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Alle im vorigen Jahrhundert veröffentlichten Untersuchungen über die Verschuldung Straffälliger lassen erkennen, dass diese Verschuldung für die soziale Eingliederung der Verurteilten sehr problematisch ist. Bis heute ist es nicht gelungen, dieses Problem zufriedenstellend zu lösen.

Allerdings ist auch zu erkennen, dass ein großer Teil der Ansprüche gegen den vorstehend genannten Personenkreis offenbar aus dem Be-reich der vom § 302 InsO erfassten Forderungen stammt. Das dürfte die Möglichkeiten der Entschuldung von Straffälligen auf dem Wege über das Insolvenzverfahren einschränken. Bewährungshelfern, die für ihre Probanden Schuldenregulierungen über das Insolvenzverfahren an-streben, muss geraten werden, im Vorfeld eines möglichen Insolvenz-antrages sorgfältig abzuwägen, ob der § 302 InsO den erstrebten Erfolg vereitelt. Trotzdem ist das Insolvenzverfahren auch für verschuldete Straftäter ein gangbarer Weg zur Durchführung einer Entschuldung.

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Im deutschen Sprachraum ist der Begriff „Schulden“, m. W. das einzige Mal in den modernen Sprachen, moralisch bewertet. Das Wort Schulden leitet sich ab von „Schuld“ und hat damit den Beigeschmack des Ver-werflichen. Probleme mit der Rückführung von Krediten und sonstigen Verbindlichkeiten (Schuldenkrisen) waren noch vor wenigen Jahren im Gegensatz zu der Staatsverschuldung der öffentlichen Haushalte ge-sellschaftlich kein Thema, da der Schuldner an seinem Unglück „selbst schuld“ hatte, weil die ihm zugebilligte Mündigkeit ja angeblich die freie Entscheidung zwischen der sofortigen Befriedigung seiner Wünsche durch Kredit und dem harten Weg des Sparens beließ. Die Nach-kriegsgeneration hielt das Anhäufen von Verbindlichkeiten noch für ein

479 Oft findet sich allerdings auch die Übernahme von Bürgschaften durch die ursprünglich nicht verschuldeten Partner.

480 Vgl. Zimmermann 1981, S. 276.

481 Vgl. Kury/Kern, S. 97 ff.

schändliches Treiben, dem gegenüber es heute als vollkommen „normal“

angesehen wird.482 Dieser zu beobachtende Wertewandel im Bereich der Verschuldung orientiert sich am Statussymbol der Kreditwürdigkeit und akzeptiert Konsumentenkredite als Finanzierungsform, der keinerlei negatives Image mehr anhaftet. Der Bankensektor wird im privaten Haushalt uneingeschränkt als Partner zur Behebung der Phase der An-sparung zur sofortigen Bedarfsbefriedigung eingesetzt, wobei die durch die Kreditaufnahme möglichen bitteren Erfahrungen verdrängt wer-den.483 Den ersten Hilfeeinrichtungen (Schuldnerberatungsstellen), die als Gegengewicht zum Bankensektor entstanden, hing noch ein Tabu-charakter an, gleichwohl die Schuldnerberatung seit den siebziger Jahren sich äußerst rasant entwickelte und, abgesehen von den Spar-massnahmen der öffentlichen Hand, zu einem überaus krisensicheren

„Wirtschaftszweig“ expandierte. Erst in jüngster Zeit wird die bis dato zu beobachtende lückenhafte Speicherung von verschuldungsrelevanten Daten aufgearbeitet und mittlerweile europaweit erfasst und publi-ziert.484 In den entsprechenden Fachkreisen wird schon seit Jahrzehnten die Lösung der Schuldenfrage bei Straffälligen erörtert, und es wurden Spezialprogramme dafür erarbeitet.485 Auch das BVerfG hat sich für Inhaftierte dazu geäußert.486

Es ist jedenfalls in Schrifttum und Praxis nicht mehr in Zweifel gezogen, dass eine Überschuldung bei straffällig Gewordenen die Rückfallgefahr auslöst,487 mindestens aber verstärken kann und allgemein die Resozi-alisierung schwieriger gestaltet.488 Diese Behauptung ist bisher zwar, soweit mir ersichtlich, durch wissenschaftliche Untersuchungen nicht belegt, wird aber bei Spieß und Koepsel plausibel unterstrichen.489 Auch Leubner behauptet, allerdings bezogen auf die Resozialisierung von Strafgefangenen, dass diese durch Schulden rückfällig werden. In die-sem Zusammenhang macht er darauf aufmerksam, dass für entlassene Gefangene nur sehr selten ein gesicherter Arbeitsplatz in greifbarer Nähe ist und ein doch besetzter Arbeitsplatz sehr häufig bei den ersten Voll-streckungsmaßnahmen der Gläubiger wieder gekündigt wird.490 Die These, dass eine hohe Verschuldung bzw. eine Überschuldung eine Wiedereingliederung Straffälliger unmöglich macht, zumindest jedoch sehr erschwert, wird in Gesprächen mit Bewährungshelfern und Straf-fälligen immer wieder bekräftigt,491 wobei in der Zimmermann’schen Bewährungshelferbefragung weiter festgestellt wurde, dass starke persönliche Verschuldung der Täter einen erheblichen Teil der verübten Delikte ausgelöst hat. Als Fazit dürfte feststehen, dass Schulden

482 Vgl. Schmidt, S. 18.

483 Siehe dazu Schmidt, 3ff.

484 Vgl. OECD Financial Statistics Monthly, zuletzt für August 2006.

485 Vgl. dazu Freytag 1989, S. 2 ff.

486 Siehe BVerfGE 98, S. 169 ff und 202.

487 Vgl. Mössinger, S. 129; Berner, S. 110; Best 1982, S. 333; Seebode, S. 176.

488 Vgl. dazu ausführlich: Moll/Wulff, S. 323; Kreuzer/Freytag, S. 465; Baumeister, S. 323; MüllerDietz, S. 309; Zimmer-mann, S. 67; Dünkel, S. 38.

489 Siehe Koepsel, S. 131; Spieß, S. 425.

490 Siehe Leubner, S. 23.

491 Vgl. Bach (S. 116 f) und Maelicke 1977 (S. 62 f), die bei Gefangenenbefragungen in Hamburg und Freiburg beide als Quintessenz herausarbeiteten, dass die Ver bzw. Überschuldung für die Befragten als das zentrale Problem auftrat, eine Einschätzung, die von den im SS 1977 von Zimmermann interviewten rheinlandpfälzischen Bewährungshelfern bekräftigt wurde.

taten mit auslösen, somit Kriminalität begünstigen, die wiederum Re-aktionen der staatlichen Sozialkontrollinstanzen bzw. –institutionen auslösen, gekoppelt mit einer teilweise gravierenden Verschlechterung der persönlichen Verhältnisse, insbesondere auch der Schuldensituation des Straffälligen, die wiederum nach herrschender Meinung die Hemmschwelle hinsichtlich der Rückfallkriminalität entscheidend min-dert, und dann beginnt die Schuldenschraube sich erneut zu drehen...492 Aus diesen wenigen Punkten lässt sich m. E. überaus deutlich entneh-men, dass eine Resozialisierung in jedem Falle zunächst zwingend die Regulierung der Verbindlichkeiten fordert, um erfolgversprechend an-gegangen zu werden, wobei es uninteressant ist, wie es zur Verschul-dung kam. Die durch die VerschulVerschul-dung hervorgerufenen Probleme können dazu nicht durch Überbrückungshilfen bereinigt werden, sondern bedürfen umfassender Kenntnisse über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Straffälligen, verbunden mit dessen fester Absicht, diese im Sinne einer Entschuldung zu bereinigen.

Weisungen in diesem Bereich können sich zu ihrem therapeutischen Zweck auf drei Grundlagen stützen, je nach dem, ob es sich um schlüsse des Tatrichters, der Strafvollstreckungskammer oder des Be-währungsrichters nach § 56 e StGB für Straffällige, als unmittelbar mit Bewährung Verurteilte oder nach Verbüßung einer Teilstrafe Entlassene, handelt.

Schon seit Jahrzehnten ist die Beratungshilfe zur Erledigung finanzieller Sanierungsaufgaben in den Verbraucherberatungen, der Obdach- und Wohnungslosenfürsorge, den Straffälligenbetreuungseinrichtungen, wie überhaupt in der ganzen sozialen Arbeit üblich. Allerdings versteht die Öffentlichkeit unter Schuldnerberatung „verschiedenes, je nach dem, bei welchem Träger dieser Beratungsdienst angesiedelt ist.“ Schuldnerbe-ratung in der sozialen Arbeit versteht sich als ganzheitlich angelegte soziale Beratung und Hilfe.493 Dabei wird dem Begriff der „Ganzheit-lichkeit“ unterlegt, dass neben den wirtschaftlichen und kaufmännischen Bereichen auch die psychosozialen Auswirkungen und die pädagogi-schen Probleme in der Schuldnerberatung genügend breiten Raum einnehmen.494 In der Studie „Überschuldungssituation und Schuldner-beratung in der Bundesrepublik Deutschland“ wird dann die Schuld-nerberatung „als eine Form von Sozialarbeit, welche unter Berücksich-tigung der ökonomischen, juristischen, sozialen, psychischen und phy-sischen Verfassung der Klienten Hilfestellung gibt, um eine wirtschaft-liche und soziale Sanierungsstabilität bei mehreren Personen zu errei-chen, beschrieben.495 Nachdem zunächst in den Schuldnerberatungs- stellen der Schwerpunkt auf die ökonomischen und erst dann auf die sozialen Bereiche fiel, ist seit Ende der 80er Jahre nicht mehr der rechtliche und kaufmännische Bereich das ausschlaggebende einer so-zialen Beratung, sondern es wurden die soso-zialen Aspekte in den Vor-dergrund gerückt. Dies wird besonders deutlich bei Münder der unter Schuldnerberatung ein „Hilfsangebot für hoch verschuldete Familien und Einzelpersonen mit dem Ziel, die verschiedenartigen – gerade sozialen –

492 Siehe hierzu: Seebode, S. 176; Kreuzer, S. 298.

493 Vgl. Bundesministerium für Familie und Senioren, Band I, S. 133.

494 Vgl. Groth 1986, S. 15.

495 Vgl. Korczak / Pfefferkorn S. 7.

Folgen und Probleme von Überschuldung zu beseitigen oder zu mini-mieren“, sieht. Er definiert den Begriff „Schuldnerberatung in der sozi-alen Arbeit“ als „Lebensberatung“, „Beratung in sonstigen sozisozi-alen Angelegenheiten“ und „persönlicher Hilfe“.496 Dagegen sprechen Just et al nicht von Schuldnerberatung, sondern von „Sozialberatung für Schuldnerinnen“ und weisen darauf hin,497 dass die juristischen und wirtschaftlichen Bereiche der Überschuldungsprobleme zu kurz kom-men. Grundsätzlich unterscheiden sich die Maßnahmen der Schuldner-hilfe für Straffällige und Nichtstraffällige nicht. Allerdings hat sich zwi-schenzeitlich mehr oder weniger deutlich herauskristallisiert, dass die Träger der Schuldnerberatungsstellen ihre Kapazitäten auf Nichtstraf-fällige und StrafNichtstraf-fällige prozentual aufgeteilt haben. Nachdem in den letzten Jahren das weitere Ausbauen der Beratungsstellen zurückge-fahren wurde, hat im Frühsommer 2006 die Niedersächsische Landes-regierung angesichts der zunehmenden Zahlen überschuldeter Men-schen entschieden, weiterhin für diese wichtige Aufgabe Mittel in der bisherigen Höhe bereitzustellen.498 Jedoch sind im Bereich der Straffäl-ligenhilfe einige zusätzliche Möglichkeiten installiert. So haben ver-schiedene Bundesländer in den Dienstanweisungen ihrer sozialen Dienste in der Justiz verankert, dass der soziale Dienst der Justizvoll-zugsanstalten ebenso wie Bewährungshelfer und Gerichtshelfer auf Wunsch der Probanden Hilfestellung bei der Bereinigung finanzieller Notstände leisten sollen. Dazu kommt noch der freiwillige Dienst der ehrenamtlichen Straffälligenhilfe, der in der Praxis tatsächlich den größeren Anteil abdeckt. Vor allem der soziale Dienst in den JVA ist nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte nur unzulänglich auf diese Hil-feleistung vorbereitet. Im Rahmen der Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand kämpfen allerdings die Schuldnerberatungsstellen seit einigen Jahren um das Überleben, nicht nur um eine ordnungsgemäße Durch-führung ihrer Aufgaben zu sichern.

Zwar ist durch die Sozialgesetzgebung der Aufgabenbereich der Schuldnerberatung in den letzten Jahren abgesteckt worden, ohne dass in den Gesetzestexten präzise der Tätigkeitskatalog umrissen ist. Nach dem Sozialgesetzbuch und seinen dazugehörigen Folgegesetzen ist die Schuldnerberatung als „persönliche Hilfe“ zu bezeichnen und stellt nach dem SGB-XII eine Form der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Hilfe in besonderen Lebenslagen dar.