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IV. Richters Landschaften im historischen Vergleich

IV.2. Gerhard Richter und die Romantik

IV.2.3. Die Romantik und Caspar David Friedrich

Haltung der Kritik und der Literatur beigetragen und diese stimuliert haben –, doch zeigen sie symptomatisch seine ambivalente Haltung im Umgang mit historischen Positionen der Malerei, die Richters respektiert und aufgreift und zu neuen gegenwartsbezogenen Möglichkeiten umformuliert.

Für das vorliegende Kapitel stellt sich die Frage, worin die Analogien und die Unterschiede der Landschaftsbilder Richters zu Bildlösungen der romantischen Epoche bestehen, was Richter im Vergleich zu Caspar David Friedrich für die Landschaftsmalerei leistet, und inwiefern das für die Bewertung seiner Landschaften relevant ist.

zur eigenen Gattung, die dem religiösen und dem Historienbild den jahrhundertealten Primat streitig macht; so kann die Autonomisierung des Landschaftsbildes als Errungenschaft der Kunst der Romantik gelten.155

Landschaftselemente wie Bäume oder Felsen sind an sich zunächst unbeseelte Naturdinge ohne eigene Stimmungsqualität. Erst das subjektive Empfinden des Künstlers gegenüber der Natur, die einsame Anschauung der Landschaft156 (und der Landschaftsdarstellung) spiegelt das Selbst und die innere Befindlichkeit des Betrachters157, ihre „unmittelbare Wahrnehmung“

ermöglicht zugleich sinnlich-ästhetische und geistig-reflexive Selbsterfahrung, die der Künstler auf die als stimmungshaft wahrgenommene Landschaft projiziert – in dieser Subjektivität wird Landschaft zum Stimmungs- und Symbolträger.158 In ihr äußert sich unter anderem die Sehnsucht nach einer verlorenen Harmonie und Einheit mit der Natur, von der sich der Mensch durch Verstädterung und Arbeitsteilung, wissenschaftliche Objektivierung und technische Vernutzung distanziert und entfremdet hat – Natur als Gegenüberstellung zu Stadt und Mensch („Gegenpol oder Fluchtraum“) wird zum Idealbild einer heilen Welt, die in die Idyllik des Biedermeier führt. Zugleich spiegelt sie, besonders bei C.D.

Friedrich, die Hoffnung auf nationale und auf individuelle Identität. Der Darstellung der als Landschaft vermittelten Natur obliegen also viele

der Landschaft äußert, was nur gelingt, weil Landschaft an sich in dieser Zeit neu determiniert wird – Natur wird zum Religionsersatz. Wedewer 1978, S. 29-33, 62-64, 78.

Jensen 1995, S. 103.

155 Wenn Landschaft erst durch die Romantik zur eigenständigen malerischen Gattung erhoben wurde, bezieht sich notwendigerweise jedes „autonome“ Landschaftsbild der Folgezeit wenigstens indirekt auf diese Epoche, was wiederum den Vergleich von Richters Landschaften mit solchen der Romantik völlig irrelevant werden läßt.

156 Hans Joachim Neidhardt, „Einsamkeit und Gemeinschaft“, in: Ernst Spiele. Der Geist der Romantik in der deutschen Kunst 1790-1990, Ausst.Kat. Haus der Kunst München 1995, hg.

v. Christoph Vitali, Stuttgart 1995, (S. 442-445) S. 443.

157 C.D. Friedrich: „Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch was er in sich sieht.“ Siehe Hinz 1974, S. 125.

158 Schon Wedewer schrieb 1978, S. 37, der Ort der Landschaft werde bei Friedrich in das wahrnehmende Subjekt verlegt – nach Georg Simmels „Philosophie der Landschaft“ wäre diese als Summe unbeseelter Naturdinge ohne Stimmungsqualität; da Landschaft an sich aber ein geistiges Gebilde sei (vgl. die obige Definition von Landschaft als Modell der Wirklichkeit), werde Stimmung auch vom Geist in die Landschaft projiziert; und Schwind (nach Wedewer 1978, S. 41) bezeichnet „Landschaft“ als „gewaltigste Objektivation des Geistes“. Siehe auch Jensen 1995, S. 28, und Busch, in: Ausst.Kat. Ernste Spiele München 1995, S. 463-466. Vgl. Richters Notiz 1986, in: Text S. 115.

Möglichkeiten des Ausdrucks und der Symbolik159 – zu ihrem Verständnis muß die persönliche Haltung des Künstlers bekannt sein, um seine Neigungen im mehrfach konnotierten Bild nachempfinden zu können.

Die bewußt komponierten, inszenierten und idealisierten Landschaften Caspar David Friedrichs160 weisen ein begrenztes, in vielen Variationen wiederkehrendes Repertoire an Bildelementen auf, deren Symbol- und Stimmungsgehalt in der umfangreichen Literatur zum Werk Friedrichs ausführlich diskutiert wurde.161 Wichtige Attribute mit meist mehrfachem Symbolgehalt sind die Rückenfigur, Kirchenruinen, Gräber, Schiffe, solitäre Bäume oder Wälder. Sie sind individuell als Verweise auf eine säkularisierte protestantische Religiosität, auf die politisch-patriotische Gesinnung des Künstlers, auf Tod und Vergänglichkeit, auf das Diesseits und das Jenseitig-Transzendente entschlüsselt worden. In diesen Kontext gehören auch die Darstellung von Nebel und Gewölk, die kompositorisch als Trennungsmittel der einzelnen Raumschichten fungieren, zugleich aber die Undurchdringlichkeit der gesehenen Landschaft und ihre zusätzliche Verklärung anzeigen.162 Hofmann bezeichnet die Ambivalenz der

159 Die tendenzielle Sinnoffenheit erscheint als besonderes Charakteristikum des romantischen Kunstwerkes, weil es seiner Natur beziehungsweise seiner künstlerischen Anlage nach „vieldeutig orakelt“ – vor allem Friedrichs Bildelemente sind zeichenhaft und mehrdeutig zu lesen; siehe Hofmann 2000, S. 251, der (leider ohne Quellenangabe) darauf verweist, daß nach Schelling (mit dem Friedrich vertraut war) jedes ‚wahre‘ Kunstwerk einer

„unendlichen Auslegung“ fähig sei, ob diese nun im Künstler angelegt sei oder im Kunstwerk, und sich trotz der Darstellung eines Augenblicks zugleich aus der Zeit heraushebe – das sei die Hervorkehrung des Wesens der Natur. Nach Ramdohr, so Jensen 1995, S. 102, 109, müsse die Deutung der Landschaft außerhalb des Bildes gesucht werden.

160 Busch, in: Ausst.Kat. Ernste Spiele München 1995, S. 464: Friedrich hat exakte Naturstudien meist mit Ortsangabe und auf den Tag genau datiert; eine genaue Naturwiedergabe und zugleich strukturelle Analyse als Erscheinungsphänomen gibt dem Künstler die Möglichkeit der freien Verwendung im Bild unter Wahrung der ‚Naturrichtigkeit‘.

Seine idealisierten Landschaften haben einen meist konkreten geographischen Charakter;

Andererseits hat Friedrich nur wenige Bilder nach einer realen geographischen Situation gemalt (was dem Verfahren Richters geradezu entgegensteht); vgl. hierzu auch Hofmann 2000, S. 172, 195; Wedewer 1978, S. 36. siehe Jensen 1995, S. 30.

161 Siehe unter anderem Wedewer 1978, S. 45. Hofmann 2000, S. 41-83, 85-113, 239-251.

Jensen 1995, S. 13f, 37ff., 57ff., 133ff., 159f, 233ff. Neidhardt, in: Ausst.Kat. Ernste Spiele München 1995, S. 442 – 445.

162 „Wenn eine Gegend sich in Nebel hüllt“, so äußerte sich Friedrich einmal gegenüber Carus, „erscheint sie größer, erhabener, und erhöht die Einbildungskraft und spannt die Erwartung gleich einem verschleierten Mädchen.“ Nach Hofmann 2000, S. 33(-36), der erläutert: „Caspar David Friedrichs bevorzugte Symbole (Horizont, Silhouette, Kirchturmspitze, Segelschiffe, Berge) kann man als Vehikel zur Beschwörung der gleichen

„Verschleierung und Entschleierung“ in Friedrichs Landschaften als

„komplementäre Schwebelage der Ungewißheit“163 und macht damit die vielschichtige Lesbarkeit der Bilder deutlich.

Charakteristisch für Friedrich und irritierend für seine Zeitgenossen war oder ist der Kunstgriff, die Nähe des Vordergrundes abrupt und ohne Mittelgrund in unnahbare Ferne umschlagen zu lassen; kein Weg führt tiefenperspektivisch in die zu den Seiten offene Landschaft ein164. Nur vereinzelt vermitteln Bildelemente wie Figuren oder Schiffsmasten zwischen Vorder- und Hintergrund, die die Horizontlinien schneiden und dadurch Gegensätzliches wie Nähe und Ferne, Diesseitiges und Jenseitiges, Reales und Transzendentes miteinander verbinden. 165 In der Komposition arbeitet Friedrich – wie Hofmann jüngst nachgewiesen hat – in Bildpaaren, und er bevorzugt zwei Formen der Behandlung der Dreidimensionalität: die vertikale Kulisse und den horizontalen Streifenraum166.

Im „Dreitakt“ seiner Kompositionen – wie Hofmann es bezeichnet –, mit Mittelachse und etwa symmetrischen Flanken, schafft Friedrich das Bild der

„Landschaftsikone“ als Ersatz für das nach der Säkularisation nicht mehr tragbare Andachtsbild.167 Das Landschaftsbild in Triptychonform läßt eine individuelle (protestantische) Andachtshaltung gegenüber einer pantheistisch begriffenen Natur zu – der Künstler schafft in der Naturanschauung durch sein Landschaftsbild eine Ersatzreligion, die ihn, wie es Novalis (zumindest

wunderbaren Verborgenheit sehen; seine häufige Einbeziehung von Dunst und Nebel suggeriert zusätzliche Verklärung“.

163 Ibid., S 33.

164 Ibid., S. 20f; Jensen 1995, S. 108f.

165 Beispielsweise Friedrichs „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“ (1819) [in: Hofmann 2000, Abb. 95]. „Selbst die vielen von den Romantikern gemalten „Tagstücke“ transportieren meist eine visionäre Intensität, indem sie das Auge in fliehende, allmählich verschwimmende Perspektiven locken.“ Cardinal, in: Ausst.Kat. Ernste Spiele München 1995, S. 540.

166 Wie schon Jensen (1995, S. 111) nennt Hofmann beispielsweise die Bilder „Abtei im Eichwald“ und „Mönch am Meer“ ein Bildpaar; er verweist auf den „Doppelakkord“ in Friedrichs Bildern, der – nach Schiller und Schelling – zwischen Bewußtsein und Unbewußtsein austariere; siehe Hofmann 2000, S. 32, 66, 82, 135 und 160. Bei Richter dagegen gibt es keine Bildpaare, sondern eher Reihen.

167 Jensen 1995, S. 97ff., 117. Hofmann 2000, S. 41ff., meint, entsprechend der typischen Merkmale einer Ikone würden die Sinnesdaten des Bildes dem Zugriff entrückt. Wenn dem so ist, dann verhalten sich auch Richters Bilder gleich einer Ikone, indem er durch die egalisierende „Unschärfe“ seiner Bilder alle Bildelemente dem eindeutigen Zugriff entzieht;

Richter folgt damit gewissermaßen einer Forderung Goethes, der meinte, die suborinierten Gegenstände eines Bildes müßten zugunsten des Ausdrucks des „großen Gegenstandes“

geopfert werden (Hofmann 2000, S. 22, 186).

theoretisch) fordert, an Stelle des obsolet gewordenen Priesters treten läßt.168