• Keine Ergebnisse gefunden

2. Der Ayodhya-Konflikt als religiöser Werte- und Machtkonflikt 41

2.5. Schlußfolgerungen

Beim Ayodhya-Konflikt geht es darum, daß an der Stelle einer Moschee ein Tempel errichtet werden soll. Damit erscheint er an der Oberfläche der Gesellschaft als ein Konflikt zwischen Hindus und Moslems. Doch primär ist er auf der Ebene der re-ligiösen Werte ein Konflikt darum, wie der Hinduismus sich selbst definiert. Kein Geringerer als Golwalkar, einer jener Hauptvertreter, die den Hinduismus reinterpretierten, kann zur Untermauerung dieser These herangezogen werden: "Selbst wenn Prophet Mohammed nicht geboren wäre, und der Islam nicht entstanden wäre, hätten wir diese Arbeit aufgenommen, so wie wir sie heute durchführen, denn wir hätten die Hindus in dem-selben unorganisierten und selbstvergessenen Zustand vorge-funden, wie er heute ist" (Golwalkar 1980, 80). Die Moslems waren für die VHP nur das Vehikel, über dem sie ihre Vorstel-lungen über eine "Erneuerung des Hindu-Lebens" transportieren konnten. Der moslemische Gegner bestand also nur in der Fik-tion der VHP, aber nicht in der Realität. Die Moslems sind nicht per se die Gegner der Hindus, sondern werden erst durch eine besondere Definition des Hinduismus zu ihnen erklärt.

Ein Problem wurde die Frage der Babri-Moschee aufgrund der der VHP eigenen Ansichten über Inhalte und Formen des Hin-duismus. Dagegen entwickelte sich im Hinduismus selbst aber keine Kraft, die einen auf breiter Basis beruhenden Gegenent-wurf entwickelte. Auf der religiösen Ebene bestand also der Konflikt darin, daß es im Grunde genommen keinen Konflikt gab. Dadurch erst konnte die Ayodhya-Frage andere Ebenen er-reichen, auf denen sie dann in gewalttätiger Form ausgetragen wurde.

Was soll damit gemeint sein?

Die moslemische Seite war durch ihre Spaltung im Jahre 1988 geschwächt. Von Frühjahr 1989 an befand sie sich in einer völligen Defensive, da die VHP die Kampagne einseitig und zu ihren Gunsten anzog. Die Folge war, daß der Vorsitzende des

BMMCC widersprüchliche Aussagen machte. Zunächst erklärte er, daß er bereit wäre die Moschee mit eigenen Händen zu zerstö-ren, wenn die VHP beweisen könne, daß dort einmal ein Tempel gestanden hätte, denn das islamische Gesetz würde die Zerstö-rung Heiligtümer anderer Religionen verbieten. An anderer Stelle sagte er aus, daß es keine Möglichkeit eines Abkommens gibt, da im Islam der Ort, auf dem die Moschee steht, heilig ist, nicht aber die Moschee selbst. Forderte Shahabuddin im Sommer 1989 noch das Verbot der VHP, so willigte er im Herbst der begrenzten Durchführung des VHP-Programms zu: "Wenn die VHP darauf besteht, sollte ihr gestattet sein, eine kleine Anzahl von Ziegelsteinen, z. B. 10 aus jedem Distrikt, nach Ayodhya zu transportieren" (Shahabuddin 1989g). Wenn mosle-mische Organisationen einen Einfluß auf den Ayodhya-Konflikt hatten, dann den, daß sie der VHP zur Realisierung der Bil-dung einer Hindu-Gemeinschaft verhalfen.

Betrachten wir uns einmal die Ayodhya-Kontroverse von der rechtlichen Seite (siehe 4. 1.), so ist es in diesem Falle völlig gleichgültig, ob sich auf jener Stelle, wo die VHP ihren Tempel bauen will, derzeit eine Moschee befindet. Ge-nauso gut könnte dort eine Fabrikhalle stehen. Die VHP würde in beiden Fällen durch eine einseitige Anmeldung von Eigen-tumsansprüchen und deren gewaltsame Realisierung im Unrecht sein. Prinzipell können daher gegenüber den moslemischen Or-ganisationen, die versuchen, ihre Rechte in Bezug auf die Moschee zu wahren, keine Einwände geltend gemacht werden.

Der Hinduismus der VHP ist, wie wir gesehen haben, durch neue Merkmale gekennzeichnet. Er ist innerhalb des Hinduismus nicht unumstritten. Die Gegner der VHP bezeichnen ihn als militanten -, nicht wirklichen - oder Toyota-Hinduismus. An-hänger der VHP sehen diese wiederum als Vertreter eines un-schuldigen Gandhi-, Museums- bzw. Pseudo- oder sogar eben-falls eines nicht wirklichen Hinduismus an (siehe Elst 1991, 83). Die meisten Ressentiments verursacht die VHP dadurch, daß sie vorgibt für alle Hindus sprechen zu können, aber

selbst denn Sinn einer jeden Religion verkehrt. Religion sei nicht individuelle Erlösung sondern "eine Identifizierung mit einer größeren sozialen Gruppe ... in Disziplin und Selbstbe-schränkung" (Golwalkar 1980, 77, 81).

Die VHP nutzte zur Propagierung ihrer Ideen zwei Momente. Sie trat öffentlich vor allem auf religiösen Festen, wie z. B.

der Kumbh Mela, auf. Die Durchführung ihrer jeweiligen Pro-gramme legte sie auf die Zeiten, wenn in Ayodhya die Pilger-fahrten wie das Parikrama durchgeführt wurden. Dies erschwer-te wiederum das Eingreifen der staatlichen Behörden. Und zweitens koordinierte sie ihr Handeln mit solchen politischen Ereignissen wie den Wahlen.

Die Frage, die die VHP durch ihr Vorhaben aufgeworfen hat, lautet, soll der Hinduismus eine tolerante, unerschöpfliche, offene oder eine totalitäre, strenge, abgegrenzte Religion werden. Lebt Rama in den Herzen der Menschen oder "genau dort, wo die Babri-Moschee steht"? Bedeutet "wahrer Säkula-rismus gleicher Respekt für alle Religionen" (Paramacharya), oder Unterordnung einer Religion unter einer anderen?

Was die Frage eines Gegenentwurfs im Hinduismus betrifft, die ich oben angesprochen habe, so hätte er u. a. von Karan Singh kommen müssen. Er hatte Anfang der 80er Jahre mit den "Virat Hindu Sammelans" versucht, eine Renaissance im Hinduismus in Gang zu setzen. Dazu bildete er eine Dachorganisation für die verschiedenen hinduistischen Strömungen. Sie sollte eine öf-fentliche Meinung in Bezug auf die Notwendigkeit der weiteren sozialen Reform im Hinduismus, die er als unvollendet be-zeichnete, schaffen. Gravierendstes Zeichen dieser sozialen Ungerechtigkeit in der Gesellschaft ist die ebenfalls religi-ös sanktionierte Unberührbarkeit. Die VHP sah "durch den Bau des Rama-Tempels in Ayodhya das Problem der Unberührbarkeit als gelöst an" (Dalmia). Dabei verwies sie auf den Fakt, daß ein Harijan 1989 als erster den Grundstein für den Rama-Tempel legte. Gegenüber diesem eher symbolischen Akt betonte

K. Singh die "Sozialreform" (1987, 61, 116). Seine aus diesem Anlaß gegründete "Virat Hindu Samaj (...) ruht" (Singh, K.

1992) jedoch derzeit. K. Singh unterstützte die VHP nicht, sprach sich aber auch nicht in der Öffentlichkeit offen gegen sie aus.

Es gab auf der religiösen Ebene Initiativen, dem Lauf der Er-eignisse in Ayodhya entgegen zu wirken, u. a. vom Führer des Arya Samaj, Swami Agnivesh. Doch deren Einfluß war insgesamt zu marginal. Somit erschien es in der Tat, als ob die VHP das alleinige und befugte Entscheidungsgremium im Hinduismus sei.

Dabei spielten eine Reihe von Faktoren eine Rolle. Die Prie-ster Ayodhyas profitierten inzwischen von der gewachsenen Po-pularität ihrer Stadt. Die Zahl der Touristen stieg über die Jahre hinweg an. Die Shankaracharyas waren der VHP gegenüber reserviert. Ihre Unterstützung bestand indirekt dadurch, daß sie sich der VHP gegenüber teilweise neutral verhielten. Der Shankaracharya von Puri z. B. hatte sich im Jahre 1988 durch eine Reihe öffentlicher Verlautbarungen zur Witwenverbrennung (Sati) unmöglich gemacht. Durch die Ayodhya-Kontroverse ver-suchte er, seine Position wieder zu stabilisieren. Der Shankaracharya von Dwarka erkannte eine durch die VHP ange-führte Agitation überhaupt nicht an. Dies veranlaßte einen der bekanntesten Vertreter der VHP zu der Bemerkung: "Was immer der Shankaracharya von Dwarka sagt, er lügt" (-In: VHP may ...). Jedoch versuchte auch er die inzwischen populär ge-wordene Forderung der VHP zu nutzen, um seinen eigenen Status aufzuwerten. Er organisierte im Mai 1990 eine eigene

"Shilanyas"-Zeremonie, worauf hin er verhaftet wurde. Der Shankaracharya von Badrinath brachte bereits im Februar 1989 während der Kumbh Mela sein Unbehagen über das Fehlen einer religiösen Atmosphäre, die durch "Propaganda" (Propaganda during ...) ersetzt worden sei, zum Ausdruck. Astrologen und auch der Shankaracharya von Puri machten 1989 Zweifel gegen den Zeitpunkt der "Shilanyas"-Zeremonie geltend, der aufgrund der Sternenkonstellation "ungünstig" (Astrologers oppose ...)

sei. Mit zunehmender Popularität der VHP waren Einwände der religiösen Oberhäupter gegen die VHP weniger zu vernehmen.

Betrachtet man die Lage in Ayodhya, so ist eine eher zeitwei-lige als breite Unterstützung der VHP zu erkennen. Neben der speziellen Organisation, die die VHP zum Bau des Tempels ins Leben gerufen hat, agieren, so weit ich dies feststellen konnte, vier weitere Hindu-Organisationen in Ayodhya, die ihre Existenz auf "Ram Janmabhumi" beziehen. 8) Auf die eine oder andere Art versuchen sie, Gelder von Pilgern zu erhal-ten. Sie nutzen einerseits die Kampagne der VHP, die ihnen entweder mehr Gelder einbrachte, bzw. die Existenz überhaupt ihr zu verdanken hat. Andererseits sind sie nicht an einer einseitigen Verlagerung der Lage zugunsten der VHP interes-siert. 1949 organisierten Priester im Hof der Moschee einen Gesang, der laut eigener Aussage dort seit dieser Zeit unun-terbrochen durchgeführt wird. Wie auch immer sie sich für eine Nutzung dieses Ortes als hinduistische Pilgerstätte aus-sprachen, kritisierten sie wie folgt die Ereignisse vom 2.

November 1990 (siehe 4. 2. 2.): "Wenn die Führung der VHP ein wenig weitsichtiger und verständiger gewesen wäre, dann hätte sie diesen Völkermord verhindert" (Sharan). Ein solches Her-angehen war aber bei der VHP grundsätzlich nicht vorgesehen, da sie den Tod von Menschen in Kauf nahm. Der Verantwortliche der Gottesanbetung Ramas in der Babri-Moschee, Lal Das, der dafür von der Regierung eingesetzt worden war, wurde wegen seiner Opposition gegen die VHP von ihr des öfteren verleum-det. Seiner Meinung nach, und dies ist auch von Moslems zu hören, "können die Hindus und Moslems von Ayodhya und Faizabad das Problem selbst lösen. ... (Die VHP ...) hat es nur unnötigerweise politisiert" (-In: 'Hindus, Muslims ...;

Das, L.). Beispielsweise konnten sich die lokalen Oberhäupter in Mathura 1968 über die Handhabung der Stätte, an der Krishna geboren worden sein soll, und der sich ebenfalls dort befindlichen Moschee einigen. Ein kleiner Raum der Anbetung Krishnas befindet sich unmittelbar an der Rückseite der

Moschee. Eine Reihe anderer Initiativen, wie z. B. die Chandra Swamis, die zwar auch davon ausgingen, daß Rama auf der Stelle der Babri-Moschee geboren wurde, wurden jedoch nicht gewalttätig. Der religiöse Wert darum, daß an jener Stelle Rama geboren wurde und daher eine Kampagne ein erstre-benswertes Gut darstellt, wurde nicht von sich heraus gewalt-tätig, sondern dem liegt ein anderes Motiv, ein politisches, zugrunde. Somit ist die durch die VHP vorgenommene Interpre-tation des Hinduismus eine politische Erklärung, die der wei-teren Betrachtung bedarf.

Was die Situation innerhalb der VHP in Bezug auf Ayodhya betrifft, so tun sich auch hier eine Reihe von Problemen auf.

Swami Satyamitrananda Giri, dem der "Bharat Mata"-Tempel von Haridwar gehört, sieht z. B. Gott Shiva als den "Obersten Gott" an, und Haridwar wiederum soll "das heiligste der hei-ligen Pilgerzentren" (Samanvaya Sewa Trust, 17, ii) sein.

Dies steht im Widerspruch zur VHP-Kampagne, wo Rama und Ayodhya im Mittelpunkt des Hinduismus stehen sollen. Wie sich dieses Verhältnis zukünftig gestalten wird, muß noch gesehen werden. Doch dürften, wenn der Rama-Tempel in Ayodhya zumin-dest fertig gestellt sein würde, hierzu Probleme offen an die Oberfläche treten.

In der Tat spiegelt sich m. E. in der Ayodhya-Kontroverse ein gewisser Wandel im Hinduismus wider. Der Hinduismus macht einen Vereinheitlichungsprozeß durch, bei dem Rama mehr und mehr als verbindende Gottheit fungiert. Dies zeigte sich be-reits in der Ausstrahlung der Fernsehserie des "Ramayana".

Ein Nebeneffekt dessen war, daß mit dieser ausgestrahlten einheitlichen Interpretation schon lokale Variationen des Mythos verdrängt wurden. Darüber hinaus entstand in Indien eine ganze "Rama-Industrie", die die gewachsene Popularität Ramas sowohl zeigte, als auch ihr weiterverhalf. Z. B. wurden Poster, Sticker usw. mit "Rama" verkauft. Liedern bekannter Filme wurden mit neuen "Rama"-Texten versehen. M. E. läßt dies den Hinduismus nicht unbeachtet. Unter diesen Umständen

könnte auch Karan Singhs Organisation wieder an Bedeutung er-langen. Noch bleiben diese Entwicklungen weiter abzuwarten, als daß schon voreilige Schlüsse gezogen werden sollten.

3. Der Ayodhya-Konflikt als parteipolitischer