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3 Der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung

3.1.1 Bisherige Modelle der Einflussfaktoren auf Medieninhalte

Der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung

3.1 Ein Rahmenmodell der Einflussfaktoren auf Konfliktberichterstat-tung

Bei dem Unterfangen, ein Modell der Einflussfaktoren auf Konfliktberichterstattung zu entwerfen, kann auf verschiedenen Arbeiten aufgebaut werden, in denen eine Systematisierung der Einflüsse auf Journalismus im Allgemeinen vorgenommen wurde. Da die Rahmenbedingungen der Produktion von Konfliktberichterstattung in vielen Belangen nicht grundverschiedenen sind von den Produktionsbedingun-gen sonstiger journalistischer AussaProduktionsbedingun-gen, können viele Erkenntnisse, die für die Produktion von Journalismus generell formuliert worden sind, auf den Bereich Kon-fliktberichterstattung übertragen werden. Unbenommen davon unterscheidet sich der Kontext von Konfliktberichterstattung in einigen Punkten jedoch auch wesent-lich von der alltägwesent-lichen innerdeutschen Politikberichterstattung. Darum werden in dem Rahmenmodell für Konfliktberichterstattung, das in diesem Kapitel in Kürze vorgestellt wird und dessen einzelne Faktoren in den nachfolgenden Kapiteln ein-gehend dargelegt und diskutiert werden, auch neue Aspekte hinzukommen und einige der von der Forschung hinlänglich identifizierten Einflussfaktoren auf Jour-nalismus modifiziert oder anders akzentuiert werden.

3.1.1 Bisherige Modelle der Einflussfaktoren auf Medieninhalte

Donsbach (1987) ordnet die Einflussfaktoren auf Medieninhalte vier unterschied-lichen Sphären zu:

1. Subjekt-Sphäre: Hierunter fallen die subjektiven Werte von Journalisten, ihre politischen Einstellungen, ihre Berufsmotive, ihr Aufgabenverständnis, ihr Pu-blikumsbild und ihre gesellschaftliche Position bezüglich der demographischen und einstellungsbezogenen Merkmale

2. Professions-Sphäre: Dazu zählen die Nachrichtenfaktoren als Grundlage der Nachrichtenauswahl, ethische Prinzipien, Berufsnormen, Standards der Infor-mationsbeschaffung, Kollegenorientierung, Ausbildung.

3. Institutions-Sphäre: Diese beinhaltet die innere Pressefreiheit, die Arbeitszu-friedenheit, den Arbeitsmarkt, institutionelle Zwecke und technische Strukturen.

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4. Gesellschafts-Sphäre: Darunter werden die Pressefreiheit, die Kommunikations-politik, die politische Kultur, die öffentliche Meinung und der Zeitgeist, die lokale Integration sowie soziale Bindungen und Netzwerke subsumiert.

Weischenberg (1998) greift zur Beschreibung des Systems Journalismus auf die Metapher einer Zwiebel zurück. Danach bestimmen die vier "Zwiebelschalen" Nor-men, Strukturen, Funktionen und Rollen in einem Mediensystem, was Journalis-mus ist. Die Wirklichkeitsentwürfe, welche der JournalisJournalis-mus liefert, sind demzufolge auf die Bedingungen und Regeln dieser unterschiedlichen Schalen oder Kontexte des Journalismus zurückzuführen.

Die äußere Schale, der Normenkontext, der im Mediensystem Gültigkeit besitzt, besteht aus den sozialen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, den histo-rischen und rechtlichen Grundlagen, der Kommunikationspolitik und den professi-onellen und ethischen Standards für journalistische Berufstätigkeit. Die nächste Schale stellt den Strukturkontext des Journalismus dar, womit vor allem die Zwänge der Medieninstitutionen gemeint sind, in denen Journalismus zustande kommt: die ökonomischen, politischen, organisatorischen und technologischen Imperative. Die dritte Schale bezeichnet Weischenberg als Funktionskontext des Journalismus: Hier geht es um die Frage, welche Informationsquellen und Referenzgruppen Medien-aussagen zugrunde liegen, wann und wie welche Berichterstattungsmuster und Darstellungsformen verwendet werden, nach welchen Regeln aus Ereignissen Nachrichten werden, welche Wirkungen journalistische Leistungen auf das Medi-enpublikum haben und welche Rückwirkungen auf die Aussagenentstehung fest-stellbar sind. Die innere Schale schließlich bilden die Medienakteure, die durch demographische Merkmale, soziale und politische Einstellungen, Rollenselbstver-ständnis und Publikumsimage, Professionalisierung und Sozialisation charakteri-siert werden können.

Shoemaker und Reese (1996) legen ein Modell vor, in dem die Einflüsse auf Me-dieninhalte ähnlich wie bei Weischenbergs Zwiebelmodell in Form von konzentri-schen Kreisen angeordnet sind (vgl. Abb. 4):

• Die individuellen Einflüsse von Journalisten bilden den innersten Kreis.

• Die Medienroutinen stellen die nächste Ebene dar: Dazu zählen u. a. der Nach-richtenwert, der Ereignissen beigemessen wird, die redaktionellen Selektions-kriterien und Routinen, die gängigen Informationsquellen, die herangezogen werden, und die Publikumsorientierung.

• Der Einfluss der Medienorganisation ist auf der nächst höheren Ebene angesie-delt. Darunter fallen die ökonomische Ziele und Zwänge, die Struktur der Me-dienorganisation sowie die Vorgaben von Eigentümern, Herausgebern und Chefredakteuren.

• Als Einflüsse von außerhalb einer Medienorganisation werden unterschiedliche Faktoren zusammengefasst: der Einfluss von Interessengruppen, von Public

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Relations Kampagnen, von anderen Medienorganisationen, gesetzliche Vorga-ben, auf Medien bezogenes Regierungshandeln, die Entwicklung des Medien-marktes, der Einfluss von Werbekunden, die technologische Entwicklung.

• Der Einfluss der Ideologie thematisiert die Werte und Überzeugungen, die in den Medien vertreten und verteidigt werden bzw. gegen die in den Medien an-gekämpft wird (z.B. während des Kalten Krieges: Demokratie und Marktwirt-schaft vs. marxistische Vorstellungen von Politik und WirtMarktwirt-schaft; oder heutzutage etwa: Demokratie und Freiheitsrechte vs. Terrorismus und Funda-mentalismus).

Abbildung 4: Modell der Einflussfaktoren auf den Medieninhalt nach Shoemaker & Reese (1996)

Hafez (2002) entwirft eine eigene Theorie der Auslandsberichterstattung, die viele der genannten Einflussfaktoren aufgreift. Er ordnet die Einflussfaktoren drei un-terschiedlichen Systemebenen zu: der Mikroebene (Einflüsse des einzelnen Jour-nalisten), der Mesoebene (Einflüsse der Medienorganisation und des Medien-systems) und der in seinem Theorieentwurf besonders elaborierten Makroebene (Zusammenspiel von Medien, Gesellschaft, nationaler und internationaler Politik).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in den bisherigen Modellen die Einflussfaktoren zwar zum Teil auf verschiedenen Ebenen angesiedelt und un-ter unun-terschiedlichen Oberbegriffen subsumiert werden, dass sich aber zugleich auch wesentliche Übereinstimmungen ergeben. In allen hier vorgestellten Model-len werden der einzelne Journalist, berufsspezifische Routinen und Normen, die Organisation des Medienunternehmens, die Struktur des Medienbetriebs insge-samt sowie Politik und Gesellschaft als relevante Einflussfaktoren angesehen.

Medienexterne Ebene Ideologische Ebene

Individuelle Ebene

Ebene der Medienorganisation

Ebene der Medienroutinen

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Es ist daher nicht verwunderlich, dass diese Faktoren auch von den Konfliktbe-richterstattungs-Experten, die im Rahmen dieser Arbeit interviewt worden sind, in unterschiedlichen Zusammenhängen thematisiert und als gewichtige Einflussgrö-ßen auf die eigene Arbeit identifiziert wurden. Die entsprechenden Expertenaus-sagen liefern für den Bereich Konfliktberichterstattung inhaltliche Konkreti-sierungen und PräziKonkreti-sierungen der in den obigen Modellen allgemein und abstrakt formulierten Einflussfaktoren. Darüber hinaus lassen sich daraus Erkenntnisse über weitere Aspekte gewinnen, die im Kontext von Konfliktberichterstattung besondere Bedeutung haben. Das im Folgenden vorgestellte Rahmenmodell der Einflussfak-toren auf Konfliktberichterstattung stellt somit eine Synthese aus den bisherigen Forschungsarbeiten und der Analyse der Experteninterviews mit Journalisten dar.

3.1.2 Ein Rahmenmodell der Einflussfaktoren auf Konfliktberichterstat-tung

In diesem Modell werden die Einflussgrößen auf Konfliktberichterstattung in Form von sechs grundlegenden Faktoren systematisiert.

1. Journalistisches System: Dieses kann wiederum auf verschiedenen Systemebe-nen beschrieben und analysiert werden. Wir unterscheiden hier

a. systemimmanente Dilemmata: Platzmangel und Zeitdruck,

b. die Mesoebene: die Organisationsformen, Strukturen und Routinen, die sich im jeweiligen Medienunternehmen manifestieren,

c. die Makroebene: Dazu zählen rechtliche und normative Vorgaben, Struktu-ren und Inhalte journalistischer Aus- und Fortbildung, ökonomische und technologische Determinanten und Abhängigkeiten.

2. Individuelle Merkmale von Journalisten: Dazu gehören u. a. die vorberufliche und journalismusbezogene Sozialisation, die persönlichen Werte, Überzeugun-gen und Denkmuster, das Aufgaben- und Rollenselbstverständnis als Konflikt-berichterstatter, die Motivation, als Konfliktberichterstatter tätig zu sein, sowie die individuelle Kompetenz, die hier nach journalistischer Kompetenz, allgemei-ner und spezifischer Konfliktkompetenz unterschieden wird. (Die individuellen Merkmale von Journalisten können auch als Mikroebene des journalistischen Systems begriffen werden, werden hier aber gesondert analysiert).

3. Lobbyismus, Informationsmanagement und Propaganda: Beeinflussungsversu-che von Lobbyisten aus Politik, Militär, Wirtschaft, Nichtregierungsorganisatio-nen, Gewerkschaften, Kirchen etc.

4. Die Konfliktsituation vor Ort: die spezifischen Bedingungen, mit denen Korres-pondenten und Reporter im Konfliktgebiet konfrontiert sind. Die Bedingungen vor Ort sind gekennzeichnet u. a. durch die Geographie, die jeweilige Sprache und Kultur, das Politik- und Gesellschaftssystem, die vorhandene Infrastruktur

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und Logistik, die Zugänglichkeit zu Orten und Personen, die Restriktionen sei-tens der Konfliktparteien, die Sicherheitslage.

5. Das öffentliche Klima bezüglich eines Konflikts: Dieses ist vor allem abhängig vom Grad der Konfliktbeteiligung des eigenen Landes und unterscheidet sich von Konflikt zu Konflikt u. a. in der Menge der politischen und medialen Aktivi-täten, der Vielfalt an Meinungen, dem Grad der Polarisierung und Emotionali-sierung des politischen Diskurses sowie den potenziellen negativen Konse-quenzen für Abweichler vom Mainstream des Diskurses.

6. Die Rezipienten mit ihren Interessen, Erwartungen und Gewohnheiten und ih-rem Kauf- bzw. Konsumverhalten.

In Abb. 5 werden die sechs Einflussfaktoren zusammengefasst.

Abbildung 5: Modell der Einflussfaktoren auf Konfliktberichterstattung

Abb. 5 zeigt offenkundig ein stark vereinfachtes Modell der Produktionsbedingun-gen von Konfliktberichterstattung. Die BeziehunProduktionsbedingun-gen zwischen den Einflussfaktoren sind in der Realität viel komplexer als dargestellt. Viele Faktoren beeinflussen sich gegenseitig, oftmals liegt auch eine Interaktion zwischen verschiedenen Faktoren vor. Schließlich können einige Aspekte des Produktionsprozesses nicht eindeutig einem Faktor zugeordnet werden. Eine Darstellung des Produktionsprozesses von Konfliktberichterstattung, die der Komplexität des Gegenstandes eher Rechnung

Zugang zu Orten und Quellen Restriktionen seitens der

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trägt, erfolgt in Kap. 3.8. Um diese Komplexität adäquat erfassen zu können, er-scheint es jedoch geboten, sich zuerst intensiver mit den einzelnen Einflussfakto-ren auseinanderzusetzen.

Da das Ziel dieser Studie darin besteht, die Möglichkeiten konstruktiver Konflikt-berichterstattung vor dem Hintergrund der realen medialen Produktionsbedingun-gen zu eruieren, bleibt es in den folProduktionsbedingun-genden Kapiteln nicht allein bei der differenzierten Darstellung der Einflussfaktoren, sondern es werden darüber hin-aus die nachstehenden Fragen diskutiert:

• Inwiefern stellen die Einflussfaktoren ein Problem oder Hindernis dar – im subjektiven Erleben der Konfliktberichterstatter?

– hinsichtlich der Umsetzung konstruktiver Konfliktberichterstattung?

• Welche Strategien wenden Konfliktberichterstatter an, um den Anforderungen gerecht zu werden, die die einzelnen Einflussfaktoren mit sich bringen?

• Welche Strategien, welche Veränderungen im Produktionsprozess wären nötig, um die Umsetzung konstruktiver Konfliktberichterstattung zu ermöglichen?

Dabei können grundsätzlich zwei Arten von Problemen oder Hindernissen unter-schieden werden:

• Hindernisse, die prinzipiell aus dem Weg geräumt werden können (z.B. der Mangel an individueller Kompetenz), und

• Hindernisse, die nicht aus dem Weg geräumt werden können, die aber manch-mal durch kreative Strategien entschärft oder umgangen werden können (z.B.

Restriktionen von Seiten der Konfliktparteien).

Entsprechend lassen sich auch zwei verschiedene Arten von Gegenstrategien be-schreiben:

• Changing-Strategienbeinhalten zum Beispiel die Veränderung von Strukturen, Routinen, Kompetenzen oder Einstellungen.

• Coping-Strategien sind konstruktive Reaktionen auf nicht veränderbare Gege-benheiten, die neue Handlungsspielräume eröffnen können.

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There is a fundamental contradiction between the peace process and what is considered news.9

Gadi Wolfsfeld