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3 Der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung

3.2 Einflussfaktoren des journalistischen Systems

3.2.3 Einflussfaktoren der Makroebene

3.2.3.1 Rechtliche und normative Vorgaben

Die rechtlichen und normativen Rahmensetzungen für Konfliktberichterstattung unterscheiden sich nicht von denen, die für den Journalismus allgemein gültig sind. Zu den verfassungsrechtlich garantierten Grundrechten zählt die Presse- und Meinungsfreiheit, darüber hinaus sind die Rechte der Massenmedien in den Medi-en-, Rundfunk- und Pressegesetzen der Länder, im Medienstaatsvertrag sowie in verschiedenen Bundesgesetzen festgehalten. Diese juristischen Vorgaben stellen für die Medienarbeit verbindliche Normen dar, deren Verletzung vor Gericht ein-klagbar ist (vgl. Pürer, 1992). Neben den rechtlich verbindlichen journalistischen Grundlagen hat sich eine Vielzahl journalistischer Kodizes herausgebildet, die nach Absicht der Verfasser und Unterzeichner solcher Kodizes ebenfalls normative Kraft entfalten sollen. Entsprechende Kodizes wurden von der UNESCO, der UNO, von verschiedenen internationalen und vielen nationalen Journalistenvereinigun-gen vorgelegt. In Deutschland sind insbesondere die Publizistischen Grundsätze (Pressekodex) des Deutschen Presserates in der aktuellen Fassung vom 20. Juni 2001 von Relevanz. Der Inhalt dieser Kodizes besteht neben allgemeinen Appellen an das Verantwortungsbewusstsein von Journalisten und der Achtung vor der

12 Da auf die technologischen Imperative der Berichterstattung in dieser Arbeit nicht weiter eingegan-gen wird, sei stellvertretend auf die Darstellung von Weischenberg (1995, S. 13-69) verwiesen.

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Wahrheit u. a. in Grundsätzen zum Umgang mit Informanten, zur Recherche, zur korrekten Wiedergabe von Äußerungen sowie – in unserem Kontext von beson-derer Bedeutung – auch in Prinzipien, die das Eintreten für Menschenrechte und Frieden und die Ablehnung einer Verherrlichung von Gewalt und Brutalität einfor-dern (vgl. Pürer, 1992). So heißt es etwa in einer von der UNESCO 1978 verab-schiedeten Mediendeklaration:

"Die Massenmedien haben zur Stärkung des Friedens und der internationalen Verständigung sowie zur Bekämpfung von Rassismus, Apartheid und Kriegshetze einen wichtigen Beitrag zu leisten. … [Sie tragen] durch die Verbreitung von Informationen über die Ziele, Bestre-bungen, Kultur und Bedürfnisse aller Völker dazu bei, Unwissenheit und Missverständnisse zwischen den Völkern zu beseitigen, Angehörige eines Staates aufgeschlossen für die Be-dürfnisse und Wünsche anderer zu machen, die Achtung der Rechte und der Würde aller Nationen, Völker und aller Menschen ... zu gewährleisten ... und helfen dadurch mit, dass die Staaten ihre Politik in einer Weise gestalten, die geeignet ist, die internationale Entspan-nung und die friedliche und gerechte Beilegung internationaler Streitigkeiten zu fördern."

(gekürzt zitiert nach Schneider, 1984, S. 306)

Darüber hinaus werden in einigen Medienunternehmen die jeweiligen publizisti-schen Grundsätze in Form von Redaktionsstatuten oder sogar in den Arbeitsver-trägen ausgeführt. Auch hier finden sich bisweilen Richtlinien, die in bestem Einklang mit den Prinzipien konstruktiver Konfliktberichterstattung stehen. Zum Beispiel heißt es im Redaktionsstatut der taz (§ 2): "[Die taz] tritt ein für die Ver-teidigung und Entwicklung der Menschenrechte und artikuliert insbesondere die Stimmen, die gegenüber den politisch Mächtigen kein Gehör finden." Redakteure der Frankfurter Rundschau verpflichten sich in ihren Arbeitsverträgen u.a. auf die Gebote des Gewaltverzichts und des Friedens.

Sieht man jedoch vom letzten Fall ab, in dem die Kodizes juristische Verbindlich-keit haben, so "kann man nicht übersehen, dass es sich hier um sehr allgemeine Anmutungen handelt, die im konkreten Berufsalltag nur in eingeschränkter Weise greifen können" (Pürer, 1992, S. 311). Hinzu kommt, dass die Einhaltung der Ko-dizes von Institutionen überwacht werden, die über keine wirkliche Sanktions-macht verfügen. Die "SanktionsSanktions-macht" des Deutschen Presserats etwa ist auf das Aussprechen von Rügen beschränkt.

Aus diesen Gründen ist es nicht verwunderlich, dass Ethik-Kodizes bislang kein messbarer Einfluss auf das Verhalten von Journalisten nachgewiesen werden konnte (Fengler, 2003). Weitaus verhaltensrelevanter als die geschriebenen sind höchstwahrscheinlich die ungeschriebenen professionellen Berufsregeln. Das Auf-stellen von ethischen Kodizes dürfte deshalb vor allem symbolischen Wert haben und in einzelnen Medienunternehmen vielleicht sogar hauptsächlich der positiven Öffentlichkeitswirksamkeit geschuldet sein (Pritchard & Morgan, 1989).

Dies bedeutet mitnichten, dass eine intensivierte Diskussion um ethische Grund-sätze und Leitlinien in der Konfliktberichterstattung nutzlos wäre. Im Gegenteil,

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die Fortentwicklung und Ausdifferenzierung einer entsprechenden Medienethik kann mit Sicherheit wichtige Anstöße für die Berichterstattung über Konflikte und Kriege geben (vgl. z.B. Pöttker, 2004). Allerdings müssten diese Diskussionen ver-stärkten Eingang finden in die journalistische Ausbildung und Sozialisation und letztlich auch in den professionellen Routinen und Strukturen ihren Niederschlag finden. Allein von der Aufnahme von Prinzipien konstruktiver Konfliktberichterstat-tung in schriftlich dokumentierte publizistische Grundsätze ist dagegen kaum ein Effekt auf die reale Berichterstattung zu erwarten.

3.2.3.2 Strukturen und Inhalte journalistischer Aus- und Fortbildung Eine eigenständige Ausbildung zum "Konfliktberichterstatter" gibt es nicht. Die hierfür erforderlichen spezifischen Kompetenzen, die über die allgemeinen jour-nalistischen Kompetenzen hinausgehen, erwerben Journalisten zumeist durch Selbststudium und vorwiegend erst im Rahmen der Ausübung ihres Berufs als Konfliktberichterstatter – oder aber überhaupt nicht. Im Rahmen der universitären Ausbildung für Journalisten gibt es in Deutschland außer an der FernUniversität Hagen nach Kenntnis des Autors bisher keine Angebote, in denen spezifische kon-flikttheoretische Kenntnisse vermittelt werden. Die bestehenden Fortbildungsan-gebote im Bereich Konfliktberichterstattung beschränken sich bislang fast ausschließlich auf die Thematik der Sicherheit in Krisengebieten. Weiterbildungs-kurse, in denen inhaltliche Belange der Konfliktberichterstattung thematisiert wer-den (z.B. die in Kap. 2.5.3 erwähnten Kurse des DJV), sind äußerst rar und bisher ohne jede Breitenwirkung.

Inwiefern die reale Konfliktberichterstattung durch die existierenden bzw. nicht existierenden Ausbildungsstrukturen und -inhalte bedingt wird, ist empirisch kaum messbar. Jedoch erscheint es zumindest plausibel, dass die in zahleichen empirischen Studien festgestellte Eskalationsorientierung von Konfliktberichter-stattung unter anderem auch mit der fehlenden oder mangelnden Ausbildung von Journalisten in den Bereichen Konflikttheorie, Konfliktanalyse und konstruktiver Konfliktbearbeitung zusammenhängt.

In jedem Fall sind die derzeitigen Möglichkeiten, sich im Rahmen journalistischer Aus- oder Weiterbildung Qualifikationen und Kompetenzen für eine konstruktive Konfliktberichterstattung anzueignen, als hoch defizitär zu bezeichnen. Die Auf-nahme entsprechender Inhalte in die Curricula universitärer Studiengänge wäre darum ein wichtiger und notwendiger Schritt, um friedensjournalistische Konzepte im System Journalismus, in den Köpfen zukünftiger Journalisten und damit lang-fristig auch in der journalistischen Praxis zu verankern. Daneben sollten auch be-rufsbegleitende Weiterbildungsangebote ausgebaut und in ihrer Attraktivität erhöht werden. Der DJV musste die Erfahrung machen, dass Seminare mit dem

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Titel Friedensjournalismus momentan nicht viele Journalisten anziehen. Der Be-griff Friedensjournalismus erscheint den meisten Journalisten erst einmal suspekt.

Dagegen erfreuen sich die Sicherheitstrainings für Journalisten, die die Bundes-wehr im VN-Ausbildungszentrum in Hammelburg durchführt, großer Nachfrage.

Um möglichst viele Journalisten mit Kompetenzen in konstruktiver Konfliktbericht-erstattung auszustatten, könnte deshalb zum Beispiel über eine integrierte Aus-bildung für Konfliktberichterstatter nachgedacht werden, die sowohl Fragen der Sicherheit als auch der Konfliktanalyse und der konstruktiven Konfliktbearbeitung in Theorie und Praxis aufgreift und die folgerichtig in Kooperation von Bundes-wehr, erfahrenen Konfliktberichterstattern und Experten aus der Friedens- und Konfliktforschung durchgeführt werden müsste.

3.2.3.3 Ökonomische Rahmenbedingungen, Kommerzialisierung,