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Die Struktur der heutigen Sozialarbeit ist ohne das Recht nicht fassbar, wobei der genaue Inhalt sehr stark von der jeweiligen Sicht beeinflusst wird. Das Recht kann daher sowohl als Bremse oder Werkzeug wie auch als Allheilmittel erscheinen.

6.2.1 DER WERT DES RECHTS ALLGEMEIN

In den Augen des betroffenen Bürgers verhilft das Recht diesem zur Realisierung seiner Ansprüche durch seinen materiellen Inhalt. Weiter gewährt es durch seine Begrenzungen die Möglichkeit, sein Leben in-nerhalb dieser Grenzen einzurichten und zu verankern. In diesem Be-reich ist das Recht auch für die Gestaltung der sozialen Arbeit unver-zichtbar, wie sehr deutlich aus den Art. 20 I und 28 I GG hervorgeht.

Dabei ist „sozial“ eine vom Verfassungsgeber gewählte Wertbezeichnung für die Sozialordnung.425 Diese Sozialstaatsklausel bestimmt jedoch nur das Ziel, nicht den Weg, zur Erreichung der angestrebten Gesell-schaftsordnung.

6.2.2 DAS RECHT IN SEINEN GRENZEN

Die Blickwinkel von Recht und Sozialarbeit treffen ergänzend aufein-ander und nicht, wie früher in weiten Kreisen angenommen, fast zwangsweise in offener Gegnerschaft. Seither wird der Bereich der rechtswissenschaftlichen und sozialwirtschaftlichen Disziplinen von ihnen erleuchtet. Berührungsängste zwischen beiden, organisatorisch nicht von Anfang an für gemeinsame Arbeiten prädestiniert, kommen immer seltener zum Tragen. Die Rechtsordnung mit ihren vielfältigen und überall angesiedelten Normierungen schottet sich in mehr oder weniger deutlich ausgeprägten Grenzen ab.

6.2.3 DAS VERHÄLTNIS DES RECHTS ALS FUNKTION IM SOZIALEN HILFSPROZESS

„Die Sozialarbeit in der Strafrechtspflege erfordert eine Vielfalt metho-discher Interventionsmöglichkeiten, um – unter Berücksichtigung der Fähigkeiten des Sozialarbeiters – sowohl dem Resozialisierungsauftrag des Staates als auch den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Klienten annähernd gerecht werden zu können (...). Sozialarbeit ist in vielfältiger Weise in die Rechts- und Sozialordnung eingebunden. Die Rechtsdo-zenten an den Fachhochschulen für Sozialwesen sollten daher das notwendige Rechtswissen und den Umgang mit den ermächtigenden und begrenzenden Rechtsnormen als das didaktische Ziel ihrer Lehrtätigkeit

421 Vgl. Felker S. 41.

422 So gründete Alice von Salomon 1908 in Berlin die erste soziale Frauenschule.

423 Siehe dazu die staatliche Anerkennung des Berufes der „Wohlfahrtspflegerin“.

424 Siehe dazu: Max Weber : Wirtschaft und Gesellschaft; 1. Halbband, 5. Auflage ,Tübingen 1972 + Wirtschaft und Ge-sellschaft. 5. Auflage Tübingen 1980.

425 Siehe BVerfGE 1, 97/105.

begreifen.“426 Der Bürger hat gegen den Staat einen Anspruch auf Ge-währleistung der sozialen Gerechtigkeit und Sicherheit. Grundlage die- ses vom Staat zu garantierenden Sozialauftrags und somit der sozialen Arbeit ist das Sozialstaatsprinzip, wie es in den Art. 20 I und 28 I S. 1des GG als „Sozialer Bundesstaat“ bzw. als „Sozialer Rechtsstaat“ umrissen ist. Zwar findet sich das in erster Linie als an den Staat gerichtetes Gestaltungsgebot nicht im Grundrechtskatalog, wohl aber in der von dem Änderungsverbot des Art. 20 III GG geschützten wertbezogenen Rechtsgüterordnung und bindet insoweit alle Träger öffentlicher Gewalt.

Dabei ist seine Funktion weniger auf die Änderung bzw. Begrenzung bestehender Rechtspositionen gerichtet, obwohl das BVerfG die Steu-erfreiheit des Existenzminimums mit Art. 1 I GG i. V. mit dem Sozial-staatsprinzip begründet hat.427 Daraus folgt, dass der Grundsatz vom sozialen Rechtsstaat nicht lediglich einen Programmsatz, sondern einen unmittelbar Recht setzenden Verfassungsauftrag darstellt. Das BVerfG hat mehrfach darauf hingewiesen,428 dass der Staat verpflichtet ist, dafür zu sorgen, dass die gesellschaftliche und wirtschaftliche Wirk-lichkeit so im Sinne sozialer Gerechtigkeit ausgerichtet (gestaltet oder korrigiert) wird, um unangemessene Wohlstandsdifferenzen in ihren Abhängigkeiten zu bereinigen. Daher ist dieses Sozialstaatsprinzip u. a.

die Grundlage für den Rechtsanspruch des Verurteilten gegen die Voll-zugsbehörde429 auf Gewährung sozialer Hilfe gem. den Prinzipien der Individualität und der Hilfe zur Selbsthilfe.

6.2.4 DER PROZESS DER VERRECHTLICHUNG IN DER SOZIALARBEIT

In den letzten Jahrzehnten hat sich das Verhältnis zwischen Recht und sozialer Arbeit drastisch gewandelt. Die normierten rechtlichen Rege-lungen haben zunehmend von den durch sie geordneten Lebensberei-chen Besitz ergriffen und mit einer wahren Gesetzesflut zu einem Vor-schriftendschungel geführt. Typisches Beispiel dieser Entwicklung sind die Stichworte Jugendhilfe / Sozialpädagogik / SGB – Sozialrecht.430 Das Jugendhilferecht ist in stärkstem Maße Sozialrecht und inhaltlich Teil des SGB (VIII). Das KJHG ist als ein Buch des SGB Sozialrecht, während der Inhalt, die Jugendhilfe, Sozialpädagogik ist. Sozialpädagogisches Han-deln ist normativ orientiert, obwohl die Lieferung von sozialen Leis-tungen gekoppelt ist an die Vorgaben des Gesetzes, ohne Rücksicht darauf, ob die reale Leistung sich pädagogisch zweckmäßig darstellt oder nicht.

Münder siedelt das Verhältnis Recht / Sozialarbeit auf drei Ebenen an:

Recht als Inhalt sozialer Arbeit,

Recht als Hindernis sozialer Arbeit und Recht als Allheilmittel sozialer Arbeit.431

Dieses Ausufern des geschriebenen Rechts im Sozialbereich ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen:

426 Vgl. Niedersächsische Planungskommission S. 88 f.

427 Siehe Beschluss des BVerfG vom 29.5.1990 in BVerfGE 82 S. 60.

428 Siehe BVerfGE 1, S. 97 (105);1, S. 159 ff;5, S. 86; 2, S. 206.

429 Vgl. für Strafgefangene den § 71 StVollzG.

430 Vgl. Münder 1995, S. 301 f.

431 Vgl Münder 1984, S. 31.

a) Unter dem sozialen Netz ist zunächst ein Paragraphengeflecht zu verstehen.

b) Die Leistungsverwaltung des Daseinsvorsorgestaates produziert zunehmend entsprechend den Erfordernissen des Rechtsstaates und dem Prinzip der Gesetzesbindung der Verwaltung „Verord-nungen“.

c) Erweiterter Normenbedarf.

d) Das normierte Gemeinschaftsrecht.

Eichenhofer weist daraufhin, dass in zunehmendem Maße das Sozial-recht internationalisiert wird,432 insbesondere durch die Übernahme der Gemeinschaftsgesetze.433 Ähnlich äußerte sich Waltermann.

Fieseler weist darauf hin, das rechtliche Aspekte nur eine dienende Rolle haben, also lediglich ein Hilfsmittel der sozialen Arbeit sind.434

6.2.5 SOZIALRECHT UND SOZIALARBEIT435

Der Bereich des sozialen Sicherungssystems ist in Deutschland seit den Bismarckschen Anfängen in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts öffentlich-rechtlich geregelt und gesteuert. Dabei ist die Basis der in dem in Art. 20 GG verankerten Staatsziele grundgesetzlich durch die Ent-scheidung für die soziale Gerechtigkeit des Sozialstaatsprinzips ge-schützt.436 Durch das Sozialrecht wird nicht nur der jedem Einzelnen gebührende Anteil an den wirtschaftlichen Gütern der Gesellschaft zu-geteilt,437 sondern es regelt auch und nicht zuletzt die personenge-bundenen Leistungen438 in seinen einzelnen Bereichen.439 Die Umset-zung des diesbezüglichen Sozialrechtes in die Praxis kann nur zu einem geringen Teil gesteuert werden und wird zum überwiegenden Teil vor dem Hintergrund des Sozialrechts, vorzugsweise von den die personalen Sozialleistungen erbringenden Einzelpersonen, Organisationen und In-stitutionen bestimmt. Dabei stehen öffentliche und Träger der freien Wohlfahrtspflege gem. dem Grundsatz der Subsidiarität440 selbständig nebeneinander.441 Sie erfüllen ihre sozialen Aufgaben in eigener Ver-antwortung, wobei die öffentlich-rechtlichen Träger allerdings den Hilfsbedürftigen gegenüber für eine Erfüllung ihrer Hilfeansprüche verantwortlich bleiben,442 auch wenn die Hilfen von freien Trägern er-bracht werden.443 Sozialhilfeleistungen sollen dabei immer ein Mittel zur Selbsthilfe sein und sich selbst überflüssig machen.444 Diese Tendenz hat

432 Siehe Eichenhofer,

433 Vgl. Eichenhofer, S. 1029 ff.

434 Siehe Fieseler, S. 109.

435 Vgl. Waltermann, S. 28 ff.

436 Vgl. Wallerath, S. 953 ff.

437 Vorzugsweise in der Form von allgemeinen Zahlungsmitteln (Geldleistungen) für Ansprüche des Versicherten nach dem SGBV, SGBVII und SGBVI.

438 Siehe zum Beispiel Leistungen der Auskunft, (Heil)Behandlung, Beratung, Betreuung, Erziehung oder Pflege.

439 Beispielhaft siehe: §§ 27 ff, 39 ff und 45 ff SGBVII; § 7, §§ 36 ff , 45 a/b SGB XI und §§ 47 ff, 53 ff, 61 ff, 67 ff und 70 ff SGBXII.

440 Vgl. BVerfGE 22, S. 180 (200 ff).

441 Siehe Benda, S. 251ff.

442 Vgl. BVerwGE 37, S.133 (135).

443 Weiter verbleibt die Haftung für die ordnungsgemäße Erbringung von Geldleistungen bei den staatlichen Trägern.

444 Vgl. BVerwGE 47 S. 103 (106).

sich auch durch die Gesetze für moderne Dienstleistungen am Ar-beitsmarkt,445 die neben der Neuregelung der Grundsicherung für Ar-beitssuchende vor allem die Organisation der Arbeitsverwaltung446 ordnete, nicht gravierend verändert.447

7 D

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CHULDENSITUATION

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TRAFFÄLLIGER

Die Grundlage jeder erfolgreichen praktischen Resozialisierung Straf-fälliger ist das Bemühen, bei dem jeweiligen Probanden von Anfang an die Schuldverbindlichkeiten zu regeln. Ein Sozialarbeiter im Justizdienst, der diese elementare Aufgabe nicht leisten kann, wird seinen Berufs-auftrag nicht erfüllen können. Wenn ein Mitarbeiter im Sozialdienst der Justiz sich zu diesem Zweck theoretisch auf den neuesten Stand bringen möchte, wird er allerdings sehr bald an die Grenzen seiner Informati-onsmöglichkeiten stoßen, da neuere und umfassendere Arbeiten über die Verschuldenssituation der Straffälligen so gut wie gar nicht existieren und die älteren Veröffentlichungen vorzugsweise die Klientel der Teil-gruppe der Inhaftierten betrifft.448 Alle diese Arbeiten haben jedoch ergeben, dass die strafrechtlich Verurteilten einen „Berg von Schulden“

zwar unterschiedlicher, aber im Einzelnen trotzdem ausreichender Höhe, vor sich herschieben und im Höchstfalle etwa 20 - 25 % von ihnen nur schuldenfrei vor dem neuen Lebensabschnitt stehen.449 Weiter ergaben diese Untersuchungen Hinweise darauf, dass die Schuldverbindlichkei-ten für alle VerurteilSchuldverbindlichkei-ten, gleich ob Strafgefangener oder Strafentlassener bzw. Strafausgesetzter, ein stark belastendes Eingliederungsproblem darstellten.450 Eine staatliche Straffälligenhilfe war im Zeitalter des Vergeltungsstrafrechts bzw. –vollzugs schlechterdings nicht denkbar, und so war die Straffälligenhilfe bis weit in das 20. Jahrhundert hinein die Domäne christlich orientierter, barmherziger, von Nächstenliebe ge-prägter Fürsorgevereine und Gefängnisbetreuungsgesellschaften. 451 Noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts war in Lehrbüchern keine Rede von dem finanziellen Desaster der Straffälligen,452 sondern es wurde lediglich auf die Bedeutung der „wirtschaftlichen Fürsorge“ ver-wiesen.