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Kompetenzen und konstruktive Konfliktberichterstattung Für die Produktion konstruktiver Konfliktberichterstattung sollten Journalisten über

3 Der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung

3.3 Individuelle Merkmale von Journalisten

3.3.2 Das Aufgaben- und Rollenselbstverständnis

3.3.3.4 Kompetenzen und konstruktive Konfliktberichterstattung Für die Produktion konstruktiver Konfliktberichterstattung sollten Journalisten über

einen hohen Level sowohl an journalistischer Kompetenz als auch an allgemeiner und spezifischer Konfliktkompetenz verfügen. Dieser Idealzustand ist allerdings nur selten vorzufinden, insbesondere aufgrund eines Mangels an allgemeiner oder spezifischer Konfliktkompetenz.

Ursachen von Kompetenzmangel

Die eigentlichen Gründe für Kompetenzmängel sind jedoch weniger auf fehlendes Interesse oder mangelnde Professionalität des einzelnen Journalisten zurückzu-führen, sondern vor allem in den Strukturen des Journalismus und des Mediensys-tems zu suchen:

• Im Rahmen der journalistischen Ausbildung spielt die Vermittlung theoretischen Konfliktwissens eine marginale Rolle (vgl. hierzu auch Kap. 3.2.3.2). Zwar ver-fügen Konfliktberichterstatter in der Regel über allgemeine Fertigkeiten der Konfliktanalyse, über ein Wissen um gängige politische Konfliktlösungsmetho-den wie Verhandlung oder Mediation oder über ein Basiswissen in Fragen der Militärtechnik und -taktik. Spezifischere Kenntnisse zur Entstehung und Dyna-mik von Konflikten, und insbesondere auch zu den Möglichkeiten gewaltfreier Konfliktlösungen, stehen jedoch weder in journalistischen Studiengängen noch im Rahmen einer redaktionellen Ausbildung auf der Tagesordnung. Zu diesen meist fehlenden Kenntnissen zählen etwa das Wissen um sozialpsychologische Prozesse der Konflikteskalation (vgl. ASPR, 2003), um Bedingungen gelingen-der konstruktiver Konfliktlösung (vgl. Baros & Jaeger, 2004), um Wiegelingen-deraufbau- Wiederaufbau-und Versöhnungsprozesse (vgl. Wessels, 2004), Merkmale Wiederaufbau-und Möglichkeiten gewaltfreien Widerstands (vgl. Bläsi, 2001, 2004) und ziviler Interventionen (vgl. Schweitzer, 2004) oder Methoden interaktiver Konfliktlösung (vgl. Fisher, 2004).

• Defizite gibt es auch bei der Vermittlung praktischen allgemeinen Konfliktwis-sens. Immerhin scheint hier in bestimmten Bereichen, namentlich im Bereich Sicherheit, ein Umdenken stattzufinden (vgl. Kap. 3.5.1.3). Ansonsten scheint für Konfliktberichterstatter weitgehend die Maxime learning by doing zu gelten.

Wie man sich mit Konfliktgegebenheiten und widrigen Lebensumständen am

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besten zurechtfindet, lernt man in der Regel erst vor Ort und allenfalls mit Hilfe von Ratschlägen der dortigen Kollegen.

• Die Beschaffenheit des Typus Fallschirmspringer bringt es mit sich, dass dieser kein wirklicher Experte in Bezug auf den konkreten Konflikt sein kann. Zwar wird zumindest bei den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und den großen überregionalen Zeitungen in der Regel darauf geachtet, dass die entsprechen-den Reporter nicht vollkommen unbedarft sind, was die Kenntnis der Konflikt-region angeht. Doch scheint im Zweifelsfall oft die Maßgabe, überhaupt berichten zu können und einen Reporter vor Ort zu haben, ausschlaggebender zu sein als die Frage, wie qualifiziert der verfügbare Reporter für den aktuellen Konflikt ist. Entsprechend wenig Zeit bleibt Reportern mitunter, sich auf ihren Einsatz vorzubereiten, was die oben beschriebenen negativen Konsequenzen nach sich ziehen kann.

• Die Größe vieler Berichtsgebiete führt auch bei Langzeitkorrespondenten dazu, dass sie nicht für alle Länder, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, wirkliche Experten sein können. Dass z.B. bei ARD und ZDF jeweils ein Auslandsbüro ganz Südamerika abdecken muss oder die Auslandsstudios in Nairobi verant-wortlich sind für die Berichterstattung aus fast 40 afrikanischen Ländern, macht deutlich, dass schon die Organisation und Ressourcenverteilung der Medienun-ternehmen zwangsläufig bestimmte Kompetenzmängel nach sich zieht. Dieses Problem verschärft sich in Zeiten wirtschaftlicher Krisen, wenn Korresponden-tenposten bzw. Mittelzuweisungen gestrichen oder gekürzt werden.

Konstruktive Strategien bei Kompetenzmangel Changing-Strategie: Kompetenzerweiterung

Die naheliegendste Strategie gegen Kompetenzmangel ist es, den Kompetenz-mangel selbst zu beheben. Je nach Art der fehlenden Kompetenz kann dies in Form von Fortbildungen, Schulungen, oder durch Selbststudium und Selbstaneig-nung der Kompetenzen geschehen. Solche Maßnahmen der Kompetenzerweite-rung bedürfen allerdings einer mittel- oder langfristigen Vorausplanung oder – im Falle der journalistischen Ausbildung – grundlegender struktureller Veränderun-gen. Wenn ein Einsatz akut bevorsteht, ist es dazu in der Regel zu spät.

Für die Redaktionen und die einzelnen Journalisten bedeutet dies, rechtzeitig ge-nügend Zeit zur Vorbereitung und Einarbeitung einzuplanen. Die wenigsten Kon-flikte tauchen völlig aus dem Nichts heraus auf der Landkarte auf, so dass normalerweise zumindest eine gewisse Vorlaufzeit gegeben ist, die Journalisten zur Qualifizierung nutzen könnten. Eine sinnvolle Maßnahme ist es in jedem Fall, Journalisten schon zu einem Zeitpunkt fortzubilden, an dem noch gar kein kon-kreter Einsatzzeitpunkt erkennbar ist.

3.3 Individuelle Merkmale von Journalisten 133

Vor allem in Bezug auf die Sicherheit der eigenen Mitarbeiter scheint hier das Ver-antwortungsbewusstsein der Arbeitgeber gestiegen zu sein (vgl. Kap. 3.5.1.3).

Dringend geboten wäre es jedoch, dass Fortbildungen in Bezug auf die anderen oben genannten Kompetenzbereiche in ähnlicher Weise unterstützt würden; ins-besondere die bislang stark vernachlässigte Schulung der theoretischen Konflikt-kompetenz.

Coping-Strategie: Reflexion und Zurückhaltung

Welche Möglichkeiten bleiben, mit Kompetenzmangel umzugehen, wenn keine lange Vorbereitungszeit bleibt?

Man kann, wie Balkan-Korrespondent Andreas Ernst, argumentieren, dass unzu-reichendes Sachwissen von Journalisten ein der Profession immanentes Problem ist, dass es im journalistischen Alltag sehr häufig darum geht, sich "in sehr kurzer Zeit in ein Gebiet einzuarbeiten und dann was zu produzieren. Obwohl man ei-gentlich keine Ahnung hat. Das ist problematisch, aber dagegen kann man nicht viel machen" (Ernst, I 26). Tatsächlich kann dieses Dilemma nicht vollständig auf-gelöst werden. Einen vertretbaren Umgang damit sieht Ernst darin, die eigene Un-wissenheit zu reflektieren und sich nicht so zu gerieren, als wäre man ein Experte:

"Ich denke, man muss mindestens wissen, dass man sich zeitweise auf sehr dün-nem Eis bewegt. Und dann sollte man auch entsprechend vorsichtig sein." (ebd.) Die Unzulänglichkeiten des eigenen Wissens und der eigenen Fertigkeiten dem Re-zipienten explizit transparent zu machen erscheint indes ungleich schwieriger als für Transparenz in Hinsicht auf eine undurchsichtige Quellen- und Informationslage zu sorgen. Realistisch gesehen, kann dies von Journalisten nur schwerlich erwartet werden, schließlich will sich – verständlicherweise – niemand als für seine Aufgabe als im Grunde inkompetent präsentieren. Statt einer direkten Offenlegung von Kompetenzlücken wird von Journalisten daher eher eine Zurückhaltung praktiziert, was journalistische Darstellungsformen betrifft, die in ihren Augen größere Kom-petenzen erfordern würden, wie z.B. Analysen und Kommentare. Man beschränkt sich auf die "reine Nachricht" oder auf Berichte über die Menschen vor Ort, wie zum Beispiel Jens-Uwe Meyer bei seinem ersten Einsatz in Israel/Palästina:

"Als ich das allererste Mal da war, da wusste ich noch überhaupt nicht besonders viel, da musste ich mich erst mal reinschmecken in diesen Konflikt. Und dann hab ich mich auch wei-testgehend darauf beschränkt, Geschichten von Menschen zu erzählen, die ich getroffen hab. Und wie diese Menschen mit dem Konflikt umgehen. Und diese ganze politische Bewer-tung, also ich finde, wenn du dich am ersten Tag hinstellst und gleich den großen politischen Bewerter spielst, dann machst du dich ja lächerlich. Und so bin ich erst mal wirklich auf die menschliche Schiene rangegangen. Ähnlich hab ich's bei allen anderen Konflikten auch ge-macht. Je weniger ich verstehe vom Konflikt, desto mehr versuche ich auch einfach wirklich nur erst mal die Geschichte von Menschen zu erzählen. Und um zum Beispiel die Geschichte eines Flüchtlings im Flüchtlingslager zu erzählen, da musst du, offen gesagt, noch nicht be-sonders viel wissen vom Konflikt." (Meyer, I 12)

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Unter unseren konflikttheoretischen Annahmen kann diese Strategie jedoch allen-falls als Notlösung betrachtet werden. Fehlendes Wissen beeinflusst natürlich auch die Darstellung von Geschichten über Menschen. Es ist stark anzunehmen, dass eine Flüchtlingsgeschichte anders erzählt und eingebettet wird, wenn der Be-richterstatter die Konflikthintergründe kennt als wenn er sie nicht kennt. Eine Flüchtlingsgeschichte an sich, die jeder Beobachter unabhängig von seinem Kon-textwissen erzählen könnte, gibt es nicht. Jede Darstellung der Geschichte trägt zu einer ganz bestimmten Konstruktion des Konflikts bei, auch (oder gerade) die bloße unkommentierte Wiedergabe der Aussagen eines Flüchtlings im Flüchtlings-lager.

Auch wenn sich ein Journalist aufgrund fehlenden Wissens auf Stücke beschränkt, die keine tiefere Analyse oder explizite Bewertung enthalten, ist für ihn somit Vor-sicht angebracht und die Fähigkeit vonnöten, die spezifische Konfliktperspektive, die mit einer jeden Geschichte transportiert wird, kritisch reflektieren zu können.

Das bedeutet, sich selbst stets bewusst zu sein und dem Rezipienten transparent zu machen, welche Perspektive mit einem Bericht wiedergegeben wird: die der Konfliktpartei A, die der Konfliktpartei B oder die eines Beobachters, der versucht, eine Gesamtschau der Perspektiven darzustellen.

Coping-Strategie: Keine Berichterstattung

Eine weitere Strategie, auf Kompetenzmangel zu reagieren, besteht im Verzicht auf die Berichterstattung. Diese Entscheidung kann sowohl von einer Redaktion getroffen werden als auch von dem einzelnen angefragten Journalisten. Das Pro-blem liegt darin, dass sich beide Seiten eine solche Entscheidung nur selten leisten können, sei es (auf Seiten der Redaktion) aus Gründen des Wettbewerbs mit an-deren Medien, sei es (auf Seiten des Journalisten) aufgrund der Sicherung seines Arbeitsplatzes und des finanziellen Auskommens oder weitergehender Karriere-planungen.

Dass die Ablehnung einer Anfrage aus Gründen mangelnder eigener Kompetenz immerhin für Journalisten mit fester Anstellung dennoch möglich ist (und von der Redaktion offensichtlich auch akzeptiert wird), zeigt die folgende Aussage von Mi-chael Martens. Für die FAZ war er bereit, als Reporter aus Afghanistan zu berich-ten, weil er sich in der Region gut auskannte, einen Einsatz im Irak lehnte er jedoch ab:

"Das ist einer der Gründe, warum ich den Irakkrieg nicht machen wollte. Weil ich eben mit der Region nicht vertraut war – also ich sah eher in meiner Unwissenheit eine Gefahr als in den tatsächlichen Kriegsgefahren. Die natürlich auch nicht zu unterschätzen sind. Aber ich sah eine Gefahr darin, dass ich nicht in der Lage wäre, kompetent darüber zu berichten.

Oder dass ich in Reportagen, Bilder, die ich sehe, aufgrund meiner Ignoranz falsch bewerte, falsch einschätze und dadurch ein falsches Bild wiedergebe." (Martens, I 25)

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