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IV. Richters Landschaften im historischen Vergleich

IV.2. Gerhard Richter und die Romantik

IV.2.2. Richter über Richter und die Romantik

Im allgemeinen äußert sich die Literatur also affirmativ, aber wenig spezifisch über den Bezug zwischen Richter und C.D. Friedrich und der Romantik, wenngleich die hier genannten Autoren durchaus einen Wandel von Funktion und Rezeption durch den veränderten kulturellen und gesellschaftlichen Kontext sehen und Differenzierungen deutlich machen.

Diesem Wandel und der Differenzierung von Richters angeblich

„romantischen“ Landschaftsbildern gegenüber der Epoche der Romantik soll im folgenden systematisch nachgegangen werden, eingedenk der Tatsache, daß die Epoche der Romantik und „das Romantische“, wie bereits in Kapitel I.2. erwähnt, in der Kunst und ihrer Rezeption der letzten Jahrzehnte eine Revision erfahren und neue Bedeutung erlangt hat.

uneindeutig, könnte es doch ebenso auf den Begriff des „Neuromantikers“

wie auf das „bewußte“ Malen zielen; einen konkreten Bezug zu romantischen Vorbildern schließt Richter hiermit jedoch aus.

Andererseits bestätigte Richter in anderen Interviews oder eigenen Notizen durchaus eine Affinität zum Romantischen. Nach dem ausschlaggebenden Moment beim Erstellen eines Photos oder Bildes befragt, entgegnete Richter zum Beispiel: „Ich bin auch mal extra nach Grönland gefahren, weil C.D. Friedrich dieses schöne Bild der gescheiterten Hoffnung gemalt hatte“.136 Diese Bemerkung suggeriert, Richter bewege sich sowohl bildlich als auch biographisch auf den Spuren C.D. Friedrichs, da es heißt, Friedrich habe Pläne zu einer Reise in den Norden gehabt.137 Es mag sich im Vergleich von Caspar David Friedrich und Gerhard Richter anbieten, das beiderseitige Interesse für vom Eis geprägte Landschaften als Seelenverwandtschaft zu interpretieren, doch sei hier Vorsicht geboten:

Jensen bemerkt zu Friedrichs „Reiseplan“ kritisch, daß dieser nur durch einen Kommentar aus zweiter Hand überliefert sei, der sich darüberhinaus durch Nichts in den Quellen belegen lasse und möglicherweise von Friedrich nur zur Irritation seines Gesprächspartners vorgebracht worden sei.138 Der Versuch der Irritation könnte hier auch für Richter gelten, der auch ohne kunsthistorische Legitimation ein Interesse an einem Land wie Grönland entwickelt haben mag. Im Gegensatz zu Friedrich, der sich der Italienbegeisterung seiner Zeitgenossen verweigerte und den Hinweis auf die Islandreise möglicherweise auch gab, um seine „Antihaltung“ gegenüber der

„Italiensehnsucht“ zu demonstrieren, bereiste Richter zahlreiche Länder unterschiedlichster klimatischer und kultureller Prägung. Daher sollten diese augenscheinlichen Parallelen nicht überbewertet werden.

Sollte dieses romantische Bild von der „Hoffnung“ (das Friedrich nach Skizzen von Eisschollen auf der Elbe und nicht nach der unmittelbaren Sicht auf isländisches Packeis malte)139 tatsächlich ursächlicher Anlaß für Richters

136 Interview mit Hans-Ulrich Obrist 1993, in: Text S. 257.

137 Jensen 1995, S. 149: die „Reise“ sei 1811 „geplant“ gewesen; dabei handelte es sich allerdings um eine Islandreise.

138 Jensen 1995, S. 149.

139 Jensen 1995, S. 145, 203; Hofmann 2000, S. 199. Diese Technik, aus einem eng fokussierten, mikrokosmischen Landschaftsausschnitt eine weite, makrokosmische Landschaft zu entwickeln, wendet Richter in seiner „großen Teyde-Landschaft“ an.

Reise gewesen sein, wie es noch in Richters Biographie bestätigt wird,140 so ist doch – wie er selbst in diesem Zitat unterstreicht (und wie unten zu belegen sein wird) – das bildnerische Ergebnis dieser Reise ein entschieden anderes. Das Ziel der Grönlandreise, sich dem zu nähern, was Friedrichs Gemälde evoziert, ist nicht erreicht: „.. Ich habe dort Hunderte von Photos gemacht, und es ist fast kein Bild daraus entstanden, es ging nicht.“141 Der Versuch des historischen Rückgriffs, sollte er tatsächlich bewußt und unmittelbar erfolgt sein, ist (auch aus Richters Sicht) gescheitert.

Den Begriff des „Romantischen“ im Bezug auf seine Bilder förderte Richter durch eigene Aussagen wie in dem Interview mit Benjamin H.D.

Buchloh 1986: „[...] zu der Zeit malte ich auch romantische Landschaften.“142 Nachdem Richter 1974 davon sprach, mit seinen Landschaftsbildern einen Traum zurückholen oder prüfen zu wollen143 – was zwei unterschiedliche Dinge sind – oder 1981 notierte, daß seine Landschaften und Stilleben seine Sehnsucht zeigten144, relativierte er zugleich die „romantischen“ Begriffe von Traum und Sehnsucht, indem er (ebenfalls 1974) darauf verwies, daß „wir ja nicht naiv sind“145. Richter ist sich des Unzeitgemäßen der Vergangenheit

140 Elger 2002, S. 254; da Elger und Richter ein freundschaftliches Verhältnis verbindet und Richter die ihn betreffenden Publikationen nach Möglichkeit redigiert, ist davon auszugehen, daß er diese Aussage selbst weiterhin bejaht.

141 Interview mit Hans-Ulrich Obrist 1993, in: Text S. 257; vgl. auch Richters „Eis“-Bilder (WV 476; 496/1-2), die im Landschaftskatalog, den Dietmar Elger in Zusammenarbeit mit Richter erstellte, nicht vorkommen, für Richter also offenbar keine wichtige Landschaftsposition darstellen.

142 Interview mit Benjamin H.D. Buchloh 1986, in: Text S. 133 – gemeint sind die ersten Landschaften nach eigenen photographischen Vorlagen ab 1968.

143 „Es geht mir auch ein bißchen darum, einen Traum zurückzuholen oder zu prüfen. Was immer sehr eigenartig ausgeht, weil wir ja nicht naiv sind.“ Interview mit Gislind Nabakowski, in: heute Kunst Nr. 7, Juli/August 1974, S. 3-5.

144 „Wenn die ‚Abstrakten Bilder‘ meine Realität zeigen, dann zeigen die Landschaften oder Stilleben meine Sehnsucht. Das ist natürlich grob vereinfachend, einseitig gesagt – aber obwohl diese Bilder vom Traum nach klassischer Ordnung und heiler Welt, also durchaus nostalgisch motiviert sind, bekommt das Unzeitgemäße darin eine subversive und aktuelle Qualität.“ Notizen 1981, in: Text S. 89-91. Die Bilder Richters seien, wenn auch nicht ungetrübt, von nostalgischer Sehnsucht nach privater unbeschwerter Naturerfahrung geprägt, so Butin, in: Ausst.Kat. G.R. Essen 1994, Anm. 25.

145 Nabakowski 1974, S. 5. Siehe auch das Zitat Richters nach Grüterich, 1975, S. 60: „Ich hätte nicht dagegen, meine Landschaftswahrnehmung als Nostalgie zu bezeichnen. Doch ist das nur ein ungenauer Begriff; er meint rückgreifende Sehnsucht nach dem Verlorenen, und das ist unsinnig. Wie sollte ich zurückgreifen, wenn etwas gegenwärtig ist ... Verlorenes kann nicht verfügbar sein – und wenn es verfügbar ist und wahrnehmbar, dann ist es nicht verloren.“ Hier äußert Richter seine bewußte kritisch-distanzierte Haltung gegenüber den Begriffen der Romantik.

und einer „heilen Ordnung“ bewußt, und ihm ist klar, daß eine unreflektierte Restitution historischer Verhältnisse nicht möglich ist.

Auf die Bemerkung Buchlohs in einem Interview 1986, Richters Abstrakte Bilder hätten eine „Qualität von Besinnung auf das, was möglich war, und zwar in dem Moment, wo man es nicht mehr gebrauchen kann“ und daß wohl „manche Betrachter denken, daß Du [Richter] noch ernsthaft praktizierst, was einst möglich war“, antwortete dieser: „Das würde eher für die Landschaften und einige Photobilder zutreffen, die ich manchmal als

‚Kuckuckseier‘ bezeichnet habe, weil sie von den Leuten als etwas genommen werden, was sie gar nicht sind. ...“146. Die scheinbare Rückbesinnung auf Vergangenes, unter anderem „Romantisches“, die die Rezeption in den achtziger Jahren noch fast vorbehaltlos in Richters Landschaften sah, liegt folglich nicht in den Bildern selbst oder zumindest nicht allein in diesen, sondern vor allem im Betrachter.

Im gleichen Jahr notierte Richter: „Meine Landschaften sind ja nicht nur schön oder nostalgisch, romantisch oder klassisch anmutend wie verlorene Paradiese, sondern vor allem >verlogen< (wenn ich auch nicht immer die Mittel fand, gerade das zu zeigen), und mit >verlogen< meine ich die Verklärung, mit der wir die Natur ansehen, [...] Jede Schönheit, die wir in der Landschaft sehen, [...] ist unsere Projektion, die wir auch abschalten können, um im selben Moment nur noch die erschreckende Gräßlichkeit und Häßlichkeit zu sehen. Die Natur ist so unmenschlich [...].“147

In dieser Notiz, die als Schlüssel für Richters Verhältnis zu einer als ambivalent begriffenen Landschaft dienen kann, weist er darauf hin, daß seine Landschaftsbilder zwar gewisse romantische Tendenzen aufweisen mögen, sie jedoch – einem Kuckucksei gleich – einen anderen Wesenskern enthalten, als es zunächst und äußerlich den Anschein hat. Hinter dem

„schönen“ äußeren Schein verbirgt sich mehr oder zumindest anderes als eine nostalgisch-verklärte, romantische oder klassische Vorstellung von einer

„paradiesischen“ Natur oder einer „idyllischen“ Landschaft.

146 Interview mit Benjamin H.D. Buchloh 1986, in: Text S. 153; siehe Kapitel III.2.6. und VI.

147 Notizen 1986, 18.2.1986, in: Text S. 115. Wilfried Wigand zitiert Standhal, der zwei Typen von Kunst definiert: die häßliche aber wahre und die schöne und verlogene (FAZ 11.06.01 zur Ausstellung „Paysage d’Italie“ im Grand Palais in Paris).

Richter äußerte sich weiterhin scheinbar widersprüchlich, zugleich affirmativ und kritisch differenziert über sein Verhältnis zu historischen Vorbildern wie der Romantik: So sieht er sich einerseits „als Erben einer ungeheuren, großen, reichen Kultur der Malerei, der Kunst überhaupt, die wir verloren haben, die uns aber verpflichtet.“148 Er bestätigte dieses Eingebundensein in die kunsthistorische Tradition in einem Brief 1973: „Ein Bild von Caspar David Friedrich ist nicht vorbei, vorbei sind nur einige Umstände, die es entstehen ließen, zum Beispiel bestimmte Ideologien;

darüber hinaus, wenn es ‚gut‘ ist, betrifft es uns, überideologisch, als Kunst, [...]. Man kann also ‚heute‘ wie C.D. Friedrich malen“149 und wiederholte 1977: „So gesehen ist der Bildgegenstand [...] bei den ‚Landschaften‘ – Rückblick, es hat sich nichts geändert [...]“150. Schließlich machte Richter deutlich, daß die Romantik „noch immer Teil unserer Sensibilität“ und folglich aktuell sei.151

Zugleich revidierte Richter aber, er sehe „keinen Sinn, alte verlorene Möglichkeiten der Malerei vorzuführen. Mir geht es [...] um neue Möglichkeiten“152 und ihm fehle „die geistige Grundlage, die die romantische Malerei unterstützte“153. Es wird deutlich, daß Richter sich zwar zu seiner Nähe zu kunsthistorischen, darunter romantischen „Verpflichtungen“

bekennt, daß es ihm aber nicht darum geht, diese vorbehaltlos, „naiv“ zu übernehmen und fortzuführen, sondern daß er die historischen Errungenschaften der Malerei, das „Erbe“ in die Gegebenheiten der Gegenwart und deren Anforderungen transponieren will.

Richters Aussagen zu seinem Verhältnis zur Romantik erscheinen in der Gesamtschau von etwa dreißig Jahren widersprüchlich und irreführend und in ihrer Kürze bisweilen provokativ – sie werden zu der „vorwurfsvollen“

148 Interview mit Benjamin H.D. Buchloh 1986, in: Text S. 137; Richter bestätigt hierin Beaucamps zu Beginn des Kapitels zitierte Aussage.

149 Brief an Jean-Christophe Ammann, Februar 1973, in: Text S. 74.

150 Aus einem Brief an Benjamin H.D. Buchloh, 23.05.1977, in: Text S. 80.

151 Siehe Irmeline Lebeer, Gerhard Richter ou la réalité de l’image, in: Chronique de l’Art Vivant, Nr. 36, Februar 1973, (S. 13-16) S. 16. Mit der Aktualität der Romantik-Diskussion hat Richter insofern Recht, als mit Rosenblum 1961 ebendiese umfassend in Kunsttheorie und -praxis in Gang gesetzt wird – siehe Bätschmann, in: Ausst.Kat. G.R. Hannover 1998, S.

28ff.

152 Interview mit Benjamin H.D. Buchloh 1986, in: Text S. 153; abschließend betont Richter in diesem Interview: „Keine Paradiese.“ (ibid. S. 155).

153 Siehe Lebeer 1973, S. 16.

Haltung der Kritik und der Literatur beigetragen und diese stimuliert haben –, doch zeigen sie symptomatisch seine ambivalente Haltung im Umgang mit historischen Positionen der Malerei, die Richters respektiert und aufgreift und zu neuen gegenwartsbezogenen Möglichkeiten umformuliert.

Für das vorliegende Kapitel stellt sich die Frage, worin die Analogien und die Unterschiede der Landschaftsbilder Richters zu Bildlösungen der romantischen Epoche bestehen, was Richter im Vergleich zu Caspar David Friedrich für die Landschaftsmalerei leistet, und inwiefern das für die Bewertung seiner Landschaften relevant ist.