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IV. Richters Landschaften im historischen Vergleich

IV.2. Gerhard Richter und die Romantik

IV.2.1. Stand der Forschung

Was die Landschaftsbilder Gerhard Richters betrifft, so sind sie von der Literatur und Kritik, in Presse und Öffentlichkeit immer wieder mit der Epoche der Romantik im allgemeinen und mit dem Werk Caspar David Friedrichs im besonderen in Verbindung gebracht worden;122 nur selten wurden in diesem Zusammenhang andere historische Positionen berücksichtigt.123 Dabei bleibt die Literatur jedoch an der Oberfläche begrifflicher Verweise, meist ohne diese näher zu definieren oder exemplarisch zu verifizieren. Das mag daran liegen, daß Richter in den Landschaftsbildern keine konkreten Bildzitate

122 Siehe S. 162f, Anm. 125 bis 131. Außerdem unter anderem Grüterich, in: Ausst.Kat. G.R.

Bremen 1975, S. 67; Rosenblum 1981, S. 137; Michael Danoff, Heterogeneity. An introduction to the work of Gerhard Richter, in: Gerhard Richter. Paintings. Ausst.Kat.

Museum of Contemporary Art Chicago u.a. 1988, hg. v. Roald Nasgaard, London 1988, (S.

9-14) S. 12; Michael Edward Shapiro, Gerhard Richter. Paintings, Prints and Photographs in the Collection of the Saint Louis Art Museum, in: The Saint Louis Art Museum Bulletin, Bd.

XX, Nr. 2, 192, (S. 5-80) S. 24, 48; Jean-Pierre Criqui, Drei Impromptus über die Kunst Gerhard Richters, in: Parkett, Nr. 35, März 1993, (S. 32-36) S. 35. Hervé Gauville, Richter peint tout, in: Libération, 5.10.1993; Werner Spieß, Emotional und eisig. In der Hölle der Berührungsängste: Gerhard Richter im Modernen Museum der Stadt Paris, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 20.10.93; Antoine 1995, S. 53-89; Keith Hartley, Einführung in die Ausstellung in Edinburgh und London, in: Ernste Spiele. Der Geist der Romantik in der deutschen Kunst 1790-1990, Ausst.Kat. Haus der Kunst München 1995, hg. v. Christoph Vitali, Stuttgart 1995, (S. 13-19), S. 19; dieser differenziert zwar zwischen der romantischen Sehnsucht und der kritischen Distanz Richters gegenüber der Tradition, aber ohne auf Details einzugehen, und stellt fest, Richter male Landschaften, die im herkömmlichen Sinne schön seien und, wie Richter einräume, auf romantische Vorbilder zurückgingen – wo Richter dies tue, schreibt Hartley nicht. William Vaughan, Die deutsche Romantik im Ausland – eine englische Sicht, in: Ernste Spiele. Der Geist der Romantik in der deutschen Kunst 1790-1990, Ausst.Kat. Haus der Kunst München 1995, hg. v. Christoph Vitali, Stuttgart 1995, (S. 20-29), S. 29, schreibt, daß das Werk von Malern wie Gerhard Richter einen Teil seiner Ressourcen aus der romantischen Tradition schöpfe; Vaughan geht aber weder hier noch an anderer Stelle im Katalog näher auf diese „romantische Tradition“ bei Richter ein. Richter allerdings wählte seine Bilder für die Ausstellung „Ernste Spiele“ selbst mit aus (Ausst.Kat.

Ernste Spiele München 1995, S. 14) und stellt sich folglich bewußt dem Diskurs zur Romantik. Karin Thomas (Krise und Ich-Findung im künstlerischen Psychogramm.

Freundesbild und Selbstportrait, in: Deutschlandbilder, Kunst aus einem geteilten Land, Ausst.Kat. Martin-Gropius-Bau Berlin 1997/98, hg. v. Eckhart Gillen, Köln 1997, (S. 545-555) S. 551) behauptet, Richter erneuere eine Tradition im romantischen Sinne. Und Harten (in:

Ausst.Kat. G.R. Düsseldorf 1986, S. 47) nennt Richter einen Romantiker.

123 Wedewer 1978; Beaucamp 1988, S. 184; Schneckenburger, in: Ausst.Kat. G.R. Bremen 1975, S. 15, Grüterich, ibid. S. 48, 72.

verwendet, wie er es beispielsweise in den fünf Variationen der

„Verkündigung nach Tizian“ tut.124

Der Verlauf der Diskussion um das Romantische in Richters Landschaften entpuppt sich als vergleichbar mit dem im Laufe der Jahrzehnte wachsenden Skeptizismus gegenüber einer anfänglich propagierten „Stillosigkeit“ von Richters Werk und einer „Beliebigkeit“ seiner Motive.

Rolf Wedewer setzte sich bereits 1975 mit der Frage nach dem Romantischen in Richters Landschaften auseinander. Zwar behandelte er die unterschiedlichen Erscheinungsformen der Landschaft bei Richter und analysierte diese kritisch und differenzierend auch im Hinblick auf ihren

„romantischen“ Gehalt; er blieb aber den konkreten exemplarischen Vergleich zu Bildern der Romantik oder Caspar David Friedrichs schuldig.125

Hubertus Butin unternahm 1994 erstmals den Versuch, Richters Position gegenüber der Romantik und Friedrich stärker zu differenzieren, doch lieferte auch er zunächst keinen detaillierten analytischen Vergleich an exemplarischen Beispielen; diesen reichte er 2004 schließlich nach.126 Bereits 1994 sah Butin zurecht mehr Unterschiede als Parallelen zwischen Richter und Friedrich und weckte damit berechtigte Zweifel an der Einschätzung, daß Richters Landschaften „romantisch“ seien.

Im Katalog zur Landschaftsausstellung in Hannover bezeichnete Ulrich Krempel die „romantischen Landschaften“ Richters als paradigmatisch für dessen Umgang mit den Traditionen der Malerei, ging jedoch nicht näher darauf ein.127 Dietmar Elger notierte im selben Katalog zwar den Mangel an kritischer Literatur, nahm selbst aber ebenfalls nicht verbindlich Stellung dazu; in seiner Richter-Biographie faßte Elger die wesentlichen Aspekte des Für und Wider im Vergleich erneut ohne detallierte Gegenüberstellung

124 „Verkündigung nach Titian“ 1973 (WV 343-1/2 und 344-1/3). Siehe Bätschmann in:

Ausst.Kat. G.R. Hannover 1998, S. 31.

125 Wedewer 1975 sieht die Gemeinsamkeiten in der atmosphärischen Dichte der Bilder.

126 Butin, in: Ausst.Kat. G.R. Essen 1994; ders., in: Ausst.Kat. Ernste Spiele München 1995;

ders., in: Ausst.Kat. G.R. Bonn 2004, S. 69ff. In dem Essener Katalog stellt auch Friese fest, die Bezüge zur Romantik seien viel komplexer und widersprüchlicher als formulierbare Ansprüche von Ähnlichkeit und Kontinuität, ohne sie zu spezifizieren: Peter Friese, Von der Kunst des Zuspätkommens, in: Gerhard Richter und die Romantik, Ausst.Kat. Kunstverein Ruhr Essen 1994, Essen 1994 (S. 31-44), S. 42-43.

127 Ulrich Krempel, Vorwort, in: Gerhard Richter. Landschaften, Ausst.Kat. Sprengel Museum Hannover 1998/99, hg. v. Dietmar Elger, Ostfildern-Ruit 1998, (S. 6-7), S. 6.

zusammen; an der Bezeichnung „romantisch“ im Zusammenhang mit den photorealistischen Landschaftsmotiven hielt er darin fest.128 Und auch Oskar Bätschmann bezeichnete – im Landschaftskatalog Hannover – neben der Nähe zu Kompositionsschemata des holländischen 17. Jahrhunderts deutlich den Rückgriff Richters auf die „offenen Landschaften“ von Friedrich, ohne dies näher zu spezifizieren.129

Astrid Kasper untersuchte die Landschaften Richters im Rahmen ihrer auf das Gesamtwerk bezogenen Dissertation auf der Basis von Butins Darlegungen, ohne dessen Argumentation wesentlich weiterzuführen; sie bezog ihren detaillierten Vergleich dabei nur auf die Panoramen.130

Im Katalog zur Retrospektive in New York 2002 brachte Robert Storr das Miß-Verhältnis zwar auf den Punkt, aber ebenfalls ohne konkrete Analyse und einzelne Bildvergleiche.131

Die in der Literatur angesprochene Tatsache, daß Richter durch seine künstlerische Ausbildung an der Kunstakademie in Dresden mit der Epoche der Romantik und Bildern Friedrichs vertraut wurde, liegt nahe; doch sollte man mit dieser Vermutung nicht dem Kurzschluß erliegen, daraus eine malerische, inhaltliche oder geistige Analogie der beiden Künstler abzulesen.132 Richters vielzitierter, provokativer Ausspruch auf die Frage nach der Entscheidung für die Landschaftsbilder: „Ich hatte Lust, etwas Schönes zu malen“133 wird gerne als Bestätigung einer Affinität zur Romantik gesehen, als sei „Schönheit“ ein alleiniges Kriterium romantischer Kunst.

128 Elger, in: Ausst.Kat. G.R. Hannover 1998, S. 12; Elger 2002, S. 216-221, 254-257, 343.

129 Bätschmann, in: Ausst.Kat. G.R. Hannover 1998, S. 28-31. Bätschmann spricht hierin sogar von Bildern Richters „nach Friedrich“ (S. 31) – gemeint ist das formale Schema einer 1801 auf Rügen entstandenen Zeichnung Friedrichs; dagegen bemerkt Wedewer zurecht, kein Bild Richters beziehe sich, wie etwa bei Peter Feldmann, unmittelbar auf ein Werk Friedrichs (Wedewer 1975, S. 48).

130 Kasper 2003, S. 79-91.

131 Robert Storr, Gerhard Richter. Malerei, in: Gerhard Richter. Malerei, The Museum of Modern Art, New York u.a. 2002, Ostfildern-Ruit 2002, (S. 7-89) S. 65.

132 Vgl. hierzu Bätschmann, in: Ausst.Kat. G.R. Hannover 1998, S. 28/30.

133 Interview mit Rolf Gunther Dienst 1970, in: Text S. 58f; in diesem Interview reagiert Richter nicht (also auch nicht ablehnend) auf die Wortwahl Diensts zur Farbe, die

„romantisch stimmungsvoll“ erscheine und „der Landschaft einen romantischen Appeal“

gebe, so als habe er die Anspielung auf das Romantische überhört oder wolle dazu nicht eindeutig Position beziehen.

Im allgemeinen äußert sich die Literatur also affirmativ, aber wenig spezifisch über den Bezug zwischen Richter und C.D. Friedrich und der Romantik, wenngleich die hier genannten Autoren durchaus einen Wandel von Funktion und Rezeption durch den veränderten kulturellen und gesellschaftlichen Kontext sehen und Differenzierungen deutlich machen.

Diesem Wandel und der Differenzierung von Richters angeblich

„romantischen“ Landschaftsbildern gegenüber der Epoche der Romantik soll im folgenden systematisch nachgegangen werden, eingedenk der Tatsache, daß die Epoche der Romantik und „das Romantische“, wie bereits in Kapitel I.2. erwähnt, in der Kunst und ihrer Rezeption der letzten Jahrzehnte eine Revision erfahren und neue Bedeutung erlangt hat.