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Stellen zu diskutieren, an denen es für das inhaltliche Verständnis am sinnvollsten erscheint (und nicht, wie ansonsten üblich, als Zusammenschau in einem eigenen Kapitel vorauszuschicken). Zum anderen spiegelt diese Art der Darstellung aber auch viel eher den Forschungsprozess der Grounded Theory wider. Ausgangs-punkt der Forschung ist hier nicht eine bereits ausgefeilte Theorie, die im Weite-ren empirisch überprüft wird, sondern es werden Theorien oder Modelle aus den Daten heraus entwickelt, die der Forscher im Feld vorfindet – in Rückkopplung an die Befunde früherer Forschungsarbeiten (siehe Anhang A: Methodischer Ansatz und Forschungdesign).

Schließlich noch ein Hinweis zum Sprachgebrauch: In Ermangelung sprachlicher Lösungen, die einerseits beide Geschlechterformen in gleicher Weise berücksich-tigen, andererseits aber auch eine gute Lesbarkeit garantieren und den Gesamt-text nicht unverhältnismäßig aufblähen, wird auf die den Autor zwar keineswegs befriedigende, aber pragmatische Option zurückgegriffen, dass sämtliche in die-ser Arbeit verwendeten männlichen Formen wie Journalisten, Korrespondenten, Konfliktberichterstatter, Reporter usw. selbstverständlich auch die weiblichen For-men Journalistinnen, Korrespondentinnen, Konfliktberichterstatterinnen, Reporte-rinnen usw. mit einschließen sollen.

1.2 Begriffliche und theoretische Vorklärungen

In den einleitenden Bemerkungen und in der Zielformulierung der Untersuchung wurden bereits wiederholt einige Begriffe genannt, die für die gesamte Arbeit von grundlegender Relevanz sind: Journalismus, Konflikt, Konfliktberichterstattung, Frieden. Im wissenschaftlichen Diskurs konkurrieren bezüglich dieser Begrifflich-keiten vielfältige Definitionsversuche, hinter denen oft unterschiedliche theoreti-sche Ansätze stehen. Deshalb ist es notwendig, offen zu legen, von welchem Verständnis der genannten Termini in dieser Arbeit ausgegangen wird.

Journalismus

Lange Zeit war die Journalismusforschung geprägt von drei kaum miteinander verbundenen Richtungen, die sich von einem unterschiedlichen Verständnis von Journalismus leiten ließen (Scholl & Weischenberg, 1998). Die (heute veraltete) normativ-ontologische Publizistikwissenschaft begreift Journalismus als Addition von in diesem Beruf tätigen Personen und konzentriert sich darum auf die Unter-suchung journalistischer Persönlichkeiten. Im Rahmen des Professionalisierungs-ansatzes wird Journalismus als Addition von Berufsrollen gesehen, weshalb die Analyse von Rollen- und Sozialisationsaspekten im Vordergrund steht. Ansätze wie die Redaktions- und die Gatekeeper-Forschung (vgl. Kap. 3.2.2.1) verstehen Journalismus als das Ergebnis von Kommunikationsprozessen, weswegen das

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schungsinteresse auf Selektions- und andere redaktionelle Verarbeitungsprozesse gerichtet ist.

Seit Beginn der 1980er-Jahre wurden jedoch in zunehmendem Maße die Erkennt-nisse der Systemtheorie für den Bereich des Journalismus fruchtbar gemacht und weiterentwickelt. In der Folge ist die Journalismustheorie heutzutage in weiten Teilen systemtheoretisch bestimmt, die Systemtheorie gilt mittlerweile häufig als 'Mainstream' der Journalismusforschung (Quandt & Löffelholz, 2000). Die (sozio-logische) Systemtheorie beschäftigt sich mit der Frage nach dem Sinn und der Funktionsweise sozialer Ordnungen und Strukturen. Im Gegensatz zu den älteren Ansätzen der Journalismustheorie interessiert sich die systemtheoretische Pers-pektive darum nicht dafür, was ein journalistisch arbeitendes Individuum tut, wie es handelt und entscheidet, sondern welche Funktionen das soziale System Jour-nalismus für die Gesellschaft erfüllt (ebd.). Damit verbunden ist die Untersuchung der Konstitution des Systems Journalismus, d.h. die Identifizierung der unter-schiedlichen Elemente des journalistischen Systems sowie ihrer wechselseitigen Relationen.

Als grundlegende Funktion und Leistung des Journalismus wird in solchen Ansät-zen die "Herstellung und Bereitstellung von Themen zur öffentlichen Kommunika-tion" gesehen (Rühl, 1980, S. 322), bzw. "Informationen aktuell zur öffentlichen Kommunikation zu vermitteln" (Blöbaum, 2000, S. 173). Damit das System Jour-nalismus diese Funktionen erfüllen kann, bildet es jourJour-nalismusspezifische Orga-nisationen, Programme und Rollen aus (ebd.). Die Produktion journalistischer Aussagen ist aus systemtheoretischer Sichtweise weitgehend durch diese journa-listische Struktur, also durch die Gestalt und die Relationen journajourna-listischer Orga-nisationen, Programme und Rollen determiniert. Der individuelle Journalist und seine Handlungen treten somit in den Hintergrund.

Genau an dieser "Vernachlässigung des journalistischen Akteurs, der sich in Struk-turvorgaben aufzulösen droht" (Neuberger, 2000, S. 275), wird in den letzten Jah-ren jedoch zunehmend Kritik laut. Nicht nur in der Soziologie, sondern auch in den Kommunikationswissenschaften nehmen darum die Bemühungen zu, den "theo-retischen Dualismus" (ebd., S. 276), die Trennung von Akteur- und Systemtheo-rien, zu überwinden.

Einen solchen Versuch stellt Buchers (2000) Entwurf einer schen Journalismustheorie dar. Bucher sieht zwischen einer handlungstheoreti-schen Journalismusauffassung, die sich nicht als rein akteursorientiert versteht, und systemtheoretischen Konzeptionen keinen Widerspruch. Da beide Auffassun-gen strukturorientiert sind, schließen sie sich "nicht geAuffassun-genseitig aus, sondern ver-halten sich komplementär zueinander" (ebd., S. 249). Nach Bucher weist jede journalistische Handlung immer schon Systemeigenschaften auf, weshalb die in systemtheoretischen Ansätzen oftmals konstruierte Dichotomie zwischen sozialer Struktur und Handlung abzulehnen sei.

1.2 Begriffliche und theoretische Vorklärungen 25

Ein solches theoretisches Verständnis liegt auch der vorliegenden Arbeit zugrun-de. Der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung, Hauptgegenstand der Untersuchung, wird als komplexer Handlungszusammenhang konzipiert. Entwi-ckelt und in Kap. 3.8 zusammenfassend dargestellt wird ein journalistisches Hand-lungsmodell, das der Beschreibung und Erklärung sozialen Handelns dient, welches aber zugleich den Strukturcharakter von Handlungen berücksichtigt.

Diese Konzeption ist somit einerseits weit davon entfernt, Journalismus – bzw.

hier speziell Konfliktberichterstattung – auf das Zusammenspiel individueller Merkmale von Journalisten zu reduzieren. Andererseits stehen nicht journalisti-sche Systembedingungen, sondern journalistijournalisti-sche Handlungen im Zentrum der Analyse, wodurch die journalistischen Akteure, mitsamt ihrer Verantwortung für die journalistischen Erzeugnisse, wieder zurück ins Boot geholt werden.

Konflikt

Ein Konflikt kann als das Aufeinandertreffen miteinander unvereinbarer Hand-lungstendenzen definiert werden (Deutsch, 1976; Kempf, 1997). Im Kontext der journalistischen Konfliktberichterstattung haben wir es in der Regel mit sozialen Konflikten zu tun. Soziale Konflikte lassen sich charakterisieren als die Unverträg-lichkeit der Handlungen oder Ziele zweier oder mehrerer Akteure (Personen, Gruppen oder Institutionen). Die auf diese Weise in einen Konflikt involvierten Ak-teure werden als Konfliktparteien bezeichnet. Dieser Konfliktbegriff impliziert noch keine bestimmte Art der Konfliktaustragung. Das Konfliktverhalten der Konflikt-parteien ist somit zunächst offen. Entsprechend sind soziale Konflikte nicht als et-was per se Schädliches oder Negatives zu betrachten. Im Gegenteil bergen sie auch die Chance zur Neugestaltung und Verbesserung von Lebensbedingungen und zu einer positiven Veränderung der Beziehung zwischen den Konfliktparteien.

Abbildung 1: Konfliktdreieck nach Galtung (1975, 1987) Konflikt Inhalte

Verhalten Einstellungen

26 1. Einleitung

Die unterschiedlichen Ebenen, auf denen sich Konflikte abspielen, hat Galtung (1975, 1987) in Form eines Konfliktdreiecks veranschaulicht. Konflikte beinhalten danach stets

• die Ebene der Sachfragen, die den Konfliktinhalt bilden,

• die Ebene der Einstellungen der Konfliktparteien zueinander,

• die Ebene des Verhaltens der Konfliktparteien.

Kempf (in ASPR, 2003) hat dieses Konfliktmodell modifiziert und erweitert; er un-terscheidet zwischen einer objektivistischen und einer subjektivistischen Konflikt-perspektive. Aus objektivistischer Perspektive besteht ein Konflikt in der Unvereinbarkeit der Ziele und des Verhaltens der Konfliktparteien. Sobald sich die Konfliktparteien dieser Unvereinbarkeiten bewusst werden, tritt die subjektivisti-sche Perspektive hinzu: im Konflikt geht es nun auch um Konfliktgegenstände (zum Beispiel um die Rechte und Interessen der Konfliktparteien) und um Positi-onen (zum Beispiel um die Angemessenheit eines bestimmten Verhaltens). Gal-tungs Ebene der Einstellungen ersetzt Kempf durch das komplexere Konzept der kognitiven Frames der Konfliktparteien. Ein kognitiver Frame umfasst nicht nur die Einstellungen der Konfliktparteien zueinander, sondern u.a. auch die Konzeptua-lisierung eines Konflikts (als kooperativer oder kompetitiver Prozess, vgl. 2.5.2), die sozialen Normen der Konfliktparteien, ihre Werthaltungen und deren hierar-chische Anordnung. Konfliktgegenstände, Positionen und kognitive Frames beein-flussen sich wechselseitig, d.h. eine Veränderung auf einer Konfliktebene hat immer auch Auswirkungen auf die anderen Ebenen.

Abbildung 2: Drei Aspekte eines Konflikts nach Kempf (ASPR, 2003) KONFLIKT Kognitiver Frame

VERHALTEN Positionen ZIELE

Konfliktgegenstände

1.2 Begriffliche und theoretische Vorklärungen 27

Konfliktberichterstattung

Als Konfliktberichterstattung wird die journalistische Darstellung, Interpretation und Bewertung politischer Konflikte bezeichnet. In Anlehnung an Hafez' (2002) Definition von Auslandsberichterstattung lässt sich Konfliktberichterstattung als medial vermitteltes Konfliktbild definieren. Diese Definition impliziert, dass es sich bei den Inhalten von Konfliktberichterstattung nicht um eine spiegelbildliche Wie-dergabe des Konfliktgeschehens handelt, sondern um ein von den Medien kon-struiertes Konfliktbild (vgl. hierzu ausführlicher Kap. 2.1).

Frieden

Die Friedensforschung verfügt über keinen geklärten Friedensbegriff (Czempiel, 2002). Großen Einfluss auf die Begriffsbildung hatte die von Galtung (1971) ein-geführte Differenzierung zwischen personaler (direkter) Gewalt und struktureller (indirekter) Gewalt und die damit mögliche Unterscheidung eines negativen Frie-dens (Abwesenheit personaler Gewalt) und eines positiven FrieFrie-dens (Abwesenheit struktureller Gewalt). Zwar wird heute von vielen Friedensforschern die Auffas-sung Galtungs geteilt, Frieden sei mehr als die bloße Abwesenheit von Krieg. Un-einigkeit herrscht aber bezüglich dessen, was dieses "Mehr" des Friedens ausmacht und wie weit ein positiver Friedensbegriff zu fassen ist (vgl. Brock, 2002). Johan Galtung und Wilhelm Kempf entwickeln ihre Modelle von Friedens-journalismus nicht vor dem Hintergrund einer exakten Defintion des Friedensbe-griffes, sondern beschreiben ihr Verständnis von Frieden eher allgemein als

"Frieden = Gewaltfreiheit + Kreativität" (vgl. Kap. 2.5). Für die vorliegende Arbeit legen wir ein ebenso dynamisches und prozesshaftes, aber etwas präziser defi-niertes Verständnis des Friedens zugrunde, wie es von Senghaas (1995, S. 222) formuliert worden ist:

"Frieden sowohl in inner- als auch zwischenstaatlicher Hinsicht sollte verstanden werden als ein gewaltfreier und auf die Verhütung von Gewaltanwendung gerichteter politischer Pro-zess, in dem durch Verständigungen und Kompromisse solche Bedingungen des Zusammen-lebens von gesellschaftlichen Gruppen bzw. von Staaten und Völkern geschaffen werden, die nicht ihre Existenz gefährden und nicht das Gerechtigkeitsempfinden oder die Lebensin-teressen einzelner oder mehrerer von ihnen so schwerwiegend verletzen, dass sie nach Er-schöpfung aller friedlichen Abhilfeverfahren Gewalt anwenden zu müssen glauben."

Was vor dem Hintergrund dieser Begriffsbestimmungen unter konstruktiver Kon-fliktberichterstattung und Friedensjournalismus zu verstehen ist, wird in Kap. 2.5 im Rahmen der Darstellung der betreffenden Konzepte ausführlich erörtert.

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