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IV. Richters Landschaften im historischen Vergleich

IV.2. Gerhard Richter und die Romantik

IV.2.4. Gerhard Richter und Caspar David Friedrich im Vergleich

IV.2.4.1. Panoramalandschaften

theoretisch) fordert, an Stelle des obsolet gewordenen Priesters treten läßt.168

Wie schon die Titel angeben, zeigen beide Gemälde eine Abendstimmung; bei beiden handelt es sich um ein Panorama, dessen Horizont unterhalb der Bildmitte liegt, und bei beiden ist die obere Hälfte des Bildes als einheitliche, unstrukturierte Farbfläche gehalten, während die untere Hälfte eine sanfte Hügellandschaft darstellt. Bei Friedrich stehen in der linken Bildhälfte zwei Figuren, bei Richter befindet sich in der rechten unteren Ecke eine sitzende Figur. Soweit die Ähnlichkeiten.

Friedrichs Abendlandschaft ist in dunkle Brauntöne getaucht, die untergehende Sonne bricht als warme, orange-gelbe Lichtquelle durch die horizontalen Wolkenbahnen, denen unterhalb des Horizonts quergelagerte Landzungen in helleren Wasserstreifen entsprechen. Die zwei Männer – in altdeutscher Tracht174 – sind vom Betrachter abgewandt. Die altdeutsche Tracht als Symbol für Friedrichs patriotische (und enttäuschte) Hoffnungen auf ein freies und selbständiges Deutschland verweist auf eine „politische“

Ebene der Bildaussage. Doch trotz der patriotischen Deutbarkeit des Bildes rufen die beiden Männer nicht zu einem „kollektiven und revolutionären Handeln“ auf.175 Wie fast alle Figuren in Friedrichs Bildern verhalten sie sich ruhig, kontemplativ, scheinbar andächtig versunken in die Betrachtung der Natur. Die eher karge Abendlandschaft wird zur „Andachtslandschaft“, kein weiteres Attribut wie Bäume oder Ruinen stören die meditative Stille, in die auch der Betrachter eingebunden wird über die Vermittlung der Rückenfiguren. Die beiden Figuren sind es auch, die das horizontal gestaffelte Bild vertikal durchschneiden beziehungsweise die untere Bildhälfte mit der oberen verklammern. Stehen die Männer mit den Füßen (dem Materiellen) noch auf einem steinigen Weg (dem Diesseitigen), der von der linken unteren Ecke diagonal in die Bildmitte führt, so befinden sich ihre Köpfe (das Geistige) bereits in der Lichtzone „jenseits“ des Horizonts (dem Transzendenten). Dies wäre eine zweite, „religiöse“ Bedeutungsebene des Bildes. Und es öffnet sich eine weitere inhaltliche Ebene, die der „Privatheit“

174 Hofmann 2000, S. 85ff: „Die machen demagogische Umtriebe“ als Zitat von Peter von Cornelius zu Friedrichs Bild „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“, die ebenfalls, wie wie auch eine Figur in den „Kreidefelsen auf Rügen“ und zahlreichen anderen Bildern Friedrichs, altdeutsche Kleidung tragen; einige der „fanatischen Patrioten“, die als Demagogen verfolgt wurden, zählten zu Friedrichs engeren Freunden, siehe Jensen 1995, S. 129.

175 Hofmann 2000, S. 12, bezieht sich auf den „Wanderer überm Nebelmeer“, ist aber auch hier gültig.

in der Anschauung vor der Natur:176 Es sind wiederum die beiden Figuren, die in ihrer Rückenansicht auf ihre Einsamkeit in der Betrachtung der Natur und zugleich auf ihre freundschaftliche Verbundenheit verweisen, die es ihnen ermöglicht, dieses „erhebende“ Schauspiel des Sonnenuntergangs miteinander zu teilen.177

Richters Abendlandschaft dagegen wird nicht von symbolträchtigen Figuren beherrscht. Die untere Bildhälfte teilt sich in eine dunklere rot-braune Zone einer tiefengestaffelten Landschaft und eine bräunlich-violette Wolkenschicht, beide – ähnlich wie bei Friedrich – im wesentlichen horizontal gelagert. Die eigentliche Lichtquelle ist nicht auszumachen, das gesamte Bild ist – im Gegensatz zu Friedrichs scharf konturiert gezeichnetem Vordergrund – von einer dunstigen „Unschärfe“ überzogen, die den Blick des Betrachters nicht – wie bei Friedrich die Haltung der Männer und die Sonne – auf ein Ziel lenkt, sondern ihn haltlos über die Bildfläche gleiten läßt. Die Figur am Bildrand ist in der Weite der Landschaft nur schwer auszumachen. In ihrer diffusen Gestalt kann sie kaum Symbolgehalt vermitteln, auch wenn ihre Gegenwart, untypisch für Richters Landschaften und damit wiederum auffällig, an die Figuren in einer romantischen Landschaft erinnern mag.

Doch im Gegensatz zu den Rückenfiguren Caspar David Friedrichs wendet sich diese nicht der offenen Landschaft zu, an der sie ihr Empfinden nähren oder in deren kontemplativer Betrachtung sie sich erhöhen könnte, sondern sitzt in Gedanken versunken da, ganz in sich gekehrt, etwas müde den Kopf in die eine Hand gestützt, die andere kraftlos herabhängend. Die Haltung erinnert eher an den „Denker“ von Rodin und wäre damit ein ironischer Verweis auf historische Positionen außerhalb der Romantik.178

Die „Große Teyde-Landschaft (mit 2 Figuren)“179 [Abb. 14] von Gerhard Richter zeigt eine ähnliche Situation wie die „Abendlandschaft“: Die

176 Siehe die Deutung der Themen „Protestantismus“, „Patriotismus“ und „Privatheit“ in Friedrichs Bildern durch Hofmann 2000, besonders S. 85-130, 135, 250.

177 Zur Rückenfigur, als Paar, siehe Hofmann 2000, S. 85-133. Richters Arbeit „Zwei Skulpturen für einen Raum von Palermo“ läßt sich auch als eine (gleichwohl gebrochene) Reminiszens des romantischen Freundschaftsbildes deuten. Siehe Benjamin H. D. Buchloh, Geteiltes Gedächtnis: Zwei Skulpturen für einen Raum von Palermo, in: Ausst.Kat. G.R.

KAH 1993, (S. 7-78) S. 29-36, und Günter Metken, Uns trägt kein Volk, in: Ernst Spiele. Der Geist der Romantik in der deutschen Kunst 1790-1990, Ausst.Kat. Haus der Kunst München 1995, hg. v. Christoph Vitali, Stuttgart 1995, (S. 446-453) S. 451f.

178 Es gibt keine Hinweise, daß sich Richter mit dieser Figur tatsächlich auf Rodin bezieht.

179 (WV 284) 1971, Öl auf Leinwand, 200 x 300 cm.

obere Bildhälfte ist fast einheitlich in bläulichem Weiß gehalten, die untere in erdigen Rotbrauntönen, in denen sich nur schemenhaft Differenzierungen von zwei hintereinanderliegenden Hügelketten erkennen lassen, von denen die vordere zum Teil bewaldet scheint. Als einzigen Bezugspunkt zur scheinbaren Unendlichkeit der Landschaft entdeckt man auf dem „freien“

Gelände links zwei kleine Gestalten. Sie sind als Figuren kaum wahrnehmbar, zwei Strichen oder Flecken gleich, durch die Unschärfe der Konturen in die gesamte Landschaft integriert, als wäre es Richters verstellende Absicht, malerisch gerade nicht auf die Figuren aufmerksam zu machen, die er im Titel explizit benennt. Auch hier können die Figuren keine symbolischen Assoziationen wachrufen, wie sie das bei Caspar David Friedrich tun. Das für Richter typische Verwischen der Konturen verhindert eine auf Symbolik bauende Anteilnahme an dem Motiv, wie sie in der Romantik gerade gewollt wäre.

Noch extremer verhält sich diese ‚Unzugänglichkeit‘ in der „Teyde-Landschaft“180 [Abb. 13], in der sich die „Landschaft“ selbst nicht mehr erkennen läßt; man unterschiedet nicht mehr, ob es sich um eine Gebirgslandschaft aus der Vogelperspektive oder um die Sicht auf ein Waldstück handelt, das zum Teil von dunklen Wolken überschattet ist. Die Landschaft ist nur noch auszumachen an dem, was das vorgebildete Auge als Horizontstreifen ausmacht. Auch fehlen hier die Figuren, die als Maßangabe und perspektivische Richtlinie hätten fungieren können, ganz.

Richter entzieht dem Betrachter das Motiv in seiner Eindeutigkeit als Landschaft und führt es durch seine „Unschärfe“ an den Rand der Abstraktion – darin kommt er einem Maler wie Turner näher als Friedrich.181

Darüber hinaus führt Richter in seinen Teyde-Landschaften die Camouflage zu einem Höhepunkt. Der Betrachter meint in diesen Bildern gemäß ihrer Titel eine panoramaartige Landschaft zu erkennen, die Richter nach einem Photo „objektiv“, also unverändert in Malerei übertragen habe.

180 (WV 283-1) 1971, Öl auf Leinwand, 120 x 180 cm.

181 Turner hat seine Landschaften im lichtdurchfluteten Dunstschleier zu einer

„vorimpressionistischen“ Farbabstraktion geführt, in der das Gegenständliche nur schemenhaft zu erfassen ist. Im Gegensatz zu Richter ging es Turner allerdings um die Faszination des technischen Fortschritts in Verbindung mit der Rätselhaftigkeit der Naturkräfte, die er in verfremdeter Farbigkeit darzustellen suchte, während Richter in seinen Landschaften weder den technischen Fortschritt noch das Farbspektakel der Natur thematisiert. Zu Turner siehe oben Kapitel IV.1.3., sowie Wedewer 1978, S. 57.

Doch sind diese „Panoramalandschaften“ nach Nahaufnahmen von Grasbüscheln gemalt, die Richter auf extreme Dimensionen vergrößert.182 Nur in der nebulösen Uneindeutigkeit des Malerischen funktioniert die Suggestion von einer weiten „erhabenen“ Landschaft und erzeugt eine

„romantische“ Stimmung, die im Zwiespalt der Wahrnehmung gleich wieder aufgehoben wird.