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IV. Richters Landschaften im historischen Vergleich

IV.2. Gerhard Richter und die Romantik

IV.2.5. Ironie, Paradoxon und Fragment

Da Kunst als ein der Sprache analoges Ausdrucksmittel verstanden werden kann, und gerade um 1800 die „kommunikativen Fähigkeiten“ der Landschaft entdeckt wurden, ließ und läßt sich diese Kategorie der

„romantischen Ironie“ auch auf das Landschaftsbild anwenden.237 Wie Vaughan bemerkt, wurde bereits in der Romantik der Begriff der „Ironie“ in Bezug auf die Landschaftsbilder Carl Blechens gebraucht – allerdings nicht explizit auf das Werk C.D. Friedrichs;238 dennoch wußte Friedrich um die

„Ironie“ der Natur und Kunst, um den Widerspruch von äußerer Welt und innerer Erkenntnis239, die zu verbinden er in dem vielzitierten Ausspruch fordert: „Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht.“240 Selbst umgesetzt hat er diese Widersprüchlichkeit des Gegensätzlichen, die man auch als Dualismus oder Ambivalenz bezeichnen mag, in seinem eigenen Werk, in der Verbindung von Diesseitigem und Jenseitigem, Geistigem und Materiellem, Gegenwärtigem und Transzendentalem.241

Strohschneider-Kohrs, Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, Tübingen 1977, Hermaea, NF, Bd. 6; Beda Allemann, Ironie und Dichtung, Pfullingen (2)1969; Ernst Behler, Ironie und literarische Moderne, Paderborn u.a. 1997, S. 21-44; ders., Die Theorie der romantischen Ironie, in: ders., Studien zur Romantik und zur idealistischen Philosophie, Paderborn u.a. 1988, S. 46-65.

237 Vgl. hierzu William Vaughan, Landschaftsmalerei und die ‚Ironie der Natur‘, in: Ausst.Kat.

Ernste Spiele München 1995, (S. 563-569) S. 564 mit Bezug auf Muecke 1970, S. 6f., der die Ansicht vertritt, wohl könne Kunst ironisch sein, nicht aber eine Landschaft, weil diese nicht als Sprache funktioniere; entsprechend könne man keine ironische, wohl aber eine romantische Landschaft malen. Wie die Ausstellung „EiaPopeia – Eironeia“, Altdorf in der Schweiz im Mai/Juni 2001 anhand einer Reihe von „postmodernen“ Positionen der Ironie (wie dem Verstellen und Verkehren spezifischer Eigenschaften des künstlerischen Materials als Vortäuschung falscher Tatsachen, deren Entlarvung zu neuen Erkenntnissen führen soll) zu zeigen versuchte, ist Ironie inzwischen offensichtlich zu einer sichtbaren künstlerischen Haltung geworden.

238 G.K. Nagler, Neues Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. I (1853), S. 527: „Blechen zeigt die italienische Landschaft statt in ihrer Anmuth, vielmehr in ihrer Ironie.“ Zum Ironie-Begriff im Werk Blechens vgl. auch Vaughan, in: Ausst.Kat. Ernste Spiele München 1995, S. 566ff.

Dieser weist darauf hin, daß sich bei C.D.Friedrich eine verstärkte symbolische Entsprechung mit Einfluß von Schriftstellern und Theoretikern wie Ludwig Tieck, Novalis, Friedrich und August Wilhelm Schlegel oder Friedrich Wilhelm Joseph Schelling zeige (Vaughan, ibid., S. 564).

239 Götze 2001, S. 198, 352 Anm. 18.

240 In: Hinz 1974, S. 125; ibidem S. 219: Gotthilf Heinrich Schubert (der Schelling nahestehende „Naturphilosoph“, der großer Anteilnahme an Werk und Person Friedrichs zeigte) sehe die Fähigkeit, „ironische“ Kontraste der Natur wahrzunehmen, nur bei geistig inspirierten Menschen wie dem Künstler.

241 Vgl. zum Beispiel den „Mönch am Meer“, wo die weite Leere des Himmels die Unendlichkeit anzeigt, während scharf davon abgetrennt der diesseitige Vordergrund liegt.

Neben der literarischen Anwendung von Ironie und Paradoxon ist für deren Entwicklung in der Romantik vor allem die philosophische Diskussion des „Ironie“-Begriffs ausschlaggebend, die unter anderem Begriffspaare wie das „Schöne“ und das „Erhabene“, das „Häßliche“ und das „Komische“, das

„Reale“ und das „Ideale“, das „Absolute“ und das „Fragmentarische“ sowie deren Darstellung in der Kunst beinhaltete.242

Einer der für den Bedeutungsgewinn des „Ironie“-Begriffs und seiner Anwendung wichtigsten romantischen Philosophen war Friedrich Schlegel.

Dieser bezeichnete die Ironie als die „Form des Paradoxen“243 insofern, als er sie zunächst im antiken Sinne als Potenzierung eines Gedankens durch die Vergegenwärtigung seines Gegenteils verstand.244 Vor allem aber beinhaltet die Ironie für Schlegel die Dichotomie von Zeichen und Bezeichnetem; das heißt im Zusammenhang mit Philosophie und Poetik die Inkongruenz von „Geist“ und „Buchstabe“, was für unsere Untersuchung, übertragen auf die bildenden Kunst, die Inkongruenz von sichtbarer Wirklichkeit und ihrem (fragmentarischen, weil ausschnitthaften, photographischen oder malerischen) Abbild meint.245 In seinen Thesen verband Schlegel die rhetorische Herkunft des Wortes Ironie mit dem Bewußtsein des Künstlers um seine eigene „paradoxe“ Situation, den „Geist“

oder die „Wirklichkeit“ zu meinen, aber letztlich nicht erfassen zu können.246

242 Ferdinand Wagener, Die romantische und die dialektische Ironie, Arnsberg/Westfalen 1931. Rüdiger Bubner, Zur dialektischen Bedeutung der romantischen Ironie, in: Die Aktualität der Frühromantik, hg. v. Ernst Behler und Jochen Hörisch, Paderborn u.a. 1987, S.

85-95. Guido Naschert, Friedrich Schlegel über Wechselerweis und Ironie, in: Anthenäum.

Jahrbuch für Romantik 6.1996, S. 47-90 [Teil I] und 7.1997, S. 11-36 [Teil II].

243 Kritische Friedrich Schlegel Ausgabe (KFSA), hg. v. Ernst Behler, Bd. 1ff., München, Paderborn, Wien, Zürich 1963ff., Bd. 2, S. 153, Nr. 48, bzw. Bd. 16, S. 174, Nr. 1078.

244 Nach Schlegel ist Ironie die Synthesis von Antithesen – „der stete sich selbst erzeugende Wechsel zweier streitender Gedanken“ (Fragmente Nr. 121) – jede eingenommene Position fordert demnach die Behauptung bzw. Darstellung ihres Gegenteils; siehe Schmidt 2001, S.

222f., mit Verweis auf Luhmann und Fuchs, Reden und Schweigen, Frankfurt/M. 1989, S. 8.

Schmidt setzt gar die Widersprüchlichkeit ironischer, paradoxer Äußerungen in Analogie zu den Kommunikationsformen schizophrener Personen (S. 296ff.).

245 So spricht Schlegel im Lyceums-Fragment von dem „unauflöslichen Widerstreit des Unbedingten und Bedingten, der Unmöglichkeit und Notwendigkeit einer vollständigen Mittelung“ als Dilemma des fragmentarischen Verfahrens. Siehe KFSA Bd. 2, S. 60, Nr. 108, sowie Götze 2001, S. 196, 380-381.

246 Bereits Schiller sah eine prinzipielle Unerreichbarkeit des Ideals, und daß nur eine unendliche Annäherung daran möglich sei (Über naive und sentimentalische Dichtung (1795/96), in: Friedrich Schiller, Werke in drei Bänden, hg. v. Herbert Göpfert, unter Mitwirkung von Gerhard Fricke, Darmstadt 1984, Bd. II, (S. 540-606) S. 541); die romantische Ironie, in der sich der hoffnungsvolle Wille auf Erreichbarkeit des Ideals und das

Die romantische Ironie wäre demnach auch eine Form der Reflexion, der

„das Wissen um die eigene Negativität“ oder Unzulänglichkeit implizit ist.247 In der kritischen Selbstreflexion um das unmögliche Erreichen eines Ideals entwickelt sich eine der Ironie implizite „Utopie“, in der die „Gegenwart vom Standpunkt einer vorweggenommenen Zukunft [idealisiert] betrachtet wird“;

diese „Projektion der Nostalgie in die Zukunft“ bleibt jedoch eine philosophische Konstruktion.248

Ein weiteres Element, das die romantische (literarische und philosophische) Darstellungsform charakterisiert, ist das Fragment249: Zunächst wurde das Subjekt selbst als fragmentiert betrachtet, da es sich aus dem Absoluten oder der Totalität, aus dem Einssein mit der Natur gelöst hatte. Das Wissen um diesen Verlust der Einheit und der gleichzeitige Rückbezug auf das Verlorene beschreibt wiederum ein Paradoxon.250 Selbst Fragment, vermag sich das Subjekt nur in Fragmenten über die Totalität zu äußern bzw. diese darzustellen. Das Fragment vermittelt die eigene Unabgeschlossenheit und fordert dazu auf, „weitergedacht, ergänzt, auf andere Perspektiven und Ansätze hin überschritten zu werden.“251 Das (literarische und philosophische) Fragment ist zugleich Teil und Gegenteil des Absoluten und damit Paradoxon als Form der Ironie.252

Schlegels Thesen spiegeln die als zutiefst zwiespältig bezeichnete Kunst der Romantik: „Sie war in sich durch und durch sinnhaft und zugleich ohne

Wissen um die eigene Unzulänglichkeit und das notwendige Scheitern vereinen, sei eine Folge davon, so Schmidt 2001, S. 208.

247 Götze 2001, S. 157; zur Reflexion als Teil der Ironie siehe auch Schmidt 2001, S. 211, 216: „Ironie bedeutet, bereits auf die Tatsache zu reflektieren, daß man ein reflektierendes [...] Subjekt ist.“ – Diese Spaltung des Subjekts und seine daraus resultierende Reflexion sind, wie bereits gezeigt, Voraussetzung für das Landschaftssehen.

248 Schmidt 2001, S. 210, 215.

249 Siehe hierzu Waldemar Fromm, Geheimnis der Entzweyung. Zur Ästhetik des Fragments in der Frühromantik, in: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte 94.2000, S. 125-147;

Franz Norbert Mennemeier, Fragment und Ironie beim jungen Friedrich Schlegel. Versuch der Konstruktion einer nicht geschriebenen Theorie, in: Romantikforschung seit 1945, hg. v.

Klaus Peter, Königstein/Ts. 1980, S. 229-250; Eberhard Ostermann, Das Fragment.

Geschichte einer ästhetischen Idee, München 1991 (bes. S. 101-132).

250 Der Begriff des „Absoluten“ wird im Laufe der Frühromantik durch den Begriff der

„Totalität“ abgelöst, so Götze 2001, S. 193; auch S. 158ff., wo Götze Hölderlins Anteil an der romantischen Auffassung der Ironie analysiert.

251 Götze 2001, S. 184, unter Hinweis auf Schlegels Lyceums-Fragment und Novalis’

Blüthenstaub-Fragment. Schlegel bezeichnet das Fragment als „eigentümliche, spezifische Form des menschlichen Bewußtseins“ (KFSA Bd. 12, S. 392).

252 Schmidt 2001, S. 211, 220.