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III. Die Landschaften Richters im Kontext des Gesamtwerkes

III.1. Die Gruppen der Landschaftsbilder

III.2.1. Der „Stil“ und die malerischen Mittel

III.2. Charakteristika von Richters Werk

unter besonderer Berücksichtigung der Landschaften

Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, Charakteristika zu bezeichnen, die in Richters Werk allgemein und in seinen Landschaften im besonderen von Bedeutung sind. Wie bei der Unterteilung der Landschaften in Gruppen handelt es sich auch bei diesen Merkmalen um Kategorien, deren Grenzen nicht fest umrissen werden können, da sie ineinander übergehen und sich gegenseitig bedingen. So läßt sich der Stil nicht ohne die Photographie und die Unschärfe, das Figürliche und Abstrakte nicht ohne die Motivik, und das gesamte Werk nicht ohne die Frage nach der Wahrnehmung der Wirklichkeit betrachten. All diese Begriffe stehen in einem komplexen Kontext, der nicht nur Gerhard Richters Gesamtwerk, sondern viele Bereiche der bildenden Kunst in der zweiten Hälfte des 20.

Jahrhunderts betrifft und umfangreich in der Literatur diskutiert wird. Die Komplexität der einzelnen Aspekte im Blick auf Gerhard Richters Gesamtwerk kann hier nicht erschöpfend betrachtet werden; vielmehr geht es darum, sie zusammenfassend auf der Grundlage der oben aufgeführten werkimmanenten Analyse auf Richters Landschaften zu beziehen.

Gleichmut“239 entzog sich Richter jeglicher Festlegung auf ein stilistisches Prinzip und versuchte, allen vorgefaßten Erwartungshaltungen durch bewußtes Taktieren zu entgehen240, indem er grundsätzlich die Methode wechselte, „sooft es angebracht ist“.241 Konsequent verweigerte er den entschlüsselnden Kommentar zu seinen Arbeiten; im Gegenteil behauptete Richter seine „Antihaltung“242, wenn er betonte, er „verfolge keine Absichten, kein System, keine Richtung“, er habe „kein Programm, keinen Stil, kein Anliegen“, er „fliehe jede Festlegung“ und wisse nicht, was er wolle243. In den Notizen 1964-1965 schrieb Richter: „Ich mag alles, was keinen Stil hat:

Wörterbücher, Photos, die Natur, mich und meine Bilder“244, was zum einen der Meinung seiner „Stillosigkeit“ Vorschub geleistet hat und zugleich die Bereiche anspricht, die ihm wesentlich sind: Auf lexikalische Vorbilder griff Richter bei den „48 Portraits“, aber beispielsweise auch für das Motiv des

„Adlers“ zurück; Photos wurden zu Vorlagen seiner figurativen und einiger abstrakter Bilder, und die Natur blieb die permanente Referenz oder letzte Instanz, an der sich seine Werke außerhalb der malerischen Selbstreferenzialität messen.

Der permanente „Stilbruch“ und die vermeintliche Beliebigkeit der Themen hat die Kritiker lange in die Irre geführt245 – so behauptete noch

239 Peter Sager, Unterwegs zu Künstlern und Bildern. Reportagen und Portraits, Köln 1988, S. 77, nach Ehrenfried 1997, S. 22.

240 Manfred Schneckenburger, Gerhard Richter oder ein Weg weiterzumalen, in: Gerhard Richter. Bilder aus den Jahren 1962-1974. Ausst.Kat. G.R. Bremen 1975, (S. 10-15) S. 15.

241 Notiz 1971, in: Text S. 59.

242 Schneckenburger, in: Ausst.Kat. G.R. Bremen 1975, S. 10: Richters Werk wolle keinen Stil, keine Stilisierung, keine Komposition, keine Farbbeziehungen und keine Interpretation, weder im Sinne einer „objektiven“ Ideologie noch einer subjektiven Geste. Richter revidiert diese „eher polemische“ Formulierung im Interview mit Amine Haase 1977 (in: Text (S. 85-88) S. 87): „Ich möchte nicht sagen, daß der Spruch schlecht ist, er trifft nur heute nicht mehr so meine Problematik.“ ebenso wie im Interview mit Wolfgang Pehnt 1984: „Ich würde es heute nicht sagen. Ich finde es gut, daß ich es damals gesagt habe. Ich habe mir dadurch auch einen Freiraum geschaffen, mich sozusagen geschützt vor Festlegung [...]“ (in: Text S.

107).

243 Notiz 1966, in: Text S. 53. Diese rigorose Haltung relativiert Richter selbst mit Jahre später gemachten Aussagen: „[...] da ich ununterbrochen komponiere und vor allem auslösche, also vermeide und mich nur auf ein sehr kleines Repertoire beschränke, d.h.

ganz absichtsvoll mich verhalte [...]“ (Notizen 1986, in: Text S. 120)

244 In: Text S. 31.

245 1976 stellt Klaus Honnef (1976, S. 14-15) fest, es sei schwierig, Richters künstlerische Entwürfe der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre zu fixieren, und noch schwieriger, eine Kontinuität oder logische Abfolge in der Entwicklung seines Werkes nachzuweisen; die einzige kontinuierliche Eigenschaft sei das Gegenteil von künstlerischer Konsequenz

1997 Susanne Ehrenfried, „Begriffe wie Auswahl-Losigkeit, Kompositions-Losigkeit, Stil-Losigkeit und Inhalts-Losigkeit charakterisieren Richters Werk“,246 obwohl dieser bereits selbst eingeräumt hatte, daß er bei der Wahl seiner Motive durchaus gewissen (wenn auch unbenannten) Kriterien folge.247 Schließlich kristallisierte sich aber gerade der „Stilbruch“ als zentrales „Stilprinzip“ heraus.248

Richter greift in seinen Landschaftsbildern auf vielfältige formale und technische Möglichkeiten der traditionellen Malerei zurück. So stellt er

„objektive“, „photorealistische“ und frei komponierte abstrakte Bilder von Landschaften her, schwarz-weiße und farbige, extreme Großformate und intimere „Wohnzimmerformate“, Landschaftsbilder, deren Oberfläche zu unpersönlich glatter Flächigkeit vermalt ist und solche, deren pastoser, zum Teil mit der Hand vorgenommener Farbauftrag plastische Qualität annimmt.

All diese malerischen Mittel treten auch in anderen Werkgruppen seines umfangreichen Œuvres auf.

Durch die werkimmanente Betrachtung der Landschaften kristallisierte sich heraus, daß Richter dieses Sujet in seiner jeweiligen motivischen und stilistischen „Gruppe“ zunächst in „neutraler“, „objektiver“ Schwarz-Weiß-Malerei darstellt, bevor er farbige Varianten davon malt: So stellen „Alster“

(WV 10) oder die „italienische Landschaft“ (WV 167-2) einen Vorläufer der farbigen photorealistischen Landschaftsbilder dar, die „Waldstücke“ (WV 66, [inzwischen lassen sich sehr wohl kontinuierliche Eigenschaften im Zusammenspiel des Gesamtwerks nachweisen]. So gebe es Phasen, in denen Richter sich mehr der Erscheinung seiner Bilder, mal mehr dem Herstellungsprozeß widme, mal mehr der gegenständlichen, mal mehr der abstrakten Darstellung von Wirklichkeit, mal mehr dem Motiv, mal mehr der Vorlage (ibid. S. 58). Siehe auch Interview mit Amine Haase 1977, in:

Text S. 85; und Tosatto, in: Ausst.Kat. G.R. Nîmes 1996, S. 7.

246 Ehrenfried 1997, S. 12.

247 Siehe Anm. 243; und das Interview mit Sabine Schütz 1990, in: Text S. 200: „die Sprüche über meine Stillosigkeit und Meinungslosigkeit waren zum Teil Polemik gegen Zeitströmungen, die ich ablehnte. Oder sie waren Schutzbehauptungen, um mir das Klima zu verschaffen, in dem ich malen kann, was ich will“.

248 Ehrenfried 1997, S. 22; Klaus Honnef, Schwierigkeiten beim Beschreiben der Realität.

Richters Malerei zwischen Kunst und Gegenwart, in: Gerhard Richter, Ausst.Kat.

Gegenverkehr e.V. Zentrum für aktuelle Kunst Aachen 1969, Aachen 1969, o.S.;

wiederabgedruckt in: Gerhard Richter. Ausst.Kat. Venedig Biennale 1972, Essen 1972, S.

13-16; wiederabgedruckt in: Klaus Honnef, „Nichts als Kunst ...“ Schriften zu Kunst und Fotografie, hg. v. Gabriele Honnef-Harling und Karin Thomas, Köln 1997, S. 12-17, siehe hierin S. 17. Richter selbst dazu in einem Interview mit Jonas Storsve 1991: „Andererseits sehe ich aber auch eine grundsätzliche unveränderliche Haltung, ein gleichbleibendes Anliegen bei mir, das durch alle Arbeiten geht wie ein Stil.“ (in: Text (S. 212-220) S. 217);

Elger 2002, S. 119, 207ff., 283.

215 – 216-3), aber auch die „Alpen II“ (WV 213) einen Vorläufer der Parkstücke, und die Reihen der Wolkenbilder und Seestücke beginnen ebenfalls mit den „farblosen“ Arbeiten „Wolken (grau)“ (WV 231/1-2) und dem monochromen „Seestück (grau)“ (WV 224-16)249. Die „Welle (abstrakt)“ (WV 246)250 und das „Wiesenfeld“ (WV 76) mit seiner Zweiteilung nehmen die abstrakt vermalten Bilder vorweg, und „Landschaft“ (WV 48-12) und

„Durchgang“ (WV 203) sind erste schwarz-weiße Arbeiten in der Reihe der Abstrakten mit Landschaftstiteln oder Assoziationsmöglichkeiten an landschaftliche Erfahrungen. Selbst einzelne schwarz-weiße Städte- und Gebirgsansichten können als Vorläufer der Korsika- und Davos-Bilder gelten.

Es ist nicht ersichtlich, daß es sich für Richter um einen bewußten Prozeß handelte, der ihn erst nach der Erprobung der Motive in unterschiedlichen Schwarz-Weiß-Grau-Varianten das Wagnis ihrer farbigen Umsetzung eingehen ließ; dafür sind die jeweiligen Arbeiten nicht als explizite Werkgruppen konzipiert und stehen in zu enger Einbindung in den Kontext des Gesamtwerkes. Dennoch ist auffällig, daß die Motive meist erst in nüchterner Farblosigkeit erscheinen, die man, da sie nicht der sichtbaren Wirklichkeit entsprechen, durchaus als „unwirklich“ und abstrakt bezeichnen kann. Es scheint im Hinblick auf Richters Diktum, er suche in den Grauen Bildern die absolute Indifferenz im Sinne fehlender Subjektivität und

„ideologischer“ Aussage, daß auch in Bezug auf das Motiv der Landschaft das Grau eine gewisse Sicherheit der stilistischen Indifferenz und Objektivität garantiere.251

249 Ein früheres kleines „Seestück“, WV 194-23, 1968, Öl auf Leinwand, 40 x 80 cm, bleibt in seinen Tonwerten derart verhalten, daß es den schwarz-weißen oder besser grauen Bildern sehr nahe kommt.

250 Auch hier ist das „Seestück (abstrakt)“, WV 239-3, 1969, Öl auf Leinwand, 147 x 200 cm, etwas früher entstanden.

251 Zur Funktion von „Nichtfarbe“ und Farbe siehe das Interview mit Rolf Gunther Dienst 1970, in: Text S. 55ff. Grau habe keine Aussage und sei wie keine andere Farbe geeignet,

„nichts“ zu veranschaulichen; es sei für Richter die „willkommene und einzig mögliche Entsprechung zu Indifferenz, Aussageverweigerung, Meinungslosigkeit, Gestaltlosigkeit [...]“;

Aus einem Brief an Edy de Wilde 23.2.1975, in: Text S. 76-77; siehe auch: Aus einem Brief an Benjamin H.D. Buchloh 23.5.1977, in: Text S. 80.