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3 Der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung

3.2 Einflussfaktoren des journalistischen Systems

3.2.3 Einflussfaktoren der Makroebene

3.2.3.3 Ökonomische Rahmenbedingungen, Kommerzialisierung, Medienkrise

Journalismus und Ökonomie stehen in einem Spannungsverhältnis, das auf zwei unterschiedliche Erwartungshaltungen zurückzuführen ist: einerseits die publizis-tischen Leistungserwartungen der Gesellschaft, andererseits die ökonomischen Gewinnerwartungen der Medienunternehmen (Altmeppen, 2000). Die Tatsache, dass journalistische Produkte nicht nur journalistischen, sondern auch wirtschaft-lichen Kriterien genügen müssen und dass viele Medien innerhalb eines begrenz-ten Marktes miteinander konkurrieren, bedeutet, dass jedes Medienprodukt stets eine ausreichend große Zahl an Lesern, Zuhörern oder Zuschauern an sich binden muss. Nur dadurch wird ein Produkt auch für Werbekunden und Inserenten inte-ressant, die zu einem Großteil der Einnahmen beitragen: Werbeeinnahmen brin-gen den Medien im Durchschnitt mehr als zwei Drittel ihrer Gesamterlöse ein (Altmeppen, 2000). Im Zuge der zunehmenden Kommerzialisierung der Medien (vgl. Löffelholz, 1993; Meier, 1999) gewinnen die ökonomischen Abhängigkeiten noch zusätzlich an Bedeutung. Schließlich schlug sich die allgemeine wirtschaftli-che Krise seit Ende der 1990er Jahre in der Medienbranwirtschaftli-che besonders stark nie-der. Aufgrund des starken Rückgangs an Werbeeinnahmen mussten fast alle Medienunternehmen mit einem deutlich verringerten Etat haushalten.

Die in unserem Kontext entscheidende Frage, die Altmeppen (2000) als Kern der 'ökonomischen Zwangsjacke' des Journalismus bezeichnet, lautet: Wie autonom können journalistische Organisationen – und die einzelnen Konfliktberichterstatter – handeln bzw. wie stark ist der Einfluss ökonomischer Logiken auf die Auswahl und Präsentation der Medienangebote? Nach Altmeppen ist die Tatsache unbe-stritten, dass Medienwettbewerb, Medienkonzentration, erwerbswirtschaftliche Organisation der Medien und Abhängigkeit von Werbung als Finanzierungsquelle journalistische Erzeugnisse beeinflussen, wobei allerdings so gut wie keine gesi-cherten wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber vorliegen, wie das geschieht.

92 3. Der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung

Grundsätzlich denkbar sind verschiedene Art und Weisen, wie sich die ökonomi-schen Abhängigkeiten der Medien auf die Konfliktberichterstattung auswirken können:

• in Form der Ressourcen, die Medien bzw. ihren Korrespondenten und Repor-tern zur Produktion von Berichterstattung zur Verfügung stehen,

• in Form von Veröffentlichungsentscheidungen, die von Redaktionen aufgrund des vermuteten Verkaufswertes eines Beitrags, Formats oder Programms ge-troffen werden,

• in Form direkter inhaltlicher Einflussnahme von Werbekunden oder Eigentü-mern.

Die ökonomischen Bedingtheiten von Konfliktberichterstattung standen zwar nicht im Mittelpunkt der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Befragungen. Jedoch wurde verschiedentlich der Einfluss der wirtschaftlichen Krise auf die Ressourcen von Konfliktberichterstattern thematisiert. Allgemein kann festgehalten werden, dass die wirtschaftliche Krise auch an den Bereichen Auslands- und Konfliktbe-richterstattung nicht spurlos vorüber gegangen ist. Teilweise wurden Korrespon-dentenstellen gestrichen, häufig wurden Korrespondentenetats gekürzt und die Auslandsberichterstattung wurde in vielen Fällen vom Umfang her zurückgefah-ren. Dass die Wirtschaftsflaute je nach Arbeitsverhältnis und Arbeitgeber für die Korrespondenten vor Ort dennoch sehr unterschiedliche Auswirkungen hat, zei-gen exemplarisch die Antworten von fünf schriftlich befragten Korrespondenten in Israel/Palästina auf die Frage: "Inwiefern wirkt sich die finanzielle Krise der Medi-enbranche auf Ihre konkrete Arbeit aus?":

"Mit halb so viel Honorar, wegen Verlust einiger potenter Arbeitsgeber, jetzt doppelt so viel arbeiten zu müssen, ohne mehr das Geld zu haben, die teuren Geräte reparieren zu kön-nen." (Ulrich Sahm, F1; Stuttgarter Zeitung,n-tv u.a.)

"Kaum. Ich werde dazu angehalten, bei täglichen Ausgaben wie Zeitungen oder Telefonko-sten zu sparen." (ThorTelefonko-sten Schmitz, F2; Süddeutsche Zeitung)

"Nicht direkt. Allerdings ist die Tendenz der Medien, ihre Auslandsberichterstattung einzu-schränken, beziehungsweise auf die Wiedergabe von Agenturmeldungen zu beeinzu-schränken, spürbar." (Charles Landsmann, F3; Südkurier u.a.)

"Ich muss mehr arbeiten und verdiene weniger. Geplant war es umgekehrt." (Susanne Knaul, F4; tageszeitung)

"Bisher gar nicht." (Jörg Bremer, F5; Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Inwiefern die Einsparungen der Auslandsredaktionen für die Rezipienten wahr-nehmbar sind, bleibt offen. Nach Auffassung von Adrian Zielke (Leiter der Aus-landsredaktion der Stuttgarter Zeitung) und Jürg Dedial (Auslandsredakteur der Neuen Zürcher Zeitung) bewegen sich die Einsparungen ihrer Zeitungen auf einer Ebene, die eher unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der Leser liegt. Bei der NZZ zum Beispiel fielen laut Dedial aufgrund des Sparzwangs im Auslandsteil pro

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Tag etwa eine viertel bis eine drittel Seite weg, was die Leser angesichts des ge-nerell großen Umfangs der Auslandsberichterstattung in der NZZ nach Dedials Einschätzung wahrscheinlich gar nicht registriert haben.

Auch wenn in anderen Zeitungen die Einsparungen deutlicher ausgefallen sein mögen, so deuten die Aussagen der befragten Journalisten darauf hin, dass die Auswirkungen der Medienkrise auf die Konfliktberichterstattung bislang keine Ausmaße angenommen hat, die dramatisch zu nennen wären.

Dennoch weisen die Maßnahmen, die Medienunternehmen im Verlauf der wirt-schaftlichen Krise ergriffen haben, darauf hin, in welche Richtung die zukünftige Entwicklung angesichts wachsenden Konkurrenzdruckes und zunehmender Kom-merzialisierung gehen wird: Auf der einen Seite werden z.B. die Reiseetats von Korrespondenten gekürzt. Dadurch werden deren Möglichkeiten begrenzt, die ein-zelnen Regionen ihres Berichtsgebiets näher kennen zu lernen, sich ein eigenes Bild von den Entwicklungen vor Ort zu machen und selbst mit Akteuren zu spre-chen, wodurch letztlich auch die Rezipienten um bestimmte Eindrücke und Infor-mationen gebracht werden:

"Die meisten europäischen Zeitungen mussten in den letzten Jahren sparen. Das ist dann natürlich ein Problem. Du hast eine gute Idee. Zum Beispiel ich würde gerne ein Interview machen mit dem Zar in Bulgarien, der zufällig verwandt ist mit dem König von Serbien, und das war so ein nettes Stück, Interview mit dem Premierminister, der zur gleichen Zeit ein Kaiser ist, als Kind war er noch kurze Zeit Kaiser. Das wäre eine nette Geschichte, auch po-litisch nicht uninteressant, was denkt er, wie denkt er und so weiter. Es gibt kein Geld. Es gibt kein Geld für die Reisekosten. Das ist das Problem. ... Noch vor ein paar Jahren war das überhaupt keine Frage. Da hat man gesagt, ich reise dort und dort hin, habe meine Spesen dann einfach mitgebracht, das wurde bezahlt ohne Kommentar. Jetzt ist es ganz anders.

Ganz anders." (Ivanji, I 27)

Auf der anderen Seite wird dagegen bei "Megathemen" wie zum Beispiel dem Af-ghanistankrieg oder dem Irakkrieg weiterhin kräftig investiert und alles an verfüg-baren Ressourcen mobilisiert. Wenn es darum geht, über derartige Konflikte zu berichten, scheinen finanzielle Fragen eher eine nachgeordnete Rolle zu spielen:

"Wenn es Krieg ist, dann bekommt man auch das notwendige Geld" (Ivanji, I 27).

Während die ökonomischen Rahmenbedingungen maßgeblich mit über die Res-sourcen bestimmen, die für Konfliktberichterstattung zur Verfügung stehen, lässt sich eine direkte inhaltliche Einflussnahme von Werbekunden oder Konzerneig-nern nach den Erfahrungen von Konfliktberichterstattern nicht feststellen. So äu-ßert sich etwa Hans-Hermann Klare vom Stern, der dem international agierenden Bertelsmannkonzern angehört, diesbezüglich wie folgt:

"Mir hat der Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr noch nie zu verstehen gegeben, weder direkt noch indirekt, oder geschweige denn jemand von Bertelsmann, dass das, was wir da betreiben an "Antiamerikanismus" oder wie auch immer die es empfinden mögen, doch so nicht gehe, weil das zum Beispiel die Geschäfte von Random House in Amerika stört. Solche Dinge habe ich nicht erlebt. Ich weiß nicht, ob mein Chefredakteur ein so breites Kreuz hat,

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dass der das abkriegt, aber nicht an mich weitergibt. Aber ich vermute nicht. … Also ich habe nicht den Eindruck, dass wir inhaltlich irgendwie eingeschränkt sind." (Klare, I 20)

Ökonomische Determinanten und konstruktive Konfliktberichterstat-tung

Wirtschaftliche Krise, Konkurrenzdruck und Kommerzialisierung scheinen in den Medien einen Prozess zu verstärken, der den Anliegen konstruktiver Konfliktbe-richterstattung eindeutig zuwiderläuft: eine zeitlich begrenzte Mobilisierung aller denkbaren Ressourcen für wenige Großkonflikte, die zu Lasten der Berichterstat-tung über vermeintlich unwichtigere Regionen und Konflikte geht. Auch weitere, mit der Kommerzialisierung verknüpfte Trends der Berichterstattung, wie Enter-tainisierung und Fiktionalisierung (vgl. Löffelholz, 1993) stellen alles andere als Hoffnungszeichen für einen Wandel in Richtung einer komplexeren, hintergründi-geren, friedensorientierteren Konfliktberichterstattung dar:

"Wenn sie einen Programmdirektor fragen: Sollen wir die Hochzeit des holländischen Prin-zenpaares senden oder sollen wir gucken, was jetzt in Osttimor los ist, dann wird der natür-lich sagen: holländisches Prinzenpaar. Und das wird dann unter Auslandsinformation abgehakt. ... Für mich war es sehr schockierend zu sehen, dass dieses Prinzenpaar vier oder sechs Stunden auf allen Kanälen abgebildet wurde. Und sogar die heilige Tagesschau und die Tagesthemen damit aufmachten. Ich weiß, dass die Menschen so was gerne sehen, und ich habe überhaupt nichts dagegen, ich gucke mir auch einen Quatsch an. Aber damit auf-zumachen signalisiert ja Bedeutung. ... Die Bedeutung, die man den Sachen verleiht, die fin-de ich manchmal gefährlich kurz gesehen." (Mikich, I 14)

Welche Auswirkung die Konzentration von Medienunternehmen, also die zuneh-mende Zahl von Fusionen und die vermehrte Bildung von Medienkonglomeraten, auf die Berichterstattung hat und haben wird, ist eine empirisch noch nicht ein-deutig geklärte Frage. Überraschenderweise deuten manche Studien darauf hin, dass die Medienkonzentration die Vielfalt der Medienangebote stärkt, weil Unter-nehmen durch die gewonnene Effizienz in der Lage sind, in neue Berichtsfelder zu investieren (Berry & Waldfogel, 2001; George, 2001). Jedoch bezieht sich die Viel-falt in diesen Studien lediglich auf die allgemeine Angebotspalette an Themen und Formaten, d.h. ob z.B. neue Themenbereiche wie Reisejournalismus oder Musik-kritiken in das Medienprodukt Eingang finden. Dies sagt erst einmal nichts aus über eine etwaige zunehmende Meinungsvielfalt oder über eine zunehmende Viel-falt an Perspektiven, die über ein bestimmtes Thema, z.B. einen Konflikt, darge-boten werden. Im Gegenteil, was politische Berichterstattung und die Darstellung von unterschiedlichen Sichtweisen anbelangt, erscheint es plausibler anzuneh-men, dass eine zunehmende Konzentration eher eine zunehmende Angleichung und Vereinheitlichung von Standpunkten und Perspektiven mit sich bringen wird.

Durch Fusionen und Übernahmen von Medienunternehmen wird die Durchset-zungsmacht von Meinungen auf immer weniger Personen konzentriert, und es ist zu erwarten, dass diese Personen bei Fragen, die ihnen wichtig sind, von dem

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sultierenden Zugewinn an Einfluss auch Gebrauch machen. Hinweise dafür liefert zum Beispiel das Medienimperium im Besitz von Rupert Murdoch, dessen zugehö-rige Sender und Zeitungen zusammen genommen nicht unbedingt einen Inbegriff von Meinungsvielfalt verkörpern.

Insgesamt gesehen ist somit festzuhalten, dass die derzeitige generelle ökonomi-sche Entwicklung der Medienunternehmen eine Verschlechterung der Ausgangs-bedingungen konstruktiver Konfliktberichterstattung mit sich bringt.

Angesichts dieser Entwicklungen schlägt Tehranian (2002, S. 79) die Einrichtung einer World Media Development Bank vor. Diese soll global einen freien und aus-gewogenen Informationsfluss gewährleisten und die strukturellen Voraussetzun-gen für konstruktive Konfliktberichterstattung fördern, indem sie etwa günstige Kredite an unabhängige Medienunternehmen vergibt, die sich einer friedensjour-nalistischen Ethik verschrieben haben.

Von solchen strukturellen Entwicklungen unberührt bleibt aber die Frage, ob kon-struktive Konfliktberichterstattung grundsätzlich am Markt bestehen könnte und ob sie sich, wie von manchen Medienmachern behauptet, tatsächlich schlechter verkaufen ließe als eskalationsorientierte Berichterstattung. Erste Rezeptionsstu-dien hierzu zeigen jedenfalls, dass deeskalationsorientierte Texte von den Rezipi-enten mindestens genauso gut angenommen werden wie eskalationsorientierte Texte (Bläsi, Jaeger, Kempf & Spohrs, 2005; vgl. ausführlicher Kap. 3.7.4.2).

3.2.4 Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Beschaffenheit vieler der untersuch-ten Einflussgrößen des journalistischen Systems keine besonders gute Ausgangs-basis für konstruktive Konfliktberichterstattung impliziert. Die systemimmanenten Probleme Zeit- und Platzmangel, die gängigen Routinen der Nachrichten- und The-menauswahl, die derzeitigen Ausbildungsstrukturen und ökonomischen Entwick-lungstendenzen scheinen eher eine Konfliktberichterstattung zu befördern, die auf aktuelle Geschehnisse fixiert ist, die Konflikte simplifiziert und zugleich zuspitzt, die wenig Raum bietet für die Darstellung von Hintergründen und längerfristigen Prozessen und die somit tendenziell keinen Beitrag zu einer konstruktiven Konflikt-bearbeitung leistet. Andererseits konnte gezeigt werden, dass das journalistische System den handelnden Akteuren gewisse Spielräume lässt, die auch für die Um-setzung konstruktiver Konfliktberichterstattung genutzt werden können. Wenn die Medien in Zukunft insgesamt eine stärker friedensfördernde als friedensverhin-dernde Rolle spielen sollen, wird jedoch das Ausnutzen der augenblicklichen durch das System gegebenen Spielräume höchstwahrscheinlich nicht ausreichen. Für eine umfassendere Implementierung konstruktiver Konfliktberichterstattung müssten vielmehr einige Eckpfeiler des Systems selbst neu justiert werden.

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Objektivität ist die Illusion, dass Beob-achtungen ohne einen Beobachter ge-macht werden könnten.

Heinz von Foerster