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3 Der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung

3.5 Die Konfliktsituation vor Ort

3.5.1 Konflikt- und kriegsbedingte Einflüsse

3.5.1.4 Physische und psychische Belastungen

Die Berichterstattung aus Krisengebieten bringt für Journalisten physische und psychische Belastungen mit sich, die in ihren Dimensionen und in ihrem Ausmaß über die Anforderungen des normalen journalistischen Arbeitsalltags weit hinaus-gehen. Die dargestellte Gefährdung der eigenen Sicherheit ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Belastungen. Darüber hinaus sind Konfliktberichterstatter vor Ort aber noch einer Vielzahl weiterer außergewöhnlicher Stressoren ausgesetzt, darunter dem Verzicht auf die gewohnte Lebensqualität, schlechten hygienischen Bedingungen und in der Folge häufigeren Krankheiten, dem zeitweiligen Verlust der gewohnten sozialen Kontakte, dem Beiwohnen von Kampfhandlungen, dem Anblick von Schwerverletzten und Leichen, dem Erleben exzessiver Gewalt oder der direkten Beobachtung der Auswirkungen von Hungerkatastrophen, Krankhei-ten und Epidemien.

Ungefragt berichten Konfliktberichterstatter nur selten über die kurz- und langfris-tigen Auswirkungen dieser Belastungen. Sofern es den Verzicht auf die gewohnte Lebensqualität betrifft, wird dies auch nicht als wirkliches Problem gesehen, son-dern vielmehr als ein Umstand, den Konfliktberichterstattung eben mit sich bringt und der aus professionellen Gründen in Kauf genommen werden muss. Was an-dere ungewöhnliche Belastungen wie das Erleben von Kriegsgewalt, die Verfol-gung durch die Obrigkeit, die Bombardierung des eigenen Aufenthaltsortes oder allgemein die Bedrohung der eigenen Sicherheit angeht, so scheinen diese wäh-rend des Arbeitseinsatzes eher verdrängt oder zumindest in den Hintergrund ge-drängt zu werden. Die Belastungen werden zwar registriert, aber aufgrund der akuten Erfordernisse, welche die Situation mit sich bringt, nicht weiter reflektiert:

"Es ist so viel los, dass man gar nicht groß Zeit und Aufmerksamkeit dafür hat, sich damit lange aufzuhalten, wie viel Glück man da hatte oder in welcher Gefahr man sich eigentlich befindet" (Flottau, I 24). Wie bei anderen Berufsgruppen, die mit menschlichen Tragödien konfrontiert werden, wird es zudem für nötig befun-den, eine professionelle Distanz zu den Geschehnissen zu entwickeln und das Leid, das man um sich herum wahrnimmt, nicht an die eigene Person heran zu lassen: "Da kann man nicht jedes Mal zusammenbrechen und weinen, obwohl das schlimm ist. Sondern man kriegt wie ein Arzt in der Notaufnahme der Unfallklinik so eine Art Hornhaut drüber" (Frankenberger, I 8).

Während des Aufenthalts vor Ort scheinen extreme Belastungen allenfalls für kur-ze Momente die subjektive Bewusstseinsschwelle in der Weise zu überschreiten,

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dass das gesamte eigene Tun in Frage gestellt wird. In solchen Momenten wird dann mitunter kurzfristig der Sinn der eigenen Arbeit in Zweifel gezogen und kri-tisch hinterfragt, ob das Risiko und die Belastungen in einem nur annähernd zu rechtfertigenden Verhältnis zum potenziellen Ertrag stehen:

"Diese Sinnfrage hat sich bei mir einmal gestellt im Libanon, nachdem ich da unter direkten Beschuss geraten bin. Wo ich gedacht habe: Wofür eigentlich? Für einen Einminuten-Be-richt? Dazu noch bei den ProSieben-Nachrichten? Also nicht einmal Tagesthemen oder so, sondern du riskierst dein Leben für einen Bericht, den du in einer Minute durchgesendet hast. Da kam dann die Sinnfrage ein paar Mal hoch." (Meyer, I 12)

Normalerweise bietet die Arbeit im Konfliktgebiet aber genug Ablenkung bzw.

stellt genügend Anforderungen, dass solche Fragen nicht die Überhand gewinnen.

Wie die folgende Aussage illustriert, werden Zweifel gern schon bei der nächsten Gelegenheit, eine gute Geschichte zu recherchieren, beiseite geschoben:

"Die Momente, wo man sich diese Fragen stellt, gibt es natürlich, vor allem, wenn es einem gesundheitlich nicht gut geht. Was ja öfter mal vorkommt, dass man Fieber hat oder Durch-fall, oder was so die Malaisen sind, die man dann auf Reisen immer mal hat. Dann kommen schon diese Gedanken: Warum mach ich das, warum macht man das eigentlich? Das weiß man erst wieder am nächsten Tag, wenn man wieder einer interessanten Geschichte auf der Spur ist." (Zint, I 19)

Um Selbstzweifel zu beseitigen und um die Belastungen des Kriegsalltags besser auszuhalten, werden von Journalisten verschiedene Coping-Strategien angewen-det. Eine besonders wichtige sind Gespräche: vor allem mit Kollegen vor Ort, die denselben Belastungen ausgesetzt sind, aber auch mit Ansprechpersonen in der Heimatredaktion. Nicht selten wird auch Alkohol als Entspannungsstrategie einge-setzt:

"Was man nicht verhehlen sollte: Wenn es denn Bier oder Alkohol zu trinken gibt, dann trinkt man den auch abends. Damit man besser schläft." (Zint, I 19)

Nach Pedelty (1995) ist unter Kriegsreportern auch der Konsum von anderen Dro-gen wie Marihuana kein unübliches Mittel, um dem Alltag zu entfliehen. Seiner Meinung nach können auch sexuelle Abenteuer als Bewältigungsstrategie der Kriegssituation verstanden werden: Zum einen stellten sie zwar generell einen Teil der Kriegsreporter-Identität dar, das Ausleben von Macht in sexuellen Beziehun-gen mit Prostituierten interpretiert er aber auch als Coping-Strategie für die im Ar-beitsalltag oft erlebte Machtlosigkeit.

Eine tiefer gehende Reflexion der Belastungen und Gefahren erfolgt – wenn über-haupt – erst nach den heißen Phasen der Berichterstattung oder nach dem Einsatz im Konfliktgebiet. Dann wird möglicherweise hinterfragt, was all die Anstrengun-gen gebracht haben und ob der persönliche und journalistische Ertrag die Mühen und Gefahren rechtfertigt. Durch solches Reflektieren der eigenen Erfahrungen, aber auch ohne jede bewusste Auseinandersetzung kann im Nachhinein plötzlich

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ein Gefühl der inneren Leere und der physischen und psychischen Ausgebrannt-heit auftreten. Dies kann nach einer überschaubaren Zeitspanne wieder von selbst zurückgehen, sich andererseits aber auch zu klinisch relevanten Symptomen und Störungsbildern auswachsen, wie sie typischerweise nach dem Erleben von trau-matischen Ereignissen auftreten können und die sich in ausgeprägten Fällen als Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) diagnostizieren lassen.

Bislang liegt nur eine Handvoll wissenschaftlicher Studien zu der Frage vor, wie Journalisten auf traumatische Ereignisse reagieren, die ihnen in ihrem Beruf wi-derfahren. Während andere PTSD-Risikogruppen wie Feuerwehr, Polizei oder Kriegsveteranen bereits Gegenstand zahlreicher Forschungsarbeiten geworden sind, ist der Berufsstand der Kriegsberichterstatter erst in jüngster Zeit – und im deutschen Sprachraum nach Wissensstand des Autors überhaupt noch nicht – von der psychologischen Forschung "entdeckt" worden. Die vorliegenden Befunde deuten allerdings darauf hin, dass die möglichen Auswirkungen der traumatischen Kriegserlebnisse als ernsthaftes Problem begriffen werden müssen.

In einer Studie, in der 140 Journalisten, die durchschnittlich 15 Jahre lang als Kriegsberichterstatter tätig waren, mit einer entsprechenden Gruppe von Journa-listen verglichen wurden, die noch nie aus Krisengebieten berichtet hatten, zeig-ten sich in einigen Variablen deutliche Unterschiede (Feinstein, Owen & Blair, 2002):

• Sowohl weibliche als auch männliche Kriegsberichterstatter hatten einen signi-fikant höheren wöchentlichen Alkoholkonsum als die Kollegen in der Ver-gleichsgruppe.

• Die Kriegsberichterstatter wiesen mehr PTSD-relevante Symptome auf, wie z.B.

unwillkürliches Wiedererleben traumatischer Ereignisse, Vermeidungsverhalten bezüglich traumabezogener Reize, sowie Symptome eines erhöhten Erregungs-niveaus (Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, Reizbarkeit, Wutausbrü-che etc.).

• Sie erreichten auch signifikant höhere Werte auf klinischen Depressionsskalen.

Die Lebenszeitwahrscheinlichkeit für das Auftreten von PTSD bei Kriegsreportern war vergleichbar mit dem bei Kriegsveteranen. Die Autoren der Studie betrachten ihre Ergebnisse als besonders alarmierend, weil die wenigsten Kriegsberichter-statter irgendeine Form psychologischer oder psychiatrischer Behandlung erhiel-ten. Im Vergleich zu dem extensiven Training, das Polizisten und Soldaten in Vorbereitung auf den Umgang mit Gewaltsituationen durchliefen und den bei die-sen Berufsgruppen vorhandenen Möglichkeiten der Nachbetreuung, offenbare sich im Bereich des Journalismus diesbezüglich ein großes Defizit. Im Hinblick auf das Auftreten von Alkoholmissbrauch, PTSD oder Depressionen als Folge von Kriegsberichterstattung diagnostizieren die Autoren eine Kultur des Schweigens unter den in den Medienorganisationen Verantwortlichen und den betroffenen

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Journalisten selbst. Die Diskussion über solche Themen scheint demnach inner-halb der Profession bis vor kurzem tabuisiert gewesen zu sein. Psychische Proble-me zu haben und erst recht, sie zuzugeben und darüber offen zu reden, passte offenbar nicht in die harte Welt von Kriegsreportern und wurde oftmals eher als ein Zeichen von Schwäche und als Gefährdung für die Karriere angesehen, wes-wegen es viele vorzogen, in der Stille zu leiden. Erst neuerdings scheint das Be-wusstsein für die Problematik und die Notwendigkeit, ihr auf professionelle Weise zu begegnen, zu wachsen. Einige der großen Nachrichtenorganisationen stellen inzwischen Hilfsmöglichkeiten für Kriegsberichterstatter zur Verfügung (Feinstein

& Owen, 2002), und es werden Trainings angeboten, in denen Journalisten auf den Umgang mit grausamen und lebensbedrohlichen Ereignissen vorbereitet wer-den (Mills, Rees & Turnbull, 2002).

Wie stellt sich die Lage in Deutschland dar? Offenbar scheint die Entwicklung ähn-lich zu verlaufen, beginnt sich erst allmähähn-lich die nötige Sensibilität für dieses lan-ge tabuisierte oder vernachlässigte Thema herauszubilden. Noch im Jahr 2000 stellte Klaus Prömpers, beim ZDF zehn Jahre lang zuständig für Außen- und Si-cherheitspolitik, fest: "Von einer Nachsorge ... kann bis heute keine Rede sein.

Aufarbeitung persönlicher Art spielt sich eher zufällig im Familien-, Freundes- und Kollegenkreis ab. Gezielt daran gearbeitet wird nicht" (Prömpers, 2000, S. 34). Die Erfahrungen mit der Konflikt- und Kriegsberichterstattung der letzten Jahre haben jedoch mancherorts augenscheinlich einen Umdenkprozess in Gang gesetzt. So hat man beispielsweise in der ARD die Möglichkeit der Nachbetreuung von Jour-nalisten geschaffen bzw. erweitert:

"Wenn ein Kollege oder eine Kollegin heute das Bedürfnis hat, darüber im Nachhinein auch zum Beispiel in einem therapeutischen Kreis oder einer Institution zu sprechen, ist das na-türlich möglich. Das wäre früher auch möglich gewesen, aber wir haben nicht daran gedacht.

Im Grunde haben wir es nicht so ernst genommen, dass das auch genauso dazugehört. Wir alle haben da gelernt, auch die BBC im übrigen, von der wir wieder einen Teil gelernt haben ... Wir gehen damit in der Vorbereitung sehr viel ernsthafter um als das vor zehn, fünfzehn Jahren noch der Fall war. Da hat man's halt gemacht. Und man hat dann Schwein gehabt in der Regel, oder konnte hoffentlich irgendwie damit umgehen." (Roth, I 28)

Als individuelle Möglichkeit bestehen solche Angebote auch in anderen Medienor-ganisationen. Allerdings erscheint es fraglich, inwiefern diese in Anspruch genom-men werden, angesichts der Tatsache, dass vormalige Tabus und Vorbehalte nicht von heute auf morgen verschwinden und sich die entsprechende Kultur in-nerhalb eines Mediums nicht auf einen Schlag verändern wird. Zweckmäßig wäre es deshalb, Möglichkeiten der Nachbetreuung einen festen institutionalisierten Rahmen zu geben, damit Journalisten nachhaltig ermutigt werden, sie zu nutzen.

Sehr sinnvoll wäre es in jedem Fall, nicht nur den Bereich der Nachbetreuung zu verbessern, sondern auch Vorsorge zu treffen. Der Herausbildung nachhaltiger psychischer Probleme kann zumindest bis zu einem gewissen Grad mit

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chenden Präventionsstrategien und mit geeigneten Coping-Strategien vorgebeugt werden (Norwood, Walsh & Owen, 2003). Zu den geeigneten Präventionsstrate-gien zählen demnach zum einen individuelles Training und Weiterbildung. Zum Beispiel verringert das Wissen um die möglichen PTSD-Symptome im Falle ihres tatsächlichen Auftretens die Angst, "verrückt" zu werden, oder die Wahrschein-lichkeit einer Traumatisierung wird durch die Vermeidung gewisser Erfahrungen (zum Beispiel nicht in die Augen und auf die Hände von Leichen zu schauen) re-duziert. Zum anderen verlangt eine Präventionsstrategie nach einer entsprechen-den organisationalen Führung: Dazu gehören die Schaffung von Strukturen für den Umgang mit derartigen Erfahrungen, Möglichkeiten von Auszeiten oder Job-rotationen für Kriegsberichterstatter, die Vermeidung von extrem gefährlichen Si-tuationen und die Sensibilität der Vorgesetzten für äußere Symptome von psychischen Beschwerden (erhöhte Reizbarkeit, Kopfschmerzen, Magenprobleme, exzessives Rauchen und Trinken, Zynismus, wiederkehrendes Berichten eines Er-lebnisses, Stimmungsschwankungen etc.). Als Coping-Strategien nach traumati-schen Erlebnissen haben sich bewährt: das Aufschreiben der persönlichen Erfahrungen; der Austausch mit Kollegen, gerade mit solchen, die ähnliche Erfah-rungen gemacht haben, und in bestimmten Fällen die Technik des Debriefing (ei-ne psychologische Intervention, die zeitlich nahe am Erleben ei(ei-nes traumatischen Ereignisses einsetzt).

Auswirkungen auf die Berichterstattung

In unserem Kontext ist die Diskussion der psychischen Folgewirkungen von Ein-sätzen in Krisengebieten deshalb relevant, weil anzunehmen ist, dass sich daraus auch Konsequenzen für die Berichterstattung ergeben können. Zwar liegen bis-lang keine Studien vor, die entsprechende Zusammenhänge untersucht haben.

Bestimmte Verarbeitungsformen traumatischer Erlebnisse lassen jedoch negative Auswirkungen auf die Berichterstattung plausibel erscheinen:

• Journalisten, die Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung entwi-ckeln, werden wahrscheinlich Orte, Ereignisse oder Recherchen vermeiden, die assoziativ mit dem traumatischen Erlebnis verbunden sind. Durch das für PTSD typische Vermeidungsverhalten entstehen somit unweigerlich blinde Flecken in der Berichterstattung. Ferner stellen ein regelmäßig erhöhter Alkoholkonsum oder wiederkehrende depressive Stimmungslagen mit Sicherheit keine Aus-gangsbedingungen für eine optimale Arbeitsleistung dar.

• Aber auch an Journalisten, die keine Anzeichen von PTSD oder anderen klinisch relevanten Symptomen entwickeln, gehen traumatische Erlebnisse oft nicht spurlos vorüber, sie haben lediglich andere Verarbeitungsstrategien. Nach der Einschätzung von Berichterstattern selbst führen die Extremerfahrungen in Kri-sengebieten bei nicht wenigen Kollegen "sehr schnell zu einer Art Berufserkran-kung von Journalisten, nämlich dem Zynismus" (Zint, I 19). Das bedeutet, dass

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die psychischen Belastungen, welche ein Einsatz in Krisengebieten mit sich bringt, mit der Zeit zu einer anderen Wahrnehmung, zu einer veränderten Weltsicht und veränderten Prozessen der Informationsverarbeitung führen können. Zynismus, Fatalismus, Gleichgültigkeit, Abgestumpftheit und Gefühllo-sigkeit gegenüber dem Geschehen und den Menschen vor Ort sind jedoch – zumindest für eine konstruktive Konfliktberichterstattung – alles andere als för-derliche journalistische Grundhaltungen.