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2. Der Ayodhya-Konflikt als religiöser Werte- und Machtkonflikt 41

2.4. Ayodhya und die Reinterpretation des Hinduismus

2.4.1. Der Hinduismus der VHP

2.4.1.5. Das Selbstbild der VHP

Das Selbstbild der VHP ergibt aus ihrem Verständnis von Reli-gion, wonach Religion ein "System von Anschauungen und einem ihm begleitenden Verhaltenskodex" (Elst 1991, x) ist. Hin-duismus, und dies ist das Resultat seines jahrhundertelangen Assimilierungsprozesses, ist per se tolerant und säkular. Er kann daher überhaupt nicht fundamentalistisch werden. Indien ist deshalb auch nur eine Demokratie, weil die Mehrheit der Bevölkerung Hindus sind: "Wir hätten auch 'Bharat' (Indien-M.

S.) (nach Erlangung der Unabhängigkeit) als ein 'Reich der Hindus' erklären können, aber großherzig, wie wir sind, gaben wir uns eine säkulare Verfassung" (Nandan, 2), lautete eine dieser Standarderklärungen.

Jedoch hat die dem Hinduismus angeborene Toleranz ihn auch im Angesicht seiner Feinde schwach gemacht. Im Grundverständnis der VHP sind die Hindus Bürger 2. Klasse im eigenen Land. An-dere, wie z. B. die Moslems, würden aufgrund des ihnen

zugestandenen Minderheitenstatuses zu viele Rechte erhalten.

Jede Forderung, die sie haben, würde im Gegensatz zu den Hindus deshalb unverzüglich eingelöst werden. Die VHP ver-weist hierbei auf den Fall der Shah Bano und das Verbot der

"Satanischen Verse". Moslems könnten stets auf die Solidari-tät der gesamten arabische Welt bauen. Die Hindus hingegen haben nur sich selbst.

Dies würde die Notwendigkeit der "Hindu-Erneuerung" belegen, die, um sie stark zu machen, zur Einheit der Hindus führen müsse. Daß dies aber nicht leicht ist, beschrieb kein gerin-gerer als Hedgewar, der Gründer der RSS, bereits in den 30er Jahren mit den Worten, daß "das Organisieren der Hindus ge-nauso schwer sei wie das Einsammeln einer Gruppe von Fröschen" (-In: manthan. -New Delhi, VIII(1987)4. -S. 56).

Doch es gibt keinen anderen Weg, denn Indien, bzw. wird hier-bei der Hindi-Ausdruck 'Bharat' gebraucht, ist in "Gefahr"

(Pandya).

In Indien wird in der allgemeinen Diskussion dieser Umstand, bei dem dieses 'Hindu-Bewußtsein' zum Aufbau einer 'Hindu-Ge-meinschaft' reinterpretiert wird, auch als "Hindu Backlash"

('Hindu-Reaktion') bezeichnet. Die Standardschrift, die letztlich die Einleitung dieses 'Backlashs' signalisierte, erschien im Februar 1988 zuerst im Sprachrohr der RSS, dem

"Organiser", und dann in mehreren gesonderten Drucken. Der Autor, der anonym blieb und sich mit der Stimme eines 'Zornigen Hindus' an die Öffentlichkeit wandte, zeichnet das Bild des "wahren Hindus", der nun aktiv wird:

"(...)Ja, gewiß bin ich zornig. Und ich habe allen Grund dazu, zornig zu sein. Und es nur recht für mich, so zu sein.

Andernfalls wäre ich kein Mann.

Ja, zu lange habe ich die Beleidigungen erduldet. Schon immer war ich derjenige, der alles einstecken mußte. Und das auf allerlei Arten. Mein Volk wurde von den feindlich Gesinnten entführt. Meine Anzahl schrumpfte zusammen. Schließlich wurde

mein innig geliebtes Mutterland in Stücke gerissen. (...

Afghanistan, die Nord-West-Grenzprovinz, Sind, Baluchisthan, die Hälfte von Punjab, die Hälfte von Bengalen und ein Drit-tel von Kashmir ...)

Meine Tempel wurden geschändet, zerstört. Ihre heiligen Steine werden von den Aggressoren mit Füßen getreten. Meine Götter weinen. (...) Wenn ich meine Schmerzen ausspreche, verurteilt ihr vom säkularen Stamm mich, als eine Bedrohung unseres 'säkularen Friedens'. (...)

Aber was mich am meisten in Wut versetzt, ist der Betrug und die Heuchelei eures Stammes. Ihr bekommt meine Stimmen, aber hätschelt diejenigen, die mich angreifen. Wenn immer ich mich selbst gegen sie verteidige, prangert ihr mich als kommunali-stisch an. Und wenn sie Alarm schlagen -wie falsch auch- hal-tet ihr das als ihr 'Minderheitenrecht' hoch. (...)

Für euch ist unser nationales Leben minus jedes Stückchen Hindu Säkularismus. In Kürze: ihr wollt, daß ich aufhöre, ich selbst zu sein. (...)

Ihr habt mich als einen 'Zornigen Hindu' verspottet. Dem ge-genüber fasse ich es als ein Kompliment auf. Lange, zu lange lag ich in einem tiefen Koma. Ich sah nichts, ich hörte nichts, fühlte nichts - sogar als mein Mutterland aufgetrennt wurde. Aber all diese unablässigen Stöße haben mich schließ-lich aufgeweckt. Nun habe ich angefangen zu sehen, ich habe begonnen zu hören, ich habe begonnen zu verstehen, ich habe begonnen zu fühlen. (...) Ich werde den Herausforderungen nicht mehr davonlaufen; ich werde ihnen entgegentreten.

Ihr nennt mich 'Zorniger Hindu', in Wirklichkeit macht mich das froh. Bislang war ich ein zorniger Landbesitzer oder ein zorniger Bauer, ein zorniger Arbeitgeber oder ein zorniger Arbeiter; oder ein zorniger Kannada, ein zorniger Marathe, ein zorniger Bengale; oder ein zorniger Jat, ein zorniger Harijan, ein zorniger Brahmane oder ein zorniger Rajput; oder ein zorniger Lingayat, ein zorniger Angehöriger des Arya

Samaj oder ein zorniger Jain; usw. Aber nun habt Ihr ein neues Wort geprägt 'Zorniger Hindu' - das sie alle umfaßt.

Das zeigt, daß ich jetzt nach all diesen Jahrhunderten damit anfange, als ein Ganzes - als ein Hindu - zu denken, zu füh-len und zu handeln. (...)

Mein Haus war geteilt. (...) Ich war zu gut für diese Welt der 'harten Wirklichkeiten'. (...) Ich wurde betrogen. Als Antwort für meine Hilfe, andern ihre Gotteshäuser zu errich-ten, begannen sie, meine zu entheiligen und zu zerstören.

(...)

Offen gesagt, bin ich mehr über mich selbst zornig als über andere. Zulange haben mich andere in der Vergangenheit und jetzt nach Erlangung der Unabhängigkeit der Stamm der 'Säkularisten' zum Narren gehalten. (...)

Bevor ich abschließe, dränge ich Euch, der scharfsinnigen Warnung, die von einem bekannten Journalisten geäußert wurde, Beachtung zu schenken. Er sagte, 'Hindus brauchen viel Zeit, um zu handeln, aber wenn sie sich erheben, dann fängt sogar der Himalaya an zu erbeben. Und der Himalaya ist das Zuhause des zornigsten Hindus von allen - Gott Shiva'" ('Angry Hindu').

Was hier vorgenommen wurde, war genau die bereits von Golwalkar einst beschriebene Reinterpretation bestimmter Eigenschaften des Hinduismus und damit auch die seiner Anhän-ger. Diese Eigenschaften, wie z. B. Großzügigkeit und Tole-ranz, werden sonst als dessen Vorzug propagiert. Nun sind sie ein Ausdruck von Schwäche. Und die Hindus müssen mannhaft werden: "Mein Geist und mein Herz sind die eines Hindus, mein Leben ist das eines Hindus, meine Vorstellungen sind durch und durch, die eines Hindus. Ich bin Shankar's (Gott Shiva-M.

S.) aufbrausender Zorn. Ich kann die Erde in Schutt und Asche legen. Ich bin der Klang der völligen Vernichtung, zu dem die furchtbare Ausrottung tanzt. Ich bin der unbefriedigte Durst Ranachandis (Göttin des Krieges-M. S.), Ich bin Durgas Lachen

des Wahnsinns, Ich bin Yamas Todesruf (Gott des Todes- M.

S.), Ich bin der Rauch, der von der Verbrennungsstätte der Leichen aufsteigt. Der Zorn, der tief in mir brennt, wird die Welt in Brand stecken. (...)" ('Angry Hindu', 17; auch:

Bhattacharya, 139).