrschenden Selbstverständnis von Konfliktberichterstattern (vgl. Kap. 3.3.2.3). Dass gute

Be-Friedens- bzw. Konfliktjournalismus Kriegs- bzw. Gewaltjournalismus I. Friedens- bzw. konfliktorientiert

• Erforscht die Konfliktformation

• x Parteien, y Ziele, z Gegenstände

• Allgemeine "Win-Win"-Orientierung

• Offener Raum, offene Zeit

• Ursachen und Lösungen werden überall gesucht, auch in Geschichte und Kultur

• Konflikte durchschaubar machen

• Alle Parteien werden gehört. Einfühlungs-vermögen, Verständnis

• Konflikt/Krieg wird als das Problem gese-hen. Fokus auf Kreativität der Konfliktlö-sung

• Humanisierung aller Seiten, umso mehr, je schlimmer die Waffen

Präventiv: Verhinderung von Gewalt/Krieg

• Fokus auf unsichtbaren Wirkungen von Gewalt (Traumata und Ruhm, struktureller und kultureller Schaden)

I. Kriegs- bzw. gewaltorientiert

• Beschreibt die Konfliktarena

• 2 Parteien, 1 Ziel (Sieg)

• Generell nullsummenorientiert

• Geschlossener Raum, geschlossene Zeit

• Gründe und Auswege werden am Schlachtfeld gesucht: "Wer warf den ers-ten Stein?"

• Kriege werden verschleiert

• "Wir-Sie"-Journalismus. Propaganda, Vo-tum für "uns"

• "Sie" werden als das Problem gesehen.

Fokus darauf, wer im Krieg die Oberhand gewinnt

• Dehumanisierung der "anderen", umso mehr, je schlimmer die Waffen

Reaktiv: erst Gewalt gibt Anlass für Be-richterstattung

• Nur Blick für sichtbare Folgen der Gewalt (Tote, Verwundete und materieller Scha-den)

II. Wahrheitsorientiert

• Entlarvt Unwahrheiten auf allen Seiten

• Deckt alle Vertuschungsversuche auf

II. Propagandaorientiert

• Entlarvt die Unwahrheiten der "anderen"

• Unterstützt "unsere" Vertuschungsversu-che und Lügen

III. Menschenorientiert

• Fokussiert jegliches Leiden; das Leid der Frauen, der Alten, der Kinder; gibt den Stimmlosen eine Stimme

• Benennt alle, die Unrecht tun

• Betont Friedenstendenzen in der Bevölke-rung

III. Eliteorientiert

• Fokussiert unser Leid; das der wehrfähi-gen Männer, die die Elite bilden; ist deren Sprachrohr

• Benennt ihre Übeltäter

• Betont, dass nur die Elite Frieden schlie-ßen kann

IV. Lösungsorientiert

• Frieden = Gewaltfreiheit + Kreativität

• Zeigt Friedensinitiativen, auch um die Aus-weitung des Krieges zu verhindern

• Wichtig sind Struktur und Kultur; eine friedliche Gesellschaft

• Berichtet über die Nachkriegsphase: Kon-fliktlösung, Wiederaufbau, Versöhnung

IV. Siegorientiert

• Frieden = Sieg + Waffenstillstand

• Verschweigt Friedensinitiativen, solange nicht entschieden ist, wer gewinnt

• Wichtig sind Verträge und Institutionen;

eine kontrollierte Gesellschaft

• Wendet sich nach Kriegsende dem nächs-ten Konfliktherd zu; kehrt zurück, wenn der alte wieder aufflackert

42 2. Die Rolle der Medien in Konflikten

richterstattung Unwahrheiten aufdecken soll, stellt unter Medienschaffenden wohl einen Konsens dar. Friedensjournalismus im Sinne Galtungs ist jedoch mehr als Wahrheitsjournalismus: Friedensjournalismus fokussiert nicht nur das schon sprichwörtliche erste Opfer des Krieges (die Wahrheit), sondern in gleicher Weise auch die drei anderen großen Kriegsopfer: den Frieden, die Menschen und die kre-ativen Lösungen. Theoretisch basiert das Modell des Friedensjournalismus auf den umfangreichen Arbeiten Galtungs zur Frage, wie Konflikte mit friedlichen Mit-teln transformiert werden können, welche Bedingungen für einen nachhaltigen Frieden notwendig sind (Galtung, 1998b, Galtung et al., 2003) und welche Rolle den Medien im Zeitalter der Globalisierung zuwächst (Galtung & Vincent, 1992).

Weil der Terminus Friedensjournalismus oftmals missverstanden wird und deshalb gerade unter Journalisten häufig auf Skepsis oder Ablehnung stößt, scheint es ge-boten, an dieser Stelle explizit darauf hinzuweisen, was mit diesem Begriff nicht gemeint ist:

• Keinesfalls sollte darunter eine Art "Friede-Freude-Eierkuchen-Journalismus"

verstanden werden, eine Berichterstattung, die eine heile Welt vorgaukelt, die Konflikte verdeckt oder schönredet, die Gegensätze zwischen Konfliktparteien herunterspielt und deren Gräueltaten verharmlost.

• Ebensowenig gemeint ist damit ein rein appellativer "Make-love-not-war-" oder

"We-shall-overcome-Journalismus", der die Konfliktparteien in leidenschaftli-chen Plädoyers für den Frieden dazu aufruft, sich doch endlich wieder zu ver-tragen, den Krieg zu beenden und an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

• Es geht also nicht darum, der üblichen Kriegspropaganda (vgl. Kap. 3.4.1) nun einfach eine entsprechende Friedenspropaganda entgegenzusetzen.

Vielmehr geht es um die Frage, inwiefern Journalisten durch ihre Berichterstattung dazu beitragen können und wollen, den Konflikt für eine friedliche Streitbeilegung offen zu halten – oder aber ob sie, gewollt oder unbeabsichtigt, eine eskalations-orientierte Konzeptualisierung des Konflikts unterstützen und verstärken.

2.5.2 Konstruktive Konfliktberichterstattung nach Wilhelm Kempf Diese Ausgangsfrage liegt auch dem sozialpsychologisch begründeten Ansatz von Wilhelm Kempf zugrunde. Kempfs Modell konstruktiver Konfliktberichterstattung (1996, 2004, 2005; ASPR, 2003) stellt keinen Alternativentwurf zum Friedensjour-nalismus nach Galtung dar. Im Gegenteil ähneln sich beide Modelle in wesentli-chen Punkten. Allerdings wird in Kempfs Arbeiten die systematische Herleitung seines Modells aus den Ergebnissen der Konfliktforschung weitaus deutlicher er-sichtlich als bei Galtung. Grundlage von Kempfs Modell ist die Erkenntnis, dass der Verlauf eines Konflikts wesentlich davon abhängt, ob er als kompetitiver oder als kooperativer Prozess begriffen wird (Deutsch, 1976). Ein Konflikt ist dadurch ge-kennzeichnet, dass die Rechte und Absichten einer Konfliktpartei durch die

Hand-2.5 Modelle von Friedensjournalismus und konstruktiver Konfliktberichterstattung 43

lungen einer anderen Partei in Frage gestellt werden. Die Handlungen des Gegenübers werden darum als Bedrohung wahrgenommen. Die sich bedroht füh-lende Partei ergreift deshalb Maßnahmen zur Sicherung ihrer Rechte und zur Durchsetzung ihrer Intentionen. Diese Maßnahmen werden wiederum von der an-deren Konfliktpartei als Bedrohung erlebt, da sie mit an-deren Rechten und Intentio-nen interferieren. Gleichzeitig sind zumeist jedoch auch gemeinsame Rechte und Intentionen vorhanden, welche die Basis für gegenseitiges Vertrauen und Bemü-hungen um eine gemeinsame Konfliktlösung darstellen können. Zu diesem Zeit-punkt ist somit noch offen, ob der Konflikt als Konkurrenzprozess definiert wird, der einer Win-Lose-Logik folgt, nach der die Erreichung der eigenen Ziele nur auf Kosten der anderen Partei möglich erscheint, oder ob er als ein Kooperationspro-zess begriffen wird, in dem die Zusammenarbeit mit dem Gegenüber als notwen-dig für die Realisierung der eigenen Interessen angesehen wird (Win-Win-Logik).

Sozialen Konflikten wohnt jedoch von Grund auf eine Eskalationstendenz inne, die aus der systematischen Perspektivendivergenz zwischen den Konfliktparteien re-sultiert. Diese besteht darin, dass die eigenen Handlungen zunächst stets vom In-nenstandpunkt und mit Blick auf die damit verfolgten Intentionen wahrgenommen werden, während die Handlungen des Gegenübers nur vom Außenstandpunkt und von den Handlungsfolgen her erfahren werden. Für gegenseitiges Verstehen und das Ergreifen einer gemeinsamen Win-Win-Strategie ist darum ein aktiver Prozess der Perspektivenübernahme notwendig.

In der Konfliktforschung konnte eindrücklich gezeigt werden, dass die Interpreta-tion eines Konflikts als Win-Lose- oder als Win-Win-Prozess sehr unterschiedliche Dynamiken in Gang setzt und dass damit bei den Konfliktparteien typische kogni-tive und emotionale Veränderungen einhergehen.

Kompetitive Konflikte haben die Tendenz, sich auszubreiten und hochzuschrauben (Deutsch, 1976; Kempf, 1995). Sie verselbständigen sich und dauern auch dann noch an, wenn die ursprünglichen Streitfragen gar nicht mehr von Bedeutung sind.

Mit der Ausweitung des Konfliktes geht eine zunehmende Fixierung auf Machtstra-tegien, auf die Taktiken der Drohung, des Zwanges und der Täuschung einher.

Die Eskalationstendenz ist das Resultat von drei miteinander verbundenen Prozes-sen: dem Konkurrenzprozess, der aus dem Versuch resultiert, im Konflikt zu ge-winnen, dem Prozess der Fehleinschätzung des gegnerischen Handelns und seiner Intentionen und dem Prozess der sozialen Verpflichtung, aufgrund dessen der Sieg über den Gegner zum vorrangigen Ziel der Innengruppe wird. Diese drei Pro-zesse ziehen folgende Konsequenzen nach sich:

• Der Konkurrenzprozess legt die Ansicht nahe, dass eine für die eigene Seite be-friedigende Konfliktlösung nur auf Kosten des Gegners und gegen diesen durchgesetzt werden kann. Dadurch wird die Anwendung immer drastischerer

44 2. Die Rolle der Medien in Konflikten

und gewaltsamerer Mittel zur Durchsetzung der eigenen Ziele begünstigt. Da-mit einher geht eine Verarmung der Kommunikation und eine zunehmend arg-wöhnische und feindselige Haltung gegenüber dem Gegner, welche die Wahrnehmung von Gegensätzen zwischen den Konfliktparteien verschärft und die Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten der Konfliktparteien vermindert.

• Der Prozess der Fehleinschätzungvermindert die Bereitschaft der Konfliktpar-teien, das gegnerische Handeln (auch) aus der Perspektive des Gegners zu se-hen; er verringert die Fähigkeit der Konfliktparteien zur Aufnahme von Informationen, welche die Interpretationen des gegnerischen Handelns korri-gieren könnten, und lässt Konfliktparteien dazu neigen, die eigenen Ziele und Handlungen für berechtigter zu halten als die der Gegenseite.

• Durch den Prozess der sozialen Verpflichtung auf den Sieg über den Gegner wird die Konfliktlösungskompetenz noch weiter eingeschränkt: Gruppenmit-glieder, die sich im Kampf hervortun, gewinnen an Einfluss. Kompromissbereit-schaft und Vermittlungsversuche werden als Verrat abgewehrt, und die andauernde Verstrickung in den Konflikt bindet die Gruppenmitglieder an die Konfliktstrategie, indem sie ihre bisherige Beteiligung rechtfertigt.

Die (experimental-)psychologische Forschung zum Gruppenverhalten und zu Ver-handlungsstrategien konnte diese Befunde vielfach bestätigen und ausdifferenzie-ren (vgl. Kempf, 2005). Es konnte gezeigt werden, dass das Verhalten von Konfliktparteien in Konflikten, die als Konkurrenzsituation definiert werden, u.a.

durch folgende Merkmale gekennzeichnet ist:

• Konfliktparteien neigen zu der Fehlannahme, dass die eigenen Interessen mit denen des Gegners unvereinbar sind.

• Die Fixierung auf den je eigenen Gewinn und Verlust führt dazu, dass Chancen eines Konfliktausgangs zum beiderseitigen Nutzen verpasst werden.

• Es besteht eine Tendenz, gemeinsame Werte zu übersehen und Unterschiede überzubetonen.

• Entsprechend werden ideologische Differenzen überschätzt und der Gegner als extremer wahrgenommen als er tatsächlich ist.

• Die gegnerische Perspektive wird ignoriert.

• Zugeständnisse des Gegners werden abgewertet.

• Konfliktparteien überschätzen die Möglichkeit eines für sie günstigen Konflikt-ausgangs.

• Sie halten an einer konfrontativen Strategie auch dann noch fest, wenn ein Strategiewechsel angebracht wäre.

• Tatsachen, welche die eigene Position stärken, bleiben stärker im Gedächtnis haften.

• Die ethischen Standards der Bewertung des Konfliktverhaltens werden den ei-genen Interessen untergeordnet.

2.5 Modelle von Friedensjournalismus und konstruktiver Konfliktberichterstattung 45

• Konfliktparteien beurteilen sich selbst als ethisch höher stehend und rechtfer-tigen eigene fragwürdige Verhaltensweisen.

• Misserfolge werden auf mangelnde Fairness des Gegners attribuiert.

• Der Versuch, zu einer Verhandlungslösung zu kommen, wird als unmoralisch abgewehrt, sobald geheiligte Werte auf dem Spiel stehen.

• Unnachgiebige Verhandlungsführer der eigenen Seite werden als Helden gefei-ert.

• Neutrale Konfliktparteien werden disqualifiziert, wenn sie Empfehlungen ge-ben, die nicht der eigenen Gruppe zum Vorteil gereichen.

Eine Definition des Konflikts als Kooperationsprozess zieht dagegen die folgenden Konsequenzen nach sich (Deutsch, 1976; Kempf, 1995):

• Offene und ehrliche Kommunikation zwischen den Konfliktparteien und gegen-seitiger Informationsaustausch, der es ermöglicht, zu den hinter den offenkun-digen Streitfragen liegenden Interessen vorzudringen und eine angemessene Definition des Problems zu erarbeiten. Die Konfliktlösung kann optimiert wer-den, weil beide vom Wissen des Partners profitieren können. Gleichzeitig wird die Gefahr von Missverständnissen verringert.

• Die Anerkennung der Sichtweisen und Interessen des Partners und die Bereit-schaft zur Suche nach Lösungen, die beiden Seiten gerecht werden, wird be-fördert.

• Vertrauensvolle, wohlwollende Einstellung der Partner zueinander.

• Begünstigende Fehlwahrnehmung: im Kooperationsprozess neigen Konflikt-parteien dazu, die Wahrnehmung von Widersprüchen abzuschwächen und die Wahrnehmung für das Wohlwollen des Partners zu stärken. Diese Veränderun-gen können zwar zum einen zur Konflikteindämmung führen, berVeränderun-gen aber auch die Gefahr, dass Konfliktgegenstände übersehen oder verniedlicht werden, so dass eine erzielte Übereinkunft keine Nachhaltigkeit besitzt.

• Kooperative Verpflichtung auf eine gemeinsame Konfliktlösung.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Konkurrenzprozess eine zunehmende Eskalation bewirkt, die einhergeht mit der Idealisierung der eigenen Rechte, Ziele und Handlungen, der Negierung von Rechten des Gegners und der Dämonisierung seiner Intentionen und Handlungen, dem Leugnen von gemeinsamen Rechte und Zielen und von Kooperationsmöglichkeiten sowie einem emotionalen Klima zuneh-menden Misstrauens und Argwohns. Der Kooperationsprozess dagegen führt zu einer nüchternen Betrachtung der eigenen Rechte, Ziele und Handlungen, der An-erkennung der Rechte des Gegenübers, einer unvoreingenommenen Beurteilung seiner Intentionen und Handlungen, einer erhöhten Sensibilität für gemeinsame Interessen und Kooperationsmöglichkeiten und einem emotionalen Klima, das ge-prägt ist von Empathie und gegenseitigem Vertrauen.

46 2. Die Rolle der Medien in Konflikten

Zur Illustration des Unterschiedes dieser Wirklichkeitsdefinitionen sollen zwei Bei-spiele aus der internationalen Politik dienen: Die Europäische Union hat seit Mai 2004 25 Mitgliedsstaaten, die alle ihre eigenen Rechte, Interessen und Ziele ver-folgen und deren Absichten und Handlungen immer wieder im Widerspruch mit den Zielen anderer Mitglieder stehen. Dennoch wird auf der Grundlage der vor-handenen Gemeinsamkeiten, der gemeinsam geteilten Rechte und Interessen versucht, für solche Konflikte Lösungen zu finden, die die Interessen aller am Kon-flikt beteiligten Mitgliedsstaaten zufrieden stellen. Trotz aller nicht zu übersehen-den Interessensgegensätze werübersehen-den Konflikte innerhalb der EU also in der Regel als Kooperationsprozesse interpretiert. Eine gewaltträchtige Konflikteskalation wird dadurch unwahrscheinlich. Hingegen wurde im Vorfeld des Irakkriegs 2003 der Konflikt zwischen den USA und dem Irak von Seiten der US-Regierung und den meisten US-Medien von Anfang als ein Win-Lose-Prozess konzipiert. Der ein-zig gangbare Weg der Konfliktaustragung schien von vornherein in der Durchset-zung der eigenen Interessen gegen die des Feindes zu bestehen, etwaige gemeinsame Interessen oder Ziele der USA und des Irak wurden vollständig aus-geklammert. Entsprechend ging die letztlich in einen Krieg kulminierende Konflik-teskalation sowohl auf Seiten der USA und ihrer Verbündeten als auch auf Seiten des Iraks mit den oben dargestellten typischen kognitiven Verzerrungen und emo-tionalen Veränderungen einher.

Kempfs grundlegende These ist es, dass sich diese Prozesse und Dynamiken auch auf den Bereich Konfliktberichterstattung übertragen lassen. Die Medien spielen demnach eine zentrale Rolle im Prozess der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit eines Konflikts (vgl. Kap. 2.1) und es liegt an ihnen, wie sie diese Rolle ausfüllen.

Die Medien haben die Möglichkeit, Konflikten entweder eine Win-Lose-Logik zuzu-weisen und somit einen Interpretationsrahmen zu liefern, innerhalb dessen eine zunehmende Polarisierung der Konfliktparteien und die wachsende Bereitschaft zur Eskalation fast unausweichlich erscheinen. In diesem Fall nehmen die Medien die Rolle von Katalysatoren der Gewalt ein. Wie zahlreiche empirische Studien zei-gen, folgt der Mainstream der Kriegsberichterstattung bislang diesem Darstel-lungsmuster (ASPR, 2003). Die andere Möglichkeit besteht darin, dass die Medien aus der Logik eines solchen Kriegsdiskurses ausbrechen und den Konflikt als Win-Win-Situation konzipieren. Dies hat zur Konsequenz, dass andere Fragen in den Mittelpunkt der Berichterstattung gestellt, andere Aspekte der Konfliktkonstellati-on fokussiert, unterschiedliche IdentifikatiKonfliktkonstellati-onsangebote gemacht und neuartige Lösungsoptionen diskutiert werden. Die zentrale Frage in einem Friedensdiskurs lautet nicht: "Wer ist der Aggressor und wie kann er gestoppt werden?", sondern:

"Was ist der Gegenstand des Konflikts und wie kann dieser transformiert werden?"

Hierin offenbart sich auch der entscheidende Unterschied zum Journalism of At-tachment (Bell, 1997). In diesem Ansatz wird den Medien zwar ebenfalls eine ak-tive Rolle in Konflikten zugeschrieben. Die Aufgabe von Journalisten wird jedoch

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darin gesehen, dass sie ihre Neutralität aus moralischer Verpflichtung aufgeben müssten zugunsten einer Parteilichkeit für die "gute" bzw. unterdrückte und ge-gen die "böse" bzw. unterdrückende Seite. Dagege-gen sollen in einem friedensori-entierten Diskurs nach den Vorstellungen Kempfs statt der Darbietung von Identifikationsangeboten mit der einen Seite und einer Dehumanisierung oder Dä-monisierung der anderen Seite alle Seiten in gleicher Weise humanisiert und kri-tisiert werden. Anstelle der Konzeptualisierung des Konflikts als unlösbaren bzw.

nur durch die Unterwerfung des Gegners zu überwindenden Antagonismus zwi-schen Gut und Böse werden Möglichkeiten einer konstruktiven Konflikttransfor-mation erkundet.

Aus der Logik eines Kriegsdiskurses auszubrechen stellt allerdings gerade bei Kon-flikten, in die das eigene Land verwickelt ist, keine leichte Aufgabe dar. Die poli-tisch Verantwortlichen versuchen normalerweise mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, einen Antagonismus zwischen dem eigenen Land und dem Gegner aufzubauen, um den Krieg als notwendig und gerechtfertigt darzustellen

Aus der Logik eines Kriegsdiskurses auszubrechen stellt allerdings gerade bei Kon-flikten, in die das eigene Land verwickelt ist, keine leichte Aufgabe dar. Die poli-tisch Verantwortlichen versuchen normalerweise mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, einen Antagonismus zwischen dem eigenen Land und dem Gegner aufzubauen, um den Krieg als notwendig und gerechtfertigt darzustellen